Sommerloch

von Gert Flegelskamp (flegel-g)

Wie jedes Jahr gibt es derzeit das berühmt/berüchtigte Sommerloch. Es hat seine guten Seiten, denn Regierung und Bundestag sind mehrheitlich in Urlaub und können deshalb in dieser Zeit keinen großen Schaden anrichten.

Ob es eine schlechte Sache ist, dass sich die Presse krampfhaft an politischen Themen wie derzeit die Klage wegen Landesverrat gegen Netzpolitik.org aufhängt, ist eine schwer zu beantwortende Frage.

Keine Frage ist, dass der oberste Staatsanwalt des Landes hier im Prinzip im Interesse des Staates handelt bzw. gehandelt hat, weil Netzpolitik.org Dokumente veröffentlicht hat, die als (streng?) geheim eingestuft wurden. Schließlich darf der dumme Bürger nicht wissen, wie man ihn über den Löffel barbiert.

Meine Meinung dazu muss ich nicht anführen, das hat Egon W. Kreutzer anschaulich getan und ich schließe mich seiner Sicht voll und ganz an.

Auch die Presse ist erstaunlicherweise der Ansicht, dass die Bundesanwaltschaft mit der Attacke gegen Netzpolitik.org weit über das Ziel hinaus geschossen ist, was sie als Affront gegen über der „freien Presse“ ansieht.

Hüter der Verfassung (in Teilzeit) titelt die ZEIT einen Bericht zum Geschehen. Nicht nur die ZEIT äußert dabei die Meinung, dass das Engagement des Generalbundesanwalts Harald Range besser der generellen Überwachung durch die NSA gegolten haben müsste.

Aber halten wir mal fest: Generalbundesanwalt Harald Range hat diesen Posten dank seines FDP-Parteibuchs erhalten und galt damals als zweite Wahl. Doch irgendwie passte er zu diesem Amt, machte er doch nie Anstalten, den „Großen“ ans Bein zu pinkeln. Und im Prinzip war sein Bestreben in Sachen Netzpolitik.org ja aus politischer Sicht durchaus richtig. Schließlich lag eine Anzeige vom obersten Verfassungsschützer vor und er musste dieser Anzeige nachgehen. Zu seinen Aufgaben gehört auch, die Regierung und den Bundestag vor der Offenlegung ihrer Schmutzwäsche zu schützen, wie es der oberste Verfassungsschützer Hans-Georg Maaßen forderte. Nun, wenn die Politik endlich eingestehen würde, dass das Grundgesetz keine Verfassung, sondern das Verwaltungskonstrukt aus der Zeit der offiziell eingestandenen Besatzungszeit ist, könnte man den ganzen Verfassungsschutz wegen fehlender Verfassung einfach auflösen und das wäre aus meiner Sicht die ideale Lösung.

Nun haben wir ja lt. Grundgesetz eine Gewaltenteilung. Gewaltenteilung bedeutet, dass 3 Gewalten mit unterschiedlichen Aufgaben betraut sind, die auch beinhalten, dass ein Gleichgewicht dieser Gewalten bestehen soll, u. a. die Kontrolle der Exekutive (Regierung und exekutive Staatsorgane wie Polizei, Geheimdienste, Staatsanwaltschaft etc.) durch die Legislative (Bundestag) und die Judikative (Gerichte).

Nun, so steht es zwar im Grundgesetz, aber so richtig ernst nimmt das niemand. So ist z. B. der so genannte Fraktionszwang ein Verstoß gegen das Grundgesetz, aber da es ihn offiziell gar nicht gibt (er ist nicht gesetzlich verankert), wird er zwar praktiziert, doch man kann nichts dagegen machen, denn würde man klagen, würden alle Parlamentarier im Brustton der Überzeugung behaupten, sie hätten nach ihrem Gewissen abgestimmt, so wie das Grundgesetz es fordert. Ich weiß es ja nicht, aber vielleicht haben Abgeordnete ja wirklich zwei Gewissen, ein Allgemein-Gewissen (das offenbar nicht sonderlich stark ausgeprägt ist) und ein Parteigewissen, das bei jeder Abstimmung vom Parteiabzeichen her ins Innere strahlt und sich dann im Abstimmungsergebnis spiegelt.

