Manfred Gburek, 22. Juni 2012
Vor dem Fußballspiel Deutschland/Griechenland zogen einige griechische Medien gegen uns kräftig vom Leder. Insofern ist wenigstens das Ergebnis 4 : 2 zugunsten Deutschlands ein vorläufiger versöhnlicher Abschluss, und zwar für beide Seiten: Wir sind in der Europameisterschaft weiter gekommen, aber die Griechen können sich rühmen, tapfer dagegengehalten zu haben – eine Episode, die für die Bewältigung der Eurokrise irgendwie symbolisch ist. Das heißt, die anderen Euroländer dürfen sich allerlei Frechheiten erlauben, doch am Ende zahlt Deutschland, weil es erfolgreich ist.
Zur Ergänzung des Themas Griechenland sei hier zunächst der griechische Philosoph Nikos Dimou zitiert, der seine Landsleute laut Börsen-Zeitung bereits vor vier Jahrzehnten wie folgt charakterisierte: „Der Grieche nimmt die Realität prinzipiell nicht zur Kenntnis. Er lebt zweifach über seine Verhältnisse. Er verspricht das Dreifache von dem, was er halten kann. Er weiß viermal so viel wie das, was er tatsächlich gelernt hat. Er zeigt seine Gefühle fünfmal stärker, als er sie wirklich empfindet.“
Griechenland hat sich dem Euro bekanntermaßen erst nachträglich angeschlossen und allein schon dadurch zu dessen aktuellem Glaubwürdigkeitsproblem beigetragen. Daraus abzuleiten, wie die Staatsschuldenkrise des Euroraums und damit die Eurokrise bewältigt werden kann, ist heute schier unmöglich. Indizien dafür, dass vor allem um sie herum laviert wird, gibt es ja genug.
Dazu nur vier Beispiele allein aus den vergangenen Tagen: 1. Das G20-Treffen, bei dem so viel an wichtigen Themen vorbei geredet wurde wie lange nicht mehr, 2. die deutsche Fiskalpakt-Diskussion, die ohne Einbindung aller anderen Euroländer eine Geisterveranstaltung bleibt, 3. das Randthema Finanztransaktions- bzw. Finanzmarktsteuer, das ohne wirklichen praktischen Wert einfach nur ideologisch aufgebläht ist, und 4. der peinliche Aufschub des Rettungsfonds ESM, immerhin durch keine geringere Institution als das Bundesverfassungsgericht, woraufhin Aktien und Edelmetalle am vergangenen Donnerstag erst einmal abwärts reagierten.
Es gibt noch eine ganze Reihe von weiteren Themen, die immer wieder in den Medien auftauchen, ohne wirklich zu nutzbaren Erkenntnissen zu führen: abwechselnd mal eine angebliche Goldblase, mal eine undifferenzierte Immobilienblase, die Klimakatastrophe, ein Sonnensturm, der immer wieder prophezeite Aktiencrash, hier oder da eine Staatspleite und schließlich die Währungsreform. Das Schlimme daran ist, dass dabei einige wortgewandte Gurus mit starker Unterstützung durch die Medien ihr Süppchen kochen. Ihr Geschäftsmodell besteht in der Bekanntheit. Allerdings: Je häufiger sie im Fernsehen, im Internet und in den Printmedien auftauchen, desto weniger Zeit für tiefgreifende Recherchen bleibt ihnen übrig. Den Rest kann man sich denken: Das Geschäftsmodell Bekanntheit verwandelt sich allmählich in das Geschäftsmodell Blabla.
Jenseits der gerade erwähnten Themen gibt es indes noch andere, und die haben es wirklich in sich, weil sie viele Bereiche betreffen und tickende Zeitbomben repräsentieren. Beispiele: natürlich die Staatsschuldenkrise samt Eurokrise einschließlich Zahlmeister Deutschland im Mittelpunkt, die mit Zwangssparen, Kapitalmarktkontrollen und weiteren staatlichen Eingriffen verbundene finanzielle Repression, Steuererhöhungen, stark steigende Mieten und Strompreise, Zeitungssterben, Zuwanderung aus dem Ausland, Engpässe bei Schweizer Tresoren, weil die schon prall mit Gold gefüllt sind, Altersarmut, negative Realzinsen, fusionierende oder in der Versenkung verschwindende Fonds, Kapitulation der Versicherer, Pensionskassen und Pensionsfonds vor den niedrigen Zinsen.
