Vollbeschäftigung

von Gert Flegelskamp

Vollbeschäftigung! Das hat die FAZ für die nächsten Ausgaben zum Schwerpunktthema gemacht und weist darauf hin, dass nun die Zeit komme, in welcher die sogenannten Babyboomer in Rente gehen. Das führe dazu, dass die „Nachrücker“, also die geburtenschwachen Jahrgänge mehr Chancen haben, nach der Schule auch einen Job zu bekommen.

Ich denke, wir alle kennen die Horrormeldungen, wonach wir einen massiven Mangel an „qualifizierten Arbeitskräften“ haben, weshalb die FAZ auch anführt, dass Andrea Nahles von der SPD darüber palavert, dass man mehr für die „Unqualifizierten“ tun müsse. Wie üblich bei solchen Artikeln dürfen auch die Aussagen so genannter Experten nicht fehlen, die Prognosen für die Zukunft stellen. Dabei ist meine Erfahrung allerdings, dass solche Prognosen in der Regel die Wahrscheinlichkeitsrechnung auf den Kopf stellen, weil sich weit mehr als die Hälfte als nicht haltbar erweist, was verwundert, denn eigentlich ist das Verhältnis ja 1 zu 2, also eine 50-prozentige Wahrscheinlichkeit, dass die getroffene Einschätzung sich auch verwirklicht. Ob das etwa daran liegt, dass die Prognosen der Experten oftmals Gefälligkeitsprognosen sind? Eine Gefälligkeitsprognose wird ja zumeist dann erstellt, wenn der oder die Auftraggeber nicht nur die Fragen aufwerfen, sondern gleich das gewünschte Ergebnis mitliefern.

Nun, ich werde mich hüten, eine Prognose für die Zukunft zu stellen, denn eine Erfahrung habe ich verinnerlicht: Die Zukunft birgt immer eine Menge Überraschungen! Ich mache stattdessen lieber eine kleine Zeitreise in die Vergangenheit, rein theoretisch natürlich, denn praktisch müsste ich dazu erst einmal ermitteln, wo sich unser Sonnensystem zum gewünschten Zeitpunkt überhaupt befunden hat, denn schließlich kreist unser Sonnensystem mit eine Geschwindigkeit von ca. 220 km pro Sekunde um den Kern der Milchstraße, dabei ist die Rotation der Erde um die Sonne noch nicht mal berücksichtigt. Folglich bleibt mir für meine Zeitreise nur der gedankliche Weg, teils auf der Historie, teils auf dem Erleben basierend.

Gehen wir also zurück ins Jahr 1939. Da führte ein kranker Mann dieses Land. Dass er krank war, dafür gibt es massenhaft Zeugnisse. Nicht umsonst haben wohl die meisten Menschen bei seinem Anblick immer gerufen: „Heil Hitler“. Also wussten wohl alle, dass er krank war. Trotzdem taten sie, was er wollte. Und 1939 wollte er, dass sich die jungen Männer des Landes aufmachten, die Leute der Nachbarländer zu massakrieren, die bei seinem Anblick nicht wünschten, dass er geheilt würde. Das war der Beginn des 2. Weltkriegs und die Geschichtsschreibung unterrichtet uns, dass das mit dem gegenseitigen Massakrieren ein voller Erfolg war. Doch wen wundert das? Geht man in der Geschichte weiter zurück, muss man dieses Verhalten der Menschen als ihr wohl größtes Hobby ansehen, das sie mit Inbrunst seit mehr als 5.000 Jahren in regelmäßigen Abständen betreiben.

Doch wenden wir uns der Zeit nach dem gegenseitigen Massaker zu. Es endete 1945 und weil die Menschen für ihre gegenseitigen Massaker immer neue Hilfsmittel erfinden, war bei diesem Massaker nicht nur die Bevölkerungsdichte in weiten Teilen Europas erheblich reduziert, sondern auch die unschuldigen Häuser und die weniger unschuldigen Fabriken massakriert worden. Als die Menschen wieder halbwegs zur Besinnung kamen, standen sie vor einem Trümmerhaufen. Doch nicht nur das, die Jugend, und nicht nur die, lag in verschiedenen Teilen der Welt auf dem so genannten „Feld der Ehre“, wie man die Friedhöfe gerne bezeichnete, auf denen die sinnlos abgeschlachteten Menschen lagen, die für den Wahnsinn einiger weniger ihr Leben lassen mussten. Es hat schon seinen Grund, warum man gerade junge Menschen beruft, das Gewerbe des Soldaten zu erlernen. Sie sind noch nicht wirklich gefestigt und deshalb leicht beeinflussbar, um den Terminus „zu domestizieren“ zu vermeiden. Man kann ihnen noch so leicht weismachen, dass sich da draußen imaginäre Feinde in großen Massen befinden. Wer die Feinde sind, das sagt man ihnen, wenn es soweit ist. Aber natürlich lernen sie das Handwerk des Tötens nur, um den Frieden zu erhalten, weil ja immer die anderen anfangen Dass die anderen angefangen haben, mit dieser Information werden die Menschen dann immer über die Propaganda-Werkzeuge, nicht selten die „freie und unabhängige Presse“ versorgt.

