Trotz allen Lächelns: Der Streit in der EU wächst

Die westlichen Medien und Politiker sind bemüht, die europäische Einheit zu beschwören, allerdings gibt es immer mehr Streit in der EU, für deren Mitgliedsstaaten es zusehends ums nackte Überleben geht.

Quelle: anti-spiegel

Die Korrespondenten des russischen Fernsehens aus Europa drücken den Finger immer deutlich in die Wunden, die die westlichen Medien am liebsten ignorieren würden. So war es auch an diesem Sonntag im wöchentlichen Nachrichtenrückblick des russischen Fernsehens, das sich den europäischen Gipfel in Prag sehr genau angeschaut hat. Im nackten Kampf ums Überleben angesichts der vernichtenden Wirkung der europäischen Sanktionen, gibt es in der EU immer mehr Streit. Daher habe ich den russischen Bericht aus Europa, wie fast jede Woche, auch dieses Mal wieder übersetzt.

Beginn der Übersetzung:

Europa ist auf der Suche nach Geld und erfindet Metaphern

Polen wird weiterhin dem Spitznamen gerecht, den Churchill ihm einst wegen seiner Habgier gab: „Hyäne“ Europas. Jetzt, wo die Alte Welt die schwersten Zeiten durchmacht, ist Warschau fest entschlossen, sich, wo immer möglich, ein Stück zu nehmen. Und Polen beißt sogar seine EU-Nachbarn. Zunächst erinnerten sich die Polen an den Zweiten Weltkrieg und sagten, dass Deutschland ihnen mehr als eine Billion Dollar an Reparationen schulde. Nachdem sie von Berlin diplomatisch zum Teufel geschickt wurden, richteten die Polen ihren unstillbaren Appetit auf Russland.

Am Freitag schlug der polnische Ministerpräsident Morawiecki vor, die eingefrorenen russischen Vermögenswerte aufzuteilen, um sich daran zu bereichern: „Das sind riesige Vermögenswerte, etwa 350 Milliarden Euro. Und heute können wir auf diese Mittel zugreifen, zum Wohle der Ukraine, die mit diesem Geld wiederaufgebaut werden muss, aber auch für die Bedürfnisse der Menschen in der Europäischen Union, für die Bedürfnisse der Menschen in Polen.“

Aus Europa berichtet unser Korrespondent.

Das zentrale Ereignis der Woche in Europa ist die Vorstellung des „Wartezimmers“ der EU, der Europäischen Politischen Gemeinschaft. Es war eine Idee von Macron, all diejenigen zu versammeln, die der Europäischen Union beitreten wollen – die Ukraine und Georgien – und die, die es nicht wollen – Norwegen, die Schweiz und Großbritannien, ein „Ehemaliger“ -, die sich aber im Geiste und in den Werten nahe stehen, weshalb der Papst, Lukaschenko und Putin nicht in den Kreis der europäischen Führer aufgenommen wurden. Tatsächlich haben sie auf der Prager Burg versucht, gegen Putin Freundschaften zu schließen.

„Seitdem Russland seine brutale Aggression gegen die Ukraine entfesselt hat, ist Europa in eine neue Phase seiner Geschichte eingetreten. Und heute sind 44 europäische Staats- und Regierungschefs hier zusammengekommen, um mit dem Aufbau einer neuen Sicherheitsstruktur in Europa zu beginnen. Das muss ohne Russland geschehen“, sagte EU-Chefdiplomat Josep Borrell.

Was die „neue Sicherheitsstruktur“ betrifft, so ist Borrell der Zeit ein wenig voraus. Das Ziel der politischen Gemeinschaft besteht in dieser Phase eher darin, neue Quellen für Sanktionen zu finden, die der EU selbst praktisch ausgegangen sind. Wahrscheinlich wurden die Präsidenten Aserbaidschans und der Türkei zu diesem Zweck nach Prag eingeladen. Alijew und Erdogan bewegten sich in einer von außen völlig autarken Gesellschaft gut gelaunt durch die Palasthallen, wehrten Journalisten von Radio Liberty ab und baten sie, Soros Grüße auszurichten.

