Warum die europäischen Staats- und Regierungschefs das Endstadium der Trauer durchleben, nachdem ihre Ukraine-Politik als tot bestätigt wurde

Ian Proud (antikrieg)

Wenn Außenpolitik menschlich ist, dann hat der Krieg in der Ukraine das verlorene Kind von Biden und vielen europäischen Staats- und Regierungschefs getötet und hinterlässt sie in Trauer. Der Beweis dafür war das Scheitern der ukrainischen Gegenoffensive im Sommer 2023. Achtzehn Monate später sind Zelensky und die europäischen Staats- und Regierungschefs immer noch nicht in der Lage, aus dem Teufelskreis der Trauer auszubrechen. Trump ist ungewollt zu ihrem Therapeuten geworden.

Ein Verlust ist verheerend. Als meine Mutter 2008 an Krebs starb, war das der schlimmste Tag meines Lebens. Hunderttausende von Menschen in Russland und der Ukraine mussten in diesem sinnlosen Krieg vorzeitig mit der Trauer um viel jüngere Verwandte und in vielen unverzeihlichen Fällen um Kinder fertig werden.

An sie scheint kaum jemand zu denken, wenn die polierten Limousinen auf den roten Teppichen in Brüssel und anderswo vorfahren und unsere gewandeten Staatsoberhäupter die Köpfe darüber schütteln, wie furchtbar das alles ist.

Doch von der Leyen, Scholz, Macron und die zahllosen britischen Premierminister seit Ausbruch des Krieges haben ihre eigene Form der Trauer erlebt, die durch das von Biden inspirierte Missgeschick in der Ukraine verursacht wurde. Das erklärt ihre Unfähigkeit, sich von einer leblosen Außenpolitik zu lösen.

Ihr totes Geistesprodukt, der Glaube, dass eine kleinere, wirtschaftlich schwache, konventionell bewaffnete Ukraine ein viel größeres, wirtschaftlich robustes und nuklear bewaffnetes Russland besiegen könnte.

Dieser Glaube wurde durch milliardenschwere Finanzspritzen aus Amerika, Albion, Europa und anderen Ländern gestärkt. Denn schließlich ist der kollektive Westen wirtschaftlich um ein Vielfaches stärker als das einsame Russland? Unser Geld war wie das beste Kevlar, so dachten wir zumindest.

Doch dann stellte sich heraus, dass Kriege von Menschen gewonnen werden, nicht von Hirngespinsten. Meistens Männer, aber auch Frauen, die Gewehre in der Hand hielten und andere Menschen töteten, denen sie noch nie zuvor begegnet waren.

Im Sommer 2023, nach dem großartigen Erfolg der ukrainischen Armee in der zweiten Hälfte des Jahres 2022, waren die Hoffnungen auf einen durchschlagenden ukrainischen Durchbruch groß. Die Hoffnungen waren so groß, dass die Presse schon vor dem ersten Anpfiff der Truppen, die sich am 4. Juni dem Kugelhagel entgegenstellen sollten, jubelte.

Doch uns war klar, dass die Ukraine nicht genug Leute oder Waffen hatte, um zu gewinnen. Die Geheimdienstinformationen sagten uns, dass dem so war. Und da wir nicht wollten, dass unsere Kinder aus dem Westen in diesem Kampf sterben, war es eben so. Die Kugel des Realismus tötete unser Geisteskind, obwohl Hunderttausende von Menschen in einem Krieg starben oder verletzt wurden, der noch weitere achtzehn Monate andauerte.

In meiner diplomatischen Laufbahn war ich auf die eine oder andere Weise an der Reaktion auf Massenunfälle in der ganzen Welt beteiligt, darunter 911, das erste Bombenattentat auf Bali, der Tsunami im Indischen Ozean und Fukushima. Ich habe also viele trauernde Angehörige kennengelernt. Und obwohl ich ihre Gefühle nie mit denen von abgehobenen Politikern vergleichen würde, weist ihr Trauerzyklus einige Ähnlichkeiten auf.

Da ist zunächst der Schock und die Leugnung. In der Phase der Trauerverleugnung kämpfen wir bewusst oder unbewusst darum, den Verlust anzuerkennen, um uns vor dem Schmerz zu schützen.

Zehn Tage nach der ukrainischen Gegenoffensive, nachdem Präsident Putin verkündet hatte, dass sie sich als Katastrophe für die Ukraine erwiesen habe, trat die westliche Presse auf den Plan, um zu leugnen, dass dies wahr sei. Dieser Artikel der BBC ist ein klassisches Beispiel für Leugnungsjournalismus.

