Wann fällt der erste Teller?

Aktueller Pranger von Michael Winkler

Wie weit sind wir? (13.10.2010)

Wir warten und warten, und nichts geschieht. Ich werde mittlerweile von Leuten, die meine Thesen seit Jahren kennen, gefragt, ob ich nicht daneben liege, ob sich die heutigen Verhältnisse nicht in alle Zukunft fortsetzen. Da kann ich nur antworten: Wir sind auf dem besten Weg, daß alles eintrifft. Ich benutze gerne das Bild der Jongleure, die Teller auf einer Stange tanzen lassen, erst einen, dann mehr und mehr. Schließlich wird der Punkt erreicht, an dem der Jongleur keinen weiteren Teller mehr auf eine Stange setzen kann, weil er nur noch hin und her springt, um einen vom Fall bedrohten Teller oben zu halten. Menschliche Konzentration und menschliche Ausdauer sind begrenzt, der Punkt, an dem der Artist zu langsam wird, naht unausweichlich. Die Teller fallen, gehen in Scherben oder werden aufgefangen. Die Vorführung ist beendet.

Wir sind an dem Punkt angelangt, an dem die Teller bedenklich wackeln. Vor einem halben Jahr schienen wir auf eine Währungsreform zuzusteuern, der Staatsbankrott Griechenlands stand unmittelbar bevor. Diese „Teller“ wurden wieder stabilisiert. Aktuell ist es der Goldpreis, der ein Hoch nach dem anderen markiert, zwar nur in Dollar, weil der Euro gerade ein Hoch erlebt, doch die Finanzmärkte sind allesamt instabil. Der Goldpreis ist eine Fieberkurve, allerdings diejenige eines Patienten im Krankenhaus, der mit fiebersenkenden Medikamenten behandelt wird. Um 700 Dollar haben die Ärzte gekämpft, um 900 Dollar, um 1.000 Dollar, um 1.200 Dollar – jetzt stehen wir bei 1.350 Dollar. Anders als beim Fieber gibt es keinen feststehenden Todespunkt, selbst 1.500 Dollar wird der Patient noch überleben. Der Teller fällt, wenn alle „Medikamente“ versagen, wenn die Goldpreisdrückung zusammenbricht. Dann werden wir einen Raketenstart erleben, einen senkrechten Anstieg.

Wie instabil sind die anderen Marktbereiche? Die Insider, die Manager der Aktiengesellschaften, verkaufen ihre Aktien, die Anteile an den eigenen Firmen. Die am besten informierten Aktionäre suchen demnach Dumme, die ihnen die Aktien abkaufen – und noch finden sie genug davon, denn die Aktienkurse sind noch immer hoch. Die Frage ist nicht, ob dieser Teller zu wackeln beginnt, sondern nur noch wann. Das kann jeden Augenblick beginnen, schon diesen Monat.

Das Gegenstück zum Aktienmarkt ist der Anleihe- oder auf Denglisch Bond-Markt. Das Maß aller Dinge auf diesem Markt sind die Staatsanleihen, die Bundeswertpapiere, für die inzwischen eine Schildkröte wirbt. Der Staat ist der Beste aller Schuldner, sagt uns dieses Tierchen mit dem schweren Panzer und dem kleinen Hirn. Der Staat ist der gemeinste und bösartigste aller Schuldner, sagt uns die Geschichte. Deutschland hat seine Sparer 1923 und 1948 ausgeplündert, dafür haben ausländische Schuldner bis zum 3. Oktober 2010 Reparationen aus dem 1. Weltkrieg bezahlt bekommen.

Die Zinsen auf Staatspapiere sind niedrig, zwei bis drei Prozent, selbst für zehn Jahre laufende Bundeswertpapiere gibt es kaum mehr als das, was zu Zeiten von Finanzminister Strauß bei Sparbüchern bezahlt wurde. Ich greife auf die Zeit von 1966 bis 69 zurück, weil das die letzte Phase mit soliden Staatsfinanzen gewesen war. Nach dieser großen Koalition wurden die Staatsschulden in die Höhe getrieben, war jeder Kanzler ein Geldverschwender. Selbst Helmut Schmidt, der immer als mit allen hanseatischen Tugenden dargestellt wird, hat eine verheerende Bilanz hinterlassen: die höchste offizielle Inflationsrate und eine höhere Arbeitslosenquote als heute.

