US-Präsident will Truppen abziehen …

… aber Deutschland, Frankreich und Grossbritannien beharren auf weiterer Kriegsbeteiligung

von Karl Müller (zeit-fragen)

Niemand sollte erstaunt darüber sein, dass verantwortliche Politiker aus Deutschland, Frankreich und Grossbritannien den Beschluss der US-Regierung, ihre Truppen aus Syrien abzuziehen und das US-Kontingent in Afghanistan um die Hälfte zu reduzieren, heftig kritisieren. Ihr Ziel ist nach wie vor nicht Frieden. – Glauben sie noch immer an den Endsieg?
Auf die Quellen solcher Endsiegphantasien haben die deutschen Nachdenkseiten (https://www.nachdenkseiten.de/?p=47919) am 18. Dezember 2018 erneut aufmerksam gemacht, indem sie Auszüge aus zwei Reden von US-Amerikanern in deutscher Übersetzung veröffentlicht haben: eine des ehemaligen US-Generals Wesley Clark (Oberkommandierender der Nato-Streitkräfte im Kosovo-Krieg 1999) vom 3. Oktober 2007 in San Francisco, die andere von George Friedman (ehemaliger Chef des privaten Nachrichtendienstes Stratfor) vom 4. Februar 2015 in Chicago. Beide Reden sind seit längerem bekannt – aber man vergisst ja so schnell.
Hier soll nur auf die Rede des ehemaligen US-Generals Bezug genommen werden. Wesley Clark sprach vor mehr als 10 Jahren über seine Erfahrungen bei Besuchen im Pentagon, als er noch aktiver US-General war. Clark sprach davon, dass es nach dem 11. September 2001 in den USA einen «­politischen Staatsstreich» gegeben hat: «Einige eiskalte, hartgesottene Menschen haben die US-Aussenpolitik an sich gerissen.» Er illustrierte seine Aussage am Beispiel der 2001 im Pentagon ersonnenen Kriegspläne und zitierte einen dort tätigen Offizier, mit dem er gesprochen hatte: «Ich habe gerade diesen Merkzettel aus dem Büro des Verteidigungsministeriums bekommen und hier steht, wir werden 7 Länder angreifen und deren Regierungen innerhalb von 5 Jahren stürzen. Wir werden mit dem Irak beginnen und dann nehmen wir uns Syrien, Libanon, Libyen, Somalia, den Sudan und Iran vor, sieben Länder in fünf Jahren.»

Paul Wolfowitz: «Die Sowjets werden uns nicht mehr stoppen»

Clark erkannte, dass diese Pläne eine lange Vorlaufzeit hatten. Er erinnerte sich an ein Gespräch mit Paul Wolfowitz aus dem Jahr 1991 nach dem zweiten Golf-Krieg. Wolfowitz hätte gerne gesehen, dass man schon damals Saddam Hussein gestürzt hätte. Trotzdem war er mit dem Kriegsergebnis zufrieden: «Wir haben gelernt, dass wir unsere Truppen in der Region des Nahen Ostens einsetzen können, und die Sowjets werden uns nicht mehr stoppen.»
Und dann wiederholte sich Clark noch einmal und konkretisierte: «Dieses Land wurde von einer Gruppe von Leuten durch einen politischen Staatsstreich übernommen. Das waren Wolfowitz und Cheney und Rumsfeld, und man kann ein halbes Dutzend anderer Kollaborateure nennen von dem ‹Projekt für das neue amerikanische Jahrhundert›. Sie wollten den Nahen Osten destabilisieren, ihn auf den Kopf stellen, ihn unter Kontrolle bringen.»

Der Krieg in Syrien

Viele wissen, dass die USA den Krieg gegen die syrische Regierung und den syrischen Staat von Beginn an, also seit 2012, mit verschiedensten Mitteln gefördert haben und dass nun schon seit geraumer Zeit ganz offiziell US-Truppen in Syrien stationiert sind. Aber das offizielle Narrativ vom Kampf einer internationalen Koalition gegen den IS gibt, wenn überhaupt, nur einen kleinen Teil der Wahrheit wieder. Wesley Clark hat schon vor mehr als 10 Jahren über die eigentlichen Pläne gesprochen. Heute muss man hinzufügen: Man kann die US-amerikanische Kriegspartei nicht auf die Neokonservativen beschränken – leider nicht. Das Narrativ vom «Kampf gegen den Terror» hat darüber hinwegtäuschen sollen, dass der Einsatz aller militärischen und nichtmilitärischen Kräfte in Syrien, die dort ohne Einladung der syrischen Regierung aktiv sind, auch nach dem heute noch geltenden Völkerrecht völkerrechtswidrig waren und sind und dass der Abzug all dieser fremden Kräfte nichts anderes als eine rechtliche Selbstverständlichkeit ist – ganz abgesehen von der strafrechtlichen Verfolgung dieser Akte und den berechtigten Forderungen nach Schadenersatz. Dass der Krieg in Syrien Hunderttausende Menschenleben forderte und das Land zerstört hat, ist nämlich auch eine Konsequenz dieser ausländischen, von der syrischen Regierung niemals genehmigten Intervention.





