von Maren Müller (publikumskonferenz)
Programmbeschwerde
Noch während der Bearbeitung dieser Beschwerde wurden wir von aufmerksamen Zuschauern erneut auf eine Fehlleistung des zuständigen Korrespondenten und seiner Anmoderatorin hingewiesen. Es ging dabei um den Kaukasuskrieg, der vor 10 Jahren laut Atalay mal eben so ausbrach. „Schüsse fielen, Panzer feuerten Granaten ab, der Kaukasuskrieg brach aus…“ Wie gewohnt fiel kein aufklärender Satz seitens des Korrespondenten, der Ursache, Schuld, Hintermänner und Verursacher des Konfliktes beim Namen nannte. Im Gegenteil, das Fazit von Ostens lautete:
„Die Bedrohung durch Russland, für viele Georgier ist sie weiterhin real“.
Es kann uns keiner mehr erzählen, dass diese Art der Vermeidung von Information aus Versehen geschieht. Umso mehr ist es zu begrüßen, dass immer mehr Zuschauer aufmerksamer hinschauen und die Storys der ARD-Russlandkorrespondenten mit Vorsicht genießen und hinterfragen. ARD 07.08.2018 tagesthemen
Aber zurück zu unserer eigentlichen Beanstandung:
Der von uns beanstandete Beitrag von Russland-Korrespondent Demian von Osten befasst sich mit dem publikumswirksamen Teil der seit ein paar Jahren stattfindenden „International Army Games“ 2018, dem Panzer-Biathlon, welcher unmittelbar nach der Eröffnungszeremonie in Albino bei Moskau stattfand.
https://www.youtube.com/watch?time_continue=171&v=7BLJFg2AHJk
Ab Minute 14:53 atmet Pinar Atalay tief durch, um auf ein brisantes Thema zu sprechen zu kommen:
„Auf „eine Armee, die seit Jahren an kriegerischen Auseinandersetzungen beteiligt ist….“
Eine solche Armee, so Atalay, schaffe sich auch im eigenen Land nicht nur Freunde. Da könne es helfen, das Wesen von Panzern und Kriegsgerät gegenüber der eigenen Bevölkerung ein wenig nebulös zu zeigen.
Ist die Rede etwa von der Bundeswehr und ihrem Tag der offenen Tür, an dem kleine Kinder auf schwerem Kriegsgerät herumklettern können und auch schon beim Hantieren mit Waffen der Typen G36 und P8, sowie bei der Einweisung an einer Maschinenpistole des Typs MP7 gesichtet wurden? Mit dieser deutschen Art militärischer „Volksfeste“ soll neben der Rekrutierung von (jugendlichem) Nachwuchs natürlich auch um Zustimmung zur aktuellen Militärpolitik geworben werden. Unter Zuhilfenahme von Hüpfburgen und Gulasch- „Kanonen“ versucht man auch hierzulande die Armee „das Wesen von Panzern und Kriegsgerät gegenüber der eigenen Bevölkerung ein wenig nebulös zu zeigen.“
Zahlreiche Friedensaktivisten, Vereine und Verbände protestieren regelmäßig gegen diese PR-Aktionen der Bundeswehr, Probeliegen im Eichensarg inklusive. https://www.jungewelt.de/artikel/333927.probeliegen-beim-tag-der-bundeswehr.html
Aber Pinar Atalay meint nicht die Bundeswehr. Sie meint auch nicht die NATO, was der durchschnittlich verständige Zuschauer angesichts der Eingangsfloskel „seit Jahren an kriegerischen Auseinandersetzungen beteiligt“ am Ehesten in Betracht gezogen hätte.
Pinar Atalay meint natürlich Russland.
„Woanders würde man denken, die Leute schauen sich ein Galopprennen an, doch das hier ist Russland. Panzer-Biathlon heißt der Wettkampf, schnell fahren, treffsicher schießen…“
führt anschließend Moskau-Korrespondent Demian von Osten in die schwierige Materie ein, ganz so, als gäbe es in Russland keine Galopprennen oder andere zuschauerträchtige Events, und im Rest der Welt – insbesondere an der Heimatfront – keine Militärspiele.