Jewgeni Prigoschins wilder Versuch, am 23. und 4. Juni 2023 einen Staatsstreich in Russland zu veranstalten, verstärkte das Gefühl der Presse, dass Russland auseinanderfällt und dass Nachrichten über ukrainische Misserfolge auf dem Schlachtfeld zwangsläufig falsch sein müssen.

Das Institute for the Study of War gab am 1. Juli bekannt, dass es sich bei den Versuchen, Russlands erfolgreiche Verteidigung hochzuspielen, um eine Informationsoperation handelte. Sowohl General Mark Milley als auch Antony Blinken versicherten uns, dass die Gegenoffensive noch Monate laufen würde.

Zelensky schimpfte, die westlichen Staaten müssten die Waffenlieferungen beschleunigen. Biden ordnete die Lieferung von Streumunition an. Dänemark und die Niederlande erklärten sich bereit, F16 zu liefern.

Die Leugnung war in vollem Gange.

Doch dann kam die Wut. Am 1. November räumte der Chef der ukrainischen Armee, Valerii Zaluzhnyi, in einem Interview mit dem Economist ein, dass die Lage an der Front in eine „Sackgasse“ geraten sei. Es folgten weit verbreitete Schuldzuweisungen. Die ukrainischen Truppen seien zu unerfahren, das ukrainische Militär verfüge nicht über ausreichende Feuerkraft. Als Zelensky schließlich das Scheitern der Gegenoffensive einräumte, machte er die Aufmerksamkeit des Westens für den Gazastreifen verantwortlich, nachdem die Hamas einen Anschlag verübt hatten und die israelische Armee daraufhin Tausende Unschuldige getötet hatte.

Wenn der Westen nur nicht so flatterhaft wäre, so Zelensky, hätte er genug Waffen haben müssen, um zu gewinnen. Jetzt sei nicht die Zeit zu verhandeln, sagte er uns.

Und dann begann 2024 das Feilschen, bei dem Zelensky, Biden, Von der Leyen, der damalige britische Premierminister und neue Figuren wie Kaja Kallas darum rangen, zu akzeptieren, dass ihre Politik wirklich gestorben war und die Grenzen ihrer Kontrolle erreicht waren.

In dieser Zeit fiel Avdiivka nach einem brutalen und blutigen Bombardement, und die russische Armee bahnte sich langsam und unerbittlich ihren Weg durch den Donbas nach Westen. Es war die Zeit der Friedensgipfel, zu denen Russland nicht eingeladen wurde, da jeder Dialog zur Beendigung des Krieges eine erschreckende Abrechnung mit der Realität erfordern würde. In der Tat wurde der Dialog verboten. Es wurden immer stärkere Waffen eingesetzt, und die Staats- und Regierungschefs gaben vor, Verhandlungen führen zu wollen, um die Position der Ukraine zu stärken, während die Ukraine weiter an Territorium verlor.

Und dann die Konfrontation mit dem Tod. Das Telefonat von Präsident Trump mit Präsident Putin am 12. Januar und die anschließenden Friedensgespräche in Saudi-Arabien zogen schließlich das weiße Leichentuch über die Leiche von Bidens Politik und erklärten sie für tot. Dies hat die europäischen Staats- und Regierungschefs deprimiert und nachtragend gemacht – die vorletzte Phase der Trauer.

Diese Phase der Depression und der Schuldzuweisungen wird so lange andauern, bis die Schießerei aufhört und die Waffenstillstandslinie in der Ukraine endlich und gnädig gezogen wird. Erst dann werden die westlichen Staats- und Regierungschefs endlich akzeptieren, dass ihre Politik von einer Kugel namens Realismus durchschossen wurde, und weitermachen. Und vielleicht erkennen, dass Präsident Trump ihnen die Therapie angeboten hat, die sie brauchten.

Die gute Nachricht ist, dass wir uns anscheinend der letzten Phase des Zyklus nähern.

erschienen am 21. Februar 2025 auf > Strategic Culture Foundation > Artikel

Ian Proud war von 1999 bis 2023 Mitglied des britischen diplomatischen Dienstes. Von Juli 2014 bis Februar 2019 war er an der britischen Botschaft in Moskau tätig. Ian Proud war außerdem Direktor der Diplomatischen Akademie für Osteuropa und Zentralasien und stellvertretender Vorsitzender des Vorstands der Anglo-American School of Moscow.

