Was die Medien im Konflikt zwischen den USA und Iran übersehen

Andrew Lee Butters (infosperber)

Iran hielt sich ans Atomabkommen – doch die USA führten Sanktionen fort. Iran soll keine Waffen verkaufen – doch die USA dürfen.

Red. Andrew Lee Butters war Bürochef in Beirut und Korrespondent für den Mittleren Osten für das Magazin «Time». Heute lehrt er Journalismus an der Yale University. Folgender Artikel von ihm erschien in der «New York Times».

Die Weichen für einen weiteren Krieg am Persischen Golf sind gestellt. Mitte Mai zog die Trump-Administration nicht zwingend nötiges Personal in US-Botschaften und -konsulaten im Irak zurück und verschob B-52-Bomber und Patriot-Raketen auf US-Basen in die Region, um sich auf einen angeblich drohenden iranischen Konflikt vorzubereiten. US-Beamte schlugen als militärische Optionen gegen den Iran vor, 120’000 Soldaten einzusetzen und mit Cyberangriffen das Stromnetz des Landes lahmzulegen. Gleichzeitig traten Hardliner gegen den Iran in den Medien auf.

Weshalb die USA plötzlich auf Kriegsfuss mit dem Iran stehen, ist jedoch nur schwierig nachzuvollziehen. Irritierend ist die hysterische Art und Weise, wie die US-Presse die Beziehungen der USA mit dem Iran darstellt. Da hilft es wenig, wenn Präsident Trump erklärt, er wolle keinen Krieg mit dem Iran, sofern das Land die USA atomar nicht bedrohe.

Ich war vor ungefähr einem Jahrzehnt Nahost-Korrespondent des Magazins Time. Es ist in den USA schwierig, über den Iran zu berichten. Wenn Journalisten im Iran ins Gefängnis gesteckt werden, wird darüber berichtet. Doch wenn das Land von Katastrophen heimgesucht wird oder wenn der humanitäre Preis für die Sanktionen steigt, die gegen Iran verhängt wurden, dann gibt es so gut wie keine westlichen Medienvertreter, die sich im Iran befinden und die Einzelschicksale hinter den tragischen Schlagzeilen beleuchten würden. Als kürzlich Überschwemmungen dutzende Menschenleben forderten oder als Passagierflugzeuge abstürzten, weil keine Ersatzteile mehr erhältlich sind, dann wird darüber kaum berichtet.

Medien als Wegbereiter einer Konfrontation

Aufgrund der fehlenden Empathie in der medialen Darstellung des Iran hat sich eine Eigendynamik in der Berichterstattung entwickelt, eine Art paranoide Heisshungerattacke. Diese hilft den Anti-Iran Hardlinern in der Trump-Regierung, wie etwa John Bolton, dem Nationalen Sicherheitsberater, Schwung für eine Konfrontation aufzubauen. Sollte es also zu einem Krieg mit dem Iran kommen, so wird die defekte US-Medien-Echokammer einen Teil der Schuld tragen, so, wie in früheren Fällen auch schon.

Der letzte Anti-Iran-Nachrichtenzyklus wirkte auf mich wie folgt: Mitte Mai begannen – oft anonyme – Quellen aus dem nationalen Sicherheitsapparat, einschliesslich Bolton, Reportern in Washington zu erzählen, es gebe eine konkrete, aber nicht näher bezeichnete iranische Bedrohung für die US-Interessen in Nahost. Bereits auf dieser Grundlage klang die Story zwielichtig. Speichellecker auf Fox News (Im Originalton: „Pentagon Beefs Up Military Presence in Persian Gulf as Iran Ramps Up Threats Against US Interests“) und in anderen „Trump Medien“ brachten sie ohne jegliche Überprüfung oder Zurückhaltung.

Washington-Korrespondenten aus angesehenen Medien, die an die fehlerbehaftete Legitimation des Irak-Kriegs erinnerten, waren etwas weniger vertrauensselig. Trotzdem machten sie Irans „Bedrohung“ zu einer Top-Story – schliesslich geht es um die nationale Sicherheit! Sie relativierten sie aber zunächst mittels Bezugnahme auf Quellen, zum Beispiel in dieser Schlagzeile der New York Times: „Mit der Begründung einer iranischen Bedrohung schicken die USA Flugzeugträger und Kampfflugzeuge in den Persischen Golf.“ Aber nach wenigen Tagen im Nachrichtenzyklus wurde kein Bezug auf Quellen mehr genommen. CNN titelte: „Patriot-Raketen in den Mittleren Osten verlegt, inmitten iranischer Drohungen.“

Geschichte verfehlter Bedrohungsszenarien

Waren die iranischen Drohungen real und ernsthaft? Vielleicht. Es gibt immer Gefahren. Aber die USA haben eine lange Geschichte von Eintritten in Kriege wegen übertrieben dargestellten oder erfundenen Bedrohungen – dies geht zurück bis zum Spanisch-Amerikanischen Krieg, weiter über den Golf von Tonkin, bis hin zu Saddams inexistenten Massenvernichtungswaffen.
Im vorliegenden Fall stammten die Warnungen vor einer iranischen Bedrohung von israelischen Geheimdiensten und wurden von der Regierung Benjamin Netanyahus herumgereicht. Die US-Hardliner, die sie aufgriffen, wollen einen erhöhten Druck auf den Iran rechtfertigen. Dies ist etwas, für das sich sowohl Israel als auch die USA lange Zeit eingesetzt haben.

