Vorwärts in den Untergang !

Die SPD setzt auf einen, der das Kapital versteht

Die Niedersachsen-Wahl am Sonntag gilt als Stimmungsbarometer für die Bundestagswahl im September – und Rot-Grün hat durchaus Chancen, die bürgerliche Landesregierung abzulösen. Doch die SPD leidet zunehmend unter ihrem Kanzlerkandidaten.

Von Wolfgang Storz, Frankfurt

Der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück an einer Veranstaltung in Hannover, Dezember 2012. Foto: Kai Pfaffenbach, Reuters

Der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück an einer Veranstaltung in Hannover, Dezember 2012. Foto: Kai Pfaffenbach, Reuters Peer Steinbrück beteuert, er wolle die Finanzmärkte bändigen und mehr Gerechtigkeit durchsetzen. Insgeheim scheint der Kanzlerkandidat der SPD jedoch auf ein anderes Ziel programmiert zu sein: Wie schrumpfe ich die Partei? Steinbrück plus Kanzlerkandidatur plus SPD, das heisst offenkundig, Unvereinbares aneinanderzuketten. Geht es mit seiner Kanzlerkandidatur so weiter, wie es angefangen hat, dann könnte sie zu der Tragikomödie 2013 werden.

Rückblende: Am Abend der Bundestagswahl 2009 schien die SPD ihren Tiefpunkt erreicht zu haben. Weniger geht nicht, da waren sich alle sicher: 23 Prozent fuhr der damalige Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier ein; vier Jahre zuvor waren es 11,2 Prozent mehr gewesen. Steinmeier war Architekt der weithin als unsozial empfundenen Agenda 2010 – die Arbeitslose schon nach zwölf Monaten, unter Anrechnung ihres Ersparten, auf Sozialhilfeniveau setzte und das Rentensystem teilprivatisierte – und engster Mitarbeiter des früheren SPD-Kanzlers Gerhard Schröder gewesen. So erklärten manche das Desaster. Doch nun sät Peer Steinbrück Zweifel: Warum soll es nicht noch tiefer g­ehen?

Die SPD steckt in einer schweren Krise. Auch ohne den schnell, schnoddrig und scharf redenden Steinbrück geht es ihr schlecht genug. In den letzten zehn Jahren verlor die Partei Hunderttausende Mitglieder. Der Schwund hat sich inzwischen zwar verlangsamt: Knapp 480 000 Mitglieder zählt sie heute. Doch diese Zahl illustriert bestenfalls die Hälfte des Dramas: zu viele Alte (knapp die Hälfte über sechzig Jahre), zu viele Männer (siebzig Prozent) und Beamte, zu wenige Junge (knapp zwei Prozent unter 21 Jahren), zu wenige Frauen und Hochqualifizierte. Und: Oft gingen und gehen die Aktiven. Die Partei magerte bis auf die Knochen ab, weil sie ihren Markenkern, die soziale Gerechtigkeit, ruinierte: Laut Umfragen sind etwa zwei Drittel aller BürgerInnen der Meinung, die SPD habe mit der Agenda-Politik ihre Prinzipien aufgegeben.

Abschied von der Agenda 2010?

Seit Jahren versucht die SPD, sich von ebendieser Agenda-Politik zu verabschieden – es gelingt ihr nicht. Was es gibt, das ist Stimmenwirrwarr. Sigmar Gabriel, seit 2009 Vorsitzender, ging ein bisschen auf Distanz zu den Agenda-2010-Protagonisten Gerhard Schröder und Franz Müntefering: Die Partei habe unter deren Regentschaft ihr Herz verloren. Aber, so fügt er stets hinzu: «Es war bei weitem nicht alles falsch, was war.» Und zudem gelte, «dass wir alle die Politik der letzten Jahre gemeinsam zu verantworten haben». In einem Interview kurz nach seiner Amts­übernahme sagte Gabriel: «Der Wähler hat einfach kein klares Bild mehr davon, wofür wir stehen.» Peer Steinbrück erkannte schon 2007: «Wir heulen ein bisschen über Hartz IV und über die Agenda 2010. Da sagen die Menschen: Wenn die sich nicht vertrauen, warum soll ich ihnen vertrauen?» Frank-Walter Steinmeier bekennt: Er sei unverändert «stolz» auf die Ergebnisse der elfjährigen Regierungsarbeit unter Kanzler Schröder (rot-grüne Koalition) und Kanzlerin Angela Merkel (grosse Koalition).

Aussenstehende können diese letztlich seit 2005 und bis heute andauernde Quälerei nur so zusammenfassen: Irgendwie steht die SPD zur Politik der Agenda 2010, irgendwie aber auch nicht. Sie ist mit sich nicht im R­einen.