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1 Kommentar

  1. In den USA kämpfen zwei Cliquen miteinander, die kosmopolitische, vertreten durch die Demokraten, und die nationalistische, vertreten durch Trump und die meisten Republikaner. Macron vertritt die EU und damit die kosmopolitische Clique und versucht doch noch einen Gesichtsverlust seiner Clique zu vermeiden, indem er von Trump die Unterstützung für die Stationierung europäischer „Friedens“-truppen erreicht. Denn nur dann ist die Niederlage der kosmopolitischen Clique nicht komplett, wenn der Krieg wenigstens nur eingefroren wird. Auf dieser Basis kann dann irgendwann der Krieg erneut beginnen. Trump hat nichts dagegen, wenn nur die Europäer „Friedens“-truppen stationieren, schließt jedoch amerikanische aus, weil ihm wohl schwant, daß dieses Angebot Macrons und des perfiden Albion nicht ganz ehrlich gemeint ist. Letztere beiden haben jedoch die Rechnung ohne den Wirt namens Putin gemacht, der nicht bereit sein wird, Frieden zu schließen, ohne daß die Krim und die 4 Donez-Provinzen als Teil Rußlands akzeptiert werden und die Restukraine wohl als Staats existieren kann, aber ansonsten neutral. Seleskij und seine Cliquenfreunde haben absolut illusorische Hoffnungen, genauso wie der Falschspieler in Ankara, der die Krim Rußland wegnehmen will, nur wegen der paar muslimischen Krimtataren. Die Russen werden NIEMALS die Krim noch einmal an Selenskij und seine Cliquenfreunde herausgeben, weil dort ihr Kriegshafen ist und sie für die Krim gegen die Türken und das perfide Albion schon unendlich viel Blut vergossen haben! Dazu der Reisebericht von Heinrich Brugsch 1884:
    https://www.booklooker.de/B%C3%BCcher/Brugsch+Im-Lande-der-Sonne-Wanderungen-in-Persien/id/A02vQEWM01ZZ8

    Brugsch, Heinrich, Im Lande der Sonne, Wanderungen in Persien, 1886, S. 11-12

    „Die einst blühende Stadt Sewastopol zeigt sich gegenwärtig in Gestalt gewaltiger Trümmerhaufen, wie sie in düsterer Großartigkeit die menschliche Einbildung kaum träumen dürfte. In der Tiefe des schönsten aller Kriegshäfen zogen sich einst auf welligem Hügelboden gepflasterte Straßen und Plätze hin mit ihren bewohnten Häusern, öffentlichen Gebäuden und Kirchen, die gegenwärtig als Ruinen in die leere Luft starren. Von dem höchsten Punkte aus, da, wo der dunkle massige Bau eines zerstörten Gotteshauses im Stil der Pariser Madeleine in trauriger Einsamkeit zum Himmel wie ein stummer Ankläger aufblickt, öffnet sich eine weite Aussicht über die herrliche Bucht und die grünen Hügelketten, welche sie scherenförmig umarmen. Zur Rechten erheben sich in der Ferne, die darunter liegende Gegend beherrschend, die zerschossenen Reste des historisch gewordenen Malakoff. Näher an dem Hafen steigen die Mauern der von den Kugeln durchlöcherten und ausgebrannten Kaserne, in welcher einst 36.000 russische Marinesoldaten ihr Quartier aufgeschlagen hatten, mit ihrer dreifachen Reihe von je fünfzig hohlen Fensteröffnungen an den vier Seiten des umfangreichen Gebäudes himmelwärts. Die Befestigung zu ihren Füßen ein lang ausgedehntes Werk, trägt noch heute an den Ecken den in Riesenbuchstaben weiß auf grauem Grunde, die Lettern 80, welche aus weiter Ferne sichtbar dem Beschauer entgegenleuchten. Wie ein schwarzes Gespenst erhebt sieh davor die Statue des tapferen Verteidigers von Sewastopol, des Generals Lazaroff. Der dankbare Kaiser hat ihm dies Denkmal in Bronzeguß zur Erinnerung an seinen Mut und seine Ausdauer an dieser Stelle seiner ruhmreichen Taten gesetzt. Sein Blick ist nach dem Hafen gerichtet, in welchem gegenwärtig der Bau russischer Kriegsschiffe in den Docks mit allem Eifer in Angriff genommen worden ist. Gegenüber, an dem in sanften Wellenlinien zur blauen Bucht niedersteigendem Hügellande, ragt eine weißlich schmmernde Pyramide mit einem Kreuze auf der Spitze über ein weitausgedehntes Buschwerk hinweg. Sie bezeichnet die Stelle, an welcher einhundert Tausend Krieger, der Feind neben den Freund gebettet, Schmerz und Leid ihrer letzten Stunden im Todesschlafe auf dem Schlachtfelde von Inkerman vergessen.“

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