Am Rande des vom französischen Präsidenten vermittelten Treffens erkannten Alijew und der armenische Premierminister Paschinjan gegenseitig ihre territoriale Integrität an, wobei nicht ganz klar ist, was das für Armenien bedeutet. Auf jeden Fall kann Macron der Welt ein vorläufiges Ergebnis präsentieren. Und das muss er auch, denn er kommt innenpolitisch nicht voran. Und höchstwahrscheinlich wird er das auch nicht.

„Ich habe bereits gesagt, dass wir mehr als drei Viertel des Gases kaufen, das durch die Pipelines fließt, und wir kaufen etwa 20 Prozent des Flüssiggases der Welt. Wir haben also die Möglichkeit, die Preise zu beeinflussen. Daher werden wir diese Preise durch Verhandlungen und Koordination, insbesondere mit unseren großen asiatischen Partnern, senken“, sagte Macron.

In der ersten Jahreshälfte sind in Frankreich 183.530 Unternehmen Konkurs gegangen – ein Drittel mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Die Strompreise saugen die Unternehmen aus. Doch gerade als Macron davon sprach, den Dialog mit den großen Gaslieferanten zu intensivieren, beschloss der Emir von Katar, dem größten Exporteur des Nahen Ostens, seinen dreitägigen Besuch in Prag vorzeitig abzubrechen. Scheich Al Thani hatte gehofft, an dem repräsentativen Gipfel teilnehmen zu können, aber in der Gesellschaft der europäischen Demokratien war kein Platz für ihn. Eine Beleidigung – es fehlt nur noch, dass ein Kreuzzug ausgerufen wird. (Anm. d. Übers.: Der Emir war zum ersten Mal in der Geschichte zu einem Besuch in Prag eingetroffen, der für drei Tage angesetzt war. Aber schon am Ende des ersten Tages reiste der Emir unvermittelt ab, was für die europäischen Gas-Ambitionen sicher keine gute Nachricht ist)

Liz Truss, die britische Premierministerin, erklärte in Prag: „Einer der Gründe, warum wir mit dieser globalen Krise konfrontiert sind, ist, dass der Westen kollektiv nicht genug getan hat. Wir sind selbstgefällig geworden. Wir haben nicht genug für die Verteidigung ausgegeben. Wir sind in Bezug auf billige Waren und Energie zu abhängig von autoritären Regimen geworden. Und wir haben nicht früh genug gegen Russland gehandelt.“

In Großbritannien ist alles „hervorragend“: Das Pfund fällt, die Ersparnisse der Bürger verdampfen, die Behörden warnen vor drohenden Stromausfällen – für drei Stunden, wenn auch nicht jeden Tag, und dann sieht man weiter.

In Europa steht das achte Sanktionspaket auf der Tagesordnung. Dort, in Prag, wurde es von 26 Ländern, außer Belgien, das sich der Stimme enthielt, weil der belgische Premierminister nicht für ein Embargo auf Stahlvorprodukte stimmen konnte, von denen die nationale Stahlindustrie abhängt, angenommen. Also hat er einfach zugesehen, egal, was mit seiner eigenen Industrie passiert. Darüber hinaus wurden die Einfuhren russischer Maschinen, Maschinenbauerzeugnisse und Edelmetalle, Haushaltschemikalien, Zellstofferzeugnisse und Zigaretten nach Europa, sowie die Gegenexporte von Elektronik mit doppeltem Verwendungszweck blockiert.

Die Sanktionen haben sich auch auf Finanz- und Rechtsdienstleistungen ausgewirkt. Vor allem aber gibt es eine Preisobergrenze für Öl und Ölprodukte, die auf dem Seeweg transportiert werden. Europäische Schiffseigner, Logistikunternehmen und Versicherer können sich nicht an Lieferungen von russischem Öl beteiligen, wenn es teurer ist als ein bestimmter Betrag, dessen Berechnungsmechanismus noch nicht klar ist; auf dem G7-Gipfel wurde jedoch eine Spanne von 40 bis 60 Dollar pro Barrel diskutiert. Die EU könnte also ohne Öl dastehen. Der nächste Schritt ist, ohne Gas dazustehen.

