So löcherten Lobbyisten das deutsche Lieferkettengesetz

Tobias Tscherrig (infosperber)

In Deutschland soll bald ein Lieferkettengesetz in Kraft treten. Allerdings haben es Lobbyisten zum zahnlosen Papiertiger gemacht.

Ende November 2020 scheiterte die Schweizer Volksinitiative «Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt» (Konzernverantwortungsinitiative) am Ständemehr. Obwohl sich ein breites Bündnis für neue Regeln für in der Schweiz ansässige Unternehmen, die im Ausland tätig sind, einsetzten und Nichtregierungsorganisationen lange auf die Abstimmung hingearbeitet hatten, erhält die Schweiz nach dem Scheitern der Initiative mit dem Inkrafttreten des indirekten Gegenvorschlags nun eine deutlich abgeschwächte Konzernhaftung.

Grund dafür sind wohl nicht nur die unbestätigten acht Millionen Franken, die die Gegnerinnen und Gegner der Initiative Berichten zufolge (in der Schweiz gibt es keine Transparenz über die politische Finanzierung) in den Kampf gegen die Initiative gesteckt hatten, sondern auch die Totschlagargumente der Wirtschafts-Lobby: Wie so oft, wenn die Spielregeln für die Wirtschaft verschärft werden sollen, hiess es unter anderem: Die Wettbewerbsfähigkeit von Schweizer Unternehmen würden bei einer Annahme geschwächt, Arbeitsplätze könnten verschwinden, die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft seien ohnehin schlecht (in diesem Fall wegen Corona), es drohe der Wegzug von multinationalen Unternehmen.

Ähnlich wie in der Schweiz argumentiert die Wirtschafts-Lobby in Deutschland. Die Folge : Statt multinationale Unternehmen mit einem scharfen Gesetz in die Pflicht zu nehmen und die Situation von Millionen Menschen auf der ganzen Welt zu verbessern, wurde ein zahnloser Papiertiger geschaffen. Die Wirtschaft gewinnt, Menschenrechte verlieren. Weiter wird einmal mehr klar, wie stark die Wirtschafts-Lobby in die Politik eingreift – und wie gerne ihr die Politik Hand bietet.

«Das stärkste Gesetz in Europa»

Mit vollmundigen Versprechungen präsentierte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil Mitte Februar den Entwurf des Gesetzes, das in Deutschland ansässige Unternehmen verpflichten soll, in ihren globalen Lieferketten Menschenrechte sowie Sozial- und Umweltstandards einzuhalten. Heil bezeichnete den Gesetzesentwurf als «historischen Durchbruch». An einer Medienkonferenz folgten weiter Superlative: Das deutsche Lieferkettengesetz sei «das stärkste Gesetz in Europa» und «ein markantes Zeichen». Nur: Daraus wird nichts. Das zeigt eine Recherche des Politikmagazins «Monitor».

In einem jahrelangen Lobbyprozess – inklusive Schulterschluss mit dem Ministerium von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier – ist vom ehemals ambitionierten Entwurf des deutschen Lieferkettengesetzes, das noch in dieser Legislaturperiode in Kraft treten soll, wenig übrig geblieben. «Was hier verkündet wurde ist für Menschenrechte und Umweltschutz ein Schlag ins Gesicht», sagt Viola Wohlgemuth von «Greenpeace» gegenüber «Monitor». Man sehe den Stempel der Wirtschaftsverbände aus Deutschland. Diese hätten den Stift von Altmaier geführt. Was nun als Lieferkettengesetz präsentiert werde, sei ein ausgehöhlter Papiertiger.





Im Bett mit der Wirtschaftslobby

Diese Kritik kommt nicht von ungefähr. «Monitor» liegt der Schriftwechsel der vergangenen Jahre zwischen Wirtschaftsverbänden und der Bundesregierung vor. Darunter: E-Mails, Stellungnahmen, Forderungen. Das Fazit von «Monitor»: «Die Verbände hatten offenbar einen mächtigen Verbündeten: Bundeswirtschaftsminister Altmaier.» Man kenne sich persönlich, die Briefe seien mit der Anrede «lieber Peter» überschrieben.

Es gibt bessere Beispiele: So schrieb etwa die Deutsche Industrie- und Handelskammer im Juni 2019: «Wir bedanken uns, dass insbesondere Ihr Haus im Rahmen der Ressortgespräche bereit ist, die Wirtschaftsperspektive einzubringen.» Der Wirtschaftsminister antwortete: «Die klaren Positionierungen Ihres Hauses waren und sind dafür hilfreich.» Und: «Ich bin zuversichtlich (…), [dass] es gemeinsam auch gelingen wird (…) [den Prozess] zu einem für alle Beteiligten guten Ergebnis zu führen.»

So kommentieren denn auch Koalitionsabgeordnete, dass das Lieferkettengesetz von Anfang an verhindert werden sollte. Zum Beispiel Frank Schwabe von der SPD: «Das Wirtschaftsministerium hat alles versucht, diesen Prozess zu unterminieren und dafür zu sorgen, dass am Ende gar nichts dabei herauskommt.» Das Ganze sei in enger Absprache mit den Verbänden der deutschen Wirtschaft geschehen.

