Was steckt hinter den weltweit steigenden Aktienkursen?

Von Andre Damon und Barry Grey 3. April 2012

Im ersten Quartal des Jahres 2012 sind die Aktienkurse weltweit stark gestiegen. Der japanische Nikkei Index stieg um zwanzig Prozent, der britische FTSE (Financial Times Stock Exchange) und der DAX um mehr als vierzehn Prozent.

In den USA stieg der Dow Jones um 994 Punkte, das bisher größte Quartalswachstum. Der Index Standard & Poor’s 500 stieg um 150 Punkte, ebenfalls ein Quartalsrekord. In Prozentpunkten gerechnet, stieg der Dow Jones um acht Prozent, der S&P um zwölf – sein größtes Wachstum gegenüber dem Vorjahrseit 1998 – und der Nasdaq um mehr als achtzehn Prozent, sein bestes Quartalsergebnis seit 1991.

Allerdings sind steigende Aktienkurse schon lange kein Indikator für den Zustand der Wirtschaft mehr. In den letzten dreißig Jahren wurde die Finanzspekulation immer mehr zum vorherrschenden Element der Wirtschaftsaktivität der herrschenden Elite und die Finanzmärkte sind zu einem Werkzeug geworden, mit dem immer größere Anteile des nationalen Vermögens auf die Privatkonten und in die Investment-Portfolios der Reichen und der Superreichen gelenkt wurden.

Der derzeitige Aktienboom findet statt vor dem Hintergrund des wirtschaftlichen Niedergangs in Europa, sinkenden Wachstumsraten in China und Indien und einem Wachstum des amerikanischen Bruttoinlandsproduktes, das im Vergleich zu früheren Erholungen nach einer Rezessionen kraftlos ist. Es gibt in den USA und einem Großteil Europas im vierten Jahr der schwersten Wirtschaftskrise seit der Großen Depression keine Anzeichen für ein echtes Wachstum bei den Investitionen in Produktion oder der Produktion selbst.

Hinter den Schlagzeilen gibt es viele Anzeichen dafür, dass der derzeitige Aktienboom brüchich und nicht nachhaltig ist. Was also steckt dahinter?

Der Boom ist größtenteils die Reaktion der Wirtschafts- und Finanzelite auf ihren bisherigen Erfolg darin, die ganze Last der Krise des Kapitalismus der internationalen Arbeiterklasse aufzuhalsen. Dies geht einher mit der Verteilung von weiteren Billionen aus öffentlichen Fonds, mit denen die Banken gesichert werden; diese Billionen werden mit immer gnadenloseren Angriffen auf Arbeitsplätze, Löhne, Renten und Sozialleistungen gegenfinanziert.

Die Märkte feiern – kurzischtigerweise – die Fähigkeit der Europäischen Union, des Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Zentralbank, die griechische Arbeiterklasse in die Armut zu stürzen und einen kontrollierten Staatsbankrott zu organisieren, ohne einen neuen Zusammenbruch wie nach der Pleite von Lehman Brothers zu verursachen. Sie sind auch mit dem Fiskalpakt der EU zufrieden, der alle Regierungen der EU verpflichtet, dauerhaft und viel zu sparen.

Derweil hat die Europäische Zentralbank die Banken gerettet, indem eine Billion Euro fast zinsfrei in ihre Tresore geflossen sind. Die amerikanische Federal Reserve hat den Märkten versichert, dass sie die Zinsen auch für weitere eineinhalb Jahre auf kaum über null halten wird.

Auf der Grundlage unbegrenzter und nahezu kostenloser Kredite und der Zerstörung des Lebensstandards der Arbeiterklasse setzen die USA und andere große Wirtschaftsmächte ein Wirtschaftsmodell durch, in dem die Unternehmensgewinne durch deutlich geringere Produktionskosten erhöht werden. Das Vorbild dafür waren die amerikanischen Autokonzerne. Die „Großen Drei“ haben im Rahmen von Präsident Obamas Rettungsaktion im Jahr 2009 – und mit enthusiastischer Unterstützung durch die Gewerkschaft United Auto Workers – eine Lohnkürzung von 50 Prozent für neu eingestellte Arbeiter durchgesetzt und haben damit im letzten Jahr wieder Gewinne eingefahren, obwohl sie deutlich weniger Umsatz machen als vor der Rezession. General Motors machte sogar seinen größten Jahresgewinn überhaupt.