Aber die Aufmachung der Schlagzeilen und Titel von Magazinen zu Beginn des Nachrichtenzyklus war nicht so, dass die Fingerabdrücke der Hardliner offensichtlich gewesen wären. Grosse Zeitungen brachten keine Schlagzeilen wie «Trumps Administration schraubt Anti-Iran Rhetorik hoch» oder „Bolton setzt USA auf Kriegsfuss mit Iran“.

Ebenso wenig korrigierten sie ihren Kurs am 13. Mai. An jenem Tag deckten die «US Naval Institute News» auf, dass die Flugzeugträger, die angeblich als Antwort auf die iranische Bedrohung losgeschickt worden sein sollen, schon zuvor ausgelaufen waren, basierend auf schon lange geplanten Routinebefehlen, womit sich Boltons Erklärung, dass diese Truppenbewegung mit angeblichen Bedrohungen im Zusammenhang stünden, als theatralisch entpuppte.
Die New York Times kam verantwortungsbewusster Berichterstattung noch am nächsten: „Die USA überprüfen die Pläne Irans“ – wobei auch die NYT das Ziel verfehlte, weil die Schlagzeile suggeriert, dass unsere Regierung auf eine Entwicklung reagiert und eine solche nicht selbst fabriziert.

Schlagzeilen in der NZZ

«Teheran will Trump mit der Drohung des Krieges unter maximalen Druck setzen»
NZZ am Sonntag, 12. Mai 2019

«Kriegsgefahr am Persischen Golf: Der Schlüssel liegt in Teheran»
NZZ vom 18. Mai 2019, Kommentar von Andreas Rüesch





Nach einseitiger Vertragskündigung der USA «droht» der Iran mit Urananreicherung

Aus der Lektüre der Nachrichten erhält man unweigerlich den Eindruck, dass der Iran eine Bedrohung ist. Selbst Einordnungen betreffend den Iran, die beispielsweise festhalten, dass die Iranische Revolution von 1979 teilweise eine Reaktion auf den US-Coup von 1953 war – verlieren sich in ständigen Schlagwörtern wie „Terror“, „Mullah“, „nuklear“, „Stellvertreter“ und „Milizen“.

Selbst wenn es die Trump Regierung war, welche den Atomvertrag einseitig kündigte, den der Iran mit der Obama Regierung verhandelt und vereinbart hatte – einem Vertrag, der das iranische Nuklearanreicherungsprogramm stoppte – sprechen die meisten Schlagzeilen und Artikel davon, dass der Iran damit „drohe“, die Anreicherung wiederaufzunehmen.

Wer drohte jetzt zuerst wem?

In Wirklichkeit ist die Reaktion des Irans auf die USA eher eine natürliche Antwort als eine Eskalation. Irans Regierung wurde im Regen stehen gelassen; obwohl sie das Nuklearprogramm einstellte, wurden dem Iran kaum Lockerungen der Sanktionen gewährt. Und übrigens, als Unterzeichner des Atomwaffensperrvertrags (den es nie verletzt hatte) ist es dem Iran rechtlich erlaubt, sein Programm neu zu starten. Selbst als Ayatollah Khamenei, der Oberste Führer des Iran, Mitte Mai das Wort ergriff, um Spannungen abzubauen, folgte sogleich das National Public Radio mit der goldigen Nachricht, wonach eine Wiederaufnahme nuklearer Aktivitäten „drohe“. Die Nachricht wurde von folgender Schlagzeile begleitet: „Aggressive Rhetorik zwischen den USA und dem Iran schiesst durch die Decke“.

Es darf nicht vergessen werden, dass die USA eine lange Geschichte mit Drohungen und Aggressionen gegen den Iran haben:

  • In den 1980er Jahren hatten sie den Irak ermutigt, in den Iran einzumarschieren und Hunderttausende Iraner zu töten.
  • Im Jahr 2003 marschierten dann die USA in den Irak ein, richteten sich gegen den Iran und verkauften Waffen im Wert von mehreren Milliarden Dollars an anti-iranische Autokraten aus dem Mittleren Osten.
  • Die USA unterstützten auch die bekannte Terroristengruppe der „Volksmudschahedin“ (MEK). Die USA hofften, damit einen Regime Change anzufachen.

