Staatsverschuldung

Ein, wie ich finde, interessanter und lesenswerter Aufsatz von Ferdinand Wenzlaff zur Staatsverschuldung, sowie ein Lösungsansatz zur Rückführung der Staatsverschuldung. Vorab zur Information einige Auszüge aus dem Aufsatz, die dem Leser einen kurzen Einblick vermitteln.

„Bezugnehmend auf einen Meilenstein-Aufsatz von Evsay Domar von 1944 hält Helmedag die Staatsschuld für unbedenklich, wenn wir eine Wachstumsrate über der Zinsrate erzeugen können, was er sich über eine Steigerung der effektiven Nachfrage durch Umverteilung und Beibehaltung (oder auch Ausdehnung) der Staatsverschuldung erhofft.

Das Paradigma der Freiwirtschaft fußt zu großen Teilen noch auf dem tauschtheoretischen Fundament des Mainstreams (eingehender vgl. Wenzlaff, 2010a). Doch hat sie die bahnbrechende Idee der Besteuerung liquider Vermögen zur Schließung des Kreislaufs. Mit einer Geldhaltesteuer könnte der Ertrag von Staatstiteln sinken.

Der traditionelle fiskalische Keynesianismus (Konjunkturbelebung durch Staatsverschuldung) ist nicht nur daher bedenklich, weil riesige Staatsdefizite aufgetürmt werden, sondern in seiner Wirkung überhaupt fragwürdig. Wir wissen aus der japanischen Erfahrung, dass so nur liquide Geldvermögen aufgebaut werden, diese aber keinen Grund zur weiteren kreislaufwirksam Verwendung haben.

Niemals wird der Staat konsolidieren oder gar tilgen können, solange die Zinsrate über der Wachstumsrate liegt.“

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Staatsverschuldung

Volkswirtschaftliche Fragestellungen können nicht betriebswirtschaftlich gelöst werden!

Von Ferdinand Wenzlaff

Zu bedauern ist, dass sich in der Politik oft keine rationalen Debatten führen lassen und Einzelinteressen einen korrupten Weg der Durchsetzung zum Schaden des Gemeinwesens finden. Der noch größere Skandal besteht darin, dass sich die Wirtschaftswissenschaft in den Dienst privater Interessen stellen lässt und Ideologien statt volkswirtschaftlichen Theorien den Diskurs dominieren, die zur Grundlage einer verfehlten Wirtschafts- und Sozialpolitik werden. Die Debatte um die Staatsschulden zeigt ganz besonders, wie unzureichend ein volkswirtschaftlicher Gegenstand betrachtet werden kann. Wenn Volkswirte den kreislaufwirksamen Impuls einer Kürzung der Staatsausgaben mit dem Ziel des Budgetausgleichs (keine neuen Schulden) oder gar Konsolidierung (Schuldentilgung) wegdenken, wird der Anspruch eines eigenen Gegenstandes der Volkswirtschaftslehre negiert und Staatsverschuldung als betriebswirtschaftlich zu lösendes Problem aufgefasst.

Betriebswirtschaftliche und volkswirtschaftliche Betrachtung

Man kann nicht behaupten, dass die traditionelle konservativ-liberale Volkswirtschaftslehre keinen Blick für gesamtwirtschaftliche Prozesse hatte. Ernst zu nehmende Kernargumente sind, dass sich der Staat auf spezifische Aufgaben (vor allem die Entwicklung und Sicherstellung einer sozialen Ordnung) zu konzentrieren habe und dass freie Entfaltungsmöglichkeiten auf dem Markt und individuelle Nutzenmaximierungen bei wirtschaftlichen Transaktionen auch zum Nutzen der Allgemeinheit beitragen. Auch wenn der viel beschworene Markt nicht auf alle sozialökonomischen Gegenstände anwendbar ist (z.B. Krankenversicherung, Infrastruktur), so ist dennoch die Kraft des Marktprinzips in der Sphäre der meisten Konsumgüter und Dienstleistungen theoretisch und empirisch kaum widerlegbar. Das Streben, günstig zu erwerben, genau wie das Streben, mit geringsten Kosten zu produzieren, lassen individuelle Kostensenkungen zu volkswirtschaftlichen Einsparungen werden.

