Steinbrück und sonstige „Leistungsträger“

von Gert Flegelskamp

Wenn mal wieder politische Maßnahmen bzgl. der Sozialsysteme zur weiteren Verschlechterung praktiziert werden und die Presse darüber berichtet, fällt immer wieder der Begriff „Leistungsträger“. In den Leserkommentaren solcher Berichte wird dieser Begriff auch gerne übernommen, vor allem von solchen Lesern, die für die Abschaffung der Sozialsysteme eintreten, weil sie sie als Belastung des Steuerzahlers sehen. Diese Leser lassen außeracht, dass zumindest Arbeitnehmer in abhängigen Arbeitsverhältnissen einen nicht geringen Anteil ihres Einkommens in die Sozialsysteme einbezahlen und es die Verbände und die politischen Vertreter sind, die den Rahm abschöpfen. Das einzig Moderne am Gesundheitsmodernisierungsgesetz war die Erweiterung der Möglichkeiten, sich mit den Beiträgen der Arbeitnehmer die Taschen zu füllen. Das Rentensystem wird schon seit Beginn als eine teilweise auf Arbeitnehmer beschränkte Steuer verwendet, mit dem Unternehmer, Selbständige, Beamte und Politiker von bestimmten steuerlichen Verpflichtungen entbunden werden, ein Grund, warum Politiker den Begriff Fremdlasten nur äußerst ungern hören und selbst nie verwenden. Mit Begriffen wie Demographie und Geburtenrückgang lässt sich die Bevölkerung auch viel leichter düpieren, als mit Begriffen wie Deregulierung des Arbeitsmarktes oder der Banken, obwohl das die echten Fakten sind, mit denen durch Beitragsbeschränkung Notsituationen im Sozialbereich erst entstanden sind.

Wer aber sind nun eigentlich die Leistungsträger (nicht nur) in diesem Land? Sind es die Reichen? Sind es die Professoren (zumeist Beamte), die jegliche Ausbeutung schönreden? Sind es Politiker, die wie die Professoren agieren? Ist ein Milliardär Otto, der mit dem Hermes-Versand Scheinselbständige für die Auslieferung seiner Waren mit Hungerlöhnen abspeist, um seine Milliarden zu vergrößern, wirklich ein Leistungsträger?

Die wirklichen Leistungsträger sitzen an den Kassen der Supermärkte, stehen am Marktstand, um die Waren zu verkaufen, sitzen in den Lieferwagen und LKWs, arbeiten in Unternehmen an den Maschinen und in den Verwaltungen der Unternehmen, zumeist für viel zu geringe Löhne, schaffen den Müll auf die Deponien, bauen Häuser und Wolkenkratzer, schließen elektrische Leitungen, sanitäre Einrichtungen und Telefone an, machen Vorschläge zur Verbesserung von Produkten, schlicht gesagt, sie halten das System am Laufen.

Wo wären all die so genannten Leistungsträger, wenn die, die mit ihrer Arbeit erst die Bildung von Vermögen ermöglichen, mit einem Schlag ihre Arbeit niederlegen würden und ihre Leistungen lediglich untereinander tauschen würden?

Natürlich, da sind zuerst mal diejenigen, die die Idee zu einem Produkt hatten und dann die, die die Produktion des Produktes mit ihrem Kapital ermöglichten, die Voraussetzung, um ein Unternehmen aufzubauen, damit ein Produkt auch in der Menge hergestellt werden kann, um damit nicht nur die Löhne derer zu zahlen, die dann die Herstellung ermöglichen, sowie die Gewinne für die, die mit ihrer innovativen Idee die Entwicklung eingeleitet haben und die, die die Produktion finanziert haben, sondern auch noch einen Anteil an den Staat zu zahlen, der dafür die Infrastruktur bereitstellt und eigentlich auch regeln sollte, dass eine gerechte Aufteilung der wirtschaftlichen Erfolge vorgenommen wird.

Das alles funktioniert nur durch ein Miteinander und was die Aktion „Um-Fair-Teilen“ zum Ausdruckt bringen wollte, ist, auf dieses Miteinander hinzuweisen. Wenn der Staat z. B. Steuerflucht begünstigt, statt sie energisch zu bekämpfen, wenn er Steuermittel für Subventionen an Unternehmen bewilligt, die auch ohne Subventionierung profitabel arbeiten könnten, weil eine undemokratische supranationale Organisation wie die WTO das fordert, die sich nur den Reichen verpflichtet fühlt, wenn Parteien wie die so genannten Volksparteien (SPD, Grüne, CDU/CSU, FDP) Lohndumping einführen, damit sich die Gewinnmargen der Konzerne erhöhen, wenn sie Staatseigentum zu Minipreisen verhökern, obwohl das aus den Steuergeldern des Volkes gebildet wurde, dann ist das erforderliche Miteinander nicht mehr gegeben. Es hat der Ausbeutung Platz gemacht. Weil die Reichen die Macht haben, fordern sie mehr Leistung für weniger Geld und grenzen damit immer mehr Menschen aus. Das mag eine gewisse Zeit auch funktionieren, doch irgendwann geht dieser Schuss nach hinten los.

