Was der Streit mit Italiens Budget mit den Löhnen zu tun hat

Werner Vontobel (infosperber)

Lohnverhandlungen werden unter dem Diktat des Standortwettbewerbs geführt. Die Finanzmärkte diktieren die Verteilung der Einkommen.

Der Streit um Italiens Budget ist ein Musterbeispiel dafür, wie Lohnverhandlungen in einer globalisierten Welt geführt werden. Dabei stehen EU-Kommission und Medien voll auf der Seite des Kapitals bzw. der Arbeitgeber.

Blicken wir zurück: In den „goldenen 30 Jahren“ der Nachkriegszeit waren Lohnverhandlungen eine Angelegenheit von nationalem Interesse und deshalb sass neben den Gewerkschaften und den Arbeitgeberorganisationen als Vermittler auch der der Staat am Verhandlungstisch. Das gemeinsame Ziel aller war es, die nationalen Produktionskapazitäten mit nationaler Kaufkraft auszuschöpfen. Das Ergebnis war insgesamt beeindruckend: Annähernde Vollbeschäftigung, steigende Löhne auf breiter Front, eine rasche Verkürzung der Arbeitszeit von 48 auf 40 Wochenstunden und solid finanzierte Staatshaushalte.

Heute, im Zeitalter der Globalisierung, geht es zwar noch immer um die Auslastung der Kapazitäten bzw. um die Vermeidung von Arbeitslosigkeit, aber dieses Ziel soll neu durch die globale Wettbewerbsfähigkeit und nicht mehr durch nationale Kaufkraft erreicht werden. Man „weiss“, dass Jobs davon abhängen, wo „die Finanzmärkte“ investieren oder nicht. Und diese erinnern uns täglich daran, dass dies nicht bloss Theorie ist. Etwa wenn GM den Abbau von 15 Prozent ihrer Stellen ankündigt.

Die Kapitalmärkte als Preisrichter

Das hat die Lohnverhandlungen grundsätzlich verändert. Am Verhandlungstisch sitzen zwar immer noch die nationalen Arbeitgeber und die Arbeitnehmer, aber darüber schweben gleichsam als Preisrichter die Kapitalmärkte. Sie bewerten laufend die „Wettbewerbsfähigkeit“ von Ländern und Regionen. Ihr beliebtestes Kommunikationsmittel ist der Zins der Staatsanleihen bzw. die Abweichung der Zinssätze im Vergleich zu Deutschland (Spread). Auch sehr wirksam ist die Benotung oder das Rating der Rating-Agenturen. Mit diesen Signalen sagen sie den Kapitalmärkten, wo es sich zu investieren lohnt. Und lohnen tut es sich grundsätzlich dort, wo das Kapital den Verteilungskampf gegen die Arbeit gewinnt.

Italien wollte das Angebot an Arbeitskräften verringern

Wie das konkret funktioniert, zeigt sich aktuell etwa am Beispiel von Italien. Dort hat die Regierung zwei Posten ins Budget eingebaut, die für die Verteilung wichtig sind: Erstens das Reddito di Cittadinanza: Einkommen unter 780 Euro sollen auf diesen Betrag aufgestockt werden. Damit wird gleichsam eine Lohnuntergrenze fixiert. Zweitens sollen sich die Italiener früher pensionieren lassen können. Damit wird das Angebot an Arbeitskräften verringert. Dagegen laufen die Kapitalmärkte Sturm. Sie haben den Spread auf zeitweise 350 Punkte bzw. auf 3,5 Prozent erhöht und „Moodys“ hat die Bewertung oder das Rating von italienischen Staatsobligationen Ende Oktober auf das tiefe Niveau von Baa3 herabgestuft.

Jetzt scheint Italien zu Zugeständnissen bereit, die Mehrausgaben für das Reddito und die vorgezogene Rente im Umfang von 4 Milliarden Euro zu kürzen. Ein Teil dieser Ausgaben soll für „wachstumsfördernde“ Massnahmen „investiert“ werden. Damit sind Steuersenkungen oder Subventionen für Unternehmen gemeint, die Personal einstellen.

