Warum eigentlich kein europäisches Großreich?

von Remo Haufe (cafeliberte)

Nicht selten schwärmen bekannte Politiker heute von der Idee der Vereinigten Staaten von Europa. Auch in Teilen der Bevölkerung erfreut sich diese Idee einiger Beliebtheit. Die Gründe für diesen Wunsch sind unterschiedlich. Während die einen darin die Lösung der Eurokrise erblicken, sehen sich die anderen als Internationalisten und empfinden Nationalstaaten als tradiert. Man reise ja schließlich durch ein Europa ohne Grenzen und fühle sich seinen Nachbarn in den umgebenden Ländern sehr verbunden. Zudem garantiere solch eine Entwicklung Frieden, da es ohne die einzelnen Staaten keinen Krieg mehr geben könnte.

Einen ernsthaften Widerspruch gegen diesen Zentralisierungsgedanken findet man selten. Das ist erstaunlich, da Meinungsumfragen immer wieder zeigen, wie sehr die Bevölkerungen an ihren Nationalstaaten hängen. Niemand will allerdings im Verdacht stehen ein Nationalist zu sein, weil er sich öffentlich gegen die scheinbar so fortschrittliche Idee des Superstaates äußert.

Und wer sonst könnte einen Widerspruch einlegen, wenn es darum geht Staaten zu verschmelzen?

Der Euro ist für die Befürworter der europäischen Einigung meistens Unverzichtbar für dieses große Projekt. In gewisser Weise ist dies sogar richtig, da die Politik im Zuge der Eurorettung die Zentralisierung auf EU-Ebene ohne größeren Widerstand weiter vorantreibt, als sie es ohne eine Krise tun könnte. Weil sich die monetären und fiskalischen Gegebenheiten der Eurozone jedoch immer weiter nach dem französischen Vorbild entwickeln und somit perverse Anreize bieten, die dem Eurosystem früher oder später den Todesstoß versetzen müssen, ist dies jedoch, vorsichtig ausgedrückt, nicht die fairste Zentralisierungsvariante mit Rücksicht auf die Bevölkerungen.

Jedoch ist dieser Todesstoß für viele kein feststehender Fakt. Die Idee der Vereinigten Staaten von Europa ist mächtiger als die wahrscheinliche ökonomische Entwicklung durch den Euro. Die Symbolkraft des Euro verleiht ihm die Legitimität weiterzuexistieren. Der Euro wird als Gegenargument zur europäischen Einigung nicht zugelassen.

Der Großteil der Argumentation für einen einheitlichen Bundesstaat geschieht emotional. Dies passiert auf unterschiedlichen Ebenen. Beispielsweise wurde nach den Olympischen Sommerspielen 2012 der Medaillenspiegel aller EU-Länder zusammengerechnet, um die Überlegenheit der vereinten Staaten gegenüber dem Rest der Welt zu demonstrieren. In welcher anderen Zeit man sportliche und kognitive Überlegenheit an der Herkunft ausmachen wollte, sei nur am Rande in Erinnerung gerufen.

Die etwas intelligenter anmutende Argumentation gegen die Nationalstaaten bezieht sich auf den Fakt, dass wir alle Menschen sind und die Nationalität in dieser Hinsicht keine Rolle spielt. Dies ist zweifellos richtig. Der Nationalstaat macht aus einem Menschen kein anderes Wesen. Bis auf einen verschwindend geringen Prozentsatz unverbesserlicher Rassisten wird dies auch niemand behaupten. Allerdings sind diese Menschen auch keine anderen Wesen, wenn sie ihr Leben in einem eigenen Nationalstaat anders organisieren wollen, als dies in einem europäischen Bundesstaat der Fall wäre. Die Argumentation führt sich also selbst ad absurdum.

Auch oft zu hören, ist dass sich ein einzelnes Land in der globalisierten Welt nicht mehr behaupten könne. Diese Argumentation suggeriert Hilflosigkeit kleiner Länder und schürt die Angst, dass man untergehen müsse, wenn man sich nicht zu einem Riesenstaat zusammenschlösse. Aus wirtschaftlicher Perspektive ist dies unsinnig, wie die Staaten Schweiz, Singapur und Norwegen  beweisen. Es ist beschämend zu sehen, dass nach vielen Jahrzehnten vermeintlichem Kapitalismus immer noch nicht verstanden wurde, dass Handel zwischen Menschen und nicht zwischen Staaten stattfindet.

Allerdings wird auch geopolitisch argumentiert. Während des Irakkriegs hat die EU beispielsweise nicht einen einheitlichen Beschluss gefasst. Doch war das wirklich schlecht? Retrospektiv betrachtet, war es wohl weiser, dass nicht alle EU-Staaten mit einem schlechten Vorwand das Leben unzähliger Menschen vernichtet, und den Irak großflächig mit Uranmunition nuklear verseucht haben.

Es wird insgesamt das Wesen des Staates grundlegend verkannt. Ludwig von Mises brachte es dabei bereits gut auf den Punkt:

“Der Staatsapparat ist ein Zwangs- und Unterdrückungsapparat. Das Wesen der Staatstätigkeit ist, Menschen durch Gewaltanwendung oder Gewaltandrohung zu zwingen, sich anders zu verhalten, als sie sich aus freiem Antriebe verhalten würden.”