Die Europäische Zentralbank hält die Zinsen auf einem unvergleichlich niedrigen Niveau, wobei sich dieses „unvergleichlich“ auf den Zeithorizont bezieht, denn alle Zentralbanken der Welt bieten extreme Niedrigzinsen. Bei der Federal Reserve Bank, der privaten Notenbank der USA, bekommen Sie Geld für 0% bis 0,25% Zinsen geliehen. Das heißt, Sie als Person nicht, sondern Banken. Leihen zu einem Viertelprozent, um das Geld anschließend dem Staat zu leihen, für 2¼ Prozent – das ist doch ein sicheres Geschäft, oder?

Jetzt rechnen wir mal ein wenig. Stellen Sie sich einen Staat vor, der 1.800 Milliarden Euro Schulden hat – Merkel-Deutschland wird bald soweit sein. Dieser Staat soll in der glücklichen Lage sein, auf seine Schulden nur diese 2¼ Prozent Zinsen zu zahlen. Bemühen Sie Ihren Taschenrechner nicht, das Ergebnis sind 40,5 Milliarden Euro Zinsen pro Jahr. Bei der Zinshöhe zu Zeiten von Helmut Schmidt wären es übrigens mehr als 100 Milliarden gewesen.

Persönlich dürfen Sie gerne an den lieben Gott glauben, nur hält sich der Schöpfer des Universums im irdischen Geschehen mit einer wahren Engelsgeduld zurück. Sie sollten also nicht davon ausgehen, daß die Zinsen dank der Gnade Gottes so niedrig sind. Die Zinsen sind so niedrig, weil höhere Zinsen den „Teller“ zu Fall bringen, also entweder zum Staatsbankrott oder zur Hyperinflation führen. Die kleinhirnige Schildkröte spielt in Wirklichkeit Roulette – allerdings die russische Variante. Niedrige Zinsen bei Gefahr eines Totalverlusts – da kann man nur gute Nacht wünschen, und solange Sie nichts wissen, dürfen Sie als Kreditgeber für den Staat ruhig schlafen.

Wie sieht es mit den Versorgungsmängeln aus? Die Regale sind voll, die Käufer in einem wahren Kaufrausch und die Politik erzählt uns von einem merkelhaften Wirtschaftswunder. Auf der anderen Seite beziehen Millionen Menschen Hartz IV, viel mehr Menschen, als in der Arbeitslosenstatistik geführt werden. Menschen, die demnächst fünf Euro mehr im Monat bekommen sollen, Menschen, die nur begrenzt Geld hinzuverdienen dürfen. In den USA ist man schon weiter, 50 Millionen Amerikaner leben von Lebensmittelmarken, also von staatlicher Wohlfahrt. Entlassungswellen stehen nicht auf Seite Eins, die erscheinen als kleine Absätze im Wirtschaftsteil. Oh, die Regale sind voll, aber durchaus nicht für jeden.

Die sozialen Spannungen nehmen in ganz Europa zu. Sarrazin ist ein Ventil, ein Eingeständnis der Obrigkeit, daß wir eben keine friedliche multikulturelle Gemeinschaft bilden, sondern zu Wirten und Parasiten geworden sind. Wenn Springer und Bertelsmann ein Buch verlegen, bewerben und in Massen und die Leute bringen, dann steckt dahinter Absicht. Dieser „Teller“ wird gerade aufgegeben, die geschätzten und privilegierten Zuwanderer erleben, wie gerade ein feindseliges Umfeld entsteht. Noch gibt es die Gutmenschen-Richter, die jugendliche Gewalttäter mit Migrationshintergrund zum Boxtraining schicken, noch gilt vor deutschen Gerichten Sozialbetrug als läßliche kulturelle Eigenheit. Der Druck von der Straße, der Meinungsdruck der Menschen wächst jedoch unaufhörlich.