Wenn heute von Banken- und Euro-Rettung die Rede ist, ist das doch nicht mehr als hohles Geschwätz, denn die wirkliche Rettung ist die Rettung der spekulativen Anlagen derer, die in ihrer Gier jedes Maß verloren haben. Es gibt auch keine „systemischen Banken“, sondern nur Banken, die von dieser Gier nach immer mehr angesteckt wurden. Wenn sie pleitegehen, verlieren die, die den Hals nicht voll genug bekommen haben, eben Teile ihres Vermögens, welches sie sich durch Ausbeutung und Spekulation angeeignet haben. Die dann folgenden Insolvenzverfahren könnten so abgehandelt werden, dass die Verpflichtungen der Bank gleichmäßig aus der Aktiva bis zu einer Höchstgrenze, ermittelt aus den echten Werten der Aktiva, geteilt durch die Zahl der Geschädigten, bezahlt werden. Damit wären die Kleinanleger geschützt.

Aber das ist lediglich eine Utopie, denn die Praxis zeigt, dass immer zuerst die Gierigen bedacht werden. Als z. B. der Baulöwe Schneider in Frankfurt insolvent wurde, wurden die Großbanken aus der Insolvenzmasse bedient, während die kleinen Unternehmer für ihre geleistete Arbeit und den Aufwendungen für das verauslagte Material nicht entschädigt wurden.

Wer einen internetfähigen PC besitzt, wird inzwischen von der GEZ zur Kasse gebeten und das wird vom BVerfG auch noch unterstützt. Das zeigt der gerade ergangene Beschluss zum Gesetz über die Rundfunkgebühren, das jeden verpflichtet, die vollen Rundfunkgebühren zu zahlen, sofern er einen internetfähigen PC oder ein internetfähiges Handy besitzt. Das BVerfG äußert sich so:

Sie dient der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Zur Erreichung dieses Ziels ist die Gebührenerhebung geeignet und erforderlich. Zugangssperren stellen kein gleich wirksames Mittel dar, weil Zweifel an ihrer Umgehungssicherheit bestehen und sie mit dem Grundversorgungsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks kollidieren würden.

und weiter in Abs. 3:

Die Gleichbehandlung von Besitzern herkömmlicher und neuartiger Rundfunkempfangsgeräte beruht auf einem vernünftigen, einleuchtenden Grund. Sie soll einer drohenden „Flucht aus der Rundfunkgebühr“ begegnen und dadurch die funktionsadäquate Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gewährleisten.

Was das BVerfG wohl mit der Aussage “ Grundversorgungsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“ gemeint haben mag? Gehört es zur Grundversorgung der Bevölkerung, dass in so genannten politischen Sendungen Vertreter von Politik und Lobbyverbänden das Recht eingeräumt wird, die Zuschauer einer permanenten Gehirnwäsche zu unterziehen? Gehört es zur Grundversorgung der Bevölkerung, dass der Bevölkerung nach altem römischem Geist (Brot und Spiele, wobei Brot heute nicht mehr gereicht wird) Spiele präsentiert werden, die mit erheblichen Zahlungen an millionenschwere Vereine und milliardenschwere Dachverbände moderne Gladiatorenkämpfe auf die Bildschirme bannen, mit denen nationale Begeisterung erzeugt werden soll, die ansonsten als nationalistisch verfemt und in einem „neuen Europa“ als unangebracht verdammt wird? Ansonsten ist doch das öffentlich-rechtliche Programm fast auf dem gleichen seichten Level wie die Privatsender. Horror, Action und Wiederholungen wechseln bei den Öffentlich-Rechtlichen mit trivialen Sendungen, in denen nicht selten unterschwellige Lobbyarbeit, vor allem in den Vorabendsendungen betrieben wird.

Na ja, im vorliegenden Fall ging es nur um die Rundfunkgebühren. Ab Januar 2013 geht es darum, dass jeder PC- oder Handy-Besitzer Rundfunk- und Fernsehgebühren zahlen muss, völlig losgelöst von der Frage, ob er überhaupt Fernsehen nutzt oder Radio hören will. Der jetzige Beschluss ist lediglich eine Vorankündigung des BVerfG, wie die Urteile dazu bei künftig anstehenden Klagen ausfallen werden.

Heute ist der Tag der Deutschen Einheit, einer Einheit, die nicht praktiziert und auch nicht gewollt ist. Dazu hat Egon W. Kreutzer einen bemerkenswerten Beitrag geschrieben, dem ich von ganzem Herzen zustimme.

