Sie wurden wirklich bedroht

Werte Leser, Kollegen und Freunde,

Dies ist die Februar-Ausgabe meines Rundbriefs, der Sie auf den neuesten Stand meiner Publikation aufmerksam machen soll. Sie finden die aktuellen Texte auf meiner Webseite www.gerdheld.de in der Rubrik Der Monat.

Nun ist also klar, dass die Bundesrepublik die dritte große Koalition innerhalb kürzester Zeit und unter derselben Kanzlerin sehen wird. Das allein müsste schon nachdenklich machen – nicht nur, weil in den ersten Jahrzehnten unserer Republik eine große Koalition die Ausnahme war, sondern auch, weil die Abwechslung unterschiedlicher Parteirichtungen an der Regierung ein wichtiges Grundargument für die Demokratie ist. Keine politische Formation kann und darf für sich beanspruchen, der „Ort der Wahrheit“ sein – Welche Anmaßung ist es, wenn die Politiker unter dem Schriftzug „Die Mitte“ auftreten. Maß und Mitte der Politik werden durch die Abwechslung verschiedener Richtungen angenähert. Umso wichtiger wird es sein, diese dritte der allein-seligmachenden großen Koalitionen nicht so wichtig zu nehmen. Vielmehr sollte man in der deutschen Politik mehr Kontroverse wagen und allen Tendenzen widersprechen, abweichende Positionen als „empörend“ oder „unerträglich“ zu bezeichnen. Nur mit einer neuen Spannweite der politischen Auseinandersetzung gewinnt das Parlament (die Legislative) seine eigenständige Rolle wieder und wird Demokratie zur Kraftquelle für das Land. Die Bürgerschaft einer Republik ist nicht bloß das Publikum für die „stabile Regierung“.

Insofern ist es gut, dass mitten in das Psychodrama „Wir suchen eine stabile Regierung“ eine Affäre platzte, die auf die gesellschaftlichen Realitäten in unserem heutigen Deutschland verwies. Ich meine die Vorfälle bei der Lebensmittelausgabe der Essener Tafel e.V.. Beinahe über Nacht ist „Essener Tafel“ zu einem Schlüsselwort für die deutschen Zustände geworden. Aber in welchem Sinn ist das zu verstehen? Ist die Maßnahme der Verantwortlichen, einen Aufnahmestopp für Migranten zu verhängen, der Skandal? Keineswegs. Der Skandal ist ein sozialer Gewaltakt, eine Verdrängung von Schwächeren, verübt von migrantischen Neuankömmlingen gegen einheimische Stammbezieher, und das in einem traditionellen Arbeiterrevier Deutschlands.

Es ist wichtig, noch einmal aufzuschreiben, was in Essen passiert ist: In den täglichen Warteschlangen haben junge, kräftige Migranten-Männer in kleineren oder größeren Gruppen Frauen und ältere Leute angerempelt, angepöbelt und weggestoßen – und so die besten Plätze für sich besetzt. Alleinstehende Alte oder alleinerziehende Mütter fanden sich auf der Straße wieder und mussten hilflos zusehen, wie die Lebensmittel, auf die sie fest gezählt hatten, verschwanden. Es sind Menschen die nicht besonders wehrhaft sind, die durch Gewalt und drohende Gesten leicht einzuschüchtern sind und schnell resignieren. Eine alleinerziehende Mutter muss aufpassen, dass sie heile wieder nach Hause kommt, weil sie weiß, dass dort ihr Kind wartet. Man kann sich gut vorstellen, wie sich diese Menschen gefühlt haben, als sie ruppig und sogar grinsend weggedrängt wurden. Und niemand war da, um sie zu schützen. Viele von ihnen sind dann nicht mehr gekommen, berichten die ehrenamtlichen Helfer der Tafel. Sie sind irgendwo in einer kleinen Wohnung verschwunden. Ihre Not wurde unsichtbar. Ihnen wurde auch der Ort genommen, wo sie mit anderen Menschen ein paar Worte wechseln konnten.

„Sie wurden wirklich auf die Straße gestoßen“ – Es ist ein einfacher Satz, doch wie schwer fällt es bis heute Politik und Medien, diesen einfachen Satz über die Lippen zu bekommen. Da formuliert ein Nachrichtensprecher beim Sender NTV (wohl ohne viel nachzudenken), die Essener Tafel habe den Aufnahmestopp verfügt, „weil sich einige durch die vielen Ausländer bedroht fühlten“. Nein, sie fühlten sich nicht nur bedroht. Sie wurden wirklich bedroht. Und ganz handfest weggestoßen. So läuft schon in der ganz elementaren Berichterstattung eine Scheidelinie: Wird die Tatsache anerkannt, dass wir es mit einem handfesten, nicht nur eingebildeten sozialen Verdrängungsvorgang zu tun haben?

