Wahlnachlese

In Thüringen und Brandenburg wurde gewählt, und alles bleibt beim alten, zumindest auf den ersten Blick. Es mögen sich Koalitionen oder gar Regierungschefs ändern, aber das heißt nicht viel. Ob Brandenburg rot-rot oder rot-schwarz regiert wird, ist ebenso gleichgültig, wie ein möglicher Wechsel in Thüringen von schwarz-rot auf rot-rot-grün.

Die Parteien und ihre Programme sind einander zu ähnlich geworden, einer der Gründe, warum auch in Ostdeutschland, wo man vor 25 Jahren um die Demokratie gerungen hat, nur noch die Hälfte der Bürger zum Wählen geht.

Was Landespolitik anbelangt, Bildung, Wirtschaft, Umwelt, so gibt es unter den Parteien allenfalls unterschiedliche Nuancen. Und bei den großen Dingen der Nation ist die Einheitsmeinung noch mehr verfestigt: Was man von den USA, der EU, dem Euro, Rußland, dem Klima, dem Islam und der Entwicklungspolitik zu halten habe, das steht fest, bevor sich irgendein Bürger auch nur einen Gedanken gemacht hat. Wer ausschert, wer eine eigene, abweichende Meinung äußert, ist zumindest ein Spinner, meist aber ein Finsterling. Die Zeit, als das Leben der Demokratie im Wettbewerb der Meinungen und Ideen bestanden hat, ist vorbei. Die politischen Überzeugungen gibt es heute per Postversand, der Kunde bestimmt nur, welche Farbe das Päckchen haben soll, der Inhalt ist genormt. Das alles gibt dem Bürger, solange seine Altersversorgung in Ordnung ist, das Gefühl der Sicherheit und Ruhe, was wiederum den Hinweis auf die Wahlbeteiligung nötig macht.

Und dann kommt auf einmal eine Partei, die sich noch dazu befremdlicher- weil treffenderweise „Alternative für Deutschland“ nennt, und stört diese Ruhe von Grund auf. Bei vier Wahlen hintereinander ist sie in das jeweilige Parlament eingezogen: in der EU, in Sachsen und jetzt in Brandenburg und Thüringen, in die beiden letzteren mit über zehn Prozent.

Die Altparteien dokumentieren reflexartig, woher dieser Erfolg der AfD kommt: Schon wieder haben sie sich auf eine Einheitsmeinung geeinigt, man redet nicht mit denen, sie sind so gut wie nicht vorhanden, ihre Existenz ein Ärgernis, ihre Wähler fehlgeleitet oder politischer Auswurf.

Man muß eine Partei nicht mögen, um ihr das Recht zuzugestehen, daß sie zunächst nach ihrem Programm beurteilt wird. Sie von vorne herein zu verdammen, weil sie dem Kartell nicht angehört und nicht angehören will, ist undemokratisch, auch wenn das von einem Mehrheit gemacht wird. Und es ist dumm: Denn dieses Verhalten wird die AfD weiter stärken. Die wachen Menschen lieben nämlich kein Kartell.

Florian Stumfall

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