Aber mit der SPD und ihrem neuen Kanzlerkandidaten wird ja nun alles besser. Das zumindest reden uns die Medien in massenhaft erscheinenden Berichten ein. Sie betonen die bei Steinbrück vorhandene Kompetenz, die er bereits in der Bankenkrise bewiesen habe.

Meine Erinnerung ist allerdings eine völlig andere. In meiner Erinnerung waren es SPD und Grüne, die die Deregulierung der Banken erst eingeführt haben und da spielten die Finanzminister, zuerst Eichel, später Steinbrück, eine dominierende Rolle. Eichel hat den so genannten „Investoren“ erst Tür und Tor geöffnet, indem er die Steuerbefreiung des Verkaufs von Unternehmensanteilen eingeführt hat, sozusagen als Einstand, als er die Nachfolge von Lafontaine antrat. Diese „Investoren“ bezeichnete Müntefering dann im Wahlkampf 2009 als „Heuschrecken“, was man getrost als richtige Darstellung ansehen kann, die allerdings darauf verzichtete, den Einfall dieser „Heuschrecken“ der eigenen Partei zuzuschreiben. Nach 2005 war es dann Steinbrück mit seinem treuen Helfer Asmussen, der seine „Kompetenz“ bei den Vorfällen um die IKB und die HRE unter Beweis stellte und damit einige 100-Milliarden an Steuergeldern versenkt hat. Noch im Jahr zuvor, die Bankenkrise in den USA hatte bereits begonnen, hat Asmussen in Deutschland noch intensiv für CDOs und ABS geworben und dabei verlangt, man solle den Banken beim Erwerb dieser Papiere keine „unnötigen“ Schwierigkeiten in Form gesetzlicher Regelungen in den Weg legen.

All die Experten, egal, ob z. B. im Aufsichts- oder Verwaltungsrat der IKB und deren Mutter, der KfW oder der Aufsichtsbehörden BaFin und SoFFin sollen nicht bemerkt haben, was sich da in den USA und der Wallstreet bereits abspielte? Nicht zu vergessen, dass in den beiden genannten Räten der IKB und der KfW neben Bank- und Unternehmensmanagern auch die Minister für Wirtschaft und Finanzen und weitere Politiker vertreten waren. Ausgerechnet dieser ehemalige Finanzminister spielt sich nun starker Mann in der SPD auf, der es den Banken zeigen will? Arme SPD! Dass die Fraktion und der SPD-Vorstand ihn unterstützen, ist verständlich, waren doch beide in die damaligen Aktionen in vollem Umfang eingebunden. Wenn aber auch die Basis auf dem Parteitag im Herbst ihn nominiert, wird sich die SPD nie mehr als sozial und demokratisch darstellen können. Zwar wird Steinbrück gegen die Merkel verlieren, aber die Bilderberger überlassen nichts dem Zufall. Sollte wider Erwarten rot-grün wirklich eine Mehrheit erlangen, haben sie mit Steinbrück und Trittin zwei Leute an der Spitze, denen sie schon klargemacht haben, wohin die Reise geht.

Allmählich kann ich den Standpunkt jener verstehen, die nicht wählen gehen, weil ja eigentlich nichts Wählbares auf der politischen Bühne antritt. Ich glaube auch nicht wirklich, dass Linke oder Piraten, wenn sie an der Macht wären, wirklich eine völlig andere Politik betreiben würden, aber es wäre endlich mal ein Zeichen der Wähler, dass sie sich das Gebaren der derzeitig etablierten Parteien nicht mehr bieten lassen. Nicht zu wählen setzt dieses Zeichen aber nicht, denn kein Gesetz sieht Einschränkungen bei zu geringer Wahlbeteiligung vor. Im Gegenteil, die Etablierten profitieren davon, wenn Leute nicht wählen gehen. Nicht finanziell, denn weniger Wähler bedeutet auch weniger staatliche Parteienfinanzierung, doch das sollte man nicht als Maßstab sehen, denn die Lobbyverbände sorgen schon dafür, dass die Kassen der Parteien gut gefüllt werden und nur selten gelangen die damit verbundenen Praktiken ans Tageslicht.

Bei den Piraten kristallisiert sich auch jetzt schon heraus, dass Volkswirtschaftler und Bankmitarbeiter in die Führungsebene geschwemmt werden. Volkswirtschaft, so wie sie heute gelehrt wird, ist aus meiner Sicht das Gegenteil einer Empfehlung, denn die folgt auf den meisten Universitäten der neoliberalen Lehre und was aus den Banken in die Politik schwimmt, ist ebenfalls indoktriniert.

Aber die Erkenntnis, dass man mit den Deutschen nahezu alles machen kann, hatte schon Napoleon und es hat ihn wirklich amüsiert. Mich allerdings vermag das nicht zu amüsieren, sondern bringt mich eher zur Verzweiflung.

Quelle: flegel

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