Die Themen von Altersarmut bis Kapitulation hängen eng zusammen. Das bedeutet: Hier vereinigen sich mehrere Zeitbomben mit extrem hoher Sprengkraft. Der soeben erschienene Jahresbericht der Finanzaufsicht BaFin widmet ihnen viele Seiten. Daraus lässt sich schließen, dass wegen des niedrigen Zinsniveaus nicht nur Lebens-, sondern auch private Krankenversicherer die Versprechen nicht mehr einhalten können, die sie ihren Kunden gegeben haben.
Dazu eine kleine Anekdote: Neulich hielt Tobias Pross von der größten deutschen Fondsgesellschaft Allianz Global Investors bei einem Seminar der Analystenvereinigung DVFA die Eröffnungsrede, in der er den Zustand des für die Kapitalanlagen des Allianz-Konzerns verantwortlichen obersten Chefs, Maximilian Zimmerer, mit dem Satz kommentierte: „Inzwischen hat er schon Schweißperlen auf der Stirn.“ Das heißt wohl so viel wie: Die auf festverzinslichen Papieren aller Art basierende Altersvorsorge gerät durch das niedrige Zinsniveau immer mehr in Gefahr.
Wobei die Finanzaufsicht noch auf einen zusätzlichen Gefahrenpunkt hinweist, nachdem sie der Abstufung griechischer Anleihen auf „default“ (Insolvenz) schon vor einem Jahr vorgebeugt hat: „Seitdem duldet die BaFin auch auf ‚default‘ eingestufte (griechische) Staatsanleihen so lange im gebundenen Vermögen der Versicherer, wie die Garantie des Europäischen Stabilisierungsmechanismus läuft.“ Das bedeutet: Der von den deutschen Verfassungsrichtern auf den Prüfstand gestellte ESM – siehe oben – springt im Zweifel für die Kunden der Versicherer ein. Das ist nichts anderes als die Umverteilung der Lasten von den Versicherten auf die Steuerzahler, nur dass diese wohl kaum den BaFin-Jahresbericht studieren, um die darin angedeuteten Zeitbomben zu entdecken.
Dort ist übrigens auch zu lesen, dass die Versicherer Ende 2011 nur 3 Prozent ihres gebundenen Vermögens in Aktien und Aktienfonds angelegt hatten, weniger als ein Jahr zuvor. Doch wie ich den Aussagen von Analysten und Disponenten der großen Kapitalsammelstellen in den vergangenen Wochen entnehmen konnte, haben sie inzwischen den Hebel zugunsten von mehr Aktienfonds und damit indirekt zu mehr Aktien umgelegt. Das heißt, speziell deutsche Aktien, vor allem die im Deutschen Aktienindex Dax enthaltenen marktbreiten mit hoher stetiger Dividendenrendite, erhalten nach Kursrückschlägen immer wieder eine Stütze. So weit die positive Betrachtung.
Es gibt indes noch eine bedenkliche Entwicklung, von der zunehmend solche Fondsanleger betroffen sein werden, die ihr Geld in kleinen bis mittelgroßen Fonds angelegt haben: die Konzentration der Branche. Der deutsche Fondsverband BVI hat ausgerechnet, dass zuletzt bereits 47 Prozent des Geschäfts auf 158 Fonds mit einem Volumen von über 1 Milliarde Euro entfielen und 53 Prozent auf 3473 Fonds mit weniger als 1 Milliarde Euro. Vor zehn Jahren hatte das Verhältnis der Fonds über/unter 1 Milliarde Euro erst bei 33/5363 bzw. 14/86 Prozent gelegen.
Der hier skizzierte Trend, auch Fondssterben oder Fonds perdu genannt, ist für die Anleger bedenklich, die ihren Vermögensaufbau oder ihre Altersvorsorge solchen Fonds anvertraut haben, die vom Markt verschwunden sind und weiter verschwinden. Denn was für die Branche Kostenersparnis und Rationalisierung ist, bedeutet für Anleger in der Regel, Abwicklungsverluste in Kauf nehmen zu müssen. Und weil ein immer größerer Teil der betrieblichen Altersversorgung über Fonds läuft, sind Anleger gut beraten, wenigstens ihren privaten Vermögensaufbau samt Vorsorge in Zukunft – zusätzlich zu ihren Edelmetallanlagen – mehr auf direkte Aktienkäufe zu konzentrieren.
Quelle: gburek