Wer Kommentare verbreitet, muss klare Regeln befolgen

STINKEFINGER
Dem Stinkefinger sind in der öffentlichen Debatte Grenzen gesetzt © cc

Wer Kommentare verbreitet, muss klare Regeln befolgen

Urs P. Gasche (infosperber)

Wer seine Meinung in Online-Medien öffentlich verbreiten möchte, weiss oft nicht, dass er sich an strenge Gesetze halten muss.

«Masern werden nicht von einem Virus verursacht», schrieb ein Leser in einem Online-Kommentar. Jedenfalls sei dafür kein Beweis vorhanden. Das hätten das Oberlandesgericht Stuttgart (Aktenzeichen 12 U 63/15) und ein «brisantes Urteil» des deutschen Bundesgerichtshofs BGH aus dem Jahr 2016 (I ZR 62/16) bestätigt. Die Pharmaindustrie würde «kuschen», weil sie diese Tatsachen nicht zur Kenntnis nehmen wolle, so der öffentlich verbreitete Vorwurf des Lesers.

Doch das «brisante» Urteil des BGH entpuppte sich als ein blosser Nichteintretens-Beschluss. Der Virusleugner Stefan Lanka hatte öffentlich 100’000 Euro angeboten, wenn jemand eine Studie vorlegen kann, welche beweist, dass es tatsächlich ein Masernvirus gibt und welchen Durchmesser es hat. Ein junger Arzt in Ausbildung legte mehrere wissenschaftliche Veröffentlichungen vor, doch Lanka weigerte sich zu zahlen, weil der Arzt ja nicht nur eine Studie wie verlangt, sondern gleich mehrere Studien einreichte. Das rechtskräftig gewordene Urteil des Oberlandesgericht Stuttgart gab Lanka recht, weil der Arzt nicht mit nur einer Studie wie von Lanka verlangt, sondern nur anhand von mehreren Studien nachgewiesen hatte, dass das Masern-Virus existiert. Dass es die Masern-, Zikaviren oder das HIV nicht gibt, haben weder das Stuttgarter Gericht noch der BGH festgestellt. Die Pharmaindustrie wurde in diesem Fall zu Unrecht an den Pranger gestellt.

Erstaunter Meinungsschreiber

Mit diesen Fakten konfrontiert, erkundigte sich der Schreiber des Leser-Kommentars, ob er denn mit seinen Meinungseinträgen tatsächlich «Medienrecht einhalten» müsse: «Dann dürften ja nur noch ausgewiesene Journalisten kommentieren, die sämtliche Regeln des guten Journalismus kennen und einhalten können.»

Der Leser traf damit den Kern des Problems: Viele Menschen diskutierten früher ausschliesslich im privaten Kreis, sei es zu Hause mit Freunden oder am Arbeitsplatz und in Vereinen mit Kolleginnen und Kollegen oder im Restaurant, am Rande eines Fussballspiels und in den Ferien. Die Möglichkeit, seine Meinung via Internet, Facebook oder Twitter öffentlich zu verbreiten, gab es nicht oder nur beschränkt mit dem Einsenden von Leserbriefen.

Die neue Freiheit der öffentlichen Mitsprache ist wie andere Freiheiten mit Pflichten verbunden. Doch über die gesetzlichen Regelungen des öffentlichen Diskurses haben Behörden und Medien die Öffentlichkeit kaum aufgeklärt. Deshalb äussern sich viele, meist Männer, öffentlich im gleichen Stil wie am privaten Biertisch. Dazu gehören Vermutungen, wilde Behauptungen und (Ab-)Qualifikationen von Personen, Institutionen oder Unternehmen.

Man darf zwar durchaus jemanden auch öffentlich der Lüge oder der Manipulation bezichtigen, nur müssen solche Vorwürfe von öffentlichem Interesse sein und so bewiesen werden können, dass die Beweisführung nach geltender Rechtsprechung vor Gericht besteht.

Nicht nur die Schreibenden können vor Gericht belangt werden, sondern auch die Medien, welche solche rechtswidrigen Äusserungen verbreiten.

