Von Ana Vračar (free21)
Der belgische Europa-Abgeordnete Marc Botenga spricht darüber, wie die europäischen Staats- und Regierungschefs die Militärausgaben erhöhen und weiter aufrüsten, während die USA unter Führung von Trump sich von ihnen abwenden.
Die Militarisierung Europas beschleunigte sich schon lange vor Trumps Rückkehr ins Weiße Haus. In den letzten drei Jahren hat Polen seine Militärausgaben auf fast 4 % des BIP erhöht [1].
Der französische Präsident Emmanuel Macron hat zugesagt, das französische Militär für ein neues Zeitalter umzuformen [2], und kürzlich kündigte die britische Labour-Regierung an, internationale Hilfsleistungen zurückzufahren, um eine „generationenübergreifende“ Erhöhung der Verteidigungsausgaben zu finanzieren [3].
Die erneuten Aufrüstungsbestrebungen schreiten voran, während die Region nach wie vor den Interessen der USA untergeordnet bleibt. Die europäischen Staats- und Regierungschefs haben es versäumt, sich dieser Realität zu stellen, was laut dem Europa-Abgeordneten Marc Botenga von der Belgischen Arbeiterpartei (PTB-PVDA) einen grundlegenden Mangel an Visionen für ein eigenständiges Europa widerspiegelt. „Die USA sollten nicht unser Vorbild für die Gestaltung der Gesellschaft sein, in der wir leben wollen“, argumentiert Botenga. „Tausende Menschen schlafen in den USA auf der Straße, während das Land weiterhin als imperialistische Macht die Welt dominiert. Wir brauchen ein Europa, das einen grundlegend anderen Weg einschlägt.“
Die Ausgrenzung Europas
Selbst als die Trump-Regierung europäische Verbündete ins Abseits drängte und sie von den Gesprächen über ein mögliches Friedensabkommen für die Ukraine ausschloss [4], reagierten die europäischen Staats- und Regierungschefs mit schwachen Protesten und Versuchen, die USA zu beschwichtigen. Die daraus resultierenden Narrative, und insbesondere die NATO-freundliche Rhetorik, die die Debatten über Militärbudgets dominiert, wie sie beispielsweise von der neuen belgischen Regierung zu hören ist, haben laut Botenga wenig mit der tatsächlichen Stärkung der Sicherheit Europas zu tun.
„Wenn die USA Druck auf Europa ausüben, ihre Beteiligung an der Finanzierung der NATO zu erhöhen, drängen sie Europa de facto dazu, amerikanische Waffen zu kaufen“,
erklärt er und warnt davor, dass dies die europäischen Länder in eine gefährliche Abhängigkeit von den militärischen Ressourcen der USA bringt [5]. Sollten die USA Lieferungen blockieren oder Cloud Space einfrieren,wären die Milliarden, die in diesen Bereich der Verteidigungsausgaben geflossen sind, nutzlos.
Militarisierung auf Kosten sozialer Rechte
Eine zunehmende Betonung der Militarisierung wird wahrscheinlich auch den Einfluss der Militärlobby auf EU-Ebene verstärken, warnt Botenga. Und dies wird sicherlich zu Lasten der Sozialausgaben auf regionaler und nationaler Ebene geschehen. Zusätzlich zur Intensivierung von Verteidigungsmaßnahmen hat Ursula von der Leyen kürzlich angekündigt, dass die Europäische Kommission die Ausweichklausel für Militärausgaben anwenden wird [10], die es den Mitgliedstaaten erlaubt, strenge Haushaltsgrenzen zu überschreiten – wenn die zusätzlichen Mittel in militärische Investitionen fließen.
Die Anwendung dieser Klausel bei gleichzeitiger Kürzung der Mittel für die gesellschaftliche Daseinsfürsorge sei „eine ganz klare politische Entscheidung“, sagt Botenga und weist darauf hin, dass die Prioritäten, die Europa damit setzt, nicht mit den sozialen Zielen übereinstimmen. Dieser Eindruck wird durch die Tatsache verstärkt, dass die EU – trotz weit verbreiteter Ablehnung – Sparmaßnahmen wieder eingeführt hat [11], die während der COVID-19-Pandemie kurzzeitig ausgesetzt wurden. Währenddessen scheiterten sie grandios daran, eine kohärente Strategie für die Industrie zu entwickeln.