Dass die herrschende Klasse diese Angriffe durchführen konnte, lag nicht daran, dass sich die Arbeiterklasse nicht gewehrt hat. Im Jahr 2011 kam es in Tunesien und Ägypten zu Massenaufständen mit revolutionärem Charakter, Massenstreiks und Protesten in Griechenland, Spanien, Portugal, Italien und anderen europäischen Ländern, zu Protesten der Arbeiterklasse in Wisconsin und wachsenden antikapitalistischen Stimmungen, die sich zuerst in der Occupy-Bewegung ausdrückten.

Aber diese Kämpfe wurden von den Gewerkschaften, den offiziellen „linken“ Parteien und ihren Verbündeten in verschiedenen ex-linken Organisationen wie den Revolutionären Sozialisten in Ägypten, SYRIZA und der stalinistischen Kommunistischen Partei Griechenlands, der Neuen Antikapitalistischen Partei in Frankreich, der Antikapitalistischen Linken in Spanien und der International Socialist Organization in den USA systematisch verraten. Diese pseudolinken Gruppen haben daran gearbeitet, die Kontrolle der Gewerkschaften über den Widerstand zu verstärken und die Entwicklung einer unabhängigen politischen Bewegung der Arbeiterklasse für Arbeitermacht und Sozialismus zu verhindern.

Durch Lohnsenkungen und die Streichung von Zusatzleistungen sind die Gewinne der Unternehmen auf beispiellose Weise gestiegen, in den Vereinigten Staaten im letzten Jahr um 5,8 Prozent auf 1,58 Billionen Dollar. Die Unternehmensgewinne haben einen Anteil von zehn Prozent am Bruttoinlandsprodukt erreicht, der höchste Anteil der Nachkriegszeit.

Diese Politik hat zu einer noch drastischeren Konzentration des Reichtums in den Händen der Superreichen geführt. Im Jahr 2011 erreichten die Vorstandsgehälter einen neuen Rekord. Sie stiegen bei den Unternehmen, die im Index Fortune 500 registriert sind, um durchschnittlich zwei Prozent auf 9,6 Millionen Dollar. Die obersten 25 Manager globaler Hedgefonds verdienten 2011 insgesamt 14,4 Milliarden Dollar, d.h. jeder von ihnen durchschnittlich 576 Millionen Dollar.

Das gesamte Wachstum des amerikanischen Nationaleinkommens im Jahr 2010 ging an die obersten zehn Prozent; ein Drittel des Zuwachses ging an das oberste 0,01 Prozent. Das sind 15.000 Haushalte.

Ein „Aufschwung“ auf Grundlage nackter Plünderungen kann nur kurzfristig sein. Die grundlegenden Widersprüche, die zu der Krise geführt haben, wurden durch die Politik der herrschenden Elite nur noch verstärkt.

Gleichzeitig kann das dauernde Streben der herrschenden Klasse, die Weltbevölkerung zu verarmen, nur zu erneuerten sozialen Kämpfen führen. Die Ausbrüche von 2011 waren nur ein Vorgeschmack auf größere Erhebungen. Die massive Teilnahme an dem Generalstreik in Spanien letzte Woche ist ein Anzeichen für wachsende Klassenkämpfe.

Die Erfahrungen des Jahres 2011 und des Frühjahrs 2012 zeigen, wie wichtig die Frage der Führung und der Perspektive ist. Die neue revolutionäre Führung der Arbeiterklasse muss aufgebaut werden, um die kommenden Kämpfe auf Grundlage eines sozialistischen und internationalistischen Programms zu vereinigen.

Quelle: http://www.wsws.org/

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