Die Westparteien scheitern im Osten, weil sie nicht bereit sind zu verstehen, wie er funktioniert.
Nach den Wahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg haben die üblichen Sprechblasen wieder Konjunktur. Wieder einmal müssen aus den Wahlergebnissen Lehren gezogen werden. Aber wieso führten die Lehren aus den früheren Misserfolgen dann nicht zu Siegen? Anzunehmen, man müsste den Menschen im Osten nur besser begreiflich machen, warum sie die AfD nicht wählen sollten, verkennt ihre persönliche Realität und offenbart ein merkwürdiges Verständnis von Demokratie. Ein Beitrag zum Ost-und-West-Spezial.
von Rüdiger Rauls (manova)
Wie weiter?
Die Demonstrationen gegen Rechts hatten nur kurz Wirkung gezeigt — vor allem im Westen. Diese aber scheint inzwischen verflogen. Die Alternative für Deutschland (AfD) war nur vorübergehend in den Sonntagsfragen abgerutscht. Am Wochenende hat sich die Wirklichkeit von ihrer unangenehmen Seite gezeigt. Sie lässt sich nicht mehr wegdiskutieren und auch nicht wegdemonstrieren. Die Menschen können nur für eine gewisse Zeit getäuscht und von ihren Ansichten abgebracht werden und schon gar nicht, wenn sich die Anlässe für ihren Unmut nicht ändern.
Die AfD ist besonders im Osten Deutschlands nicht mehr klein zu reden, geschweige denn wegzudenken.
Das liegt nicht daran, dass die sogenannten Westparteien von CDU, SPD, Grüne und FDP ihre Ansichten und Vorschläge nicht klar genug „kommuniziert“ hätten, wie man sich immer wieder in diesen Parteien das eigene Scheitern schönredet. Das ist nur eine selbstgefällige Umschreibung für die Verachtung gegenüber dem Wähler, den man für zu blöde zu halten scheint, die tollen Heilsversprechen der „Westparteien“ zu kapieren.
Vielmehr funktionieren die alten Herangehensweisen der jetzigen Regierungsparteien nicht mehr, und das wollen sie in uneinsichtiger Bockigkeit nicht wahrhaben. Vielleicht erkennen sie es aber auch einfach nicht beziehungsweise wissen nicht, wie man anders Politik machen soll. Denn zu sehr eingespielt und eingefahren ist der Politikbetrieb, der sich seit 1949 im Westen herausgebildet hatte und nach 1990 einfach auch auf den Osten übertragen wurde.
Doch trotz aller Besserungsschwüre, dem Bürger die eigene Politik noch besser erklären zu müssen oder auch dem Bürger noch besser zuhören zu müssen und allerlei sonstiger Selbstverpflichtungen, wenden sich immer mehr Bürger von den alten Regierungsparteien ab. Hatte man die anfänglichen Erfolge der AfD sich noch als Proteststimmen schönreden können, so ist mittlerweile klar, dass das im Osten nicht mehr stimmt.
Wie die Forschungsgruppe Wahlen nach den Stimmabgaben ermittelte, hatten nur noch 31 Prozent ihre Stimme für die AfD aus Protest abgegeben, „62 Prozent hingegen wegen ihrer politischen Forderungen“ (1). Dieser Erkenntnis scheint man sich nicht stellen zu wollen. Stattdessen wird weiterhin versucht, die AfD und neuerdings auch die Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) in Misskredit zu bringen.
Da man sich nicht politisch mit ihnen auseinandersetzen und inhaltlich messen kann, mäkelt man kleinkariert an ihnen herum, ohne zu merken, dass man sich damit als schlechte Verlierer nur noch mehr ins Abseits stellt und sich noch unsympathischer macht. Der ständige Verweis darauf, dass die AfD eine „gesichert rechtsextreme Partei“ (2) sei, hat zumindest im Osten immer weniger Menschen davon abgehalten, sie zu wählen.
Westliches Denken
Die Meinungsmacher in den Westparteien waren der festen Überzeugung, dass solche Aussagen genügen, um die Menschen zu Einsicht und Abkehr zu bringen. Denn die Führungskräfte im politischen Westen kennen es nicht anders, als dass es überall nach ihrer Nase geht. Das gilt nicht nur weltweit, sondern auch in den eigenen Gesellschaften. Die Meinungsmacher in Medien, Politik, Kultur und Wissenschaft sind es gewohnt, dass ihre Sichtweisen, ihre Meinungen, ihre Werte und Wertmaßstäbe bestimmend sind und überall gelten. Sie kennen es nicht anders, als dass die meisten Menschen in ihren Gesellschaften dieses Denken teilen, staatstragend und systemtreu, vielleicht etwas kritisch, aber nur selten systemkritisch und schon gar nicht klassenbewusst.
