Sondervermögen, ehemals „Kriegsanleihen“

von Egon W. Kreutzer

Borgen ist seliger als Sparen

Die am regulären Haushalt vorbei eingerichteten Sondervermögen haben über die Jahre bereits eine Höhe von 869 Milliarden Euro erreicht.

Nun hat ein Abstimmungsprozess unter Unserendemokraten darüber begonnen, wie viel Sondervermögen der alte, abgewählte Bundestag noch beschließen sollte, auf dass die künftigen Bundesregierung frei von Geldsorgen munter drauflos regieren und einen Krieg gegen Russland führen könne. Von bis zu 900 Milliarden weiterer Staatsschulden ist die Rede, aufgeteilt auf 400 Milliarden für die Bundeswehr (und die Ukraine?) und weitere 400 bis 500 Milliarden für die Infrastruktur, wobei „die Infrastruktur“ höchstwahrscheinlich primär jene Ertüchtigung der Verkehrswege meint, die für den Truppenaufmarsch gen Osten als zwingende Voraussetzung gilt.

Schon im August 2023 hat der Bundesrechnungshof deutliche Kritik daran geübt, dass die ausgewiesene Nettokreditaufnahme des Bundes ein falsches Bild von der tatsächlichen Kreditaufnahme und Verschuldungssituation zeichnet. Es heißt dort zusammenfassend:

Durch das Verlagern von Einnahmen und Ausgaben in Sondervermögen in finanziell erheblichem Umfang wurde der Bundeshaushalt über die Jahre hinweg entkernt. Dies hat seit dem Jahr 2020 eine bis dahin nicht bekannte Ausweitung und Dynamik erlangt. Die budgetflüchtigen Ausgaben und ihre ebenfalls budgetflüchtige Kreditfinanzierung gefährden das parlamentarische Budgetrecht und die Wirksamkeit der Schuldenregel. Das Parlament (aber auch die Öffentlichkeit) droht den Überblick und damit auch die Kontrolle zu verlieren.

Unter Punkt 6.2 Abschließende Würdigung des oben verlinkten Berichts wird der Bundesrechnungshof dann sehr deutlich:

Der Bundesrechnungshof legt dar, wie hoch die NKA (Netto-Kreditaufnahme) unter Einbeziehung der Sondervermögen in den Bundeshaushalt in den Jahren 2022 und 2023 ausfallen würde. Dieser Betrag ist aus dem Kreditfinanzierungsplan gerade nicht ablesbar und wurde erst vom Bundesrechnungshof unter Hinzuziehung weiterer Quellen errechnet und hier dargestellt. Der Bundesrechnungshof bleibt bei seiner Feststellung, dass es ein Ausdruck mangelnder Transparenz ist, wenn die Höhe der tatsächlichen Verschuldung des Bundes nur durch eine aufwendige und Spezialkenntnisse erfordernde Nebenrechnung festgestellt werden kann.

Wenn der Bundesrechnungshof von einem „Ausdruck mangelnder Transparenz“ spricht, dürfte es auch zulässig sein, von einer „erkennbaren Verschleierungsabsicht“ zu sprechen.

Das ist es, was dem deutschen Volke nun offenbar

  • in einem noch nie dagewesenen Umfang
  • an den undurchsichtigen Tagen bis zur Regierungsbildung
  • von zwei parallel existierenden Parlamenten und
  • zwei Regierungen, die eine nur noch kommissarisch wirkend, die andere erst im Entstehen befindlich, wohl aber bereits tonangebend,

beschert werden soll:

Die Ermächtigung zur Aufnahme neuer Schulden in Höhe von fast einer Billion Euro, über die außerhalb des Parlaments und außerhalb des regulären Haushalts von der Regierung verfügt werden kann.

Da stellt sich schon die Frage, wozu der Deutsche Bundestag überhaupt noch gebraucht wird.

  • Der alte, 2021 gewählte Bundestag muss jetzt noch über die Grundgesetzänderung zur Einrichtung der neuen Sondervermögen abstimmen. Das begründet zumindest eine taktische Existenzberechtigung.
  • Aber jener Bundestag, den wir gerade eben erst gewählt haben, der erreicht damit doch einen Grad an Überflüssigkeit, der sämtliche Kritik und Zweifel an einer nur noch dekorativ Sitze besetzenden repräsentativen Volksvertretung neu befeuern und die Bürger auf die sprichwörtlichen Barrikaden bringen müsste.