 

Unberechenbar ist angeblich nur der Iran

Es ist wichtig, diese Geschichte beim Lesen von Artikeln im Hinterkopf zu behalten, etwa beim folgenden Artikel der NYT betreffend die Kriegspläne des Pentagons im Iran:

„…Beamte sagten, ihrer Ansicht nach werde der Konflikt am wahrscheinlichsten durch eine Provokation oder einen Angriff seitens der Marine der Iranischen Revolutionsgarde ausgelöst. Ihre Flotte von Kleinschiffen habe Tradition darin, sich Schiffen der US-Navy in hohem Tempo zu nähern. Die Kommandanten der Revolutionsgarde hätten kaum Kontrolle über ihre mehr schlecht als recht disziplinierten Seestreitkräfte.“

Der Bericht erwähnt mit keinem Wort, dass die US-Navy 1988 im Persischen Golf ein Iranisches Passagierflugzeug abschoss und dabei 290 Zivilisten tötete. Für die NYT ist es in der Region des Persischen Golfs der Iran, der unberechenbar ist und keine Kontrolle hat.

Die iranische Regierung hat sich für vieles zu rechtfertigen, insbesondere für ihre Rolle als Unterstützerin des Bashar al-Assad Regimes in der blutigen Unterdrückung der syrischen Demokratiebewegung, welche zunächst friedlich verlief. Es ist jedoch weder moralisch noch praxistauglich, der Ausübung iranischer Militärmacht mit der Anwendung von zusätzlicher amerikanischer Militärmacht zu begegnen.

Wunschdenken

Ich bin mir ziemlich sicher, dass die meisten Reporter und Herausgeber bei CNN, der NYT und dem National Public Radio dies wissen. Und ich bin mir sicher, dass die meisten von ihnen genau wissen, welches Spiel die Regierung Trump gerade spielt. Es besteht aber eine gewisse tief verwurzelte Loyalität zu so etwas wie «Ausgewogenheit» oder Objektivität, die völlig quer in der Landschaft steht.

Erst nachdem britische Geheimdienstkreise und andere mit Sicherheitsaufgaben betraute «seriöse» ausländische Quellen Zweifel äusserten, konnte man Schlagzeilen lesen wie «Skeptische US-Verbündete widerstehen Trumps neuen Behauptungen betreffend Drohungen des Iran» – als ob man die Dinge nur dann beim Namen nennen könnte, wenn man hierfür jemanden zitieren kann.

Die beste Option ist natürlich, sich einfach wieder dem Atomabkommen anzuschliessen. Aber für viele Aussenpolitik-Korrespondenten in Washington – einschliesslich derer, die Probleme mit republikanischen Falken haben –, gleicht die Erwartung, wie Frieden und Stabilität in Nahost aussehen sollten, einer Wunschliste. Sie weisen darauf hin, dass es zwar Trump war, der sich aus dem Abkommen zurückzog, dass aber das Abkommen ohnehin keine iranische Verhaltensänderung bewirkt hätte, die über den Gegenstand des Abkommens hinausgegangen wäre. So etwa beim Testen ballistischer Raketen oder der iranischen Unterstützung an anti-israelische militante Gruppen wie Hisbollah und Hamas.

Einäugige Sichtweise

Das Problem bei dieser Denkweise ist, dass sie sowohl ahistorisch als auch unausgewogen ist. Die USA hatten nach dem Atomabkommen fast nichts getan, um internationalen Konzernen zu versichern, dass sie für Investitionen im Iran nicht bestraft würden. Die iranische Wirtschaft sah wenig wirtschaftliche Impulse aus dem Abkommen – ausser der Möglichkeit, wieder Öl an andere Staaten verkaufen zu können.

Und jetzt wird vom Iran erwartet, dass er sich an den Atomvertrag hält, auch wenn die USA es nicht tun. Und es wird vom Iran erwartet, dass er seine Verbündeten im Nahen Osten nicht mehr unterstützt, obwohl keine Rede davon war, dass der Atomvertrag bedeute, dass die USA aufhören, ihrerseits Waffen an ihre Verbündeten Saudi-Arabien und Israel zu liefern.

Warum dieser Gedächtnisverlust und warum die Gehilfenschaft der Medien? Vielleicht, weil es schwierig ist, den Amerikanern zu sagen, dass ein Land voller wütender Männer mit schwarzen Turbanen und Bärten, die unsere Diplomaten gefangen genommen hatten und Bomben entwickelten, die unsere Soldaten töten, echte, legitime Gründe hat, wütend zu sein und Angst vor uns zu haben. Und vielleicht, weil es selbst für die Nahost-Kenner unter den amerikanischen Reportern schwierig ist, zu verhindern, dass diese unbewusste Verzerrung in die Arbeit einfliesst, insbesondere bei Schlagzeilen und der Auswahl von Fotos. Aufgewachsen im amerikanischen Exzeptionalismus, ist es eine schwer zu schluckende Pille, dass unsere Missetaten im Nahen Osten vielleicht keine Ausnahmen sind, sondern die Ausweitung amerikanischer Herrschaft.

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