Und so war es auch selbstverständlich im Bewusstsein der gesellschaftlichen Führungskräfte, dass die Bürger die Demokratie als höchstes Gut betrachten und alle zu bekämpfen bereit sind, von denen Gefahr für unsere Demokratie droht. Auf diesem Denken beruht der Glauben an die Wirkkraft solcher Aussagen, dass die AfD eine „gesichert rechtsextreme Partei“ ist. Nun fallen sie aber aus allen Wolken, wo sie merken, dass das einem großen und wachsenden Teil der Bevölkerung egal ist. Sie merken, dass sich immer weniger Menschen durch solche Warnungen und Verteufelungen von der Wahl dieser Partei abhalten lassen.
Das entspricht nicht ihrem herrschenden Weltbild, weil sie davon ausgehen, dass alle so denken wie sie, sich denselben Werten verpflichtet fühlen wie sie, dieselben Ansichten teilen wie sie. Sie kennen es auch nicht anders aus ihrem Umfeld und Erlebnisraum. Denn sie sind umgeben von ähnlich denkenden Menschen, von ihresgleichen. Ihre Lebenswirklichkeit spielt sich ab in dieser Blase der Gleichgesinnten.
Wer aber dennoch nicht so denkt wie sie, zum Beispiel in den Medien und Öffentlich Rechtlichen, den Parteien, in ihren Einflussbereichen in Kultur und Gesellschaft, der schweigt aus Angst um seinen Arbeitsplatz oder ist bereits mehr oder weniger freiwillig gegangen. Wer in ihrem Umfeld nicht so denkt wie sie, redet ihnen aus Selbstschutz nach dem Munde oder hält sich mit seiner Meinung zurück. Denn sie als die gesellschaftlichen Führungskräfte haben die Macht. Das wissen diejenigen, die von ihnen abhängig sind.
So entsteht bei diesen Mächtigen der Eindruck, dass alle so denken wie sie, dass allen die Demokratie so wichtig und heilig ist wie ihnen. Dementsprechend hilflos und ratlos sind sie dann, wenn Entwicklungen auftreten wie im Osten oder gesamtgesellschaftlich durch das Erstarken der AfD oder auch des BSW. Sie fallen aus allen Wolken, dass da Menschen leben, bei denen offensichtlich ihre Überzeugungsarbeit nicht gefruchtet hat.
Das kann in ihrem Denken nur an diesen Menschen selbst liegen, nicht an der eigenen Unfähigkeit zu überzeugen. In wirren Gedankengängen erklärt man sich die Erfolge der AfD daraus, dass „sie das ideologische Erbe zweier unaufgearbeiteter Diktaturen noch erfolgreicher bewirtschaftet als die Linkspartei“ (3).
Das heißt also, dass die Menschen, die AfD gewählt haben, nicht nur zu dumm oder gar undankbar sind, sondern zudem noch Anhänger von Diktaturen.
Sollte da nicht gleich die Forderung gestellt werden, ihnen das Wahlrecht zu entziehen? Denn wer nicht richtig wählt, hat sich nicht als wahlberechtigt qualifiziert?
Östliche Wirklichkeit
Sie merken nicht oder wollen nicht wahrhaben, dass sie selbst es sind, die ihr eigenes Fundament unterspülen. Sie verurteilen den Hass in der Gesellschaft und deren Spaltung, merken aber nicht, dass sie diejenigen sind, die beides betreiben. So bezeichnet Anton Hofreiter von den Grünen in seinem missionarischen Eifer die AfD als eine „eine Truppe von Landesverrätern … (eine) unglaubliche Gefahr für Demokratie und Rechtsstaat sowie den Wohlstand vieler Menschen… . Das ist noch nicht in allen Teilen der Gesellschaft angekommen“ (4). Auch hier drückt sich wieder die Verachtung für jene Wähler aus, die Hofreiter offensichtlich für dumm hält, weil sie eine andere Meinung zur AfD haben.
All das sehen und hören die Menschen, und solche Ausbrüche nähren bei vielen Zweifel an der Ehrbarkeit von Politikern und den Werten, die sie zu vertreten vorgeben.