Eine weit verbreitete Annahme ist, dass Kosteneinsparungen bzw. Rationalisierungen Arbeitslosigkeit verursachen. Einkommenskreislauftheoretisch stimmt diese Überlegung jedoch nicht. Diese Theorie der Arbeitslosigkeit summiert die einseitigen betriebswirtschaftlichen Phänomene, ohne die Wechselwirkungen im volkswirtschaftlichen Kreislauf zu betrachten. Betriebswirtschaftlich gesehen verschwindet an dieser Stelle ein Arbeitsplatz. Volkswirtschaftlich gesehen haben alle anderen jedoch mehr Einkommen zur Verfügung, da das Produkt weniger Arbeitskosten beinhaltet und somit günstiger wird. Mit dem eingespartem Einkommen kann etwas Anderes zusätzlich nachfragt werden, womit neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Oder in anderen Bereichen sinkt die Arbeitszeit und der freigewordene Arbeiter kann in eine andere Branche hineingezogen werden. Selbst die ganz naive Variante der Theorie der Arbeitslosigkeit durch Rationalisierung, wonach die Produkte nicht günstiger werden und der Rationalisierungsgewinn vom „Kapitalisten“ eingestrichen wird, kann sich nicht dem Einkommenskreislauf widersetzen: Dann wird eben das zusätzliche Einkommen beim Kapitalisten erscheinen, der nun Luxusgüter kauft oder Investitionen finanziert – beides generiert aber Nachfrage und sichert die Arbeitsplätze!

Der volkswirtschaftliche Gegenstand ist nicht die Beobachtung, dass ein Betrieb mithilfe einer Rationalisierung den gleichen Output mit weniger Arbeitsvolumen generieren kann, sondern die Wirkung der Rationalisierung auf den Einkommenskreislauf. Eben wurde der Einkommenskreislauf vereinfacht dargestellt, indem für Einkommensschaffung und deren Verwendung als Verbrauch eine Identität unterstellt wurde. In der Wirklichkeit kann geschaffenes Einkommen auch gespart bzw. gehortet werden. Somit erklärt sich strukturelle Arbeitslosigkeit durch unzureichender nachfragewirksamer Verwendung von Einkommen, und nicht durch die Rationalisierungen (vgl. dazu ausführlich Wenzlaff, 2010b).

Das Beispiel sollte den Unterschied betriebswirtschaftlicher und volkswirtschaftlicher Betrachtung verdeutlichen. Ein einfacheres Beispiel ist die Forderung nach niedrigen Löhnen zur Beseitigung von Arbeitslosigkeit. Betriebswirtschaftlich gesehen herrscht zu einem genügend niedrigem Lohn immer Vollbeschäftigung. Volkswirtschaftlich (kreislauf-theoretisch) funktioniert das jedoch nicht, weil niedrige Masseneinkommen nicht genügend Nachfrage ausüben, während die hohen Einkommen zu niedrige Konsumquoten aufweisen. Einzelne exportorientierte Branchen profitieren von Niedriglöhnen; die Volkswirtschaft leidet aber unter einer schwachen Binnennachfrage aufgrund niedriger Löhne.

Staatsverschuldung als betriebswirtschaftliches Problem?

Viele Politiker und Wissenschaftler stellen sich bzgl. der Staatsverschuldung folgende Aufgabe: Zunächst muss die Netto-Neuverschuldung auf Null gesenkt werden, sodass die Schuldenquote (Schuldenstand in Relation zum Volkseinkommen) nicht weiter steigt. In mittlerer Frist sollen Schulden netto getilgt werden (Senkung der Schuldenquote). Man braucht den Begriff „Netto“, da laufend Kredite aufgenommen und getilgt werden, von Interesse aber nur der verbleibende Saldo ist.

