Wer verteidigt Deutschland gegen die Deindustrialisierung?

Die Demontage der produktiven Wirtschaft: Wer verteidigt Deutschland gegen die Deindustrialisierung?

Nach den derzeitigen Plänen der neuen Regierungskoalition in Berlin wird die Demontage der produzierenden Wirtschaft unvermindert fortgesetzt.

Eine Einschätzung von Rainer Apel (bueso)

Im gerade fertigen Koalitionsvertrag von CDU-CSU und SPD ist reichlich von „Innovation” und „Investitionen” die Rede, aber noch mehr von „Nachhaltigkeit” und Einsparung von Ressourcen. Da gleichzeitig am Ausstieg aus der Kernkraft festgehalten und der Übergang zur „Bio-Ökonomie” verkündet wird, ist von der Großen Koalition für die Zukunft des klassischen Industrielandes Deutschland wenig zu erhoffen. Der Prozeß der Deindustrialisierung wird sich sogar in den nächsten Jahren noch beschleunigen, wobei der Anstieg der Stromrechnungen für Industrie und Privathaushalte, die eine Folge des kostspieligen Marsches ins angebliche Wunderland der „erneuerbaren Energien” einer der treibenden Hauptfaktoren ist.

Der Atomausstieg wird die Großindustrie, die bisher von der Wucht des stetigen Strompreisanstiegs durch Steuerrabatte einigermaßen verschont war, nun mit voller Wucht treffen, denn im Einklang mit der EU-Kommission will die Große Koalition diese Rabatte streichen. In den energieintensiven Bereichen der Industrie wird somit die Produktion in Deutschland zu teuer, allein bei BASF wird mit zusätzlichen Stromkosten von 500 Millionen Euro pro Jahr gerechnet.

Ein anderer Fall ist Osram, der traditionell führende Hersteller von Glühbirnen in Deutschland. Die systematischen Kampagnen von Umweltschützern und EU-Bürokratie für „Energiesparmaßnahmen“ wie den gesetzlich vorgeschriebenen Ersatz der herkömmlichen Glühbirnen durch (weniger helle) „Sparbirnen“ zwangen die Siemens-Tochter Osram, 8500 Arbeitsplätze einzusparen.

Sogar die Energiewirtschaft selbst wandert bereits aus: E.on hat schon jetzt allein in der Türkei mit neun Millionen Kunden mehr als in Deutschland mit nur noch sechs Millionen. Ein anderer großer Versorger, RWE, kündigte am 14.11. Pläne an, wegen des Einnahmeeinbruchs der Kohle- und Gaskraftwerke bis 2016 weitere 6750 Stellen abzubauen. Die Firmenleitung möchte in die erneuerbaren Energien, die bereits 25% des Geschäfts ausmachen, noch mehr investieren, doch fehlen ihr dazu die Mittel. In der Tochterfirma für Erneuerbare Energien, RWE Innogy, wird die Hälfte der Stellen abgebaut. Mit dem neuen Stellenabbau – zusätzlich zu weiteren 6200 in den letzten drei Jahren – sinkt die Beschäftigtenzahl von RWE in Europa von 67.400 auf 60.700, zwei Drittel der Jobverluste entfallen auf Deutschland.

Der Betrieb von Kohle- und Gaskraftwerken, die bisher noch einigermaßen die durch den Atomausstieg geschaffene Versorgungslücke überbrücken konnten, wird zu einem Verlustmacher erster Ordnung, weil die fossilen Energien gegenüber der exzessiv mit Steuergeldern hochgepäppelten „Erneuerbaren” wie Wind und Sonne preislich nicht konkurrenzfähig sind. Großbetreiber wie STEAG und EnBW haben bei der Bundesnetzagentur bereits 15 Anträge auf Abschaltung von Kraftwerken gestellt, RWE prüft noch die Einmottung von bis zu 15 Kraftwerksblöcken mit 10.000 Megawatt Leistung, Eon erwägt die Stillegung von 11.000 Megawatt Leistung.

