Wie konnten sie es nur zulassen?

von Gert Flegelskamp (flegel-g)

Ab und zu lohnt es, sich zu erinnern. Wie war das nach Weltkrieg II, als die neueren Generationen empört die Frage stellten: „Wie konntet Ihr das nur zulassen?“

Nun, die Generationen, die das „zugelassen haben“, waren ganz sicher nicht so gut informiert, wie wir das heute sind oder sein könnten. Wenn die Alten hilflos stammelten: „Das haben wir nicht gewusst“ ist das glaubwürdiger, als das heutige Gewusel so vieler Deutscher, deren Kenntnisse der Situationen (ich wähle bewusst den Plural) eigentlich ausschließlich aus der Presselandschaft stammen, einer Presselandschaft, die sich aus meiner Sicht nicht von der vor 1933 unterscheidet.

Und unsere Ahnen hatten kein WWW, keine Handys, keine PCs, keine Autos, ja die meisten hatten nicht einmal Telefon. Ihre Möglichkeiten, zu kommunizieren, waren auf Stammtische und Treffen mit Freunden beschränkt und Gespräche drehten sich dabei nur um Politik, wenn es die Arbeit und die Renten betraf und kritische Presse gab es nach 1933 nicht mehr. Und relativ schnell haben sie begriffen, dass es besser ist, Kritik für sich zu behalten. Und ob die Filme, die man heute zeigt, wie Juden erbarmungslos aus den Häusern getrieben und auf LKWs verladen wurden, in dieser Öffentlichkeit wirklich stattgefunden haben, bezweifle ich allmählich auch. Zumindest habe ich dergleichen nie gesehen oder war vielleicht noch zu klein.

All jene, die ihre Eltern verdammt haben, weil diese den Krieg „zugelassen haben“, frage ich nun, ob sie begreifen, dass sie sich nun in der gleichen Situation befinden. Warum lassen wir es zu? Wir leben doch in einer Demokratie und können etwas tun! Können wir? Oder begreifen wir allmählich, dass das, was wir Demokratie nennen, nur die schillerndste Form der Diktatur ist? Können wir wirklich etwas bewirken? Hat der Satz im Grundgesetz in Absatz 2 von Art. 20; „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“ auch nur den Hauch von Wirklichkeit? Die Realität ist doch, dass alle Staatsgewalt von den Parteien ausgeht und wer die Parteien wirklich beherrscht, wissen die meisten Parteimitglieder nicht einmal.

Sicher, wir dürfen uns äußern, unserer Empörung freien Lauf lassen und einmal alle paar Jahre können wir bei den Wahlen bestimmen, wer uns regiert. Doch das ist auch alles. Wir sind mehrheitlich gegen CETA und TTIP, wir sind mehrheitlich gegen den Syrieneinsatz (zumindest gehe ich davon aus), wir waren mehrheitlich gegen den Euro, wir waren gegen den ESM, wir waren gegen das Gesundheitsmodernisierungsgesetz und waren bzw. sind noch gegen viele andere politische Entscheidungen, können aber nichts dagegen tun und sind uns vermutlich auch bewusst, dass wir, wenn wir Artikel 20 Absatz 4 im Grundgesetz folgen, die geballten Möglichkeiten der so genannten Obrigkeit zu spüren bekommen werden. Bleibt also nur die Wahl. Doch welche Gestalten stehen zur Wahl an? Leute wie Merkel, Gabriel, Schäuble, Kauder, Nahles, Wiefelspütz, Maas, Göring- Eckart, Kretschmar, Stark, von der Leyen, Schwesig, Dobrindt, de Maizière usw. usf. Aber es kann auch sein, dass das Desinteresse an der Politik und die mangelnde Bereitschaft, sich auch außerhalb der Einheitspresse zu informieren, die eigentliche Ursache ist, das wir eine Groko haben, die unser Wollen ignoriert und sich einen Deut um das Grundgesetz oder das Völkerrecht schert.

Sicher, es gibt ja noch die Linke. Aber wird die nicht inzwischen auch von den so genannten „Realos“ infiltriert, die bereit sind für die Zulassung an die Fleischtöpfe auch Kröten zu schlucken und damit den Weg gehen, den die Grünen längst gegangen sind?

