von Gert Flegelskamp (flegel-g)
Das Wahlgeschrei von Olaf Scholz über das Rentenniveau löst in der Presse wieder entsprechende Artikel aus, so auch in der ZEIT v. 20.08.2018(1) Eigentlich ist das System der gesetzlichen Rente (GRV) gar nicht so schwer zu verstehen, doch irgendwie weigert sich ein Großteil der Menschen, sich mit dem System mal ernsthaft zu befassen. Zu diesen Leuten scheinen vor allem Zeitungsredakteure zu gehören, denn wenn sie über Renten berichten, klingt das oft irgendwie wie eine Mischung aus gönnerhaft und vorwurfsvoll, als sei die gesetzliche Rente ein Geschenk der Politik und der übrigen Gesellschaft an die Arbeitnehmer.
Halten wir fest, die GRV ist eine Pflichtversicherung. Arbeitnehmer haben keine Wahlfreiheit, sie müssen Beiträge entrichten, die dem Aufbau einer Anwartschaft auf eine spätere Rente dienen. Im Gegensatz zu etlichen anderen Rentensystemen ist eine gesetzliche Rente das Ergebnis der pro Jahr getätigten Einzahlungen, denn die Einzahlungen eines Jahres werden in einem Umrechnungsverfahren, in dem das beitragspflichtige Einkommen durch ein vom Staat ermittelten Durchschnittseinkommen aller gesetzlich Versicherten geteilt wird und das Ergebnis dann als Entgeltpunkte gespeichert wird. Die Summe all dieser in versicherungspflichtigen Jobs gesammelten Entgeltpunkte ergibt bei Rentenbeginn durch Multiplikation mit dem dann aktuellen Rentenwert die Höhe der Rente.
Nun, das ist fast richtig, denn es gibt dabei eine Beitragsbemessungsgrenze (BBG) und ein darüber hinausgehendes Einkommen wird bei der Berechnung der Entgeltpunkte nicht berücksichtigt und hat folglich auch keinen Einfluss auf die Höhe der Rente, die sich ausschließlich aus der Zahl der im Arbeitsleben erreichten Entgeltpunkte ergibt.
1957 wurde das bis dahin auf Kapitaldeckung beruhende Rentensystem von Adenauer auf der Basis der von den Professoren Schreiber und Höpfner erarbeiteten Vorschläge in ein Umlagesystem gewandelt. Das bedeutet, dass die gesetzliche Rente kein Geschenk ist, sondern das Ergebnis getätigter Beitragszahlungen während der Arbeit in Unternehmen, die der Sozialversicherungspflicht unterliegen. Der Staat hat (seit Bismarck) dabei die Funktion des Versicherers übernommen und ist damit verantwortlich dafür, auf Basis der eingezahlten Beiträge eine Rente zu bezahlen. Aber er ist auch der Gesetzgeber und er hat es von Beginn an verstanden, durch Gesetze Teile der Beitragseinnahmen für versicherungsfremde Leistungen abzuzweigen und das sind eine ganze Menge. Die dicksten Brocken waren dabei die Kriegsfolgelasten (Versehrtenrenten, Waisenrenten, Witwenrenten), die Übernahme der DDR-Renten und Rentenanwartschaften, Zahlungen für Nazi- und DDR-Unrecht, die Mütterrente (die ausschließlich von den Beitragszahlern der GRV finanziert wird) und weitere gesamtgesellschaftliche Ausgaben, die aus Steuermitteln hätten finanziert werden müssen. Auch die zu Zeiten der Vollbeschäftigung eingegangenen Überschüsse der Beitragszahlungen wurden nicht vollständig an die Rentner weitergegeben, sondern vom Staat unterschlagen.
Die Presse veröffentlich ja gerne die Zahlen, die ihr die Bundesregierung als Zuschuss zum Rentensystem übermittelt. Sie fragt allerdings nie nach, wie sich der Zuschuss zusammensetzt, denn wenn man nach Veröffentlichung der Zahlen sich die Daten auf der Netzseite der Rentenversicherung Bund ansieht, wird ein wesentlich geringerer Zuschuss ausgewiesen, genauer, es werden zwei Zuschüsse ausgewiesen, wovon einer bereits zu Beginn der umlagenfinanzierten Rente vorgesehen wurde, weil klar war, dass die Kosten für die Kriegsfolgelasten nur begrenzte Zeit in Gänze aus den Beitragseinnahmen finanzierbar waren. Auch ist wenig bekannt, dass die Rentenversicherung Bund nicht nur die gesetzliche Rente betreut, sondern auch die Künstlerkasse und die Knappschaft-Bahn-See als von der GRV losgelöste Rentensysteme betreut.
Ein Umlageverfahren kennt keine „Rentenkasse“, außer einer Mindestreserve, die allerdings nur dazu dient, innerhalb eines Jahre Schwankungen im Rentensystem abzufedern. Umlageverfahren bedeutet, der Staat verwendet die aktuell gezahlten Beiträge der gesetzlich Versicherten dazu, die Renten der früheren Beitragszahler zu zahlen, was durchaus Vorteile hat, wenn man sich dabei das Mackenroth-Theorem vor Augen hält. Und wenn dann von einem Babyboom gesprochen wird, wird vergessen zu erwähnen, dass dieses Mehr an Kindern gleichzeitig auch ein Mehr an vom Staat kassierten Beiträgen beinhaltet und damit die Rentenzahlungen für dieses Mehr auf vom Staat veruntreuten Zahlungsverpflichtungen beruht, wenn man diesen Babyboom als Vorwand für erneute Eingriffe in die gesetzliche Rente anführt. Um es noch einmal deutlich zu machen, Renten sind Zahlungsverpflichtungen des Staates, die (von der Mütterrente abgesehen) auf geleisteten Beitragszahlungen beruhen. Und wenn der Staat behauptet, er habe das Geld nicht, ist das geradezu lächerlich, denn er hat unter Kohl und Schröder die Einkommenssteuern für hohe Einkommen und für Zinseinnahmen massiv gesenkt oder gar total auf Null gesetzt und das könnte er ganz einfach revidieren.
