UNO: die Geburt der post-westlichen Welt

von Thierry Meyssan (voltairenet)

Die Verwaltung der Vereinten Nationen hatte einen Zusammenstoß zwischen Pro- und Anti-Trump-Kräften in der Generalversammlung erhofft. Es hat sich jedoch etwas ganz anderes abgespielt. Während einige Staaten, darunter Frankreich, die Methoden des Gastes des Weißen Hauses anprangerten, hat Russland eine Analyse des westlichen Bündnisses unternommen. Moskau zufolge, ist die überwiegende Mehrheit der aktuellen Probleme auf den Willen der ehemaligen Kolonialmächte zurückzuführen, ihre Herrschaft über den Rest der Welt um jeden Preis aufrecht zu erhalten. Um die Probleme zu überwinden, hat sich eine große Koalition gebildet.

Die Audienz der 73. Tagung der Generalversammlung der Vereinten Nationen

Trotz des Anscheins ist die Parade der Staatsoberhäupter und Regierungschefs oder der Minister für auswärtige Angelegenheiten in der Generalversammlung der Vereinten Nationen nicht unnütz. Natürlich haben die meisten von ihnen nichts zu sagen und wenden sich nur an ihre inländische öffentliche Meinung, indem sie die Fahrlässigkeit der Vereinten Nationen beanstanden und zur Einhaltung des Rechtes aufrufen. Aber mehrere Stellungnahmen haben sich auf den Grund der Debatte konzentriert: wie kann man Streitigkeiten zwischen Staaten lösen und Frieden gewährleisten?

Die ersten drei Tage wurden durch die Rede von Donald Trump (Vereinigte Staaten) und die Antworten von Emmanuel Macron (Frankreich) und Hassan Rohani (Iran) geprägt. Aber diese ganze Problematik hat sich am vierten Tag in Luft aufgelöst, als Sergei Lavrov (Russland) in seiner Rede die post-westliche Welt vorstellte.

Die Schwenke der Welt laut Donald Trump

Präsident Trump, dessen Reden in der Regel extrem wirr sind, hatte dieses Mal einen sehr strukturierten Text vorbereitet [1]. Im Unterschied zu seinen Vorgängern hat er versichert, die „Unabhängigkeit und Zusammenarbeit“, „der Steuerung, Kontrolle und internationalen Herrschaft“ vorzuziehen (mit anderen Worten: eher seine nationalen Interessen als diejenigen des „American Empire“). Er fuhr fort mit der Auflistung der von ihm unternommenen Anpassungen des Systems.

 Die Vereinigten Staaten haben China keinen Handelskrieg erklärt, sondern versuchen, ihre Zahlungsbilanz wiederherzustellen. Zur gleichen Zeit versuchen sie einen internationalen Markt wiederherzustellen, der auf freiem Wettbewerb beruht, wie es ihre Stellungnahme in Bezug auf Energie beweist: Sie sind große Kohlenwasserstoff-Exporteure geworden und hätten daher Interesse an hohen Preisen, aber sie sprechen der OPEC als einem zwischenstaatlichen Kartell die Existenzberechtigung ab, und plädieren für niedrigere Preise.
 Sie sind gegen die Strukturen und die Vereinbarungen der Globalisierung (d. h. aus Sicht des Weißen Hauses, gegen den transnationalen Finanz-Imperialismus), insbesondere gegen den Menschenrechtsrat, den internationalen Strafgerichtshof und die UNRWA. Natürlich nicht, um Folter (die zur Zeit von George Bush Jr. legitimiert wurde) oder Verbrechen zu befürworten, oder um die Palästinenser auszuhungern, sondern um Organisationen zu zerstören, die ihre Thematik instrumentalisieren, um andere Ziele zu erreichen.
 Bezüglich der Migration aus Lateinamerika in die Vereinigten Staaten und jener innerhalb des süd-amerikanischen Kontinents selbst, wollen sie ihr ein Ende setzen, indem sie das Übel an der Wurzel anfassen. Für das Weiße Haus entsteht das Problem aus den Vorschriften der

Globalisierungsabkommen, besonders aus dem NAFTA-Vertrag. Präsident Trump hat daher ein neues Abkommen mit Mexiko ausgehandelt, das die Exporte mit dem Einhalten der sozialen Rechte der mexikanischen Arbeiter verknüpft. Er beabsichtigt, zur ursprünglichen Monroe-Doktrin zurückzukehren: die multinationalen Unternehmen werden sich nicht mehr in die Verwaltung des Kontinents einmischen können.