„Wir sind jetzt gut vorbereitet. Wir haben die erste Verteidigungslinie für unsere Märkte. Jetzt ist es an der Zeit, darüber zu reden, wie wir Energiepreisspitzen und Energiepreismanipulationen durch Putin begrenzen können. Das wird eine Diskussion über Preisobergrenzen sein“, sagt die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen.

Von der Leyen hat wahrscheinlich vergessen, dass die Europäische Union einen einzigartigen Mechanismus zur Begrenzung der Preise und zur Absicherung gegen Spekulationen hatte – die langfristigen Verträge mit Gazprom. Genau darüber hat das Magazin Focus diese Woche geschrieben: „Die neue europäische Weltordnung, so schwierig sie angesichts der aktuellen Entwicklungen um die annektierten Regionen LNR, DNR sowie Cherson und Saporoschje auch sein mag, muss die Interessen Russlands berücksichtigen. Für Deutschland ist Russland seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion ein wirtschaftlich profitabler Partner und ein naher Nachbar. Das unterscheidet die deutschen von den amerikanischen Interessen: Wir können die Geographie nicht ignorieren.“

Aber von der Leyen kann es. Jetzt will sie auch den globalen Flüssiggas-Markt dem Willen der Europäer unterwerfen und ihm neue, nicht marktkonforme, Preisbildungsprinzipien diktieren. Aber Flüssiggas kann und wird, im Gegensatz zu Pipeline-Gas, dorthin gehen, wo mehr gezahlt wird. Sogar amerikanisches Gas, denn bisher läuft es nicht gut mit der von Washington versprochenen Energiehilfe. Europa hat es geschafft, bis zu 90 Prozent seiner unterirdischen Gasspeicher zu füllen, womit sich Brüssel immer wieder rühmt, aber zu einem Preis, der die Situation für die Verbraucher nicht besser macht.

„Manche Menschen sind wirklich in die Enge getrieben. Sie kommen nicht mehr klar, rufen bei der Beratungsstelle an und drohen, sich umzubringen, weil sie nicht wissen, wie es für sie weitergeht“, sagte Annabelle Ohlmann, Leiterin der Verbraucherzentrale Bremen.

„Die Menschen verlieren langsam die Geduld, die Unternehmen wissen nicht mehr, wie es weitergehen soll. Vor dem Hintergrund der explodierenden Energiepreise ist vieles in Frage gestellt. Wirtschaftswissenschaftler sagen, dass wir am Rande einer Rezession stehen und dass uns eine Welle von Insolvenzen bevorsteht. Wir haben erwartet, dass die Regierung bekannt gibt, wie das vorgeschlagene Instrument, nämlich die Deckelung der Gaspreise, funktionieren soll. Das ist aber nicht passiert“, ist der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer empört.

In Deutschland hat man festgestellt, dass die Regierung – insbesondere Finanzminister Lindner – begonnen haben, verschiedene Metaphern zu missbrauchen: „Schutzschirm“, „Steuerbremse“, „atmende Preisobergrenze“. Die Menschen ärgern sich darüber, dass alles unverständlich bleibt. Sie wollen sofortige Erleichterung, aber die gibt es nicht, auch wenn der Kanzler alles verspricht. Zusammen mit von der Leyen ist er im Begriff, den Weltmarkt neu zu gestalten – wenn das doch klappen sollte, dann sicher nicht bald.

„Wir können überschüssige Gewinne einziehen und sie dazu verwenden, die Strompreise für Bürger und Unternehmen zu senken, und dazu gehört auch eine Deckelung der Gaspreise, an der wir gerade arbeiten, die ebenfalls einen wesentlichen Beitrag dazu leisten dürfte, die Gaspreise, die Heizrechnungen wieder zu senken. Und das werden wir mit den Fördermöglichkeiten, die wir hier in Deutschland haben, so lange tun, bis das auf dem internationalen Gasmarkt passiert“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz.

Ein 200-Milliarden-Euro-Soforthilfepaket für Industrie und Haushalte. Deutschland hat die Möglichkeit, sich so viel Geld zu leihen. Noch hat niemand das Geld gesehen, aber die Nachbarn sind schon neidisch.