In einer Abhandlung oder Veranstaltung zur Staatsverschuldung wird zunächst meist der plumpe Grundsatz aufgestellt, man könne doch nicht mehr ausgeben als man einnimmt. Was für den Bürger gelte, muss auch für den Staat gelten! Aber der private Sektor verschuldet sich laufend. Nur in der Robinson Crusoe-Wirtschaft gibt es keine Verschuldung. In einer modernen Volkswirtschaft ist Verschuldung Bedingung und Grundprinzip der wirtschaftlichen Aktivität. Im endogenen Kreditgeldsystem wird Produktion durch Kredit vorfinanziert und ohne den Verschuldungsakt gäbe es kein Geld im Kreislauf. Für Haushalte hätte es keinen Sinn, ein Haus am Ende ihres Lebens zu bauen. Der Student bekommt Geld nach Bafög, um es später (zumindest anteilig) zurückzuzahlen. Wirtschaften ist nicht Tausch von Eiern gegen Kartoffeln, sondern Eröffnen von Schuldkontrakten. Während Private über den Verkauf ihrer Arbeitskraft – und Unternehmen über den Verkauf erstellter Leistungen – ihre Schuld in der Zukunft tilgen können, kann der Staat selbst nicht leisten, sondern nur über Steuern den privaten Sektor die Schuld begleichen lassen (Staat als infallibler Schuldner, vgl. Martin, 1986, 1988).

Dieser nicht bedachte Unterschied rechtfertigt dennoch nicht die Formel, Staatsverschuldung sei gegenwärtiger Konsum auf Kosten künftiger Generationen, weil viele Staatsausgaben als Investitionen in die Zukunft betrachtet werden müssen und es im Gegenteil ungerecht wäre, sie durch das Einkommen gegenwärtiger Generationen zu finanzieren. Bei der Philosophie, was Investitionen in die Zukunft sind und wo sich Kreditfinanzierung rechtfertige, gehen Infrastruktur und Bildung immerhin oft durch.

Diese lästigen, volkswirtschaftlichen Charakter tragenden Diskussionen hinter sich gelassen, widmet man sich der Suche nach Wegen der Entschuldung, wobei ier zwischen Einnahmen- und Kostenseite gewählt werden kann. Während einige Sozialdemokraten sich noch für ersteren entscheiden, nimmt die den Diskurs dominierende liberal-konservative Fraktion letzteren. Hauptzielscheiben sind dabei das Budget für Sozialausgaben und die Gehälter der Staatsdiener. Ich habe eingangs eingestanden, dass gesamtwirtschaftliche Kosten durch Rationalisierungen eingespart werden können – das gilt natürlich auch für die Leistungen des Staates. Verschwendung sowie private Bereicherung sind ein Skandal und viele Behörden liefern keine dem Budget annähernd äquivalente Leistung. Aus strenger volkswirtschaftlicher Sicht ist es aber gleichgültig, wie sinnlos die Beamtentätigkeit ist, solange ein kreislaufwirksames Einkommen geschaffen wird. Die Verminderung von Einkommen (Beamtengehälter, Aufträge an Privatunternehmen, Sozialtransfers etc.) gibt dem wirtschaftlichen Kreislauf einen gesamteinkommenssenkenden Impuls – hierauf ist gleich zurückzukommen.

Manchmal finden sich in den Debatten zarte exotische Früchtchen, wie die Feststellung, dass der Keynesianismus noch Praxis und daher nicht tot sei, dass der Zinsendienst zu hoch sei, dass über eine Insolvenz- und Moratoriumsordnung für den Staat nachzudenken sei, dass wir eine Rezession hätten, einen Boom bräuchten, oder besser: die gegenwärtige Wachstumsrate unter der durchschnittlichen Zinsrate liege, oder noch besser: dass die Wachstumsrate auch langfristig nicht mehr über die Zinsrate steigen wird (letzteres wurde vom Leiter der Walter-Eucken-Instituts und Mitglied des Sachverständigenrates Prof. Lars Feld auf einer Tagung der Stiftung Marktwirtschaft kundgetan).