Der Neubau von Kohlekraftwerken (es sind acht neue Standorte in den nächsten Jahren geplant) schreibt Riesenverluste bereits fest, noch ehe der erste Strom aus ihnen fließt, sodaß gar nicht mehr ausgeschlossen wird, daß Energieversorger in die Insolvenz gehen. Da deren Insolvenz und Abwicklung aus Eigenmitteln nicht abgefedert würde, denkt man unter den Großkoalitionäre an die Einrichtung eines Sonderfonds, der aus Steuergeldern in Milliardenhöhe gespeist würde – ein Bail-out also für die von der Energiewende ruinierten Betriebe! Auch der Rückbau der Atomkraftwerke wäre dann von den früheren Betreibern wie RWE nicht mehr zu leisten, auch hier müßte der Sonderfonds einspringen.

Der zweite Bereich, in dem die Große Koalition sich den Realitäten verweigert, ist derjenige der Transportinfrastruktur. Hier sollen die jährlichen Mittel auf 4 Mrd. Euro erhöht werden, wobei die Finanzierung noch offen bleibt. Der Betrag wird kaum hinreichen, auch nur die allernötigsten Reparaturmaßnahmen zu finanzieren, zumal die Koalition auch Neubauten ausdrücklich nicht als Priorität betrachtet. Allein bei der Deutschen Bahn sind aber schon 6000 Kilometer veraltetes Schienennetz zu erneuern, ebenso 7500 Eisenbahnbrücken. Insgesamt 40 Prozent der 25.000 Brücken der Bahn wurden noch vor dem Ersten Weltkrieg errichtet, DB-Chef Rüdiger Grube nannte vor ein paar Tagen 1400 Brücken als dringend erneuerungsbedürftig, die Bahn schafft das aber derzeit nur bei 125 Brücken jährlich. Grube schließt die Notsperrung von Brücken daher nicht aus, und das heißt nichts anderes, als daß das, was für mehrere Wochen nach den Schäden der Elbeflut in diesem Frühjahr und Sommer eine schwere, wenn auch vorübergehende Beeinträchtigung des Zugverkehrs in Teilen Ostdeutschlands war, dann bundesweit auftreten wird. Der Zustand der Brücken des Straßenfernverkehrs ist nicht viel besser, auch in den Kommunen bröckeln Brücken ebenso wie Straßenbeläge.

Auch in der Binnenschiffahrt sind etliche Schleusenwerke zu erneuern, deren „Ertüchtigung” wird mit den geringen Neumitteln aus dem Bundesverkehrsministerium meist gar nicht möglich sein. Die so oft und gern angekündigte Verlagerung des Transports von der Straße auf das Wasser wird ebenso Zukunftsmusik bleiben wie die Verlagerung auf die Schiene. Überdies, das wird kaum jemals öffentlich erwähnt, fließt mehr Geld von der Bahn an den Bund als umgekehrt: Als Eigner der Bahn bekommt die Regierung zwischen einer halben und einer Milliarde Euro aus Gewinnen der Bahntätigkeit jährlich überwiesen. Daran soll sich auch bei der großen Koalition nichts ändern, denn dort redet man von den künftigen Großeinnahmen aus der PKW-Maut, mit denen dann die Instandhaltung der Verkehrswege finanziert werden soll.

Wer sich um die Infrastruktur bei Energie und Transport so wenig kümmert wie die Koalitionäre, die ohnehin die Schuldenbremse als das A und O ihrer Haushaltspolitik betrachten, läßt zwei Hauptsäulen einer modernen Industrienation verfallen und nimmt ihr damit die Zukunft. Die Große Koalition würde fast 80 Prozent der Sitze im Bundestag umfassen und könnte in vielen Bereichen wie Umwelt und Banken sogar noch auf die Stimmen der Grünen rechnen, wobei auch die Linke Großprojekte bei Energie und Infrastruktur ablehnt. Die Bürgerrechtsbewegung Solidarität als außerparlamentarische Opposition wird daher als einzige politische Kraft Deutschland gegen die fortschreitende Deindustrialisierung verteidigen.

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