Doch das ist ein anderes Thema. Jetzt geht es um die Zeit nach 1945. Frauen, es gab kaum noch Männer, die dazu in der Lage gewesen wären, begannen die Trümmer zu durchsuchen und abzutragen, in der Hoffnung, wenigstens noch ein wenig Verwertbares zu finden. Das waren in meinen Augen wirklich starke Frauen, denn sie brauchten keine Quote, um aktiv zu werden. Ihre Männer waren tot oder verkrüppelt und wenn sie Glück gehabt hatten, hatten wenigstens ihre Kinder oder ein Teil davon den Wahnsinn der letzten 6 Jahre überlebt. Sie sind als Trümmerfrauen in die Geschichte eingegangen, stellvertretend für die Trümmerfrauen vergangener Epochen, weil die Enden eines Krieges immer die gleichen Ergebnisse vorweisen. Sie wurden nicht verbal aktiv, sondern ergriffen von selbst die Initiative und taten, was nötig war.

Deutschland war besetzt und die angeblichen Sieger (aus meiner Sicht bringt kein Krieg Sieger hervor, sondern nur Leid und Tod) bestimmten, welche der noch bestehenden Unternehmen die Arbeit wieder aufnehmen durften. Erst 1949, als Deutschland wieder eine eigene Verwaltung aufbauen und damit auch den Wiederaufbau angehen durfte, entwickelte sich wieder das, was man als Arbeitsmarkt bezeichnen konnte. Doch die Zahl der „Unqualifizierten“ war immens. Da waren die, deren mangelnde Schulbildung durch häufige Unterbrechungen der Schulausbildung wegen Bombenalarm oder ausgebombte Schulen begründet waren, da waren die Schulabgänger, die Verhaltensstörungen aufgrund traumatischer Kriegserlebnisse aufwiesen und Studierte waren ohnehin Mangelware, weil sich normale Bürger den Besuch von weiterführenden Schulen gar nicht leisten konnten. Hinzu kamen die Ungelernten. Ungelernt, weil sie gleich Geld verdienen mussten, damit die Familie was zu beißen hatte. Man bezeichnete sie damals als Hilfsarbeiter, weil sie keine Lehre absolviert hatten. Darunter waren, wie heute auch, Menschen, die scheinbar dumm und Menschen die dennoch nicht dumm waren. Darunter befanden sich Menschen, die zwar Berufe hatten, aber Berufe, die nun nicht mehr gefragt waren. Sie mussten sich als Hilfsarbeiter bewerben, wurden für eine bestimmte Tätigkeit angelernt und siehe da, sie alle beherrschten nach kurzer Zeit ihren Job. Oft genug wurden sie nach einer gewissen Zeit für weitere Tätigkeiten angelernt und verrichteten diese Tätigkeiten nicht schlechter, als die vorhandenen Facharbeiter. Das liegt wohl daran, dass man in der Schule und auch in der Lehre viele Dinge lernt, für deren Anwendung später kein Bedarf besteht.

Dabei ist jede Tätigkeit, die man aufnimmt, zunächst eine Anlerntätigkeit, auch dann, wen man es gelernt hat, denn bei jedem Job gibt es spezifische Eigenheiten, die man erst wirklich lernt, wenn man sie praktiziert. Und immer spielt dabei auch eine gewisse Veranlagung eine Rolle. Der oder die Eine hat ein Talent und Gespür für technische Dinge, andere sind besonders für Verwaltungstätigkeiten geeignet, wieder andere haben besondere künstlerische Fähigkeiten, um nur ein paar Eigenschaften aufzuführen. Ob jemand gut oder besonders gut in seinem Job ist, liegt oft vor allem daran, dass sich jemand gefunden hat, der diese schlummernden Fähigkeiten erkannt und vielleicht sogar gefördert hat.