Laut Botenga ist der derzeitige Ansatz der EU weiterhin in der Ideologie des freien Marktes verwurzelt, bei der Regierungen als bloße Sponsoren für Privatunternehmen fungieren – in der Annahme, dass dadurch Arbeitsplätze geschaffen werden. In der Praxis kommen diese Unternehmenszuwendungen jedoch nur selten den Arbeitnehmern zugute, stattdessen steigern sie die Unternehmensgewinne.
Während die Staats- und Regierungschefs der EU derzeit über eine neue industrielle Vision diskutieren, ist es unwahrscheinlich, dass sie die in früheren Debatten aufgeworfenen grundlegenden Bedenken aufgreifen werden. Die mangelnde Bereitschaft, mit der neoliberalen Orthodoxie zu brechen, hat dazu geführt, dass wichtige europäische Industrien – auch in Sektoren wie Energie und Technologie – hinter den USA zurückbleiben, was die Abhängigkeit Europas weiter verstärkt. Genau wie bei der Vorstellung von Alternativen zur Rüstung ignoriert die EU weiterhin andere Ansätze, die ihre industrielle Basis stärken könnten.
„Wir müssen die Energiekosten senken, nicht die Gehälter“, argumentiert Botenga. „Wir müssen die Unternehmen dazu zwingen, in die Gesellschaft zu investieren, nicht in die Boni der Führungskräfte“.
Widerstand gegen Kriegstreiber wächst
Entscheidend ist, dass Europa das darin liegende Potenzial erkennt, Schlüsselindustrien in den öffentlichen Sektor einzubeziehen und vermehrt Partnerschaften mit Ländern außerhalb seines üblichen Einflussbereichs einzugehen – wie Brasilien, China und Südafrika [12].
Dies könnte der Region helfen, die Auswirkungen der sich wandelnden US-Handelspolitik, einschließlich der drohenden Gefahr von Zöllen, abzumildern. Angesichts der anhaltenden wirtschaftlichen Abhängigkeit Europas von den USA ist eine plötzliche Kehrtwende jedoch unrealistisch. Allerdings würde eine Reaktion auf Trumps Handelsbarrieren mit Vergeltungszöllen wenig zur Lösung des Problems beitragen. „Ein Handelskrieg ist auch ein Krieg“, warnt Botenga.
Marc Bortenga am Wahlabend des Europäischen Parlaments, 11.6.2024 (Foto: The Left, Flickr, CC BY-NC-SA 2.0)
Es gibt kaum Anzeichen dafür, dass die Staats- und Regierungschefs der EU wirklich verstehen, was auf dem Spiel steht. Aber die öffentliche Unzufriedenheit über den eingeschlagenen Kurs nimmt bereits zu. Arbeitnehmer in allen Branchen mobilisieren sich gegen geplante Schließungen und Entlassungen, während nationale Regierungen und EU-Institutionen den Druck zu spüren bekommen. In Belgien haben erste Schritte nach dem Vorbild seitens der Regierung von Arizona weit verbreitete Proteste ausgelöst [13] – nicht nur wegen ihrer von Sparmaßnahmen geprägten Wirtschaftspolitik und ihrer Pläne für Verteidigungsausgaben, sondern auch wegen der Bedrohung der bürgerlichen Freiheiten. Zehntausende sind bereits auf die Straße gegangen, um sich einer Regierung zu widersetzen, die die Rentensysteme abbauen, die Arbeitnehmerrechte angreifen und die Gewerkschaften schwächen will.
Da der Widerstand gegen weitere Sparmaßnahmen und Kriegstreiberei wächst, stehen die europäischen Staats- und Regierungschefs vor der Entscheidung, entweder die Militarisierung und eine unternehmensfreundliche Politik fortzusetzen oder sich einer Zukunft zuzuwenden, in der die Bedürfnisse der Menschen, die sie angeblich vertreten, größere Beachtung finden. Letztendlich, so Botenga, läuft alles auf eine Frage hinaus: „Was werden Sie wählen: Mensch oder Krieg?“
Dieser Text wurde zuerst am 03.03.2025 auf www.peoplesdispatch.org unter der URL <https://peoplesdispatch.org/2025/03/03/what-are-european-leaders-going-to-choose-people-or-war/> veröffentlicht. Lizenz: Ana Vračar, Peoples Dispatch, CC BY-NC-ND 4.0
Autor: Ana Vračar
ist Reporterin für Gesundheitsthemen bei „People’s Health Dispatch“, einem vierzehntägig erscheinenden Bulletin, das von „Peoples Dispatch“ und der „People’s Health Movement“ herausgegeben wird. Sie ist Regionalkoordinatorin von PHM Europe und Co-Vorsitzende des PHM-Lenkungsausschusses.