Dennoch schert man sich kaum um die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Unbesorgt wird unterstellt, dass die Senkung der Staatsverschuldung betriebswirtschaftlich gelöst werden könnte und sozialökonomische Determinanten wie Beschäftigung und Einkommen unbeeinflusst blieben. Nun soll die Staatsverschuldung in einen volkswirtschaftlichen Zusammenhang gestellt werden.

Staatsverschuldung als volkswirtschaftliches Problem: Saldenmechanik und Kreislauftheorie

Saldenmechanik analysiert unüberwindbare Identitäten, während Kreislauftheorie die in den Bilanzen unsichtbaren Kausalitäten aufstellt. Mit den Salden selbst können die „Betriebswirte der Entschuldung“ nicht von den Wirkungen einer Entschuldung überzeugt werden. Wie die „Geldschöpfungsdebatte“ zeigt, kann die statische Bilanz des Gesamtbankensystems oder jeder einzelnen Bank, die immer zwingend eine Identität von Forderungen und Verbindlichkeiten aufweisen, hinsichtlich des dahinterstehenden dynamischen Prozesses der Entstehung der Schulden und Vermögen in zwei Richtungen interpretiert werden. Geld ist einfach da und vorangehendes Sparen ist Bedingung für Kredite (die orthodoxe Tauschtheorie des Wirtschaftens); oder: Kredit schöpft erst die Einlagen und ist Bedingung für Sparen (keynesianische und andere heterodoxen Schulen, die das Kreditgeldsystem thematisieren). Daher will ich versuchen, eine Theorie des Kreislaufs im Ansatz zu skizzieren.

Sehen wir von der politischen Unwahrscheinlichkeit ab, diesen Mut aufzubringen, könnte der Staat kurzfristig alle Sozialleistungen und Gehälter der Staatsdiener beträchtlich kürzen. Die betriebswirtschaftliche Lösung bekommt der Staat jedoch von der Volkswirtschaft um die Ohren, denn er setzt einen negativen Einkommensentstehungsprozess in Gang. Der Anpassungsprozess führt die Wirtschaft in das berühmte keynes’sche „Unterbeschäftigungsgleichgewicht“: Alle bisherigen Empfänger der Staatsgelder können nun weniger ausgeben. Auf die gesunkene Nachfrage reagiert das Angebot mit einer Reduktion, was wieder mit Arbeitsplatzverlusten und weiteren Einkommens- sowie Nachfrageausfällen einhergeht. Das nennt man auch Multiplikatoreffekt und in keynesianischer Forschungstradition wird dieser zu berechnen oder empirisch nachzuweisen versucht.
Weil in der Baubranche eine lange Kette von Vorleistungen verflochten ist und zudem sehr langlebige Güter erstellt werden, schreibt man ihr einen besonders hohen Multiplikator zu. Deswegen baut der Staat gerne (vor allem in Krisen) und deswegen werden diese Investitionen auch oft vom Rotstift befreit. Das Multiplikatortheorem impliziert auch, dass sich der Staat nicht durch Ausgabenkürzung entschulden kann, da ja mit jeder Kürzung das besteuerbare Gesamteinkommen sinkt, ergo auch die Einnahmen sinken! (Diesen Zusammenhang vergisst man auch bei der landläufigen Theorie, der Staat könne sich durch Inflation entschulden: Die Inflation läuft ja gerade, wenn der Staat die inflationswirksamen höheren Löhne und Preise bezahlt!)

Was ich aber sagen will ist, dass die Staatsverschuldung gar nicht sein müsste, wenn die private effektive Nachfrage ausreichend wäre. Bei ausreichender Gesamtnachfrage ist der Kreislauf geschlossen, indem alle geschaffenen Einkommen verbraucht bzw. gespart werden. Sparen im volkswirtschaftlichen Sinne meint dabei die Haltung langfristiger illiquider Vermögenstitel (Anleihen, Schuldverschreibungen) oder die Haltung von Sachvermögen (Aktien). Der Staat fungiert als Loch, welches die angestauten liquiden Geldvermögen (Giroguthaben, Termineinlagen) absorbiert.