Dabei bedarf es wirklich keiner ausschweifenden Recherche, um das Repertoire der westlichen Kriegsspiele zu dokumentieren:
Da gibt es zum Beispiel die Strong Europe Tank Challenge (SETC), einen jährlich stattfindenden, multinationalen Panzerwettkampf, der von der 7th U.S. Army Europe und der Deutschen Bundeswehr seit 2016 veranstaltet wird. Bei diesem Wettkampf messen sich Panzerbesatzungen von NATO- und NATO-Partnerstaaten, wobei unterschiedliche offensive und defensive Aktionen sowohl auf- als auch abgesessen zu bewältigen sind. Die aktuellste SETC18 begann am 4. Juni 2018 und dauerte fünf Tage.
SETC18 – Übersicht der „Wettkampfpanzer“:
https://www.truppendienst.com/themen/beitraege/artikel/setc18-uebersicht-der-wettkampfpanzer/
http://www.bundesheer.at/archiv/a2017/tank_challenge/index.shtml
https://augengeradeaus.net/2016/05/bundeswehr-team-gewinnt-tank-challenge-in-grafenwoehr/
Dresden – Sie heißen Leopard, Marder, Dachs und Co. – doch die Rede ist nicht von Tieren, sondern von Panzern und Gefechtsfahrzeugen. Sie rollen an – für den Tag der Bundeswehr am Samstag in der Dresdner Albertstadt. Hier will das deutsche Heer seinen Panzer-Zoo zeigen.
Die Bundeswehr übt derzeit in Georgien – einem Land, das zwar nicht zur NATO gehört, aber über das Partnership for Peace-Programm (PfP) eng mit der Allianz verbunden ist und vor allem auf den Rückhalt des transatlantischen Bündnisses gegen Russland setzt.
Thomas Zeitz, Panzerkommandeur mit der 391. MIB: „Es macht mich stolz, hier zu sein, und es macht auch Spaß.“
Für die Spiele der NATO wurden auf behördlichen Internetseiten wie dem Hauptstadtportal Berlin.de oder dem Portal der Arbeitsagentur mit der Überschrift „Russischsprachige Rollenspieler/innen für NATO-Übungen gesucht“ Komparsen gesucht. Diese sollten in „realitätsnahen Übungsszenarios“ für die Soldaten die „Zivilbevölkerung in Krisengebieten“ darstellen, damit sich die Truppen optimal „auf deren Auslandsmissionen“ vorbereiten können.
„Tschechien wird vom 22. Juni bis 3. Juli 2015 mit mehr als 400 Soldaten gemeinsam mit den USA, Ungarn, Litauen und der Slowakei ein gemeinsames NATO-Manöver in Boletice durchführen, geübt werden sollen erstmals gemeinsame Abschüsse von Boden-Luft-Raketen mit kurzer Reichweite. Bei der Militärübung soll ein Luftangriff auf ein europäisches Nato-Mitglied simuliert werden.“
„Verherrlicht das Spiel den Krieg?“
lautet nun angesichts der International Army Games 2018 in Russland die rhetorische Frage Demian von Ostens.
So wie in Dresden die Bundeswehr bei einer Geschicklichkeitsübung einen Leopard-Panzer mit einem Wasserglas auf der Kanone davonrollen ließ, performten in Albino die Panzer „Schwanensee“ nach der Musik von Tschaikowski. So wie die Bundeswehr und die NATO ihre Planspiele aufgrund vermeintlicher oder erfundener Bedrohungsszenarien bar jeglicher historischeren Bedenken an geografisch bedenklichen Orten aufführen, so wird Russland mit seinen Verbündeten, ebenfalls in schöner Regelmäßigkeit, den sicheren Sieg simulieren, wie zum Beispiel beim Manöver Zapad 2017 auf dem Territorium Weißrusslands.
Die Kriegsspiele der Nato tragen die martialischen Namen „Saber Strike“ (Säbelhieb), „Flaming Thunder“ (Flammender Donner) oder – besonders originell – „Iron Wolf“ (Eiserner Wolf) und die Deutschen warteten gegenüber 2017 in diesem Jahr mit drei Mal so vielen Soldaten zur „Abschreckung“ Russlands auf. Für die Spiele im Herbst, die mit dem Namen „Trident Juncture“ (Dreizackiger Verbindungspunkt) sind insgesamt zwischen 30.000 und 40.000 Soldaten auf dem Feld, darunter 8000 aus Deutschland.
