Wer in der Demokratie schläft, erwacht in der Diktatur

Wer in der Demokratie schläft, erwacht in der Diktatur
Brot und Spiele fürs Volk

Von Olivier Kessler, St. Gallen

Panem et circenses“ – mit diesen Worten wies der römische Dichter Juvenal 60 n. Chr. einst auf die zunehmende Abstumpfung und Bequemlichkeit der römischen Gesellschaft hin.

 In einer Satire zeigte Juvenal damals, dass das römische Volk zu Zeiten der funktionierenden Republik noch selbst das Kommando an Feldherren erteilt und Beamte gewählt hat – dann aber über all die Jahre mehr und mehr ängstlich und politabstinent geworden ist und sich nur noch nach zwei Dingen gesehnt hat: Nach Brot und nach Spielen.

Juvenal meinte mit «Brot» die kostenlose Ausgabe von Getreide durch die Kaiser; mit «Spielen» die Inszenierung von Gladiatorenkämpfen und Wagenrennen, die schnell in den Mittelpunkt des allgemeinen Interesses rückten. Der Dichter legte damit eine Kernstrategie der Macht-Elite offen, die das Ziel verfolgte, das Volk mit Geschenken und Unterhaltung ruhig zu stellen.

Jeder wird gerne unterhalten

«Panem et circenses»: Brot und Spiele. Das klingt im Prinzip ganz harmlos. Wer hat schon nicht gerne Geschenke? Sie sind gewissermassen Teil unserer abendländischen Kultur. Das zieht sich hin von den drei Königen bis zu den Weihnachts- und Geburtstagsfeiern. Geschenke werden zumeist mit positiven Gefühlen assoziiert.

Ebenfalls nichts Böses haftet der Unterhaltung an. Ein jeder erfreut sich an sensationellen Vorführungen: Seien es nun die Dribbelkünste eines Lionel Messi oder Cristiano Ronaldo, die Entfesselungstricks eines David Copperfield oder Michael Jacksons berühmt-berüchtigter Griff zwischen die Beine. Machtmenschen sind sich der Vorlieben des Durchschnittsbürgers bewusst – und machen sich dies eiskalt zunutze.

Narkotisierung des Volkes

«Brot und Spiele» beschreibt eine perfide Strategie zur Ablenkung des Volkes von deren wahren Problemen. Früher waren es absolutistische Könige, die den ansonsten weitgehend entmachteten Adel mit pompösen Festen am Hof bei Laune hielten. Heute wird die Strategie primär von autokratischen Staatschefs oder Funktionären angewendet, ebenfalls zwecks Machterhalt.

Unternehmens- und Kommunikationsberater Dirk Barghop, Mitautor des 2011 im Campus-Verlag erschienen Buches «Das Strategiebuch» umschreibt das Phänomen treffend mit den Worten:

«Das Handlungsmuster arbeitet indirekt gegen mögliche Wettbewerber um Macht, indem das Volk als Legitimationsbasis von Macht ruhig gestellt und narkotisiert wird, so dass es weder Grund noch Anlass hat, Wettbewerbern Gehör zu schenken und ihnen Chancen auf eine Legitimationsbasis zu verschaffen.»

Allgemein bekannt sind die Anwendungsbeispiele aus totalitären Staaten. So orchestriert beispielsweise Nordkorea am traditionellen Arirang Festival in Pjöngjang ein pompös inszeniertes Massenspektakel, das eine erfrischende Ablenkung zur traurigen Alltagsrealität im kommunistischen Staat darstellt. Solange die hypnotisierte Masse durch solch ein Spektakel abgelenkt ist, ist die Wahrscheinlichkeit geringer, dass sich jemand über die herrschenden Zustände aufregt. Niemand kommt so auf die Idee, eine Revolution anzuzetteln, um die Rechte des Volkes zu verbessern oder sich Freiheiten zu erkämpfen.

Wir müssen allerdings nicht einmal in weit entfernte Diktaturen blicken, um dieses Strategiemuster zu entdecken. «Brot und Spiele» gibt es auch in unserer Alpenrepublik. Der Gang ins Fussballstadion, in die Oper oder ins Kino ist in der technisch fortgeschrittenen Welt von heute nicht mehr zwingend nötig. Die Ablenkungsmanöver können auch direkt auf das heimische Fernsehgerät, aufs iPhone oder den Laptop projiziert werden. Das ist Entertainment-Service vom Feinsten – direkt ins Wohnzimmer oder in die Hosentasche.