Die Vermögen werden durch den Einkommensbildungsprozess auf dem Markt geschaffen. Werden sie nicht durch Konsum oder Sparen kreislaufwirksam, tritt der eben beschriebene rezessive Anpassungsprozess auf. Aber der Staat kann hier rechtzeitig als Ersatznachfrager einspringen, indem er sich verschuldet und den Vermögenden Staatstitel gibt (oder auch die Banken Staatstitel halten). So hält der Staat den Kreislauf aufrecht. Die Staatsschuld ist der Reflex privater Vermögensbildung. Würde mehr konsumiert werden (oder weniger nicht konsumtiv wirksames Einkommen generiert werden) wäre die Verschuldung der Unternehmen im Verhältnis zum Vermögen größer und die Staatsschuld entsprechend kleiner. Die Staatsschuld ist daher eine Restgröße, ein saldenmechanischer Reflex. Ohne die Staatsschuld würde die Wirtschaft in den Abgrund gleiten.

Insofern die betriebswirtschaftliche Analyse der Staatsschuld die Saldenmechanik anerkennt, suggeriert sie, dass weniger Staatsschulden auch weniger Privatvermögen schaffen würden. Hier wurde argumentiert, dass diese schon vorhanden sind, jedoch durch den Verschuldungsakt des Staates illiquide gemacht werden. Statt Geld wird der Staatsschuldtitel als Vermögen gehalten, das enthortete Geld wird durch Staatsausgaben in den Kreislauf gespült. Unterlässt der Staat diese Operation, entsteht eine Nachfragelücke und der Einkommensbildungsprozess wird rückläufig, bis sich das Gesamteinkommen angepasst hat. Eine Essenz von Keynes‘ Allgemeiner Theorie ist, dass Sparquote und Zinssatz sehr hoch bleiben können. Dabei stellt sich ein Volkseinkommen bei Unterauslastung der Produktionsfaktoren ein, bei welchem das Gleichgewicht von Sparen und Investitionen hergestellt ist. Wer die Staatsschuld gegenwärtig tilgen will, erkennt nicht, dass er das gegenwärtig niemals kann, ohne die Wirtschaft lahm zu legen.

Wachstum und Staatsverschuldung

An dieser Stelle ist Prof. Helmedag von der TU Chemnitz zu würdigen, dem ich viele Gedanken zur Rationalität der Debatte über der Staatsverschuldung zu verdanken habe (vgl. Helmedag 2004, 2010). Bezugnehmend auf einen Meilenstein-Aufsatz von Evsay Domar von 1944 hält Helmedag die Staatsschuld für unbedenklich, wenn wir eine Wachstumsrate über der Zinsrate erzeugen können, was er sich über eine Steigerung der effektiven Nachfrage durch Umverteilung und Beibehaltung (oder auch Ausdehnung) der Staatsverschuldung erhofft. Prof. Helmedags Lösung ist noch nicht kompatibel mit dem sozialökonomisch denkbaren (und oft ökologisch erwünschten) stationärem Zustand bei geringem oder Null-Wachstum.

Der bereits angeführte Prof. Feld hält zukünftiges Wachstum für unrealistisch und akzeptiert ein langfristiges positives Zins-Wachstums-Differential (und damit unbewusst eine monetäre (vermögenstheoretische) und keine reale (produktionstheoretische) Bestimmung des Zinses). Nach Prof. Feld könnte der Staat in einer schmerzhaften Schocktherapie die Schuldenquote unter die Staatsquote (Anteil der Staatsausgaben am Sozialprodukt) senken, damit die Mehreinnahmen aus dem Wachstum den Zinsendienst decken können. Sehr leicht könnte man das mathematisch modellieren und diejenige zu erreichende Staatsquote errechnen, die das Gleichgewicht mit den gegebenen Größen Wachstumsrate, Zinsrate und Steuerquote ergibt. Läge die Staatsquote bei 40%, der Zins bei 4% und das Wachstum bei 2%, müsste die Schuldenquote auf 20% des Volkseinkommens gesenkt werden. Dann würde der Staat 0,8% des Volkseinkommens (4% auf 20%) für Zinsendienst verwenden, 0,8% an Steuermehreinnahmen generieren (2% auf 40%) und könnte eine Ausgabenquote von 40% halten. Diese saldenmechanische Konstellation ist in sich schlüssig, jedoch habe ich oben argumentiert, dass der Pfad dorthin – der dynamische Anpassungsprozess – durch Deflation, Massenarbeitslosigkeit und Bürgerkrieg durchkreuzt wird.