Wo Lammert, der fleißige und seit vielen Jahren amtierende Parlamentspräsident (in der Rangfolge rangiert er noch vor der Merkel), eigentlich mal nachhaken müsste, ist, dass die Regierungsmitglieder bis hin zu den parlamentarischen Staatssekretären zur gleichen Zeit Executive und Legislative sind, was der Gewaltenteilung absolut widerspricht. Aber so ernst (vermute ich) nimmt Lammert seinen Job nun doch nicht.

Doch kommen wir zurück zu Range und seiner Anzeige. Er ist (bzw. war) der Generalbundesanwalt und damit der höchste Staatsanwalt im Lande. Aber die Staatsanwälte sind nicht Teil der Judikative, sondern Teil der Exekutive und als solche weisungsgebunden. Das bedeutet, jeder Staatsanwalt kann von dem jeweils zuständigen Justizminister zurückgepfiffen werden. Das hätte Maas, der aktuelle Justizminister der BRD machen können, hat er aber nicht, vermutlich hat er nicht mit diesem Sturm, auch seitens der Presse, gerechnet. Zuerst hat er sich rausgeredet, er sei skeptisch gewesen und was er der Presse gegenüber sonst noch zum Thema geäußert hat. Nun hat er Range in den Ruhestand versetzt. Der arme Range, aber mehr als 6.000 Euro monatliche Pension machen es vielleicht doch ein wenig einfacher, sich damit abzufinden.

Eine Frage bleibt aus meiner Sicht aber offen. Warum hebt die Presse eigentlich derart auf die von Snowden Dokumente bzgl. der Überwachung durch die NSA ab? Wissen die verantwortlichen Redakteure nicht, dass Range da gar nichts tun konnte, selbst wenn er gewollt hätte? Eigentlich müsste die Presse es wissen, denn die NSA darf alles überwachen, das ist den USA und der NATO vertraglich zugesichert. Wir sind nach wie vor ein besetztes Land, auch wenn stets anderes behauptet wird.

Die neuen Länder sind dabei ein wenig freier, als der ach so freie Westen, denn eines wurde im 2+4-Vertrag seitens Gorbatschow doch festgeschrieben. In den neuen Ländern dürfen weder die Nato noch die USA noch deren Vasallen Truppen oder Kriegsgerät stationieren. Deren Angehörige schon, aber das sind ja auch keine Truppen (glaube ich).

Das auswärtige Amt artikuliert das so: Truppenstationierungsrecht.

Wer viel Zeit hat und auch die juristischen Kenntnisse, kann das im Bundesgesetzblatt nachlesen, muss aber dann auch das Gesetz zum NATO-Truppenstatut und zu den Zusatzvereinbarungen von 1961 nachlesen. Hinzu kämen noch die Ergänzungen zum Nato-Truppenstatut von 1993, als Deutschland wieder ein Staat, aber irgendwie nicht wirklich vereint war.

Wenn eine Anklage wegen Landesverrat erhoben wird, müsste sie gegen die Regierung, das Parlament und posthum gegen alle Vorgänger-Regierungen erhoben werden, denn die haben uns verkauft, mit Haut und Haaren und es waren vor allem CDU-geführte Regierungen, angefangen bei Adenauer. Doch da müsste kein Justizminister die Bundesanwaltschaft zurückpfeifen, denn diese Anzeigen hätten ohnehin keine Chance.