Ich bin überzeugt davon, dass jeder von uns über Fähigkeiten verfügt, oftmals Fähigkeiten, von denen wir selbst nichts wissen. Dabei ist die Vorbildung oftmals zweitrangig, denn Arbeit hat immer mit Praxis zu tun. Die Theorie ist nur dafür da, den Weg zu weisen und darin kann man durchaus versagen, um dann in der Praxis festzustellen, dass man es nicht nur kann, sondern sogar gut kann. Und manche Arbeiten haben völlig zu Unrecht ein schlechtes Image. Ein Beispiel: Eine Friseuse mag vielleicht Schwierigkeiten in der Mathematik und in der Rechtschreibung haben. Doch mit den Utensilien eines Friseurs entwickelt sie sich zur Künstlerin, wird regelrecht zur Visionärin, denn aus meiner Sicht gehört viel Vorstellungskraft dazu, aus nassem und vielleicht auch verfilztem Haar Frisuren zu zaubern, die dem Typ der Kundin oder dem Kunden entsprechen. Sicher, das gilt nicht für alle, aber aus meiner Sicht für eine Menge der Damen und auch Herren in diesem Gewerbe. Zu Unrecht einer der am schlechtesten bezahlten Berufe.

In der Presse und in einigen Blogs (auch bei Egon W. Kreutzer) wurde über die Hamburgerin Inge Hannemann berichtet, eine Arbeitsvermittlerin, die sich geweigert hat, Arbeitslose zu sanktionieren, die sich mit den Arbeitslosen unterhalten hat, sie auf die vielen Fallstricke des SGB II hingewiesen und auch versucht hat, die Fähigkeiten der von ihr betreuten Menschen herauszufinden, um ihnen evtl. Jobs zu vermitteln, die eine wirkliche Chance darstellten. In Ihrem Blog altonabloggt hat sie einen offenen Brief an ihre Kolleginnen und Kollegen veröffentlicht, in denen sie diese darauf verweist, dass vor ihnen keine „Kunden“, sondern oftmals verzweifelte Menschen sitzen.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis das System diese Frau nicht mehr duldete, denn dieses System ist nicht darauf ausgelegt, den Menschen zu helfen, sondern sie zu demütigen und sie als nutzlos abzustempeln. Weil Frau Hannemann nicht bereit gewesen ist, dieses Spiel mitzuspielen, wurde sie freigestellt. Dabei hat sie die Lösung des Problems aufgezeigt. Wer wirklich die Arbeitslosigkeit bekämpfen will, muss die Fähigkeiten eines Talentsuchers besitzen. Dazu muss er aber auch wissen, welche Anforderungen jeweils gestellt werden. Vielleicht gibt es ja in den ARGEn einige Leute, die dazu geeignet wären. Doch die wagen es nicht, den gleichen Weg wie Frau Hannemann zu gehen, denn dazu gehört Zivilcourage.

Auch wenn Andrea Nahles mal ein Jahr im Verbindungsbüro der IG-Metall gearbeitet hat, hat sie von der Arbeit in der freien Wirtschaft keine Ahnung, wie die meisten ihrer Kollegen auch. Wer aber von Unqualifizierten spricht, sollte auch beurteilen können, ob und wann überhaupt ein Mensch unqualifiziert ist, Ein Gespür dafür könnte sie bekommen, wenn sie sich bei ihren Kollegen mal genauer umschaut und intensiv überprüft, wer denn überhaupt im Bereich der SPD wirklich die Qualifikation für die Arbeit im Parlament und evtl. in der Regierung aufweist. Vielleicht würde sie dann eine Überraschung erleben, derart, dass z. B. die lautesten Schreier oft nur einige Textbausteine beherrschen, ohne von der Materie Ahnung zu haben, während vielleicht die eine oder andere graue Maus eine Kompetenz aufweist, die überrascht, weil man sie dieser grauen Maus nicht zugetraut hat. Doch zuvor müsste man sich selbst hinterfragen, denn es reicht aus meiner Sicht nicht, vor den eingeschalteten Mikrophonen der Presse immer den passenden Textbaustein parat zu haben, sondern die Aussage sollte auch inhaltlich durchdacht und fair zum Ausdruck kommen. Dazu reichen Statistiken nicht, vor allem die nicht, die über den Arbeitsmarkt in Umlauf sind. Statistiken dienen eher der Verzerrung der Wirklichkeit und sind auf einzelne Individuen nicht anwendbar. Das, so meine ich, kam bei der Veröffentlichung der Europäischen Vermögensstatistik mehr als deutlich zum Ausdruck.

Statt Leute wie Inge Hannemann freizustellen, sollte man versuchen, mehr Leute wie sie zu finden und für den Job in der Arbeitsvermittlung zu interessieren. Und das Management der Arbeitsbehörden, allen voran Ursula von der Leyen, Weise und Alt sollten wenigstens ein wenig von ihr lernen. Das hätten sie bitter nötig.

Um ehrlich zu sein, von der FAZ erwarte ich zu diesem Thema keine erhellenden Sichtweisen, denn das mit dem klugen Kopf dahinter ist auch nur ein Werbegag.

Quelle: flegelskamp

 

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