Brot wird heute z.B. in Form von Sozialleistungen verteilt. Im Folgenden möchte ich aber näher auf den Aspekt der Spiele eingehen.

Unterhaltung: Genuss oder Gefahr?

Ist das nun gut oder schlecht? Viele werden nun aufschreien und mir entgegnen: «Ja Moment, das ist doch eine gute Sache, dass wir uns in unserer gestressten Welt noch unterhalten und ablenken können!»

Dem ist tatsächlich so. Auch ich gönne mir hie und da ein Konzert, einen Kino-Knüller oder schaue Roger Federer und Didier Cuche zu, wie sie ihre Gegner alt aussehen lassen. Keine Frage, das Geniessen ist Bestandteil eines erfüllten Lebens. Meine Kritik gilt deshalb auch nicht dem Genuss an sich, vielmehr der quantitativen Übertreibung der Unterhaltungs-Berieselung, unter welcher der Fokus fürs Wesentliche doch arg leidet. Wir wurden in den letzten Jahren durch eine anwachsende Unterhaltungsindustrie mit solchen Reizen regelrecht überflutet. Bereits 1985 kritisierte der Kommunikationswissenschafter Neil Postman in seiner Abhandlung «Wir amüsieren uns zu Tode» die Fernsehgesellschaft. Er sah darin eine Bedrohung zivilisatorischer Standards, die zu Volksverdummung und Verrohung führen.

Boulevard- statt Aufklärungsjournalismus

Während die Medien ihr Publikum früher primär über das Wesentliche auf der Welt informierten, sind sie im 21. Jahrhundert vielfach zu reinen Belustigungs- und Unterhaltungsorganen verkommen. So kann man heutzutage in der Gratis-Zeitung «Blick am Abend» seitenlange Abhandlungen über Florian Ast und Francine Jordi lesen, sich in der Tagesschau über den Eisbären Knut entzücken oder sich durchs zwangsgebührenfinanzierten Staatsfernsehen von Quiz- und Castingshows berieseln lassen. Angebliche «Supertalente» und «Superstars» weinen täglich um die Wette – und die ganze Welt fiebert bei diesen sich ständig wiederholenden Dramen eifrig mit.

Ich möchte niemandem zu nahe treten, der sich solche Sendungen zu Gemüte führt oder sich für jede noch so öde Boulevard-Story interessiert. Doch sollten wir uns von Zeit zu Zeit in Erinnerung rufen, dass wir in einem direktdemokratischen Land leben, in welchem es mit zu unserer Bürgerpflicht zählt, sich über die laufenden Geschäfte zu informieren und notfalls korrigierend einzuschreiten.

Widerstand verlernt

Der heutigen Generation scheint oftmals nicht mehr bewusst zu sein, weshalb man sich sorglos vor dem Fernseher oder dem Computer vergnügen kann. Viele Schweizer sind in einer verwöhnten Wohlstandsgesellschaft aufgewachsen, in der vieles als selbstverständlich hingenommen wird. Der anhaltende Frieden, der zivilisierte Umgang miteinander, die individuelle Freiheit und der Reichtum halten viele für «gottgegeben» – also quasi für vorgegebene Güter, um die man sich nicht mehr aktiv zu bemühen braucht. Anders lässt sich die bedenkliche Beteiligung an den Abstimmungen der letzten Jahre nicht erklären. Und anders ist auch nicht zu erklären, dass sich bei dreistester Missachtung des Volkswillens – Stichwort «Ausschaffungsinitiative» – alle in ihren Höhlen verkriechen, anstatt unseren Politikern gehörig den Tarif durchzugeben.