Der Verweis auf die Monroe-Doktrin verdient nun eine Erklärung, weil dieser Ausdruck zu Beginn des 20. Jahrhunderts so sehr auf den amerikanischen Kolonialismus hindeutet. Donald Trump ist ein Bewunderer der Außenpolitik der Präsidenten Andrew Jackson (1829-1837) und Richard Nixon (1969-74), zwei sehr umstrittene Figuren. Die Monroe-Doktrin (1823) wurde während der Intervention in die spanische Kolonie Florida von einem Mann entwickelt, der damals nur der General Jackson war. Zu dieser Zeit wollte James Monroe den amerikanischen Kontinent gegen den europäischen Imperialismus schützen. Es war die „Epoche der edlen Absichten“. Er versprach, dass die Vereinigten Staaten in Europa nicht intervenieren würden, solange es die Europäer unterließen, in Amerika zu intervenieren. Es war erst ein Dreiviertel-Jahrhundert später, besonders unter Theodore Roosevelt (1901-1909), dass die Monroe-Doktrin dem Imperialismus der USA in Lateinamerika als Feigenblatt diente.

Die Verteidigung der alten Welt durch Emmanuel Macron und Hassan Rohani

In einer seltsamen Umkehrung der Rollen hat sich der französische Präsident, Emmanuel Macron, in der UNO als der europäische Barack Obama vorgestellt, gegenüber dem amerikanischen Charles De Gaulle, Donald Trump. Er hat ihm symbolisch den Krieg erklärt, als er sagte: „Unterzeichnen wir keine Vereinbarungen mehr mit Mächten, die das Abkommen von Paris nicht einhalten“ (also nicht mit den Vereinigten Staaten); eine seltsame Art, um den Multilateralismus zu verteidigen!

Der französische Präsident hat mit der impliziten Feststellung von Donald Trump begonnen: die Krise der aktuellen „liberalen westfälischen Ordnung“ [2]. Das heißt, die Krise der Nationalstaaten, die durch die wirtschaftliche Globalisierung zerrüttet wurden. Aber das tat er nur, um die Lösung des Weißen Hauses besser anzufechten, als er sie als das „Gesetz des Stärkeren“ beschrieb. Er hat daher die französische Lösung propagiert, „basierend auf drei Grundsätzen: der erste ist die Achtung der Souveränität, die Grundlage unserer Charta; der zweite, ist die Stärkung der regionalen Zusammenarbeit; und der dritte ist die Bereitstellung von robusteren internationalen Garantien“.

Dann ist seine Rede vollkommen auseinander gefallen und hat mit einer lyrischen Überschwänglichkeit geendet. Emmanuel Macron hat sich einer Übung in jugendlicher Heuchelei, am Rande der Schizophrenie, hingegeben.

 Als Beispiel für die „Wahrung der Souveränität“ hat er aufgerufen, nicht „anstelle des syrischen Volkes“ zu entscheiden, wer dessen Staatschef sein sollte, obwohl er Präsident Al–Assad verbot, als Kandidat vor seinen Mitbürgern zur Wahl anzutreten….
 Was die „Stärkung der regionalen Zusammenarbeit“ betrifft, hat er die Unterstützung der Afrikanischen Union für die französische Anti-Terror-Operation in der Sahel-Zone angeführt. Aber diese ist tatsächlich nur der am Boden stattfindende Teil eines größeren Plans, unter der Leitung des AfriCom, bei dem die US-Armee den Teil der Operationen in der Luft sicherstellt. Die Afrikanische Union selbst hat keine eigene Armee, sie greift nur ein, um eine koloniale Operation zu legalisieren. Ebenfalls sind die für die Entwicklung der Sahelzone investierten Summen, die der französische Präsident, nicht in Euro, sondern in US-Dollar erwähnt hat, zugleich echte afrikanische Projekte und eine Auslandshilfe für die Entwicklung, von deren Ineffizienz sich jeder hat überzeugen können.
 Was den „Beitrag von robusteren internationalen Garantien“ betrifft, hat er die Arbeit zur Bekämpfung der Ungleichheiten angeführt, der sich der G7-Gipfel von Biarritz widmete. Eigentlich ging es für ihn nur darum, die westliche Führung über den Rest der Welt, Russland und China inbegriffen, ein wenig mehr hervorzuheben. So hat er versichert, dass „die Zeit, wo ein Club von reichen Ländern allein das Gleichgewicht der Welt definieren konnte, lange vergangen sei“, hat sich verpflichtet… einen Bericht über die getroffenen Entscheidungen der großen westlichen Länder der nächsten Mitgliederversammlung vorzulegen. Im Übrigen hat er noch verkündet, dass der „G7 ein Motor sein müsse “ für den von den Vereinten Nationen unternommenen Kampf gegen die Ungleichheit.