Diese Fragilität und Kraftlosigkeit spiegelt sich auch in ihrer Führung, ihrer Kopflosigkeit wider. Kurt Beck, langjähriger Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz und kurzzeitiger Parteivorsitzender, hat sich – auch beschädigt wegen Missmanagement rund um das Grossprojekt Nürburgring – zurückgezogen. Die früheren Hoffnungsträger Klaus Wowereit, Berlin, und Matthias Platzeck, Brandenburg, demontieren sich selbst: Sie haben das Desaster rund um den geplanten Grossflughafen Berlin Brandenburg zu verantworten.

Auch in den meisten anderen Bundesländern stecken die SPD-Spitzen in Alltagsgeschäften fest, ohne Fortüne und Profil. Es bleiben die strahlende Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen, Hannelore Kraft, und der eher biedere, aber politisch profilierte Olaf Scholz, Regierungschef im kleinen Bundesstaat Hamburg. Und weil von unten niemand drängt, standen und stehen der mittelalte Gabriel und die zwei älteren Herren Steinmeier und Steinbrück an der Spitze der Partei: Es ist eine frauenfreie Zone.

Diese Troika aus zwei Agenda-2010-Anhängern und einem sich in die politische Umtriebigkeit flüchtenden Vorsitzenden hat ein besonders markantes Alleinstellungsmerkmal: Alle drei haben bisher Wahlen nur verloren, noch nie eine gewonnen. Sigmar Gabriel machte rasch klar, er wolle nicht als Kanzlerkandidat antreten: Er galt wegen seiner schlechten Umfragewerte als nicht vermittelbar. Steinmeier sagte im Sommer ab.

Von Helmut Schmidt gesalbt

So blieb Steinbrück, der im vergangenen Jahr noch meist gute Umfragewerte hatte und dem wichtige Medien wie «Spiegel» und «Zeit» die Steigbügel hielten. Helmut Schmidt salbte ihn öffentlich: Der Peer, der kenne sich in Sachen Finanzmärkte aus. Schmidt und Steinbrück spielten Schach, schrieben Bücher, tourten durch die Fernsehprogramme. Auch Gerhard Schröder gab den Segen dazu, und Sigmar Gabriel behauptete kühn: Steinbrück verkörpere die entscheidenden Themen der SPD – die Bändigung der Finanzmärkte und ein neues soziales Gleichgewicht – und sei deshalb «der beste Kanzler, den Deutschland finden kann».

Mit Gerhard Schröder hatte die SPD bis 2005 das Original. Mit Steinmeier hatte sie 2009 einen Schröder-Mitarbeiter als Kanzlerkandidaten, und heute hat sie eine Schröder-Kopie. Fortschritt wird bei der SPD neu buchstabiert.

Nun hat sie ihn und ist von Anfang an unglücklich mit ihm. Vordergründig geht es um Fettnäpfchen, in die der Kandidat inzwischen so oft getreten ist, als sei er selber eins. Eine genaue Betrachtung zeigt, dass es um mehr geht als nur um peinliche kleine Fehltritte.

Widerwillen gegen die Partei

Peer Steinbrück ist erst seit 2009 Parlamentarier. Doch das Mandat als Bundestagsabgeordneter scheint ihm unwichtig, eher lästig: Er sitzt in zwei Ausschüssen des Parlaments, dem Ausschuss für Kultur und Medien und dem für EU-Politik – aber jeweils nur als stellvertretendes Mitglied. Mehr schätzt er das Geldverdienen: als Buchautor, als Redner, als Aufsichtsratsmitglied bei Thyssen Krupp. Seine Geschäfte brummen, er ist in Kreisen der Wirtschaft sehr beliebt: vor allem, weil er in ihrem Sinn tickt, weil er wie andere Sozial­demokratInnen gerne laut sagt, wie wenig seine SPD von Wirtschaft versteht. Das macht ihn interessant: der Sozialdemokrat, der den Widerwillen gegen seine Partei wie eine Monstranz vor sich herträgt. So verdiente er ab 2010 als Buchautor Hunderttausende Euro. Von 2010 bis 2012 sass er für 120 000 Euro im Aufsichtsrat von Thyssen Krupp, auch um sich politisch für den Konzern einzusetzen, etwa als es um Rabatte bei den Stromkosten ging, wie Medien jüngst berichteten. Fast 1,5 Millionen Euro strich er ab 2010 als Redner ein: Mal gab es 15 000, mal 25 000 Euro für eine meist allseits bekannte Rede und etwas Diskussion danach.

Ein wandelndes Fettnäpfchen

So sprach er im September 2011 für 15 000 Euro auch bei der Wirtschaftskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer. Dabei ist wichtig zu wissen, dass das Bundesfinanzministerium unter Peer Steinbrück diese Kanzlei mit Arbeiten für gut 1,8 Millionen Euro beauftragte, Gesetze im Zusammenhang mit der Finanzmarktkrise auszuarbeiten.