Der rechtliche Rahmen ist klar und eindeutig: Alle, die sich öffentlich äussern, sei es in einem Informationsmedium als Journalistin, Leserbrief- und Meinungsschreibende, sei es als Buchschreibende oder als Referent oder Referentin an einem öffentlichen Anlass, müssen die Vorgaben des Zivil- und Strafgesetzbuches sowie – dies nur in der Schweiz – des Gesetzes über den unlauteren Wettbewerb respektieren.

Auch Tweets und Facebook-Einträge betroffen

Das gilt uneingeschränkt auch für Tweets oder Facebook-Einträge, sofern Letztere nicht in einer geschlossenen, privaten Gruppe oder einem Chat-Room erfolgen. Ehrverletzungen wie Beleidigungen oder unnötig herabsetzende Qualifikationen von Personen oder Unternehmen sind auf Facebook und Twitter nur deshalb so stark verbreitet, weil sich die Betroffenen gegen diese US-Konzerne und die häufig anonym Schreibenden nur sehr schwer wehren können.

Das Problem sind nicht die Gesetze, sondern deren Vollzug. Die Gesetze über Ehrverletzungen und Beschimpfungen schränken die öffentliche Diskussion genügend ein. Aber die Gesetzgeber müssen dafür sorgen, dass sich Geschädigte aufgrund der Gesetze auch gegenüber Facebook, Twitter & Co wehren können. Dies ist heute nur schwer oder gar nicht möglich.

Viel Unflätiges unter falschen Namen

Früher verbreiteten seriöse Zeitungen nur Leserbriefe von Schreibenden, die mit ihrem Namen unterschrieben oder – in Ausnahmefällen – deren Namen der Redaktion bekannt waren. Die Unsitte, dass Kommentare anonym oder unter falscher Identität öffentlich verbreitet werden, kam erst mit den Online-Medien auf.
Eine einfache Massnahme gegen Shitstorms und Gerüchteverbreiter bestünde darin, von den Schreibenden die wahre Identität zu verlangen. Auch bei Facebook oder Twitter. Die Folgen wären weniger Traffic und weniger Klicks und damit weniger Werbeeinnahmen. Doch das müssten grosse Medienkonzerne in Kauf nehmen, wenn sie nicht mitverantwortlich sein wollen für die Verluderung des öffentlichen Diskurses.

Selbst wenn die Vorwürfe wahr sind …

Grosse Medien wie 20 Minuten, Tages-Anzeiger oder Watson sondern mindestens einen Viertel aller online eingehenden Meinungsäusserungen aus. Sie werden nicht verbreitet, weil sie Äusserungen enthalten, die rechtlich ehrverletzend sind, Menschenrechte missachten oder sonst unflätig oder unnötig herabsetzend sind.

Selbst wenn Vorwürfe wahr sind und die behaupteten Tatsachen bewiesen werden können, darf man diese nicht ohne weiteres öffentlich verbreiten. Es muss ein öffentliches Interesse nachgewiesen werden. Wenn beispielsweise ein Bundesrat fremdgeht oder sich von seiner Frau trennt, besteht kein öffentliches Interesse, dies zu erfahren. Erst wenn er mit einer neuen Frau freiwillig öffentlich auftritt, darf man dies thematisieren.

Falls aber ein katholischer Bischof, der öffentlich Keuschheit und Sex nur innerhalb der Ehe predigt, selber eine Freundin hat, besteht ein öffentliches Interesse, dies zu erfahren.

Selbst in einem solchen Fall aber darf dieser Bischof öffentlich weder mit Worten beschimpft noch mit unnötig herabsetzenden Adjektiven qualifiziert werden.





Erlaubte Persönlichkeitsverletzungen

Die Rechtslage kann man wie folgt zusammenfassen: Das Weiterverbreiten von Tatsachendarstellungen, welche ehrverletzend oder persönlichkeitsverletzend sind, ist erlaubt. Allerdings müssen folgende drei Bedingungen erfüllt sein:

  1. Die Darstellung der Tatsachen ist richtig und lässt sich beweisen.
  2. Für das Veröffentlichen der Persönlichkeitsverletzung besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse.
  3. Die Verletzung wird nicht unnötig herabsetzend formuliert.