„Unsere“ Spiele zeigen lediglich Stärke und Verteidigungsbereitschaft, während die „Gegenseite“ natürlich den Krieg verherrlicht. (Prinzipien der Kriegspropaganda nach Anne Morelli)
Der Unterschied zwischen russischen „Kriegsspielen“ und denen der NATO ist schnell erklärt:
Während die Militäreinsätze der NATO, insbesondere die der USA, ganze Archive füllen und die Zahl der Opfer der meist völkerrechtswidrigen Interventionen inzwischen die des WKII um Größenordnungen übersteigt, gestalten sich die Militäraktionen und -präsenzen der Russen transparent, begründet und vergleichsweise überschaubar, nur den genauen Ablauf vergessen unsere Qualitäsjournalisten gern.
Die russische Erinnerungskultur ob der eigenen Leidensgeschichte ist wesentlich umfassender, ausgeprägter und vor allem verbindender als die der Deutschen. Fast jede russische Familie hat im Zweiten Weltkrieg Angehörige verloren. Die sowjetische bzw. russische Seite hat einen Verteidigungskrieg geführt, ihren wichtigen Teil zum Sieg gegen Hitlers Wehrmacht beigetragen und lässt vollkommen zurecht das Gedenken aus einem klaren Siegergedächtnis hervorgehen.
Nie wieder werden sich Russen auf ihrem eigenen Territorium gegen Eindringlinge verteidigen müssen und niemand hat ihnen, als Nachkommen der größten Opfergruppe des deutschen Vernichtungskrieges, vorzuschreiben, wie sie ihre Toten zu betrauern und die Lebenden zu beschützen haben, weder NATO + deren Neulinge, die sich zu einem Großteil aus ehemaligen Sowjetrepubliken rekrutieren, noch die waffenstarrenden, größenwahnsinnigen, exzeptionalistischen Weltpolizisten aus Übersee und schon gar nicht Hitlers Enkel im geschichtsvergessenen Deutschland.
Sergej Schoigu (russischer Verteidigungsminister) bei der Eröffnungsfeier der International Army Games 2018:
„Jedes Jahr nehmen mehr Teams an den Spielen teil und die Wettbewerbe werden komplizierter. Was unverändert bleibt, ist der Geist des Mutes, der Großzügigkeit, der Kameradschaft, der auf den Scheinschlachtfeldern herrscht.“
Motto der NATO-Spiele ist stets der Feind, der im Osten steht, und die Sorge über den eigens dafür herbeischwadronierten drohenden Angriff seitens der Russischen Föderation.
„Die NATO muss allen Friedensbewegungen aggressiv und öffentlich entgegenwirken und die Herrschaft des Gesetzes des bewaffneten Kampfes aufrechterhalten./ Die NATO muss ihren gegenwärtigen Kampf um strategische Kommunikation richtig einschätzen und der Öffentlichkeit gegenüber die Notwendigkeit bewaffneter Konflikte rechtfertigen./ Dass die Öffentlichkeit in einigen NATO-Ländern die Notwendigkeit einer gemeinsamen Verteidigung nicht einsieht, bedeutet, dass wir eine fundamentale Erneuerung des kommunikativen Rahmens brauchen. Die NATO muss viel mehr Mittel und Mühen auf die grundlegende Kommunikation mit der Öffentlichkeit verwenden.“ http://japcc.org/wp-content/uploads/japcc_conf_read_ahead_2015_web.pdf
In Demian von Ostens Vita auf wdr.de steht geschrieben, dass er sich seit Jahren für Russland und die postsowjetische Welt interessiert. Insbesondere die vielen Schlüsselereignisse in der Ukraine-Krise, der Umsturz auf dem Maidan, die Annexion der Krim, der Beginn des Ostukraine-Krieges, die ukrainische Präsidentenwahl und der Abschuss von Flug MH17 hat von Osten seit 2014 journalistisch begleitet.
Es fällt auf, dass dies insbesondere Themen sind, in denen das Narrativ von „Putins aggressiven Russland“ durch Fehlinterpretation, Auslassungen und Lügen geprägt und von Journalisten des Mainstreams festgeschrieben wurde.