Natürlich ist es zu früh, jetzt schon Kritik zu üben. Es sind ja noch keine Details bekannt. Dummerweise wird es aber zu spät sein, Kritik zu üben, wenn Einigkeit in den Details erzielt ist und das Ding am nächsten Tag in Kraft gesetzt wird.

Die Frage muss erlaubt sein, welchen schweren Schaden Friedrich Merz und Lars Klingbeil von Deutschland abwenden wollen, indem sie nun versuchen, quasi im Schweinsgalopp mit den Mandaten des alten Bundestages noch eine Grundgesetzänderung durchzuziehen.

Aus meiner Sicht handelt es sich um eine gleich doppelt fragwürdige Vorgehensweise. Einerseits ist es das Vorgehen selbst, mit alten, bereits abgewählten Mehrheiten noch schnell eine Grundgesetzänderung durchzuziehen, andererseits ist es die schiere Größenordnung der Wirkung, sowohl in Euro, als auch im damit determinierten Zeitrahmen  bemessen, die den hilflos zum Zuschauen verdonnerten Bürger mit Verve aus der Rolle des Souveräns hinauskegelt.

Dabei ist die Dringlichkeit, mit der hier nun noch mit einem tiefen Griff in die Trickkiste eine Grundgesetzänderung vollzogen werden soll, doch nicht äußeren Umständen, keiner besonderen Notlage geschuldet, sondern lediglich dem Zustand der auf ein erbärmliches Maß heruntergewirtschafteten parlamentarischen Gepflogenheiten.

Ein Parlament, in dem das Wohl des Landes stets Vorrang vor parteipolitischen Spielchen zwischen Regierung und Opposition hätte, könnte ganz unabhängig von der jeweiligen Regierungsmehrheit jederzeit mit zwei Dritteln der Stimmen eine Grundgesetzänderung beschließen. Die Voraussetzung dafür ist lediglich, dass die Notwendigkeit dafür eben nicht nur von einer zu schwachen Regierungskoalition gesehen wird, sondern von mindestens zwei Dritteln der Abgeordneten. So war das wohl auch gedacht.

Drohte tatsächlich ein russischer Angriff auf die EU, wofür es nach meiner Einschätzung nicht den geringsten Anlass und auch keinerlei Hinweis gibt, es fände sich eine Mehrheit in einem solchen Bundestag, mit der sich notwendige Grundgesetzänderungen beschließen ließen. Wäre es tatsächlich die letzte Möglichkeit, nach Ausschöpfung aller Sparmaßnahmen, die Infrastruktur vor dem endgültigen Zerfall zu retten, es fände sich auch dafür die notwendige Mehrheit. Nach meiner Einschätzung könnten die notwendigen Maßnahmen zur Sanierung und zum Ausbau der Infrastruktur jedoch durchaus im Rahmen des regulären Haushalts auf den Weg gebracht werden.

Die Eilbedürftigkeit beider Sondervermögen rührt aber doch nur daher, dass man die ggfs. mobilisierbare Mehrheit eventuell in den nächsten Jahren benötigen könnte, aber diese Mehrheit eben unter keinen Umständen zustande kommen lassen will, wenn dafür die Stimmen der AfD erforderlich wären.

Es gibt keinen sachlichen Grund, noch im März 2025 über zwei Sondervermögen entscheiden zu müssen. Dafür wäre auch nach der Regierungsbildung noch alle Zeit der Welt.

Und sollte nach der Regierungsbildung die erforderliche 2/3 Mehrheit dafür im Bundestag nicht zustande kommen, dann ist genau der Fall eingetreten, um dessentwillen die 2/3-Regelung ins Grundgesetz geschrieben wurde.

Wirklich wichtige Entscheidungen sollen eben mit einer weitaus tragfähigeren Mehrheit getroffen werden als sie eine schmalbrüstige Koalition aufzubieten in der Lage ist, und wenn diese tragfähigere Mehrheit nicht organisiert werden kann, dann muss eben auch die ambitionierteste Regierung einsehen, dass ihre Argumente nicht überzeugend genug sind, um ihre Pläne umsetzen zu können.

So viel zum Grundsätzlichen.

Zum konkreten Anlass des geradezu hysterischen Bestrebens, sich mit einem

solchen Riesenwumms zum Zahlmeister der europäischen NATO-Staaten aufzuschwingen, in der irrigen Annahme, damit auch die politische Anführerschaft zu erringen, sich zudem von der bisherigen Hegemonialmacht zu emanzipieren und einen Krieg gegen Russland siegreich zu bestehen, finde ich im zulässigen Meinungskorridor keine Worte mehr.

Wer glaubt, es könnte helfen, möge jetzt beginnen für den Frieden zu beten.

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