Die WELT schreibt: Warum wir über die Leitkultur reden müssen. Sie geht der Frage nach, oder tut zumindest so, ob Multikulturalismus und Ethnopluralismus wirklich Alternativen gegenüber den Nationalstaaten sind. Am Schluss schwenkt sie dann zurück, wenn sie schreibt:

Multikulturalismus gegen Leitkultur

Drittens schließlich haben sich multiethnische imperiale Gebilde wie das Römische Reich, Österreich-Ungarn oder das Osmanische Reich über Jahrhunderte als erstaunlich resilient, die meisten Nationalstaaten, Deutschland eingeschlossen, als relativ instabile Gebilde erwiesen. Selbst Großbritannien, wo die moderne Nation geboren wurde, ist von Zerfallstendenzen bedroht.

Die Europäische Union befördert einerseits diese Tendenzen, beraubt sie andererseits ihres für die Nation existenziell bedrohenden Charakters. Auch deshalb ist sie unentbehrlich. Aber die Diskussion darum, welche Rolle Nation und Staatsvolk spielen sollen, wie sich Multikulturalismus und Leitkultur zueinander verhalten, wird nicht deshalb verschwinden, weil man die Fragen – und die Fragesteller – unangenehm findet.

Ist die EU unverzichtbar? Sind die angeführten Leitfiguren wie Churchill oder de Gaulle wirklich „die Helden des 2. Weltkriegs“? Wurden sie nicht erst vor wenigen Tagen entzaubert, als das Fernsehen über den Abwurf der Atombomben auf Japan berichtete und der Frage nachging, ob dieser Abwurf und die 70 Jahre alte Behauptung, das habe den Krieg beendet, wirklich stimmt? Es waren doch gerade diese Politiker, zusammen mit dem US-Präsidenten Truman, die von Japan die bedingungslose Kapitulation forderten und mit den Forderungen, das japanische Kaiserhaus betreffend, diese Kapitulation der längst besiegten Japaner bewusst verhinderten? Sie wollten die Bomben werfen, ungeachtet des damit verbundenen Entsetzens. Es war eine Machtdemonstration gegenüber Stalin und das durchaus erfolgreich, wenn man an den kalten Krieg denkt.

Schauen wir doch mal auf diese multiethnischen imperialen Gebilde wie das Römische Reich, Österreich-Ungarn oder das Osmanische Reich. Sie wurden von Potentaten, die über gewaltige militärische Macht verfügten, aufgebaut und zusammengehalten. Waren sie wirklich resilient (gefestigt), wie die WELT vermeldet? Es waren Zeiten permanenter Kriege, um umliegende Reiche zu erobern und zu plündern.

Der Hinweis auf Österreich-Ungarn erinnert mich ein wenig an die EU, denn die k und k-Monarchie (kaiserlich-königliche Monarchie Österreich-Ungarn, dazu gehörten auch Länder des Balkans, ganz oder teilweise bis hin zu einem kleinen polnischen Abschnitt) war in den 50 Jahren ihres Bestehens vor allem durch die innere Zerrissenheit gekennzeichnet und endete 1918 als Folge des ersten Weltkriegs. Die angesprochene Zerrissenheit wird auch heute in der EU deutlich, wenn man die zänkischen und eifersüchtigen Machtansprüche vor allem der Länder Frankreich, Großbritannien und Deutschland betrachtet.

Liest man in den deutschen Wirtschaftsnachrichten, über die Meinung französischer „Eliten“ zum Euro, wird dieses gespannte Verhältnis vor allem in Bezug auf den Euro deutlich.

Für mich war der Euro ohnehin der Beweis für die geistige Umnachtung der politischen „Eliten“ Europas. Entweder der Euro scheitert, oder er führt Länder in den Abgrund, weil eine einheitliche Währung mit einer zentralen Steuerung bei derart unterschiedlichen Wirtschaftsräumen ohne eine echte föderale Struktur scheitern muss. Griechenland ist nur das erste Opfer. Richtig, in Griechenland war Korruption ein Standard, doch vergessen wird dabei immer, dass alle griechischen Regierungen bis zum Sieg der Syriza bei ihrer Korruption vor allem von den Engländern und den Deutschen unterstützt wurden. Nicht die Griechen waren korrupt, sondern das griechische Staatswesen bis in die kleinsten Verästelungen des Beamtenapparats. Und unsere Presse, die ja ein wenig zur Simplifizierung neigt, hat einfach die Vergünstigungen, die griechische Staatsdiener erhalten, auf alle Griechen ausgeweitet. Kann man das als „redaktionelle Hochrechnung“ bezeichnen?