Durchdenkt man das Staatsprinzip, ist es nicht möglich zu einem anderen Schluss zu kommen. Zwar ist es möglich auch nur die vermeintlich positiven Seiten des Staats aufzuzeigen, jedoch bleiben die beschriebenen negativen Seiten immer bestehen. Aus der Natur des Staates heraus, ergibt sich daher die Schlussfolgerung, die Staatstätigkeit auf ein Minimum zu reduzieren, damit die Menschen frei und ungezwungen miteinander leben können.

Um dieses Ziel zu erreichen bedarf es vieler kleiner Staaten. Weist ein Staat zu hohe Steuern, diskriminierende Gesetze oder totalitäre Tendenzen auf, ist es den dort lebenden Menschen möglich, in ein Nachbarland auszuwandern. Auf jedem Staat lastet also der Druck, seinen Bürgern möglichst viel Freiraum zu lassen. Am größten ist der Druck, wenn es diese Konkurrenz in einem Sprachraum gibt. Mit zunehmender Heterogenität dieser konkurrierenden Staaten wird der Druck geringer. Wenn der Bürger der Vereinigten Staaten von Europa für ein anderes System also nach Asien auswandern müsste, wo es völlig andere Sprachen und Buchstaben gibt, wird die Hemmschwelle wesentlich größer sein.

Der Staat kann den Bürger also mehr gängeln als zuvor. Auch die Umverteilungstendenz zwischen den kleineren Einheiten (z.B. Bundesländer) des zentralisierten Riesenstaats setzt falsche Anreize. In einer kleinen Einheit mit Haushaltsüberschuss kann per Volksabstimmung über deren Verwendung bestimmt werden. Dies wäre ein urdemokratischer Akt und das Mindeste, was im Falle einer Enteignung durch Steuern passieren sollte. Fließt allerdings ein Großteil des Geldes erst an die zentrale Verwaltung des übergeordneten Staates, entscheidet diese Instanz über das Geld.

Die Menschen, die dieses Geld erwirtschaftet haben, haben nicht mehr Entscheidungsbefugnis über dessen Verwendung als die Bürger anderer Staatseinheiten. Es kann nun passieren, dass mehr Einheiten ein Haushaltsdefizit haben als einen -überschuss. Wenn in so einem Fall Mehrheitswahlrechte über die Mittelverwendung bestehen, dann werden die verschuldeten Einheiten so abstimmen, dass sie die Mittel der reicheren Einheiten für sich einstreichen. Der Anreiz einen Überschuss zu erwirtschaften wird sinken.

Ein großer Zentralstaat ist zudem der Traum eines jeden Lobbyisten. Während es in der momentanen EU noch recht beschwerlich ist, bei 27 Regierungen zu versuchen Vorteile für sich rauszuschlagen, ist der Aufwand bei einer Regierung wesentlich reduzierter. Auch die schädlichen Auswirkungen des Lobbyismus werden kaschiert, weil ein direkter Vergleich zum Nachbarland nun nicht mehr möglich ist.

Bei näherer Betrachtung fällt auch das Friedensargument. Zugegebenermaßen wird eine Zentralstaatseinheit einer anderen nur im unwahrscheinlichsten Falle offiziell Krieg erklären. Das staatliche Zwangskorsett hier allerdings zum Mittel ewigen Friedens zu erklären, ist weit verfehlt.

Während heute ein Krieg gegen Frankreich nicht vorstellbar ist, ist es auch einer gegen die Schweiz nicht – trotz fehlender EU-Mitgliedschaft. Die wichtigste Voraussetzung für einen friedlichen Umgang zwischen zwei Staaten ist die Meinung der jeweiligen Bevölkerungen übereinander. Für ein positives Meinungsbild sorgen dabei Handel, Tourismus und internationaler Meinungsaustausch. Im Gegensatz dazu ist ein Zentralstaat sogar kriegsfördernd, wenn sich Bevölkerungsteile von der Zentralstelle ungerecht behandelt fühlen.

Kommt es infolgedessen zu Sezessionsbewegungen, hat der an Machterhalt interessierte Zentralstaat ein Interesse dies zu verhindern. Hier liegt das fortwährende Konfliktpotential, das zur militärischen Eskalation ausarten kann. Während in einem Krieg zwischen zwei Ländern jedoch die Gefahr besteht der gegnerischen Armee zu unterliegen, besteht dieses Risiko beim Kampf einer Armee gegen die nicht oder nur schlecht bewaffnete Bevölkerung nicht. Der Einsatz der Armee wird kostengünstiger und attraktiver.

Die zentralstaatliche Arroganz gibt also vor, das beste Lebensmodell für alle Menschen gefunden zu haben. Will ein Bevölkerungsteil für sich ein anderes Politiksystem finden, wird sie vom Zentralstaat daran gehindert. Im schlimmsten Fall geschieht dies mit Gewalt. Vom Friedensgedanken bleibt genauso wenig übrig wie vom Freiheitsgedanken. Der Zentralstaat zerstört Vielfalt und entfacht Streit zwischen Bevölkerungsgruppen, sobald Gelder umverteilt werden.

Im Zuge der lauter werdenden Forderungen nach den Vereinigten Staaten von Europa ist es nötiger denn je, auf die freiheitsfeindliche Tendenz großer zentralistischer Staaten hinzuweisen. Es bleibt zu hoffen, dass das Auseinanderbrechen des Euro uns diese Zukunft erspart.

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