Die Repubblica hat ausgerechnet, wie sich diese Kürzungen konkret auswirken würden: Nach dem ursprünglichen Plan wäre das monatliche Einkommen einer 4-köpfigen Familie mit dem Reddito auf 1600 Euro aufgestockt worden. Jetzt reicht es maximal noch für 1400 Euro. Zudem soll der Anspruch darauf schon wegfallen, wenn man die zweite statt erst die dritte Job-Offerte ablehnt. Damit die Unternehmen die nötigen Jobs auch anbieten, sollen diese zudem um ein paar Milliarden steuerlich entlastet werden.

Die Logik des Standortwettbewerbs

Das entspricht voll der Logik des Standortwettbewerbs: Italien hält seine Arbeitskosten tief, macht sich damit bei den globalen Investoren beliebt und gibt noch ein milliardenschweres Zückerchen obendrauf. Der Kapitalmarkt hat sich denn auch prompt bedankt, indem er den Spread unter die Marke von 300 Punkten oder 3 Prozent gesenkt hat. Doch wenn wir diesen Deal aus der Logik der „goldenen 30 Jahre“ ansehen, wird schnell klar, dass Italien damit in der Hoffnung auf ein wenig mehr Export die ganze Binnennachfrage in den Mistkübel schmeisst.

Mit Vollbeschäftigung unvereinbar

Rechnen wir: Eine italienische Arbeitskraft produziert pro Stunde im Schnitt Waren und Dienstleistungen im Wert von 40 Euro. Um das herzustellen, was eine 4-köpfige Familie mit monatlich 1400 Euro konsumieren kann, reichen somit 35 Stunden Arbeit – pro Monat! Geteilt durch 2, wenn beide Eltern arbeiten. Da bleibt rechnerisch noch nicht einmal eine 5-Stundenwoche übrig. Nun bedeutet zwar der Deal mir der EU nicht, dass ab sofort alle 25 Millionen italienischen Haushalte nur noch 1400 Euro verdienen werden, aber man setzt damit eine Marke, die mit Vollbeschäftigung absolut unvereinbar ist.





Tiefere Unternehmenssteuern bringen wenig

Dass da auch tiefere Unternehmenssteuern nicht helfen, zeigt nicht nur der gesunde Menschenverstand, sondern auch die jüngste Geschichte. 2017 haben Italiens Unternehmen real rund 40 Milliarden Euro oder 40 Prozent weniger Steuern bezahlt als 2007. Doch weil dies den Staat zum sparen zwang, und weil auch die Löhne real sanken, fehlte die Nachfrage und damit auch jeder Anlass zum Investieren. Deshalb haben die Unternehmer ihre Investitionen in diesem Zeitraum um real rund 35 Milliarden oder 20 Prozent gesenkt. Kein Wunder haben sie 2017 einen Nettoüberschuss, also einen Nettogewinn nach Investitionen, Dividenden und Steuern von 71,4 Milliarden (!) erzielt. Dieses Jahr sollen es laut EU 64 Milliarden werden. Anders gesagt: In nur zwei Jahren haben Italiens Unternehmen (zusätzliche) Finanzguthaben im Umfang von 135 Milliarden Euro aufgebaut. Und wo jemand zusätzliche Guthaben aufbaut, macht zwangsläufig ein anderer zusätzliche Schulden.

Und hier beisst sich nun die Katze in den Schwanz. Die Nettoüberschüsse der Unternehmen (2500 Milliarden Euro seit 2009 allein in der Eurozone) plus die Nettoersparnisse der (reichen) ebenfalls rund 2500 Haushalte sind nämlich letztlich die Schulden der Staatshaushalte1 der Euro-Staaten und damit der Hebel, mit dem die Kapitalmärkte ihre Forderungen durchsetzen.

Diese Forderungen beziehen sich längst auch auf die Art und Weise, wie die nationalen Lohnverhandlungen durchgeführt werden, nämlich möglichst auf der Ebene der Betriebe. Dort können sie den (vorläufigen) Erhalt der Arbeitsplätze gegen tiefere Löhne und/oder längere Arbeitszeiten anbieten. Bei Arbeitslosenquoten von 10 Prozent oder mehr haben die, die noch einen Job haben, nicht wirklich die Wahl.