Ich finde ja, man sollte sich viel weniger Gedanken um das machen, was die Presse schreibt und viel mehr Gedanken dazu, was die Presse verschweigt. Schreibt sie z. B. mal über die Machenschaften des IWF, die mit jeder Geldverleihung an Staaten durch den IWF verbunden sind? Nein, das gehört zu den Themen, die der Presse bekannt sind, die sie aber verschweigt. Die Presse schreibt, was wir glauben sollen, nicht, was wir wissen müssten.

Wer den Film „Tod aus der Luft“ im ZDF gesehen hat, wurde Zeuge einer kritischen Betrachtung der Drohnenangriffe. Wirklich?? Ich denke, der Film enthielt eine Botschaft, denn eine Schlüsselszene war es, als ein Mann mit Gewehr in den beobachteten Hof kommt und dort die Frau brutal vergewaltigt. Eine Schlüsselszene deshalb, weil das 3 Mal passiert und der „Held“ des Films dann den miesen Typen am Schluss in die Luft sprengt. Da hat doch sicher so mancher regelrecht befreit aufgeatmet. Aber mit dieser Szene wird eigentlich dargestellt, dass die Afghanen alles Schweine sind, die ihre Frauen unterdrücken und vergewaltigen. Anders gesagt, wir sollen an dem Bild festhalten, dass die Drohnenangriffe eigentlich doch gerechtfertigt sind und es immer die Richtigen trifft. Das ist die unterschwellige Botschaft.

Ich hingegen glaube, dass Vergewaltigungen dort seltener vorkommen, als in den ehrenwerten westlichen Staaten. Das glaube ich deshalb, weil die Verwandtschaftsbeziehungen dort viel größer und viel intensiver sind als hier und ein Vergewaltiger seine Tat ganz ohne Zutun westlicher Drohnen-Bomben nicht lange überleben würde. Deshalb bezeichne ich diese Szenen als unterschwellige Manipulation.

Als die Amerikaner und deren Willige (Willige sind die Typen, die das Motto „Führer, wir folgen Dir“ wieder zur Geltung zu bringen versuchen) die Afghanen „befreit“ haben, hat man auch mal ein paar Frauen interviewt. Es waren allerdings nicht die gläubigen Muslime, die Schleier, Kopftuch und Burka wegen ihrer Religiosität tragen, sondern die Frauen, die sich „befreit“ fühlten und im stillen vermutlich auf eine Karriere hofften (na, da bin ich vielleicht ein wenig polemisch). Aber wurden wir Deutschen nicht auch mal von Amerikanern befreit? Hat es nicht nunmehr 70 Jahre gedauert, bis einigen von uns endlich dämmert, dass unsere Befreiung gar keine war, sondern wir auf ziemlich hinterhältige Art und Weise in ein Abhängigkeitsverhältnis mit Vasallenstatus gebracht wurden?

Wer es mag, dass ihm schlecht wird, der lese diese Artikel auf Telepolis:
Der Terrorismus der westlichen Welt – Teil 1
Der Terrorismus der westlichen Welt – Teil 2
Der Terrorismus der westlichen Welt – Teil 3

Genießen Sie das, denn es vermittelt die demokratischen Werte der westlichen Welt und ich muss mich korrigieren. Der Heise-Verlag mit Telepolis gehört nicht zu dem Typus Presse, der nur berichtet, was wir glauben sollen und verschweigt, was wir wissen sollten. Andererseits, wollen wir denn wirklich wissen, welche Monster wir wirklich sind bzw. werden können, wenn man uns mit der Waffe in der Hand losschickt? Wer weiß, ob wir dann nicht auch lakonisch melden: GOOD KILL!

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