Was wird aus Europa?

Euro, Dollar und Gold im Wechselspiel der Geopolitik (Zweiter Teil – Schluss)
Was wird aus Europa?

 Von Dr. Bruno Bandulet, Bad Kissingen D

Der erste Teil von Bruno Bandulets umfassender Betrachtung zu den Ursachen der Aushöhlung der Weltwährungen erschien, als die Euro-Überschuldungskrise neue katastrophale Entwicklungen Tatsache werden liess. Am Beginn des heute erscheinenden zweiten Teils steht die Frage: Was für Opfer werden den Steuerzahlern im Namen angeblicher Euro-Rettungsaktionen noch zugemutet?

Gerechtfertigt werden die von unserer politischen Klasse geforderten finanziellen Opfer mit dem Argument, dass Deutschland als Exportnation schliesslich auch am meisten vom europäischen Binnenmarkt profitiere. Das Argument ist dümmlich, weil ein Binnenmarkt, also der freie Handel, immer allen zugutekommt. Warum muss dafür noch extra bezahlt werden? Niemand in Frankreich wird gezwungen, statt eines Peugeot einen Mercedes zu kaufen. Er tut es, weil er sich davon Vorteile verspricht.

Warum extra bezahlen?

Verschwiegen wird auch, dass die deutsche Exportstruktur nichts mit dem Euro zu tun hat, da der Grossteil der deutschen Ausfuhren schon vor dem Euro und sogar schon vor 1914 nach Europa ging, dass der Anteil der Euro-Zone an den deutschen Exporten seit ihrer Gründung abnimmt (von 46 auf 41 Prozent) und dass Deutschland im Zeitraum 1999, also angefangen mit der Einführung des Euro als Buchgeld, bis 2010 in punkto Wirtschaftswachstum zusammen mit Italien das Schlusslicht in der Euro-Zone bildete. Dass die deutsche Wirtschaft jetzt so gut abschneidet, hat verschiedene Gründe und hat mit der Einheitswährung als solcher nichts zu tun.

Seitdem der Euro ständig gerettet werden muss, hat die deutsche Rolle des Zahlmeisters wahrhaft furchterregende Dimensionen angenommen. Was uns die Fehlkonstruktion Euro nach jetzigem Kenntnisstand einschliesslich Bürgschaften kosten könnte, hat das Münchner Ifo-Institut berechnet: 785 Milliarden Euro. Das ist mehr als das Dreifache der jährlichen Steuereinnahmen des Bundes nach dem Stand von 2012. Und darin sind die Kosten möglicher Euro-Bonds und damit einer Vergemeinschaftung der Schulden aller 17 Euro-Mitglieder noch nicht einmal enthalten.

Berücksichtigt in den 785 Milliarden sind sowohl die Forderungen der Deutschen Bundesbank an die Krisenländer im Rahmen des grenzüberschreitenden Zahlungssystems Target-2, von denen ein Teil wahrscheinlich abgeschrieben werden muss, als auch die deutschen Anteile am bestehenden Euro-Rettungsschirm EFSF und am permanenten Rettungsschirm ESM, der vorzeitig in diesem Sommer in Kraft treten soll. Entsprechend dem deutschen Anteil am Kapital der Europäischen Zentralbank (EZB) sind das 27,2 Prozent der Gesamtsummen.

Riskantes Spiel

Wenn man genau hinsieht, entdeckt man eine Skurrilität: Für die Rettungsschirme bürgen theoretisch auch die Krisenländer, und für den ESM sollen sie sogar die vorgesehene Bareinzahlung leisten. Auch Griechenland! Mit welchem Geld eigentlich? Mit dem Geld, das sie sich vorher leihen müssen. Sie sollen sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen. Passieren wird folgendes: Je mehr Länder nicht mehr zahlungsfähig sind, desto mehr bleibt an Deutschland hängen. So sehen es auch die grossen Operateure an den Finanzmärkten. Sie sehen in Deutschland den Kreditgeber der letzten Instanz.

Das läuft darauf hinaus, dass die deutsche Schuldenbremse nicht funktionieren wird, dass die deutschen Staatsschulden eurobedingt weiter steigen werden und dass die Bundesrepublik wegen der Euro-Rettung ihren AAA-Status verlieren wird. Für den Fall, dass Frau Merkel doch noch einknickt und Euro-Bonds mit gemeinschaftlicher Haftung akzeptiert, gilt das erst recht. Die Spieler an den Finanzmärkten haben das noch nicht einkalkuliert, sonst würden sie nicht Bundesanleihen kaufen, deren Rendite unter der Inflationsrate liegt. Als Anleger kann man vielleicht spekulativ noch eine Zeitlang dabei bleiben, aber man muss sich darüber im Klaren sein, dass auch deutsche Staatsanleihen langfristig nichts anderes sind als Enteignungszertifikate.