Menschenrechte kosten 0,005 Prozent vom Jahresumsatz – und sollen trotzdem zu teuer sein

Der Arbeitgeberverband hat zum Beispiel bereits vor zwei Jahren in einem Schreiben davor gewarnt, dass die «Regelungen bei ihrer Realisierung deutschen Unternehmen grössten Schaden» zufügen würden. Das Gesetz führe zu «hohen Kosten, neuer Bürokratie und Haftung». Dabei hatte die EU-Kommission berechnet, wie viel eine solche Regelung ein grosses Unternehmen kosten würde: durchschnittlich etwa 0,005 Prozent vom Jahresumsatz.

Die Mär von den hohen Kosten sind damit «ein typisches Lobby-Verhalten mit dem Ziel, das Gesetz zu torpedieren oder abzuschwächen», sagt Prof. Achim Truger, Sachverständiger Wirtschaft, gegenüber «Monitor».

Corona-Pandemie als Pseudo-Argument

Wie auch in der Schweiz erhielt die deutsche Wirtschaftslobby mit der Corona-Pandemie dann vor rund einem Jahr ein neues Argument. In einem Brief an den CDU-Fraktionsvorsitzenden Ralph Brinkhaus schreibt die Wirtschaftslobby im Juni 2020, Deutschland befinde sich in der «grössten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg». Es gebe «keine Aussicht auf eine schnelle Erholung, erst recht nicht mit zusätzlichen bürokratischen und finanziellen Belastungen durch ein Lieferkettengesetz».

Eine Haltung, die Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung gegenüber «Monitor» als «absurd» bezeichnet: «Gerade in so schwierigen Zeiten sollte uns bewusst sein, wie wichtig es ist, sich an hohe – auch ethische – Standards zu halten.» Ausserdem gehe es nicht nur um ethische Standards. Es handle sich hier um gut investiertes Geld. Letztlich sei das Gesetz auch im Interesse der deutschen Unternehmen, die international auch von ihrer Reputation leben würden. «Deshalb sollte man hier nicht Corona als Pseudo-Argument vorschieben.»

Dass die ungezügelte Weltwirtschaft und die rücksichtslose Ausbeutung der Natur auch ein Treiber von Pandemien ist, fällt bei der Argumentation der Wirtschaftslobby ebenfalls unter den Tisch.





Abschwächen statt Verhindern

Die Recherchen von «Monitor» zeigen auch, wie die Wirtschafts-Lobby reagiert hat, sobald klar wurde, dass das Lieferkettengesetz nicht mehr verhindert werden kann. Sie versuchte es massiv abzuschwächen. In einem Schreiben von August 2020 forderte sie eine «mittelstandsfreundliche Ausgestaltung» des Gesetzes – damit soll es also plötzlich nur noch für grosse Unternehmen gelten. Weitere Forderungen betrafen eine Beschränkung der Sorgfaltspflichten auf direkte Zulieferer und den Verzicht auf eine zivilrechtliche Lieferkettenhaftung.

Als dann die zuständigen Minister ihr Lieferkettengesetz der Öffentlichkeit vorstellten, hatten sie die zentralen Forderungen der Wirtschaftsverbände fast eins zu eins in ihr «stärkstes Gesetz von Europa» hineingeschrieben. So soll das Gesetz ab 1. Januar 2024 nur noch für Unternehmen ab einem Schwellenwert von 1000 Beschäftigten gelten. Damit seien vom Gesetz nicht wie ursprünglich vorgesehen 7’100 Unternehmen, sondern plötzlich nur noch 2’900 Unternehmen betroffen, rechnet «Monitor» vor. Das sind weniger als die Hälfte.

Und auch die verbleibenden Unternehmen haben nicht viel zu befürchten. Sollten die Unternehmen anfangs noch ihre gesamte Lieferkette auf die Einhaltung von Menschenrechten sowie Sozial- und Umweltstandards überprüfen, gibt es bei mittelbaren Zulieferern für die deutschen Unternehmen nun keine Handlungspflichten mehr.

Noch schlimmer bei der zivilrechtliche Haftung, die es Opfern von Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschäden ermöglicht hätte, vor deutschen Gerichten einfacher Schadenersatz geltend zu machen: Sie wurde im Gesetzesentwurf komplett gestrichen.

Menschenrechte als «linksideologische Themen»?

Damit ist vom deutschen Lieferkettengesetz, das ein «markantes Zeichen» werden sollte, nicht mehr viel übrig. Trotzdem sagt Bundeswirtschaftsminister Altmaier, es sei nicht seine Absicht gewesen, etwas zu verwässern. «Es war meine Absicht, die Länge so zu fokussieren, dass sie dem Menschenrechtsschutz zugute kommt.»

Und die Wirtschafts-Lobby, die immerhin alle ihre zentralen Forderungen durchgesetzt und das Gesetz massiv verwässert hat, ist immer noch nicht zufrieden. So forderte etwa der Wirtschaftsrat der CDU im Februar 2021, das Lieferkettengesetz müsse im Bundestag gestoppt werden – und schreibt dabei gar von «linksideologischen Themen», die die SPD stur abarbeite, während zahlreiche Unternehmen Existenzängste hätten.

Menschenrechte als linksideologische Themen? Wer die Realität derart falsch darstellt, ist bei der Ausarbeitung eines Gesetzes, das die Einhaltung von Menschenrechten durchsetzen will, fehl am Platz.

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