Quellen:
[1] Reuters, Marek Strzelecki und Justyna Pawlak „Scope of Poland’s spending spree in focus as NATO ups defence goal“, am 12.3.2023: <https://www.reuters.com/world/europe/scope-polands-spending-spree-focus-nato-ups-defence-goal-2023-07-12/#:~:text=Poland%20surged%20to%20the%20top,target>
[2] Reuters, Michel Rose und Clotaire Achi „Macron boosts French military spending by over a third to ‚transform‘ army“, am 12.3.2023: <https://www.reuters.com/business/aerospace-defense/frances-macron-proposes-big-hike-military-spending-2024-2030-2023-01-20/#:~:text=The%20budget%20for%20the%20period,power%20in%202017%2C%20Macron%20said>
[3] The Guardian, Pippa Crerar und Kiran Stacey „Starmer slashes aid to fund major increase in defence spending“, am 25.2.2025: <https://www.theguardian.com/politics/2025/feb/25/starmer-slashes-aid-to-fund-major-increase-in-defence-spending>
[4] Peoples Dispatch Medien Outlet, Ana Vračar „Europe humiliated, but still subservient, after remarks from US officials“, am 17.2.2025: <https://peoplesdispatch.org/2025/02/17/europe-humiliated-but-still-subservient-after-remarks-from-us-officials/>
[5] Bloomberg, Alex Wickham und Ellen Milliga „Trump Tells Europe to Buy American Arms to Keep NATO Strong (1)“, am 13.2.2025: <https://news.bloomberglaw.com/international-trade/trump-tells-europe-to-buy-american-weapons-to-keep-nato-strong>
[6] Verteidigungsministerium Frankreich „Projet de loi de finances 2024 : ce qu’il faut retenir“, am 12.10.2023: <https://www.defense.gouv.fr/actualites/projet-loi-finances-2024-ce-quil-faut-retenir?utm_source=chatgpt.com>
[7] Finanzministerium Deutschland „German Stability Programme 2024“: <https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/EN/Standardartikel/Press_Room/Publications/Brochures/german-stability-programme-2024.pdf?__blob=publicationFile&v=6>
[8] Bundesregierung „100 billion euros for a powerful Federal Armed Forces“, am 3.6.2022: <https://www.bundesregierung.de/breg-en/news/special-fund-federal-armed-forces-2047910>
[9] Politico Zeitung, Barbara Moens und Jacopo Barigazzi „Commission plans to slash EU embassy staff around the world“, am 28.11.2025: <https://www.politico.eu/article/european-commission-eu-embassy-staff-africa-latin-america-eu-external-action-service-eeas-diplomacy/>
[10] Europäische Kommission, Ankündigung „Münchner Sicherheitskonferenz 2025 – Präsidentin von der Leyen fordert ein „Europa, das pragmatischer, fokussierter und entschlossener auftritt““, am 16.2.2025: <https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/ac_25_526>
[11] Peoples Dispatch, Red. „Corporate lobbying drives EU policy as Austerity 2.0 rolled-out“, am 26.2.2025: <https://peoplesdispatch.org/2025/02/26/corporate-lobbying-drives-eu-policy-as-austerity-2-0-rolled-out/>
[12] SUDINFO Nachrichtenportal, Cédric Baufayt „L’Europe et Vous : « Quand Macron va à Washington, il ne défend pas les intérêts européens », assure Marc Botenga (vidéo)“, am 26.2.2025: <https://www.sudinfo.be/id959756/article/2025-02-26/marc-botenga-sur-le-conflit-russie-ukraine-quand-macron-va-washington-il-ne?utm_campaign=pushs&utm_source=twitter&utm_medium=tw_sp_online>
[13] Peoples Dispatch, Ana Vračar „100,000 protest in Brussels against Arizona coalition’s austerity and attacks on rights“, am 14.2.2025: <https://peoplesdispatch.org/2025/02/14/100000-protest-in-brussels-against-arizona-coalitions-austerity-and-attacks-on-rights/>
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