Hört man sich bei den Bürgern um, die sich tagein tagaus lieber von der Unterhaltungsindustrie berieseln lassen als zum Erhalt der herrlichen Lebensumstände der Schweiz beizutragen, so kriegt man immer wieder folgende Sätze zu Gehör: «Die in Bern machen ja sowieso, was sie wollen»; «Ich unterschreibe keine Initiativen mehr, es ändert sich ja ohnehin nichts»; «Politik interessiert mich nicht». All diese, zu hundertfach gehörten Statements zeugen nicht gerade von Optimismus und Vertrauen in unser politisches System. Dabei wird eine wichtige Tatsache verkannt: Dass es so weit kommen konnte, verdanken wir einzig und allein den Schläfern in unserer Demokratie. Ironischerweise handelt es sich dabei genau um jene, welche beklagen, dass man in Bern ja sowieso mache, was man wolle. Und das soll dann als Ausrede herhalten, um dem Geschehen tatenlos zuzusehen…?

Würden sich diese Lethargiker in den Hintern kneifen und ihre Stimme erheben, könnten wir vieles in diesem Land zum Besseren ändern. Es ist die Kraft der kleinen Schritte: Sich im Vorfeld der Wahlen informieren, um eine Wiederwahl notorischer Lügner zu vermeiden. Etwas mehr Energie aufwenden, um Politikern – mit denen man nicht einverstanden ist – eine Mail zu schreiben. Mehr Mut aufbringen, um für seine persönliche Freiheit einzustehen und das Maul aufzumachen. Das würde schon viel bewegen.

Weltweit einzigartig

Deshalb rufe ich an dieser Stelle meine Mitbürgerinnen und Mitbürger dazu auf: Nehmen Sie Ihre direktdemokratische Verantwortung wahr. Lernen Sie all die Vorzüge der direkten Demokratie wieder schätzen – denn was wir in der Schweiz an Mitbestimmungsmöglichkeiten haben, ist weltweit einzigartig. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Politikerkaste all diese Errungenschaften eliminiert.

Anstatt dauernd Fussball zu schauen und Videospiele zu spielen, sollte sich jeder ab und zu fragen: Sind all die Dinge, die wir heute als selbstverständlich erachten, auf lange Sicht gesichert? Müssen wir nicht heute handeln, um langfristig in Sicherheit und Freiheit leben zu können?

Böses Erwachen

Es ist wie in der Ökonomie: Entweder du konsumierst oder du investierst. Wenn man tagein tagaus lieber sinnlose Fernsehshows konsumiert, verschafft einem das kurzfristig eventuell Befriedigung. Bricht langfristig betrachtet jedoch das ganze Wohlstandssystem in sich zusammen, hat man auch nicht viel davon…

Investiert man hingegen in seine Zukunft – sei es in Form von Zeit oder Geld –, so kommt man dereinst in den Genuss, die Früchte für den Verzicht von heute zu ernten. Es wäre wahrlich schön, könnten wir auch in dreissig Jahren noch Initiativen starten, wenn der Bevölkerung irgendwo der Schuh drückt. Ich jedenfalls möchte auf all die Vorzüge der direkten Demokratie nicht verzichten.

Deshalb gilt: Lieber heute ein bisschen weniger Spiele, damit morgen das Brot immer noch so selbstverständlich auf dem Tisch bereitliegt wie heute. Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf. Die Zeit zum Handeln ist gekommen. Jetzt!

Ganz herzlichen Dank an alle, welche sich täglich für unser schönes Zuhause einsetzen. Sie alle verdienen allergrössten Respekt.

Olivier Kessler

(Olivier Kessler ist für eine PR-Agentur tätig und studiert an der Universität St. Gallen Internationale Beziehungen.)

Quelle: schweizerzeit

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Leider schläft die von der Lügendroge vollgedröhnte Masse immer noch und lässt sich von völlig unsinnigem und überflüssigem Zeug ablenken. Der Autor hat vollkommen Recht, indem er schreibt: „Machtmenschen sind sich der Vorlieben des Durchschnittsbürgers bewusst – und machen sich dies eiskalt zunutze.“

Wann begreift es der Durchschnittsbürger endlich? Wahrscheinlich erst dann, wenn es zu spät ist. Und wieder einmal NICHTS aus der Geschichte gelernt. Unglaublich, wie leichtfertig die Menschen ihre Freiheit an machthungrige Politmarionetten verschenken.

Warum so lange warten, bis euch die Verhältnisse wie in Griechenland, Portugal, Spanien … eingeholt haben? Ja, die Zeit zum Handeln ist gekommen und zwar SOFORT!

 

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