Kapital beansprucht einen stets grösseren Teil des BIP

Eigentlich muss man nicht lange überlegen, um zu begreifen, dass Lohnverhandlungen nach den Regeln des globalen Standortwettbewerbs in einem Teufelskreis enden. Eigentlich. Das Problem ist, dass der Mechanismus der Finanzmärkte die „Lohnforderungen“ des Kapitals nach einem grösseren Anteil am BIP wie ein Naturgesetz erscheinen lässt. Und die Medienschaffenden sind stolz darauf, diese Gesetze besser zu verstehen, als die „Populisten“, die immer noch glauben, das Schuldenproblem mit noch mehr Schulden lösen zu können.“

Stimmt, aber die Gesetze der Finanzlogik sagen auch, dass der Staat nur Schulden abbauen kann, wenn die Unternehmen zwar noch Gewinne, aber keine Netto-Überschüsse mehr erzielen und wenigstens einen Teil ihrer Investitionen mit Fremdkapital (d.h. mit Ersparnissen der Haushalte) finanzieren müssen. Dies wiederum setzt höhere Ausgaben, namentlich für Löhne und Steuern voraus, doch so tief sind die wenigsten Medienschaffenden in die Materie eingetaucht.

Politische Einlfussnahme der Nationalbanken

Kommt dazu, dass die Kapitalmärkte bzw. die von den Sparern beherrschten Institutionen wie etwa die Zentralbanken auch mit den Pfunden (Guthaben) der Sparer wuchern können. Die Banca d’Italia, Italiens Nationalbank, greift damit immer wieder ganz direkt in die politische Auseinandersetzung ein. So hat sie kürzlich in allen Zeitungen mit einer Studie Schlagzeilen gemacht, wonach die Regierung mit ihren Budgetplänen schon 145 Milliarden Euro „verbrannt“ habe. Begründung: Als Folge des steigenden Zinsniveaus ist der Marktwert der (bis zum Verfall noch tief verzinsten) gut 4000 Milliarden Ersparnisse der italienischen „Famiglie“ um 3,5 Prozent gesunken.

Man kann dies, wie die meisten Medien, als naturgesetzlichen Vorgang betrachten und die Regierung auffordern, in Anbetracht der angerichteten Schäden endlich „zur Vernunft zu kommen“. Richtiger wäre es, diesen Vorgang als Szene eines Verteilungskampfs zu schildern: Die „Famiglie“ erzwingen mit Hilfe der Kapitalmärkte höhere Zinsen auf ihren Guthaben und beschweren sich dann beim Staat darüber, dass derselbe Markt ihre Guthaben vorübergehend leicht entwertet. Gleichzeitig empören sie sich darüber, dass der Staat die hirnverbrannte Idee hat, 7 Milliarden mehr für die Armen auszugeben, wo er doch wegen dem höheren Zins 23 Milliarden Euro (pro Prozentpunkt Zins) mehr für die Sparer ausgeben muss. Dazu muss man wissen, dass die typische „famiglia“ (immer gemäss Banca d’Italia) ein Finanzvermögen von gerade mal 6000 Euro hat. Kein Wunder: Mit 1400 Euro im Monat kann man keine Ersparnisse bilden. Offenbar will die Banca d’Italia ihre eigenen Statistiken nicht zur Kenntnis nehmen.

Überschüsse von Konzernen und Reichen führen zu Schuldenbergen der Staaten

Es ist nicht zu übersehen: Seit die Kapitalmärkte als parteiische Schiedsrichter über allen Verhandlungstischen thronen, sitzen die Unternehmen an einem sehr langen Hebel. Sie verkaufen nicht mehr nur ihre Produkte, sondern versilbern auch ihre Jobs. Wie man damit Milliarden Subventionen scheffelt, hat jüngst Amazon (2,5 Mrd. Dollar Quartalsgewinn) mit der Standortwahl einer neuen Zentrale der ganzen Welt vor Augen geführt.

Was die Welt aber offenbar noch nicht begriffen hat, ist die Pointe, dass die riesigen Netto-Überschüsse des Unternehmenssektors und der reichen Privathaushalte einerseits und die Schuldenberge der Staaten andererseits bloss die zwei Seiten derselben Medaille sind. Die Staaten können ihre Schulden nur abbauen, wenn sie dafür sorgen, dass die Unternehmen mehr ausgeben und sich verschulden müssen.

Das ist leichter gesagt als getan und die Aufgabe wird noch schwerer, wenn Medien die Macht der Märkte weiterhin als Naturgesetz begreifen und solange die EU-Kommission ihre Aufgabe darin sieht, den Willen der Kapitalmärkte zu vollstrecken.

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