Die Bundesregierung riskiert den eigenen Ruin, wenn sie weiterhin darauf besteht, den Euro zu retten. Wenn sie ihn fallen lässt, wird es auch teuer. Wir haben nur noch die Wahl zwischen verschiedenen Übeln. «Das Erste steht uns frei, beim Zweiten sind wir Knechte», heisst es in Goethes «Faust». Nachdem die Regierung Merkel vor zwei Jahren die Chance verpasst hat, auf Einhaltung der Verträge zu bestehen, Griechenland pleitegehen zu lassen und aus der Euro-Zwangsanstalt zu entlassen, betreibt sie eine Politik des Durchwurstelns nach dem Prinzip Hoffnung. Und gleichzeitig ist sie mit ständig lauter werdenden Forderungen der Südeuropäer nach noch mehr Finanzhilfen konfrontiert.

Papierwährungen gegen Gold

An dieser Stelle möchte ich auf ein Argument eingehen, das von den Euro-Propagandisten ständig vorgetragen wird, nämlich, dass der Euro an den Devisenmärkten im Vergleich zum Dollar gar nicht so schlecht abschneidet: Der Euro ist gemessen am Dollar immer noch teurer als zu Beginn seiner Karriere, als er unter der Parität notierte.

Allerdings sind Papierwährungen nur relative Grössen. Streng genommen, muss man sie am Fixpunkt des Währungssystems messen, nämlich am Gold. Dann stellt sich heraus, dass der Euro von Anfang an im Trend gegen Gold immer nur abgewertet hat – und der Dollar seit der Jahrtausendwende ebenfalls.

Das zeigt, dass beide Währungen nichts taugen. Woran eigentlich erkennt man die Qualität einer Währung? An den Inflationsraten, an der Höhe der staatlichen und privaten Schulden, am Saldo der Leistungsbilanz und an der Bilanz der Notenbank. Wenn diese Bilanz aufgebläht wird, wenn die Notenbank Geld druckt, d.h. Staatsanleihen kauft, und wenn sie die Geschäftsbanken gegen Hereinnahme dubioser Sicherheiten mit frischem Geld versorgt, dann ruiniert sie die ihr anvertraute Währung – abzulesen ist das am Goldpreis.

Aus dieser Sicht sitzen Euro und Dollar im selben Boot. Beide sind ungedeckte Papier- bzw. Computerwährungen. Beide können bei Bedarf beliebig vermehrt werden. Bei beiden wird der Zins manipuliert. Beide operieren ausserhalb der Marktwirtschaft. Und die Bilanzen beider Notenbanken, der Federal Reserve (FED) und der Europäischen Zentralbank (EZB), wurden seit dem Ausbruch der Finanzkrise 2008 dramatisch aufgeblasen.

Auch der Euro ist Bestandteil des globalen, dollarbasierten Finanzsystems und selbstverständlich abhängig von den internationalen Kapitalflüssen. Der Zweck dieser Papierwährungen besteht im Wesentlichen darin, den Zahlungsverkehr aufrecht zu erhalten, Schulden zu machen und Steuern einzutreiben. Wertaufbewahrungsmittel sind sie nicht. Im Vergleich zum Dollar hat die europäische Einheitswährung eigentlich nur ein Plus zu verzeichnen: die mehr oder weniger ausgeglichene Leistungsbilanz der Euro-Zone. Aber auch sie wäre ohne die deutschen Überschüsse, von denen Deutschland wegen des Euro nichts hat, mit 270 Milliarden im Minus. Zu verdanken ist das den deutschen Exportüberschüssen, und die werden auch noch von den europäischen Partnern diffamiert – der Gipfel der Absurdität.

Womit ist zu rechnen?

Was soll der Investor tun? Er kann ja nicht wissen, wie lange wir noch mit dem Euro leben müssen, ob die Euro-Zone nur schrumpft oder komplett auseinanderbricht oder welche Variante von Crash droht. Er muss möglichst alle Szenarien einkalkulieren und sein Portfolio so einrichten, dass es den schlimmsten denkbaren Fall überlebt. Wenn es nicht zum Schlimmsten kommt oder zumindest nicht bald, um so besser.

Das bedeutet, dass der Investor auch in andere Währungen diversifizieren sollte: in asiatische und pazifische Währungen (ausgenommen den Yen), in Norwegische Kronen und Schweizer Franken, sobald sie billiger zu haben sind als gegenwärtig, in den Kanadischen Dollar und mit einem Teil auch in den US-Dollar, dies allerdings nicht als Daueranlage. Und natürlich in die Edelmetalle, vor allem in Gold, das in der Regel ein- bis zweimal im Jahr eine günstige Kaufgelegenheit bietet, die nächste möglicherweise in diesem Sommer.

Obwohl der Goldpreis seit einem Jahrzehnt steigt, hat er immer noch Spielraum nach oben, solange die Notenbanken ihre Leitzinsen in der Nähe von Null halten und damit unter der Inflationsrate. Am Goldmarkt tummeln sich neben den konservativen Investoren auch die Spekulanten der Hedge-Fonds und der Banken. Das braucht Sie nicht zu stören. Es sorgt für Preisschwankungen, die sich nutzen lassen. Betrachten Sie Gold als alternative Währung. Schliesslich übersteigen auch die Goldreserven der Bundesbank oder der USA bei weitem den Bestand an Fremdwährungen. Halten Sie Gold nicht in erster Linie, um damit Spekulationsgewinne zu erzielen, sondern um finanziell zu überleben.