Tritt Peer Steinbrück hier in Fettnäpfchen, wie es in Politik und Medien heisst? Was wird hier gehandelt? Beste Rede gegen enorm hohes Honorar? Geht es um kleine Geschenke im Nachhinein? Oder um die Pflege einer guten Freundschaft?

Der Soziologe Wolfgang Streeck hat sich unter anderem mit der Frage beschäftigt, warum beispielsweise Goldman Sachs Expert­Innen zu Reden einlädt und diese extrem hoch dafür bezahlt – ExpertInnen, die dann auch mal US-Finanzminister sind oder wie Mario Draghi und Mario Monti mal Präsident der Europäischen Zentralbank oder Ministerpräsident von Italien. Streecks Antwort: Diese Leute seien im Kern keine Experten, sondern Interessenvertreter und «Kapitalversteher». Und deshalb, weil sie «Kapitalversteher» seien, erhielten sie so ungewöhnlich hohe Honorare. Es spricht viel dafür, das Motiv jener, die Steinbrück so hoch honorieren, darin zu sehen, dass sie ihn als «Kapitalversteher» sehen und als solchen pflegen wollen. Sie liegen damit nicht falsch. Die politische Biografie von Peer Steinbrück gibt dies allemal her.

Deregulierung und Niedriglohn

Politisch ist Steinbrück – Volkswirtschaftler, viele Jahre politischer Bürokrat, dann Landesminister, Ministerpräsident, Bundesfinanzminister – klar verortet: Die Agenda 2010 durchsetzen, den Arbeitsmarkt deregulieren, einen Niedriglohnsektor schaffen, Unternehmenssteuern und Spitzensteuersätze dras­tisch senken, die Finanzmärkte loslassen – das ist seine Welt und seine Politik, immer mit der Begründung, anders werde Deutschland nicht wettbewerbsfähig. Als Bundesfinanzminister tat er nichts, um die Vermögenssteuer wiedereinzuführen.

In seinem Buch «Unterm Strich» erläuterte er, die Behauptung von der zu geringen Besteuerung der Reichen sei ein «Mythos». Und wenn Steinbrück heute Gerechtigkeit zu seinem wichtigsten Wahlkampfthema machen will, dann ist es gut zu wissen, wie er diesen Wert definiert: «Soziale Gerechtigkeit muss künftig heissen, eine Politik für jene zu machen, die etwas für die Zukunft unseres Landes tun, die lernen und sich qualifizieren, die arbeiten, die Kinder bekommen und erziehen, die etwas unternehmen und Arbeitsplätze schaffen, kurzum, die Leistung für sich und die Gesellschaft erbringen.» Das schrieb er 2003 in der «Zeit».

Wenn er nun als Kanzlerkandidat mehr Gerechtigkeit verspricht, ist dies das Gegenteil seiner Politik der letzten zehn Jahre. «Mir hätte gefallen, wenn jemand gesagt hätte: Wir sind Koautoren dieser Krise», schrieb letztes Jahr der ostdeutsche Soziologe Wolfgang Engler. Denn diese Krise «war ja weitgehend ein Produkt der rot-grünen Regierung, die riskante Finanzprodukte zugelassen und in der Steuergesetzgebung Schleusen geöffnet hat». Von solchen Empfehlungen fühlen sich Peer Steinbrück und die SPD offensichtlich nicht angesprochen.

Vorgeschmack auf 2013

Wahl- und PolitikstrategInnen gehen davon aus, dass die Landtagswahl in Niedersachsen an diesem Sonntag die Stimmung des Wahlkampfjahrs 2013 prägen könnte. Bisher regierte in Hannover eine CDU/FDP-Koalition; SPD und Grüne wollen sie ablösen. Die Umfragen deuten auf ein Patt zwischen dem schwarz-gelben und dem rot-grünen Lager hin. Entscheidend ist, ob die FDP wieder ins Parlament einzieht oder scheitert.

Die SPD-Spitze hat klargemacht, dass sie auch bei einer Wahlniederlage an Peer Steinbrück festhält. In aktuellen Umfragen liegt die CDU bei etwa 40 Prozent, die SPD bei 30, die Grünen bei 13 und die Linke unter 5 Prozent. Die Piraten würden mit nur 3 Prozent scheitern, die Zahlen für die FDP schwanken um die 5-Prozent-Hürde.

Das letztlich schwache bürgerliche Lager kann nur deshalb in Ländern und auf Bundesebene regieren, weil die inzwischen viergeteilte Opposition (SPD, Grüne, Linke, Piraten) in den entscheidenden Regierungs- und Machtfragen nicht gemeinsam handelt, sich darüber nicht einmal berät. Kanzlerkandidat Steinbrück ist die Garantie dafür, dass sich die SPD auch künftig nicht öffnet.

Quelle: woz

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Opposition? Leider ist die schon seit längerer Zeit nicht mehr vorhanden.

 

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