Als der iranische Präsident Scheich Hassan Rohani seinerseits das Wort ergriff, beschrieb er im Detail die Art und Weise, auf die das Weiße Haus Schritt für Schritt die Grundsätze des Völkerrechts zerstört [3].

Er erinnerte daran, dass das 5 + 1 Abkommen (JCPoA) durch den UN-Sicherheitsrat validiert wurde, der viele Institutionen zu seiner Unterstützung (Resolution 2231) aufgerufen hatte. Dann, dass die Vereinigten Staaten des Donald Trump sich von ihm zurückzogen, womit sie der Unterschrift seines Vorgängers widersprachen und den Grundsatz der Kontinuität des Staates verletzten. Er wies darauf hin, dass der Iran, wie es durch die 12 aufeinander folgenden Berichte der IAEO bestätigt wird, seine Pflicht erfüllt habe und immer noch seine Verpflichtungen erfülle. Er war empört über den Aufruf von Präsident Trump, die UN-Resolution nicht zu respektieren und über die Bedrohung, die er für jene bereit hielt, die sie respektieren.

Er beendete seine Rede mit der Erinnerung an ein paar Fakten: der Iran habe Saddam Hussein, die Taliban und Daesch, schon vor den Vereinigten Staaten (die sie damals unterstützten) bekämpft; es ist ein und dieselbe Art, um darauf hinzuweisen, dass die Umkehrungen der Vereinigten Staaten seit langem nicht der Logik des Rechtes gehorchen, sondern nur ihren verborgenen Interessen.

Sergej Lawrow präsentiert die post-westliche Welt

Diese Debatte, nicht für oder gegen die Vereinigten Staaten, sondern für oder gegen Donald Trump, drehte sich um zwei Hauptargumente:
• Das Weiße-Haus zerstört das System, von dem die internationalen Finanzeliten so gut profitiert haben. (Macron).
• Das Weiße-Haus tut nicht einmal mehr so, als achte es das Völkerrecht (Rohani).

Für den russischen Minister für auswärtige Angelegenheiten, Sergei Lavrov, verdeckt diese Debatte ein viel tieferes Problem. «Auf der einen Seite sehen wir die Stärkung der polyzentrischen Grundsätze der Weltordnung, (…) das Bestreben der Nationen, die Souveränität und die mit ihren nationalen, kulturellen und religiösen Identitäten kompatiblen Entwicklungsmodelle zu bewahren. Auf der anderen Seite sehen wir den Wunsch von mehreren westlichen Staaten, die ihren selbsternannten Status der „Weltleader“ behalten wollen und die den irreversiblen Trend zur Multipolarität bremsen“, sagte er [4].

Von da an galt es für Moskau nicht mehr Präsident Trump anzugreifen, noch die Vereinigten Staaten, sondern den Westen im Allgemeinen. Sergej Lawrow ging so weit, eine Parallele mit dem Münchner Abkommen (1938) zu ziehen. Damals schlossen Frankreich und das Vereinigte Königreich ein Bündnis mit Deutschland und Italien. Sicherlich wird dieses Ereignis heute in Westeuropa als eine französisch-britische Feigheit vor den Forderungen der Nazis empfunden, aber es bleibt im russischen Gedächtnis als der entscheidende Schritt eingegraben, der zum zweiten Weltkrieg führte. Während die west-europäischen Historiker versuchen festzustellen, wer diese Entscheidung getroffen hat, und wer der Bewegung gefolgt ist, sehen die russischen Historiker nur eins: keiner der Westeuropäer hat seine Verantwortung übernommen.