Würden nur 50% der Nichtwähler doch mal zur Wahl gehen und z. B. die Linke wählen, trotz der erheblichen Zweifel, würde das ein Beben in der politischen Landschaft auslösen, denn dann würden die Parteien erstmalig die durchaus vorhandene Macht der Wähler spüren. Aber stattdessen wenden sich nun etliche Leute der AfD zu, dem rechten Flügel der FDP, einer Partei, die sich noch entschiedener für das Kapital einsetzen wird, als das die FDP bereits tat.

Ich kann die Leute sogar verstehen, die die Teilnahme an den Wahlen verweigern, weil es keine wählbaren Parteien gibt. Aber das ist kein Protest, sondern pure Resignation und die meisten begreifen nicht, dass ihre Wahlenthaltung genau den Parteien zugutekommt, wegen derer sie nicht wählen gehen. Denn den so genannten Volksparteien gelingt es immer, ihre vermutlich zu einem großen Teil hirnlose Stammwählerschaft zu aktivieren.

Ja, Nun stelle ich die gleiche Frage in der Gegenwartsform: „Wie können wir das nur zulassen?“ Weil wir geblendet sind von den Versprechungen der Politik, obwohl wir aus dem Erleben wissen, dass Versprechungen der Politik entweder gebrochen werden, oder einen Pferdefuß haben? Oder weil wir glauben, eine Demokratie und ein Rechtsstaat zu sein. Was für ein Irrsinn! War nicht auch die Zeit nach 1933 ein Rechtsstaat, weil all das Unrecht dieser Zeit in Gesetze gefasst und somit zu „Recht“ wurde? Waren es nicht die Vorgänger-Parteien von CDU,CSU und FDP, die mit Ihrer Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz (auch das war ein Gesetz) die volle Macht an das Nazi-Regime übergeben haben?

Was unterscheidet unsere heutige „Demokratie“ von einer Diktatur? Ja, wir dürfen sagen, was uns nicht gefällt. Das spart Obrigkeitsdiener, die uns hindern, den Mund aufzumachen, aber ändern können wir dennoch nichts, auch nicht mit dem Feigenblatt der Petition. Wir werden absolut regiert und wer wirklich mal einen Blick hinter die Kulissen wagt, muss eigentlich erkennen, dass auch die Hanseln der Regierung nichts als Puppen an den Fäden ganz anderer Kaliber sind, der international aufgestellten Kaliber, die auch das Regime von 1933 finanziert haben. Wir sind schon sehr lange globalisiert, haben es nur nicht erkannt und verschließen auch jetzt die Augen davor, dass die Globalisierung nur eine leere Worthülse ist, um uns zu erklären, dass das Geschehen über unser kleinkariertes Denken hinausgeht. Und unser Denken ist kleinkariert, denn es mündet in dem immer gleichen Satz: „Wir können ja doch nichts machen!“ Aber was sagt IHR EUREN Kindern, sofern sie das, was sich derzeit anbahnt, überhaupt überleben?

Ein Kommentator verwendete in seinem Kommentar zum Beitrag der Rationalgalerie (1) mit dem Titel „SPD: Pax Americana“ für diesen Titel den Terminus „Oximoron“. Ich nehme den Spielball auf und verwende ihn für CETA und TTIP im Zusammenhang mit den begeisterten Kommentaren zu den Ergebnissen des Klimagipfels. Eigentlich müssten die Ziele des Klimagipfels diese Handelsabkommen obsolet werden lassen, aus zwei Gründen. Zum einen ist eine Steigerung des globalisierten Handels mit den Zielen des Klimagipfels unvereinbar, weil eine Steigerung des weltweiten Handels unweigerlich eine Zunahme des internationalen Flug- und Schiffsverkehrs bedeutet, also zusätzliche Luft- und Gewässer-Verschmutzung.