Viele erleben, wie glühende Verfechter der Demokratie mit Taschenspielertricks die AfD von der Regierungstätigkeit fern zu halten versuchen. Damit verprellt man nicht nur die Wähler dieser Partei, sondern weckt auch Zweifel bei jenen, die an die demokratischen Werte glauben. Denn diese müssen nun mit ansehen, wie die Herolde der westlichen Werte diese selbst in Misskredit bringen, indem sie eine Partei ausschließen wollen, die immerhin ein Drittel der Wähler repräsentiert.
Wenn die ehemalige Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer, die weithin noch hohes Ansehen genießt, behauptet: „Die AfD hat in Wahrheit keine Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit.“ (5), so stellt sich die Frage, welche Antworten denn die Regierungsparteien haben, die CDU eingeschlossen.
Offensichtlich sehen die Menschen im Osten keine Lösungen in dem, was die Parteien von CDU bis SPD an Maßnahmen anbieten. Denn auch die CDU konnte im Osten nicht vom Niedergang der Ampel profitieren. Das konnten nur BSW und AfD. Dabei können auch sie nur Hoffnungen auf Lösungen anbieten, aber das scheint den Wählern schon zu genügen. Wie realistisch deren Angebote gerade in Bezug auf die Migrationsfrage und Rückführung sind, ist zweifelhaft.
Denn die Entscheidung in dieser Frage wird auf Bundesebene, nicht der Landesebene getroffen. Das ist die Anerkennung der Regierungen von Afghanistan und Syrien. Solange die Bundesregierung die Regierungen dieser Staaten nicht anerkennt und sich weigert, mit diesen Abkommen über die Rückführung zu schließen, wird dort kein Flugzeug landen dürfen. Das sind die Tatsachen, die alle bisherigen Regierungen den Bürgern verschwiegen haben von der CDU bis zur SPD. Das Haupthindernis liegt in ihnen selbst, ihrer Weigerung Regierungen anzuerkennen, die ihnen nicht in den Kram passen.
Die unlängst erfolgte Rückführung von Afghanen hat aber eigentlich dem Ansehen der AfD in dieser Frage eher genützt als der Ampel. Denn sie zeigte einerseits, dass eine solche Rückführung möglich ist, wenn auch die komplizierten Umstände weitgehend nicht öffentlich gemacht wurden. Und sie unterstützte den Vorwurf, dass die bisherigen Regierungen eine solche Abschiebung wenn nicht gewollt so dann doch aus Unfähigkeit nicht durchgeführt haben.
Aber von all diesen Pannen und Unzulänglichkeiten der Ampel hat die CDU nicht profitieren können.
In Dresden und auch Berlin war man offensichtlich erleichtert darüber, dass die CDU nicht mit dem Rest der alten Westparteien abgestürzt ist. Das sah man schon als Erfolg. Der Krieg in der Ukraine hatte für die Landtagswahlen nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Dennoch scheint man es Ministerpräsident Michael Kretschmer hoch angerechnet zu haben, dass er sich nicht davor scheute, „sich in Fragen von Krieg und Frieden von der Bundespartei abzusetzen“ (6).
Auch wenn für die meisten Bürger in Sachsen diese Frage nicht so wichtig war, sahen sie doch anscheinend darin das Signal, dass ihre Interessen, Wünsche und Sorgen ernst genommen werden. Das unterscheidet den Ossi Kretschmer dann von seinen Kollegen aus dem Westen. Er kommt bodenständiger daher, er kennt die Realitäten im Osten und erkennt sie an.
Er tritt den Bürgern im Osten, die die AfD gewählt haben, nicht mit demselben Hochmut und derselben Überheblichkeit entgegen wie die Hofreiters und andere aus dem Westen. Und vor allem denkt er politisch. Er denkt auch schon an die Bundestagswahlen im nächsten Jahr, also über seinen Sprengel hinaus, und scheint zu wissen, dass man den Wählern nicht weiterhin mit dieser Verunglimpfung der AfD kommen kann, wenn man sie gewinnen will.
Quellen und Anmerkungen:
(1) Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 3. September 2024: Maximal volatil
(2) ebenda
(3) ebenda
(4) Welt vom 26. August 2024: Hofreiter nennt AfD eine „Truppe von Landesverrätern
(5) ebenda
(6) FAZ vom 3. September 2024: Maximal volatil
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