In Stuttgart erleben wir einen Vorgeschmack auf Phase 5, einen Staat, bei dem Betonköpfe die Führung innehaben, der unerbittlich seine Interessen und seine Beschlüsse durchsetzt. Dies ist keine Regierung durch das Volk und für das Volk mehr, hier werden fünfzehn Jahre alte Beschlüsse und Planungen durchgeboxt. Hier wird Macht demonstriert, zum Nutzen einer Bande von Immobilienhaien, die von der Bahn Flächen in der Innenstadt übernehmen wollen. Auf der anderen Seite stehen keine Chaoten, nicht mal aufgehetzte Studenten, sondern die Einwohner des Landes, von Schulkindern bis zu Rentnern, auf die eine entfesselte Staatsmacht losgelassen wird. Hier wackelt der soziale Frieden, hier gibt es eine leise Ahnung eines zukünftigen Bürgerkriegs.

Sogar die deutsche Parteienlandschaft besteht aus tanzenden und absturzgefährdeten Tellern. 1998 übernahm eine kraftstrotzende SPD die Regierung, von der nicht mehr viel übrig ist. Der Verschleiß an Vorsitzenden in dieser Partei ist geradezu legendär, kaum hat man sich an einen Namen gewöhnt, ist der Namensträger schon wieder abserviert oder vergrault. Profilierte Leute für die Regierungsarbeit sind bei ihr genauso wenig zu sehen, wie in den anderen Parteien. Die CDU hat Merkel und sonst nichts mehr, kein Programm, keine Ideen und keine Leute. Und keinen Erfolg, Merkel ist geradezu eine Garantie, Landtagswahlen zu verlieren. Die CSU hat Seehofer und keine Regierungsmehrheit mehr, und sie hat Guttenberg, der gerade die Überreste der Bundeswehr auflöst.

Die FDP ist weltmeisterlich, aber nur wenn es um Selbstdemontage geht. Mit Westerwelle an der Spitze wurde diese Partei erst groß und jetzt zur Splittergruppe, weil Spaß-Guido zwar versprochen, aber nichts gehalten hat. Die Linke übt sich mittlerweile in innerparteilichen Grabenkämpfen, Ost gegen West, Nord gegen Süd, Arbeitslose gegen Porschefahrer, SED gegen WASG. Im Zweifelsfall spricht Gregor Gysi, wie vor fünf Jahren, wie vor zehn Jahren, wie vor zwanzig Jahren. Bleiben die Grünen als Partei im Aufwind, mit wachsenden Umfragewerten und Mitgliederzahlen. Nur, leider, ist Grün eine Partei, die ihre Zukunft bereits hinter sich hat. Das Waldsterben ist nicht eingetreten, der vom Menschen gemachte Klimawandel wurde als Schwindel entlarvt, bleiben nur noch das Dosenpfand und die Atomkraft. Die Grünen werden von Leuten gewählt, die sich eine bessere Welt erhoffen, indem sie die Probleme der real existierenden Welt verdrängen. Grün wählen Gutverdiener und Beamte, wählen Leute, die etwas zu verlieren haben. Grün ist heute konservativ, Themen von gestern, Parolen von vorgestern und Personal, das nicht verstanden hat, was heute gebraucht wird.

International steht es ebenfalls nicht zum Besten. Nichts ist geregelt, der Krieg im Irak wurde nur privatisiert. Der Krieg in Afghanistan ist verloren, die Nachschubwege sind nicht zu schützen. Die Amerikaner wollen ein Vietnam nach dem anderen, ihre Kriege sind nicht mehr zu gewinnen. Ohne Nachschub wird eine Besatzerarmee zur belagerten Truppe, die dabei ist, ausgehungert zu werden. Selbst wenn die Amerikaner die Transportkapazität für eine Versorgung aus der Luft hätten – die bankrotte USA kann das nicht mehr bezahlen.