Zum anderen werden die Urteile der privaten Schiedsgerichte die Staaten hindern, ihren finanziellen Verpflichtungen aus dem Klimagipfel nachzukommen. Einen Vorgeschmack auf das, was die Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) auch für uns (EU) bereithält, hat ein Schiedsgericht der US-geführten Weltbank (nach dem die TTIP-Gerichtsbarkeit modelliert ist) mit seiner Entscheidung gegen den Staat Ecuador vor kurzem vorgeführt. Obwohl das Schiedsgericht einräumte, dass der Ölkonzern Occidental Petroleum (Oxy) gegen ecuadorianische Gesetze verstoßen habe, soll das Land dem US-Konzern wegen entgangener Gewinne 1,1 Milliarden Dollar zahlen. Und klagebereite Großkonzerne stehen schon zuhauf in der Warteschleife, die Staaten, also uns, abzuzocken wollen. Ich habe es schon einmal gesagt. Entgangene Gewinne einzuklagen und zugesprochen zu bekommen, ist genauso idiotisch, wie die Klage eines Lottospielers gegen den Lottoblock, weil dieser die falschen Zahlen gezogen hat und damit dem Lottospieler ein großer Gewinn entgangen ist.

Gellermann von der Rationalgalerie hat mit seinem Artikel den Nagel auf den Kopf getroffen, aber aus meiner Sicht nicht gänzlich bis zum Kopf in die Balken in den Augen der SPD-Delegierten eingeschlagen. Ich möchte das näher begründen.

Campact(2) versucht, Leute gegen TTIP zu mobilisieren und hat offenbar auch Erfolg damit. In diesem Video, in dem echte Experten die Hintergründe von TTIP ein wenig ausleuchten, offenbart Gabriel seine ganze und völlig unberechtigte Arroganz. Für mich ist Gabriel ein Merkmal, wie tief die SPD gesunken ist. Völlig zurecht wird Gabriel für seine zynische Bemerkung über die „reichen“ Deutschen mit ihrem Nichtwissen kritisiert. Nur, wem verdanken wir dieses Nichtwissen? Ich denke, dass die „reichen Deutschen“ (das ist nur ein sehr kleiner Teil der Deutschen) durchaus informiert sind, anders als die übrige Bevölkerung. Die „reichen Deutschen“ sind nämlich die Lobbyisten pro CETA und TTIP, die darin einen weiteren Weg sehen, ihrer Gier noch stärker zu frönen. Das wirklich Perfide an Gabriels Kommentar ist, dass er mit seiner Bemerkung die Konzentration und die Empörung von uns allen noch stärker auf TTIP lenkt und uns damit vom längst in der EU beschlossenen CETA ablenkt. Und das meine ich mit dem Nagel, der nicht bis zum Kopf in den Balken in den Augen der SPD-Politiker und SPD-Delegierten geschlagen wurde. Über CETA wird kaum berichtet und aus der Presse werden wir vermutlich erst nach der Verabschiedung der deutschen Zustimmung zu CETA durch den Bundestag erfahren, wenn das CETA-Abkommen ratifiziert wurde, denn der Pfarrer im Gewand des Bundespräsidenten wird dieses Gesetz sofort mit seiner Unterschrift billigen. Ist aber CETA erst mal ratifiziert, brauchen die Amerikaner TTIP gar nicht mehr, denn dann können sie all ihre Vorhaben über CETA abwickeln. CETA ist das echte trojanische Pferd, das in unseren Hof geschoben wird, während wir uns ausschließlich über TTIP aufregen. Und meine Erwartung, dass das BVerfG das Ganze dann kippt, ist sehr gering, denn aus meiner Sicht steht die transatlantische Verbundenheit der Verfassungsrichter der der meisten Politiker in nichts nach.

Und den Parteimitgliedern der SPD sei gesagt, wenn Sie Charakter haben, geben sie ihr Parteibuch ab, denn das würde sogar ein Gabriel verstehen, vorausgesetzt, dass der Teil der Charakterstarken in der SPD größer ist, als ich vermute.

Und bevor Sie den nächsten Zeitungsartikel im Spiegel, der ZEIT, der FAZ, dem Focus usw. lesen (die BILD habe ich ausgenommen, denn der übliche BILD-Leser verirrt sich wohl kaum auf meine Seite), lesen Sie doch noch einmal, was John Swinton (3) bereits 1880 äußerte. Daran hat sich nichts geändert, außer vielleicht, dass es noch schlimmer geworden ist.

Fußnoten

(1) SPD: Pax Americana – Ein Parteitag der Unterwerfung Rationalgalerie
(2) Experten-Check: Was der Handelsgerichtshof in TTIP wirklich bedeutet Campact
(3) John Swinton zur Pressefreiheit

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