Falls auch nur eine dieser drei Bedingungen nicht erfüllt ist, können betroffene Personen oder Unternehmen dagegen gerichtlich vorgehen.

Zivilgesetzbuch Art. 28

1) Wer in seiner Persönlichkeit widerrechtlich verletzt wird, kann zu seinem Schutz gegen jeden, der an der Verletzung mitwirkt, das Gericht anrufen.
2) Eine Verletzung ist widerrechtlich, wenn sie nicht durch Einwilligung des Verletzten, durch ein überwiegendes privates oder öffentliches Interesse oder durch Gesetz gerechtfertigt ist.

Unerlaubte Tricks

Manche Meinungsschreibende glauben aus dem Schneider zu sein, wenn sie ehrverletzende Äusserungen nicht selber formulieren, sondern ehrverletzende Äusserungen Dritter zitieren. Doch die Richter beurteilen solche Zitate genau gleich wie eigene Aussagen. Deshalb können auch Medienunternehmen für Ehrverletzungen in Leserbriefen haftbar gemacht werden, obwohl sie diese «lediglich» weiterverbreitet haben.

Andere Meinungsschreibende versuchen so geschickt zu formulieren, dass ihre Aussage rein grammatikalisch keine Ehrverletzung darstellt. Damit kommen sie jedoch bei den Richtern nicht durch. Für die Beurteilung einer Aussage ist rechtlich nicht die grammatikalische Auslegung entscheidend, sondern wie der Text von den «durchschnittlichen Leserinnen und Lesern» verstanden wird.

Unlauterer Wettbewerb

Die Schweiz ist wohl das einzige demokratische Land, in dem redaktionelle Beiträge in Medien in gleichem Mass wie Unternehmen dem Gesetz über den unlauteren Wettbewerb UWG unterworfen sind. In Deutschland müsste man den Journalisten oder Verlagen schon eine Vorsätzlichkeit oder einen «werblichen Überschuss» nachweisen können, um sie zivilrechtlich oder strafrechtlich wegen Verletzung des UWG belangen zu können. Bei nur fahrlässigen Verletzungen besteht kein Anspruch auf Schadenersatz der Medien (§9 des deutschen UWG).

Informationen der Medien dürfen in der Schweiz kein Unternehmen im Markt einseitig benachteiligen oder bevorzugen. Der bisher krasseste Fall war ein Kassensturz-Beitrag über das Schmerzmittel «Contra-Schmerz». Die Konsumentenschützer hatten dieses kritisiert, ohne einige andere Schmerzmittel mit den gleichen Eigenschaften ebenfalls zu erwähnen. Einzig aus diesem Grund wurde die SRG zu einer Schadenersatzzahlung von 480’000 Franken verurteilt – für angeblich entgangene Gewinne der «Contra-Schmerz»-Herstellerin.

Nicht nur Journalistinnen und Journalisten, sondern alle, welche Informationen oder Meinungen veröffentlichen oder veröffentlichen lassen, müssen – nur in der Schweiz – das UWG respektieren.

Strafrechtliche Beschimpfungen

Auch das Strafgesetzbuch ist zu beachten. Die Artikel 173 bis 178 verbieten das öffentliche Verbreiten von üblen Nachreden, rufschädigenden Anschuldigungen, Verleumdungen und Beschimpfungen. Ehrverletzungen werden nur dann nicht bestraft, wenn sie bewiesenermassen wahr sind oder der Verbreiter sie «in guten Treuen für wahr hielt» und wenn sie im öffentlichen Interesse oder wenigstens «aus begründeter Veranlassung» verbreitet wurden.

Mit all diesen strafrechtlichen und zivilrechtlichen Ehrverletzungen sowie auch mit Verletzungen des UWG befassen sich die Gerichte allerdings nur, wenn die Geschädigten es beantragen (Antragsdelikte).