Seine Kritik erweiternd, verurteilte Sergej Lawrow nicht die Verstöße gegen das Recht, sondern gegen die internationalen Strukturen. Er bemerkte, dass der Westen Völker zwingt, gegen ihren Willen in militärische Bündnisse einzutreten und manche Staaten bedroht, die ihre Partner selbst wählen wollen. In Bezugnahme auf den Fall Jeffrey Feltman [5], prangerte er die Versuche an, die Verwaltung der Vereinten Nationen zu kontrollieren, ihr die Rolle der Mitgliedstaaten zu übergeben und letztlich das Generalsekretariat dazu zu verwenden, sie zu manipulieren.

Er verwies auf die verzweifelte Natur dieser Versuche, indem er das Beispiel der Unwirksamkeit des fünfzig Jahre langen US-Embargos gegen Kuba anführte. Er prangerte den britischen Willen an, zu urteilen und ohne Gerichtsverfahren zu verurteilen, mittels seiner Rhetorik des „sehr wahrscheinlich“.

Sergej Lawrow betonte abschließend, dass der ganze westliche Unfrieden den Rest der Welt nicht hindere, zusammen zu arbeiten und sich zu entwickeln. Er erinnerte an das im Jahr 2016 von Präsident Putin auf dem Forum Valdai in Erinnerung gerufene Projekt „Erweiterte Eurasische Partnership“, um die Initiative „One Belt, one Road“ von Präsident Xi zu vervollständigen. Diese breit angelegte, zunächst von China aber nur kühl aufgenommene Initiative, wird nun durch die kollektive Sicherheits-Organisation (OTSC), die eurasische Wirtschaftsunion, die Gemeinschaft der unabhängiger Staaten, die BRIC-Staaten und die Organisation der Zusammenarbeit von Shanghai (SCO) unterstützt. Die Gegenvorschläge von Australien, Japan und der Europäischen Union sind tot geboren.

Während die westlichen Beamten die Gewohnheit haben, vorab ihre Projekte bekannt zu geben und sie zu diskutieren, erwähnen die russischen Diplomaten sie nur, wenn sie bereits begonnen haben und sie sicher sind, dass sie sie durchführen können.

Kurz gesagt ist die von dem britischen Abgeordneten Halford J. Mackinder [6] entworfene und von dem nationalen US-Sicherheitsberater Zbigniew Brzeziński präzisierte Strategie [7] der Eindämmung Russlands und Chinas gescheitert. Der Schwerpunkt der Welt bewegt sich östlich, nicht gegen die Westmächte, aber durch ihre Schuld [8].

Der stellvertretende Premierminister von Syrien, Walid al-Muallem, zog die ersten praktischen Konsequenzen aus diesen Analysen, und forderte am nächsten Tag auf dem Podium der Generalversammlung, den sofortigen Rückzug der US-, französischen und türkischen Besatzungstruppen [9].

Thierry Meyssan

Übersetzung
Horst Frohlich
Korrekturlesen : Werner Leuthäusser

[1] “Remarks by Donald Trump to the 73rd Session of the United Nations General Assembly”, by Donald Trump, Voltaire Network, 25 September 2018.

[2] « Discours d’Emmanuel Macron devant la 73e séance de l’Assemblée générale des Nations unies », par Emmanuel Macron, Réseau Voltaire, 25 septembre 2018.

[3] “Remarks by Hassan Rohani to the 73rd Session of the United Nations General Assembly”, by Hassan Rohani, Voltaire Network, 25 September 2018.

[4] “Remarks by Sergey Lavrov to the 73rd Session of the United Nations General Assembly”, by Sergey Lavrov, Voltaire Network, 28 September 2018.

[5] „Deutschland und die Uno gegen Syrien“; „Wie die Verwaltung der UNO den Krieg organisiert“, von Thierry Meyssan, Übersetzung Horst Frohlich, Korrekturlesen : Werner Leuthäusser, Voltaire Netzwerk, 28. Januar 2016 und 6. September 2018.

[6] “The geographical pivot of history”, Halford J. Mackinder, The Geographical Journal, 1904, 23, pp. 421–37.

[7] The Grand Chessboard: American Primacy and Its Geostrategic Imperatives, Zbigniew Brzeziński, Basic Books. 1997.

[8] “The Geopolitics of American Global Decline”, by Alfred McCoy, Tom Dispatch (USA) , Voltaire Network, 22 June 2015.

[9] “Remarks by Walid Al-Moualem to the 73rd Session of the United Nations General Assembly”, by Walid Al-Moualem, Voltaire Network, 29 September 2018.

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