Geht es um „die Ausländer“? Um das Verhalten gegenüber „Fremden“? Nein, niemand hat ein Urteil über Syrer, Afghanen oder Sudanesen gefällt. Oder über Menschen islamischen Glaubens. Oder gar über Menschen anderer Hautfarbe. Es geht darum, einen gewaltsamen, verdrängenden, besetzenden Übergriff beim Namen zu nennen. Und die soziale Gruppe zu identifizieren, die das tut. Es sind migrierende Ausländer, und keine Arbeitsmigranten, also entwurzelte Migranten. Die Gruppe, die an der Verdrängung teilnimmt, besteht nicht aus schwachen, hilflosen Flüchtlingen, sondern vorwiegend aus jungen, kräftigen, Gruppen bildenden Männern. Sie haben keinerlei Bindung zu dem Land, in das sie – in der großen Welle der letzten Jahre – vorgedrungen sind. Man kann diese Beschreibung weiter vertiefen, zum Beispiel hinsichtlich der Rolle und Gestalt, die in dieser sozialen Konstellation die islamische Religion bekommt. Entscheidend ist: Hier geht es um eine soziale Beschreibung, nicht um ein Urteil über „fremde“ Menschen, Erdregionen oder Religionen. Mit anderen Worten: Es geht um soziologische Aufklärung.



Für diese Aufklärung gibt es in Deutschland einen dringenden Bedarf. Denn die Übergriffe auf die Essener Tafel gehört zu einer breiten, vielfältigen Spur von Übergriffen in Deutschland, die von dieser sozialen Gruppe, die man angesichts ihrer Größe und Vernetzung auch eine soziale Formation nennen kann, ausgehen. Vor einem Jahr machte der organisierte Sozialbetrug mit gefälschten Identitäten Schlagzeilen, jetzt trifft es eine große zivile Hilfseinrichtung für die Armen. Die Essener Tafel – und das ist wunderbar – hat Abwehrmaßnahmen getroffen. Sie wehrt sich mit dem Mittel, das ihr zur Verfügung steht: einem Neuaufnahme-Stopp für Migranten. Sie musste so „pauschal“ handeln, weil die Bundesregierung zuvor pauschal eine Millionenmasse ins Land holte (und bis in die Städte und Landkreise durchwinkte). Und jetzt will die Kanzlerin, die diese Pauschalpolitik zu verantworten hat, den Tafel-Verantwortlichen einen moralischen Prozess machen. Man merke sich ihre dürren Worte, die von der sozialen Realität im eigenen Land nichts wissen wollen: „Da sollte man nicht solche Kategorisierungen vornehmen. Das ist nicht gut.“ Hier spricht die Gegenaufklärung. Und man sollte hier an die Geschichte denken: Welche Gleichgültigkeit gegenüber den Menschen im eigenen Land war mit den Regimen der Gegenaufklärung verbunden. Sie blickten fromm zum Himmel empor und ließen die Leute verrecken.

So wird es nicht bleiben. Die Essener Affäre zeigt, wie groß inzwischen das Bedürfnis der Bürger ist, die Wahrheit über die Zustände im Land zu erfahren. Und dass dies Bedürfnis auch etwas erzwingen kann. Die Essener Tafel hat ihren Aufnahme-Stopp nicht zurückgenommen. Gewiss ist diese Auseinandersetzung nicht ohne weiteres auf andere Probleme in Deutschland und Europa zu übertragen. Aber ihr Verlauf hat gezeigt, dass die Meinungs-Steuerer nicht allmächtig sind. Das ist kein schlechter Start für ein neues Selbstbewusstsein der Öffentlichkeit gegenüber der dritten Großkoalition in Berlin.

Auf meiner Homepage www.gerdheld.de finden Sie in der Rubrik Der Monat einen Text mit Aufzeichnungen „Aus dem Notizbuch“ zur Essener Affäre und zu der Bedeutung sozialgeschichtlicher Bindungen, die hier besonders sinnfällig wird. Ein zweiter Text gehört im weiteren Sinn auch zu diesem Problemkreis. Er befasst sich mit der deutschen Sozialdemokratie und weist auf die abgebrochene Traditionslinie des Godesberger Programms hinweist und wendet sich dagegen, die SPD vorschnell abzuschreiben. Der dritte Text setzt sich mit Auflösungserscheinungen des Rechtsstaats auseinander. Es geht um das Rechtsgut des öffentlichen Lebens, das durch die islamische Vollverschleierung von Frauen beschädigt wird. Und dessen Schutz durch ein gesetzliches Verbot von Burka und Nikab doch von einer Mehrheit im Bundestag verweigert wird – unter Berufung auf die Religionsfreiheit. Die Texte im Einzelnen:

Mit besten Grüßen aus Berlin

Gerd Held

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