Steht auf einem der tanzenden Teller das Wort „Iran“? Natürlich, gerade mit diesem Teller verbinden sich besondere Hoffnungen. Nichts ist entschärft, nichts ist bereinigt. Die Vorbereitungen für den Krieg dauern an, sobald am 2. November die Wahlen in den USA vorüber sind, wird es wieder gefährlich. Israel fühlt sich bedroht…

Die westlichen Nationen bedrängen das „Entwicklungsland“ China, seine Währung aufzuwerten. Sie tun das nicht aus einer Position der Stärke, sondern als Bittsteller bei einer aufsteigenden Supermacht. Zweieinhalb Billionen Dollar im Sparschwein sorgen für Macht und Einfluß. Die Chinesen wissen ihre Macht zu nutzen, denn sie geben ihre Dollar aus. Die Chinesen kaufen, und sie manipulieren. Das Zwischenhoch des Euro ist ein Ergebnis des Spiels hinter den Kulissen – des chinesischen Spiels! Und wenn der Chef geärgert wird, wird der Chef sich wehren.

Doch China ist nicht so mächtig, wie es dargestellt wird. Die Chinesen haben ebenfalls eine Immobilienblase herangezüchtet, und sollten sie ihre Macht ausspielen, werden sie diese Macht verlieren. Wenn die Dollarbombe eingesetzt wird, verlieren alle Dollars an Wert, auch die im chinesischen Sparschwein. Die Chinesen sind auf eine funktionierende Weltwirtschaft angewiesen, wenn sie diese ruinieren, wird das auf China zurückschlagen.

Die Teller tanzen, noch sind sie alle oben, auf den Stangen. Der Jongleur eilt immer heftiger hin und her, um die Teller oben zu halten. Wir, das Publikum, beobachten fasziniert die Teller, doch schauen wir auf den Jongleur, sehen wir Schweißperlen, stellen wir fest, wie heftig er atmet. Seine Kraft, seine Ausdauer wird nicht mehr lange anhalten. Die Teller werden nicht mehr lange oben bleiben.

Ja, es wird eine einzige Sekunde sein, in der ein Teller, der allererste Teller von der Stange stürzt und am Boden zerschellt. Die Nachkriegsordnung besteht seit 65 Jahren, sie löst sich nicht binnen Wochen in Wohlgefallen auf. Es wird ein einziger Tag sein, an dem die Wende eintritt, ein Tag der Offenbarung. Danach bricht leider nicht das Paradies an, sondern Heulen und Zähneklappern. Die heutigen Zustände sind schwer zu ertragen, und es wird schlimmer werden, wenn diese Teller abstürzen. Es ist wie bei einem Kranken, der Schmerzen hat. Am Tag vor der Operation geht es ihm besser als am Tag nach der Operation – erst in ein bis zwei Wochen wird es ihm endlich gut gehen.

Wir sind weit vorangeschritten, sehr weit. Der Jongleur darf das Publikum nicht langweilen, er ist nur eine Attraktion unter vielen in der Vorstellung, er bekommt fünf, vielleicht zehn Minuten, um seinen Scherbenhaufen zu produzieren. Die Vorstellung, der wir beiwohnen, nennt sich Geschichte. Die Nummer mit den Tellern ist kurz, verglichen mit der ganzen Vorstellung, und doch dauert sie Jahrzehnte. Die Teller werden fallen, und das bald. Nur ist „bald“ relativ, es sind Monate, vielleicht sogar Jahre. Aber ebenso gut können es nur noch Wochen sein, bis zum Krieg im Iran oder bis zum Wiederaufflackern der Finanzkrise.

Wir haben gerade eine Phase guten Wetters. Niemand beschwert sich über den „goldenen Oktober“, auch wenn jeder ganz sicher weiß, daß der nächste Winter unmittelbar bevorsteht. Genießen Sie das gute Wetter, der Schnee fällt früh genug. Und handeln Sie wie Bauern oder Winzer, die diese guten Tage nützen, um die letzte Ernte einzubringen, die Vorräte für den Winter.

© Michael Winkler

 

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