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Ratgeber Medienrecht

  • «Medienrecht in der Schweiz», Peter Studer, 2013, Schulthess-Verlag, 32 CHF
  • «Medienrecht für die Praxis», Peter Studer und Rudolf Mayr von Baldegg, 2011, Verlag K-Tipp, 44.80 CHF
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Wer Kommentare verbreitet, muss klare Regeln befolgen
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5 Kommentare

  1. Am besten vermeidet man wohl Namensnennungen, denn die Mischpoke könnte mit ihrem unendlich zur Verfügung gestellten Kreditgeld einen nach dem anderen wegen persönlicher Beleidigung fertigmachen. Da das ganze Gesocks sowieso eine einzige Suppe ist von irgendwie extern bezahlten Agenten oder die eine lukrative Staatsstelle unberechtigterweise bzw. Diäten erhalten haben, kann man sie auch summarisch betiteln. Wer weiß, wer gemeint ist, versteht es, wer nicht weiß, wer gemeint ist, versteht ohnehin nichts.

    • Hallo Jürgen, ich kann es beim besten Willen nicht verstehen wer sich noch über die offiziell gängigen Netzwerke mitteilt. Namhafte Autoren beschweren sich, das ihr Account auf FB, Twitter und Co gesperrt wurde. Zuerst aufgefallen ist mir das auf der Achse und Boris Reitschuster. Dann verlasse ich diese Plattform. Warum sich mit denen noch streiten per Gerichtsbeschluss? Letztgenannte haben dann natürlich weniger Reichweite. Jedoch sollten jene ein entschiedeneres Handeln erkennen lassen. Das sind halt meine Eindrücke.

      • Ich meinte natürlich Kommentare bei Krisenfrei. Leserbriefe habe ich zuletzt vor 40 Jahren an die FAZ geschrieben, als ich mich gegen die Islamisierung Deutschlands wandte. Ich meine, so Politker wie Baerbock, Harbeck und Steinmeier rufen geradezu heraus, sich über sie lustig zu machen und sie auf intelligente Weise zu verhohnepiepeln wegen Heuchelei und Dummheit. Aber man sollte es doch lieber unterlassen, weil es sicher nicht so viele ätzende Angriffe gibt, die relativ leicht von einem Sondergericht wegen Beleidigung mit außerordentlich hohen Strafen, siehe Corona-Strafen, die ganz unverhältnismäßig sind, belegt werden würden.

      • Wer sind die angeblich 64 gesperrten Telegram-Kanäle? Niemand kann sie finden.
        Bin sicher kein Fan vom Hildmann, aber zu Testzwecken letzte Woche ausprobiert: Funktioniert! Also vermutlich reine Propaganda aufgrund der stetig steigenden Zahl Spaziergänger–> Telegram ist RECHTS!

        „Eine Zensur findet nicht statt“…aber im Kampf gegen RECHTS sei das eben notwendig? Soso.

        Vermutlich gleiches Problem was Odonata hatte: Die Android & Apple Versionen haben sogar ein anderes Logo; ist nicht das original TG. An Durov kommen sie nicht ran,
        der antwortet nichtmal. Doch mit Big-Tech von Alphabet arbeiten sie zusammen.
        So wie YT, FB, Gockel etc. im Wunderland zensiert wird.

        Per VPN oder Proxy kann man die Video´s und Kanäle trotzdem sehen.
        Die erkennen Deinen Standort und dann werden Algorhythmen eingesetzt.
        Wenn man z.B. bei Instagram das Schimpf-Wort „Hydroxychloroquin“ auch nur benutzt,
        wird das Konto automatisch gesperrt. Aber nur in Täuschland.

        Selbst in der DDR konnte man „Feindsender“ empfangen…hab i gehört.
        Also wo stehen wir heute? Wieder ganz am Anfang vom Ende? Wer zensieren muß hat kein Interesse an Debatten, Diskussionen und Volksaufklärung, sondern etwas zu verbergen.

  2. Diesen wirklich gut verfassten Artikel sollten sich einige Journalisten der Lumpenpresse hinter die Ohren schreiben. Man beachte gerade die „Kriegsberichterstattung“ der üblichen Verdächtigen, Bloomberg war der krasseste Fall mit dem Einmarsch der Russen in die Ukraine, bis jetzt.

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