Der US-Plan ist nicht aufgegangen

Aber der US-Plan ist nicht aufgegangen. Russische und iranische Unterstützung für die syrische Regierung und für Syrien haben die US-Pläne durchkreuzt. Man mag über die aktuellen Erklärungsversuche des US-Präsidenten für den nun geplanten Truppenabzug lange streiten. Tatsache ist: Der Beschluss der US-Regierung, die amerikanischen Truppen aus dem Land abzuziehen, ist nicht nur die folgerichtige Konsequenz aus einer militärischen Niederlage, sondern auch ein erster Schritt zur Wiederherstellung dessen, was Recht ist. Der eher zurückhaltenden Reaktion des russischen Aussenministers Lawrow auf die US-amerikanische Ankündigung kann man zustimmen: «Jeder Abzug von Truppen, die sich gesetzwidrig in einem Land befinden, ist ein Schritt in die richtige Richtung.» Ob die US-amerikanische Stabübergabe an die türkische Regierung einen völkerrechtlich zulässigen Weg finden kann, bleibt abzuwarten. Mindestvoraussetzung dafür wäre ein Einvernehmen der türkischen mit der syrischen Regierung. Die nun lautstark protestierenden und zurücktretenden US-Verantwortlichen müssen sich indes fragen lassen, wie sie zu all dem stehen.
Der scheidende US-Verteidigungsminister Mattis hat dies eigentlich schon getan. Für ihn ist der US-Rückzug eine Schlappe gegenüber «Ländern, deren strategische Interessen mit jenen Amerikas in wachsender Spannung stünden» (so zitierte ihn die «Basler Zeitung» am 21. Dezember), und er meinte damit ausdrücklich Russland und China. Interessant, dass genau dieselben Töne auch aus Deutschland kommen. Geht es um das Wohl Syriens und der Syrer? Wohl kaum!

Deutschland, Frankreich und Gross­britannien zeigen sich als Kriegspartei

Ja, die offiziellen Reaktionen aus Deutschland, Frankreich und Grossbritannien stellen bisherige transatlantische Verhältnisse auf den Kopf. Was ist das für ein «Argument» in Anbetracht des laufenden Völkerrechtsbruchs, wenn der französische Präsident Macron den US-Abzug mit den Worten kritisiert: «Ein Verbündeter ist es sich schuldig, verläss­lich zu sein.»? Bei Lichte betrachtet fordert Macron doch nichts anderes als «Gauner­ehre». Die «Neue Zürcher Zeitung» titelte am 21. Dezember: «Paris und London wollen den Kampf in Syrien fortsetzen.» Was ist das anders als eine «Wiederkehr der Hasardeure»? Die deutschen Parteien im Bundestag – mit Ausnahme der Linken und der AfD – haben für den Syrien-Einsatz der Bundeswehr eine grosse Koalition des «Weiter so» gebildet und zielen erneut vor allem auf Donald Trump. Aber offenbar geht es nicht nur gegen eine Person, sondern gegen ein ­politisches Programm, das den bisherigen Globalisierungs-Imperialismus ablehnt.
Wo, so frage ich entsetzt, bleibt der deutsche Beitrag zum Recht und zum Frieden? Wo bleibt die Achtung vor dem Grundgesetz? – Und die deutschsprachigen Mainstream-Medien sekundieren erneut wie gleichgeschaltet.    •

US-Abzug aus Syrien ist überfällig

«Der Abzug der US-Truppen aus Syrien ist richtig und notwendig. Der von den USA geführte Anti-IS-Einsatz unter Beteiligung der Bundeswehr ist in Syrien, egal, ob im syrischen Luftraum oder auf syrischem Boden, völkerrechtswidrig. So urteilt auch der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages in einem unter anderem von mir in Auftrag gegebenen Gutachten. Aber nicht nur aus rechtlicher Perspektive ist der Abzug begrüssenswert, sondern auch unter politischen Gesichtspunkten», so Alexander Neu, für die Fraktion Die Linke Obmann im Verteidigungsausschuss.
Neu weiter: «Wer den Abzug der USA aus Syrien bedauert oder als Fehler betrachtet, übersieht, dass das Chaos in der Nahostregion im wesentlichen von den USA und deren Verbündeten erzeugt worden ist. Die USA verfolgen ihre geopolitischen und geoökonomischen Interessen – mal mehr und mal weniger – offen. Der IS ist das Ergebnis des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges der USA auf den Irak 2003 zum Zwecke des Regierungssturzes. Dass der IS auch nach Syrien überschwappen konnte, hat ebenfalls mit den Regimechange-Phantasien des Westens zu tun. Bis heute ist in den westlichen Hauptstädten der Wunsch gross, in Syrien ein prowestliches Regime zu installieren. Das westliche ‹Engagement› in Syrien war zu keinem Zeitpunkt problemlösend, sondern konfliktverschärfend und wurde auf den Rücken der Menschen in Syrien ausgetragen. […]»

Quelle: Auszug aus einer Pressemitteilung von Alexander S. Neu, 21.12.2018; https://www.linksfraktion.de/presse/pressemitteilungen/detail/us-abzug-aus-syrien-ist-ueberfaellig/

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