Es ist bedauerlich, dass das journalistische Interesse von Ostens für Russland nicht aus der historischen deutschen Schuld am beispiellosen Vernichtungskrieg gegen die damalige Sowjetunion erwuchs. Um die 13 Millionen Soldaten kamen auf sowjetischer Seite ums Leben. Von insgesamt fünf Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen starben drei Millionen in deutscher Gefangenschaft – bis Dezember 1941. Dazu kommen mehr als zwei Millionen ermordete sowjetische Juden und sechs bis zehn Millionen weitere Zivilisten. Die Zahl von 27.000.000 sowjetischen Kriegstoten geistert durch historische Dokumente. Eine immense Größenordnung und eine gigantische Schuld.
Am 27. Januar 1945 befreiten Soldaten der Roten Armee das größte nationalsozialistische Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, in dem mindestens 1,1 Millionen meist jüdische Häftlinge ermordet wurden. Für das, was ab 1941 in der damaligen Sowjetunion angerichtet wurde, ergibt sich auch für die Deutschen insgesamt eine Verantwortung, die angesichts bündnispolitischer Duckmäuserei immer mehr aus dem Fokus gerät. Während in Russland, Weißrussland und der Ukraine der 22. Juni ein offizieller Gedenktag ist, werden hierzulande den sowjetischen Opfern des Vernichtungskrieges alljährlich zum Gedenken und regelhaft im redaktionellem Tagesgeschäft hämetriefende Beiträge aus dem Hassrepertoire rassistischer Schreibtischtäter gewidmet.
Russland hat Deutschland verziehen, sofern man die Zeichen der hohen russischen Politiker und der russischen Bevölkerung richtig deutet – aber hat das Deutschland nach 1945 jemals Russland verziehen? Eine Frage, die man sich angesichts der beispiellosen und nicht enden wollenden antirussischen Hetze deutscher Medien und diverser politischer Gruppierungen durchaus stellen kann.
Es geht Demian von Osten in seinem missionarischen Beitrag nicht um allgemeine Aufklärung über Sinn oder Unsinn von Kriegsspielen, sondern um deren Instrumentalisierung gegen Russland. Es geht um die, für westliche Lebenswelten, wichtige Aufrechterhaltung eines Feindbildes. Die pauschale mediale Dauerberieselung gegen Russland, gegen Präsident Putin und – wie im Beitrag demonstriert – auch gegen die patriotische, ihre Armee verehrende, russische Zivilgesellschaft, bewirkt das Gegenteil von Völkerverständigung und Friedenssicherung – sie bewirkt Feindbildaufbau. Wohin Dämonisierung und die andauernde Demütigung von Menschen, in allen nur erdenklichen Lebensbereichen führt, hat Auschwitz gezeigt.
„Auschwitz begann mit der Demütigung des Menschen. Wenn heute jemand einen Roma, einen Juden, einen Bosnier, einen Türken, einen Israeli, einen Palästinenser, einen Christen, einen Moslem oder einen Ungläubigen demütigt, so ist das ein neuer Beginn von Auschwitz.“ (Marian Turski)
Der kritikwürdige Beitrag von Demian von Osten könnte als „Meinungsbeitrag aus geringschätzender Gewohnheit“ durchgehen, wenn er nicht mitten im Text eine faustdicke Lüge enthalten würde:
Bei Sendeminute 17:54 sagt von Osten Wort wörtlich:
„…das Russland in Syrien einen umstrittenen Krieg führt, ist hier kein Thema.“
Russland führt keinen [umstrittenen] Krieg in Syrien, sondern hält sich als einziger ausländischer Akteur völkerrechtskonform in Syrien auf, um dort auf Bitten der legitimen syrischen Regierung einen entscheidenden Beitrag zur Wiederherstellung des Friedens in der Region zu leisten. Mit Erfolg, wie die aktuelle Entwicklung zeigt.
„Die russische Beteiligung am Syrienkonflikt beruht auf der ausdrücklichen Zustimmung des Assad-Regimes, die völkerrechtlich vertretungsbefugt ist. Insofern verletzt Russland nicht das Gewaltverbot nach Art. 2 Nr. 4 VN-Charta. Unter dem Gesichtspunkt des ius ad bellum ist die russische Beteiligung am Syrienkonflikt daher völkerrechtskonform.“
https://www.bundestag.de/blob/563850/05f6dec762a939978c22a132ee680b9a/wd-2-029-18-pdf-data.pdf
Link zur Beschwerde: https://publikumskonferenz.de/forum/viewtopic.php?f=30&t=2696&p=8767#p8767
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