Zusammenbruch?

Wenn die Ökonomen der «Österreichischen Schule» Recht haben, was ich befürchte, dann wird der Zusammenbruch des Systems um so schlimmer, je länger die überfällige Bereinigung vertagt wird. Verschleppt wird sie in den USA, deren Neuverschuldung gemessen am Bruttoinlandprodukt (BIP) mit rund 10 Prozent so hoch ist wie die griechische, indem die Federal Reserve Staatspapiere aufkauft. Sie ist noch vor China zum grössten Gläubiger der amerikanischen Regierung avanciert. Verschleppt wird sie in der Euro-Zone – das ist seit Dezember der neueste Trick –, indem die EZB den Banken mehr als eine Billion Euro zu 1 Prozent für drei Jahre leiht, damit sie flüssig bleiben und damit sie Staatsanleihen der Krisenländer kaufen können, um das Euro-System zu stützen.

Die maroden Anleihen können sie dann wieder bei der EZB einreichen, um sich frisches Geld zu besorgen. Damit tun die Banken auf Wunsch der Regierungen im Prinzip wieder genau das, was sie schon in den Jahren vorher an den Rand des Ruins gebracht hat. Das Ganze ist ein Ponzi-Betrug (benannt nach Charles Ponzi, einem der grössten Schwindler der amerikanischen Geschichte), ein Schneeballsystem à la Madoff (Bernard L. Madoff, ehemaliger US-amerikanischer Finanz- und Börsenmakler, 2008 wegen Milliarden-Betrugs verhaftet), das unter normalen Umständen strafbar ist, das aber bekanntlich so lange funktioniert, wie frisches Geld nachgeschoben wird, wie alte Schulden durch neue ersetzt werden – oder so lange, bis das Vertrauen der Marktteilnehmer schlagartig zusammenbricht.

Schliesslich möchte ich Ihnen ein weiteres Szenario vorstellen, auf das wir vorbereitet sein müssen. Es nennt sich «finanzielle Repression» – eine Art von Alternative zur Währungsreform. Sie funktioniert so, dass die Zinsen von den Notenbanken für einen sehr langen Zeitraum manipulativ unter der Inflationsrate gehalten werden und dass diese gleichzeitig steigt. Der Effekt ist eine schleichende, kalte Enteignung der Sparer und eine reale Entschuldung der Regierungen. In vergleichbarer Form wurde das in den USA und Grossbritannien nach 1945 drei Jahrzehnte lang praktiziert, bis der kriegsbedingte Schuldenberg auf eine erträgliche Höhe zusammengeschmolzen war. In Deutschland entschieden sich die Besatzungsmächte für die bekannte andere Methode, nämlich die Währungsreform.

Das Fazit lautet, dass nach den Schuldenexzessen der vergangenen zehn oder zwanzig Jahre alle in der Falle sitzen: Die westlichen Industrieländer mit wenigen Ausnahmen, die Sparer und Anleger in der Euro-Zone, aber auch Deutschland als Schwergewicht der Währungsunion und als Mitglied einer EU, die sich zum bürokratischen Monstrum entwickelt hat, die beginnt, zu verarmen und im globalen Wettbewerb zurückzufallen. Bleibt Deutschland in der Euro-Zone, dann werden die Kosten auf unabsehbare Zeit die Vorteile übersteigen. Und damit meine ich nicht nur die Kosten direkter Subventionen und Finanzhilfen, sondern auch Geldentwertung und Wachstumsschwäche. Steigt Deutschland dagegen aus, sitzt es auf der Anklagebank, denn in einem Kartell ist immer derjenige der Böse, der das Kartell als erster verlässt.

Dann scheitert Europa – aber welches?

Weil grosse Länder bei kleineren Nachbarn nie beliebt sind, eignet sich Deutschland hervorragend als Sündenbock. In Griechenland und Italien kochen die antideutschen Ressentiments hoch wie schon lange nicht mehr. Herausstellen wird sich: Je mehr wir zahlen, desto unbeliebter machen wir uns. Wenn wir nicht zahlen, machen wir uns auch unbeliebt. Auch mit der hegemonialen Rolle Deutschlands in Europa, von der manche Politiker in Berlin träumen, wird es nicht klappen. In dieser Situation bräuchten wir den Genius eines Otto von Bismarck, um die Beziehungen zu den USA, den europäischen Nachbarn, zu Russland und nicht zuletzt zu China und den aufstrebenden Schwellenländern in ein tragfähiges aussenpolitisches Konzept einzupassen. Ein Bismarck ist aber nicht in Sicht, wir haben nur die Taktikerin Merkel.

Bruno Bandulet

Dr. Bruno Bandulet ist Herausgeber des Info-Bulletins «Gold & Money Intelligence», in dessen Nummer 366 vom 5. März 2012 das hier abgedruckte Referat erschienen ist.

Quelle: schweizerzeit

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