Selbst wenn wir dieses partielle Gleichgewicht annehmen, bei welchem der Staat eine konstante Schuldenquote und ein konstantes Budget aufweist, herrscht damit noch kein Gleichgewicht im privaten Sektor. Das Budget aus Arbeitseinkommen muss immer kleiner werden, wenn der Ertrag aus Zins- bzw. Kapitaleinkommen den Zuwachs aus dem Wachstum übersteigt. Auch hier hilft der Staat durch Besteuerungs- und Transfersysteme dem Effekt des Zinsstroms entgegenzuwirken. Hier wird auf eine Modellierung verzichtet, um die Behauptung, dass die Volkswirtschaft in keinem Gleichgewicht sein kann, wenn der Zins dauerhaft über der Wachstumsrate liegt, zu beweisen. Die goldene Regel bzw. das Allais-Theorem ist verletzt (vgl. Olah et al., 2010). Ohne dies in der Weise von Allais formalisiert zu haben, empfanden bereits Klassiker wie Ricardo und Mill oder der große Schumpeter den stationären Zustand des Null-Wachstums nur kompatibel mit einem Zins von Null.

Volkswirtschaftlicher Lösungsansatz zur Rückführung der Staatsverschuldung

Nur eine Wachstumsrate mindestens der Zinsrate verhindert, dass der Anteil der Arbeit am Kuchen nicht kleiner wird. Wachstum jenseits der Zinsrate eröffnet dem Staat über die Konsolidierung hinaus die Möglichkeit, die Schuldenquote zu senken. Diese Einsicht muss offen kommuniziert werden. Ebenso muss sich jeder Wachstumskritiker bewusst werden, dass die Realisierung ökologischer Ziele nicht ohne die Lösung der sozialen Frage auskommt.

Würde der Zusammenhang innerhalb der Debatte um die Staatsverschuldung stärker thematisiert werden, müsste man die kreislaufstabilisierende Notwendigkeit der Staatsverschuldung einsehen. Zudem würde man mit der unangenehmen Frage konfrontiert werden, wie Zins und Kapitaleinkommen entstehen. Letztendlich müsste man nicht nur Volkswirtschaftslehre statt Betriebswirtschaftslehre betreiben, sondern auch die tauschwirtschaftliche Analyse durch eine monetäre Analyse der Wirtschaft ersetzen.

Das Paradigma der Freiwirtschaft fußt zu großen Teilen noch auf dem tauschtheoretischen Fundament des Mainstreams (eingehender vgl. Wenzlaff, 2010a). Doch hat sie die bahnbrechende Idee der Besteuerung liquider Vermögen zur Schließung des Kreislaufs. Mit einer Geldhaltesteuer könnte der Ertrag von Staatstiteln sinken. Da Staatsanleihen bereits heute eine geringe bzw. nach Steuer und Inflation sogar eine negative Verzinsung aufweisen (vgl. eine Studie von Levy et al., 2003), kann der Staat durch das Sinken des Zinses konsolidieren.

Der traditionelle fiskalische Keynesianismus (Konjunkturbelebung durch Staatsverschuldung) ist nicht nur daher bedenklich, weil riesige Staatsdefizite aufgetürmt werden, sondern in seiner Wirkung überhaupt fragwürdig. Wir wissen aus der japanischen Erfahrung, dass so nur liquide Geldvermögen aufgebaut werden, diese aber keinen Grund zur weiteren kreislaufwirksam Verwendung haben. Der Gesellianismus bzw. der geldpolitische Keynesianismus 2.0 (vgl. van Suntum, 2009, 2010) verspricht dagegen die Kreislaufschwäche zusammen mit der Forderung nach Konsolidierung und Tilgung der Staatsschulden zu lösen.