Das Treffen der europäischen politischen Gemeinschaft, und insbesondere das darin integrierte informelle Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs, hat sich schnell von einem Anti-Putin-Gipfel in einen Anti-Scholz-Gipfel verwandelt, wie N-TV feststellte: „Nicht wenige EU-Länder sehen die deutsche Entscheidung für das 200-Milliarden-Paket als egoistisch an: Das reiche Deutschland erhält einen wirtschaftlichen Vorteil, den sich andere europäische Länder nicht leisten können.“

Und dann auch noch Die Welt: „Auch einige Verbündete Deutschlands sind irritiert über Deutschlands Umgang mit der Krise: Seit Monaten kauft Deutschland an den Märkten Gas auf und treibt die Preise in die Höhe.“

Der polnische Ministerpräsident war, wie erwartet, der erste, der auf die Deutschen reagierte. Morawiecki ist jetzt generell auf der Suche nach Geld, insbesondere hat er vorgeschlagen, 350 Milliarden Dollar an russischen Vermögenswerten zu nehmen und sie unter allen aufzuteilen: einen Teil an die Ukraine, einen Teil an Europa und natürlich einen Teil an Polen. Wenn das Geld ohnehin herumliegt, warum es nicht stehlen? Und wenn Deutschland viel Geld hat, warum sollte man es nicht ausnehmen?

„Es wird heute viel über den Egoismus Deutschlands gesprochen. Es ist klar erkennbar, dass die Energiepolitik der Europäischen Union nicht unter dem Diktat Deutschlands umgesetzt werden kann“, sagte Morawiecki.

Die Balten beklagen sich im Einklang mit Morawiecki: Der lettische Ministerpräsident Kariņš sagte, die deutsche Wirtschaft sei so groß, dass die Unterstützung der deutschen Regierung den EU-Binnenmarkt verzerren könnte. Kurz gesagt: gebt uns Geld! Plötzlich erinnerte sich Griechenland daran, dass nicht nur Polen, sondern auch es selbst während des Zweiten Weltkriegs unter den Deutschen gelitten hat, und folgte Warschau, als es die Frage der Reparationen ansprach. Man sollte sich von der äußeren Idylle nicht täuschen lassen – mit der Zeit traten auch deutsch-französische Spannungen zutage: Vor dem Prager Gipfel reiste Scholz nach Spanien, um über die Weiterführung einer Gaspipeline durch die Pyrenäen zu verhandeln. Ein Teil der Pipeline muss durch Frankreich verlaufen, aber Paris gibt kein grünes Licht und sagt, es werden keine Gaspipelines benötigt, sondern Kernkraftwerke, mit denen die Deutschen ohnehin nicht einverstanden sind. Und die Aussichten sind absolut klar: Es wird mit jedem Tag, mit jeder Woche kälter und interessanter werden.

Besondere Hoffnungen auf eine Wende in der europäischen Geschichte sind mit Frau Meloni verbunden, der Vorsitzenden der italienischen Rechten, die die Nachfolge von Ministerpräsident Mario Draghi antreten wird. Sie ist dafür bekannt, dass sie Macron auf Wahlveranstaltungen einen unverantwortlichen Zyniker nennt. Jetzt kann sie ihm das auch ins Gesicht sagen. Der nächste EU-Gipfel findet in vierzehn Tagen statt.

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Trotz allen Lächelns: Der Streit in der EU wächst
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2 Kommentare

  1. „„Wir können überschüssige Gewinne einziehen und sie dazu verwenden, die Strompreise für Bürger und Unternehmen zu senken, und dazu gehört auch eine Deckelung der Gaspreise, an der wir gerade arbeiten, die ebenfalls einen wesentlichen Beitrag dazu leisten dürfte, die Gaspreise, die Heizrechnungen wieder zu senken. Und das werden wir mit den Fördermöglichkeiten, die wir hier in Deutschland haben, so lange tun, bis das auf dem internationalen Gasmarkt passiert“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz.“

    Klarer Fall von Hybris, als wenn sich der Rest der Welt nach den Regeln von Olafs Vasallenladen richten würde.

  2. „Wir haben erwartet, dass die Regierung bekannt gibt, wie das vorgeschlagene Instrument, nämlich die Deckelung der Gaspreise, funktionieren soll. Das ist aber nicht passiert, …“

    Naja, erklären kann halt nur derjenige, der es selbst zuvor verstanden hat … und da klemmt’s halt mal wieder.

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