Um noch einmal das Anliegen dieses Beitrags festzuhalten: Die Debatte um die Staatsverschuldung wird ungenügend rational-volkswirtschaftlich geführt. Die Staatsschuld ist aber kein betriebswirtschaftlich zu lösendes Problem sondern im gesamtwirtschaftlichen Kontext, d.h. in Zusammenhang mit privater Geldvermögensbildung, der Güternachfrage, der Wachstumsrate und der Zinsrate zu betrachten. Niemals wird der Staat konsolidieren oder gar tilgen können, solange die Zinsrate über der Wachstumsrate liegt.

Literaturverzeichnis

Helmedag, Fritz (2004) Ist das starre Festhalten an den Maastricht-Kriterien sinnvoll? in: Wirtschaftsdienst, 84. Jg., H. 9, S. 601-604. [PDF verfügbar unter: http://www.tu-chemnitz.de/wirtschaft/vwl2/downloads/paper/helmedag/maastricht.pdf]

Helmedag, Fritz (2010) Staatsschulden als permanente Einnahmequelle. In: Wirtschaftsdienst, 90. Jg., H. 9, S. 611-615. [PDF verfügbar unter: http://www.tu-chemnitz.de/wirtschaft/vwl2/downloads/paper/helmedag/Staatsschulden.pdf]

Levy, Moshe/ Levy, Haim/ Edry, Aim (2003) A Negative Equilibrium Interest Rate. Financial Analysts Journal, Vol. 59, Issue 2, pp. 97-109.

Martin, Paul C. (1986) Der Kapitalismus. Ein System das funktioniert. Ullstein, Berlin.

Martin, Paul C. (1991) Aufwärts ohne Ende. Die neue Theorie des Reichtums. Ullstein, Berlin.

Olah, Norbert/ Huth, Thomas/ Löhr, Dirk (2010) Geldpolitik mit optimaler Zinsstruktur. In: ZfSÖ, Folge 164/165, S. 13-22. [PDF verfügbar unter: www.sozialoekonomie-online.de/ZfSO_164-165_Olah-Huth-Lohr.pdf ]

Suntum, Ulrich van (2009) Economic Confidence, Negative Interest Rates, and Liquidity: Towards Keynesianism 2.0. CAWM-Discussion Paper No. 24 [PDF verfügbar unter: http://www.wiwi.uni-muenster.de/cawm/forschen/Download/Diskbeitraege/DP_24_Economic-Confidence-Paper.pdf ]

Suntum, Ulrich van (2010) Mit Negativzinsen aus der Rezession. Interview. Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, 27.01.2010 [HTML verfügbar unter: http://www.insm.de/insm/Themen/Steuern-und-Finanzen/Special-Kreditklemme/Mit-Negativzinsen-aus-der-Rezession.html ]

Wenzlaff, Ferdinand (2010a) Vorschlag für ein Paradigma einer Kreditgeldwirtschaft und neuen Kredit- und Geldpolitik. In: ZfSÖ, Folge 164/165, S. 23-29. [PDF verfügbar unter: www.sozialoekonomie-online.de/ZfSO-164-165_Wenzlaff.pdf ].

Wenzlaff, Ferdinand (2010b) Arbeitslosigkeit und Zins als monetäres Phänomen. Unveröffent-lichte Diplomarbeit, TU Chemnitz [http://www.regio-berlin.de/fileadmin/user_upload/regio-berlin-de/diplomarbeiten/DA_Wenzlaff.pdf ].

Zum Autor

Ferdinand Wenzlaff (Dipl-Kfm., Dipl.-Vw)
Studium der BWL und VWL an der TU Chemnitz.

Seit 2011 tätig in der Beratung von Arbeitszeit und Organisation im Krankenhaus.

Quelle: http://www.humane-wirtschaft.de/beitraege/zeitschriftenarchiv/archiv-2011/ausgabe-03-2011/

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