Während private Versicherungen für ihre Beitragseinnahmen Renditemöglichkeiten suchen müssen, außerdem erhebliche Ausgaben für Gehälter, Vorstandsgehälter und Aktionäre haben und wegen der Rendite-Suche die aktuellen Beitragseinnahmen dem Wirtschaftskreislauf entziehen, führt der Staat die Beitragseinnahmen gleich zurück in den Wirtschaftskreislauf. Was heißt das? Nun, auch Rentner müssen essen und trinken, brauchen eine Wohnung als Bleibe, nutzen die öffentlichen Verkehrsmittel oder haben ein Auto, für das ab und zu eine Tankstelle aufgesucht werden muss und all diese Erfordernisse kosten für Rentner nicht weniger, als für die anderen Bürger. Das bedeutet, Rentner sind ein nicht zu unterschätzender Wirtschaftsfaktor. Da Vater Staat seine Griffel überall hat und jegliches Wirtschaftsgut besteuert, nimmt er unmittelbar nach Auszahlung der Renten einen Teil dieser Auszahlungen als Steuern wieder ein. Vergleichen Sie das mal mit einer privaten Rentenversicherung. Die brauchen Rendite und legen ein Teil der Beitragseinnahmen in Staatsanleihen an. Dafür muss der Staat Zinsen zahlen und die Anleihe, wenn deren Zeit abgelaufen ist, vollumfänglich zurück zahlen. Das bedeutet, private Rentenversicherungen nehmen dem Staat für die Beitragszahlungen Geld in Form von Zinsen ab, während der Staat aus den durch Beiträge finanzierten Renten unmittelbar wieder Steuern einnimmt.
Damit erweist es sich als Ammenmärchen, dass die Jungen die Renten der Alten zahlen, denn selbst wenn die Jungen Arbeit haben und Beiträge in die Rentenkasse entrichten, sind es Beitrage für ihre spätere Rentenanwartschaft. Egal, ob private oder gesetzliche Rentenversicherung, wer später eine Rente haben will, muss im Arbeitsleben Beiträge dafür zahlen und kann über diese eingezahlten Beiträge nicht verfügen, bis er die entsprechenden Bedingungen (Eintritt in die Rente) erfüllt hat. Wird ein Junger arbeitslos, muss er dennoch die Beiträge in eine private Versicherung zahlen oder er fliegt raus und bekommt nur einen Teil seiner eingezahlten Beiträge zurück. In der gesetzlichen Rentenversicherung hat Arbeitslosigkeit keinen Einfluss auf die bereits gezahlten Beiträge, ausgenommen, er hat die Mindestbeitragsleistung von 5 Jahren Beitragszeiten nicht erreicht. Findet er wieder Arbeit und zahlt erneut Beiträge, sind seine früheren Beitragsleistungen vollumfänglich erhalten geblieben, denn die als Vorbedingung geforderten 5 Jahre Beitragsleistung sind erst bei Rentenbeginn Gegenstand der rechtlichen Betrachtung und nicht schon bei Beginn einer Arbeitslosigkeit. Und seine Beitragsleistungen werden wie alle anderen auch in Entgeltpunkte gewandelt und bilden den Grundstock einer eigenen Rente. Erwähnt werden sollte auch, dass es neben der GRV weitere Rentensysteme gibt (ständische Rentenversicherungen, das Rentensystem der Politiker und die Alimentation der Beamten usw.) und diese Systeme haben nichts mit der GRV zu tun, zahlen somit auch keine Beiträge in die GRV, erhalten aber wesentlich höhere Renten als die Versicherten der gesetzlichen Rentenversicherung.
Nun noch ein Hinweis auf die Zuschüsse des Staates. Sie sind ein nicht einmal ausreichender Ausgleich für die vielen Fremdlasten, die der GRV aufgebürdet wurden. Seit Beginn der Umlagenfinanzierung der Renten 1957 wurden der Rentenkasse der GRV Belastungen auferlegt, die nichts mit der begrenzten Zahl der GRV-Versicherten zu tun haben, sondern als gesellschaftliche Verpflichtung aus Steuermitteln hätten aufgebracht werden müssen. Man bezeichnet sowas als versicherungsfremde Leistungen. So wurden einseitig die Renten als Kriegsfolgelasten (Witwen-, Waisen-, Versehrtenrente) aus der GRV bezahlt. Weitere einseitige Belastungen waren die anrechenbaren Zeiten für die Schul- oder Berufsausbildung und für Kindererziehungszeiten. Die Übernahme der DDR-Rentner und Rentenanwartschaften bei der Wiedervereinigung zählt auch zu den Fremdlasten mit besonders krassen Auswirkungen auf die GRV und hätten eigentlich als separates Rentensystem gegründet werden müssen, in welches der Staat die Mittel einbringt, die sich aus der Zahl der Rentner und aus den bestehenden Rentenanwartschaften ergeben hat. Das wäre Aufgabe der Treuhand gewesen.
Eine weitere Fremdlast ist die Mütterrente und auch hier hat der Staat einen Weg gefunden, dass diese ausschließlich von den Beitragszahlern finanziert wird, obwohl der Anspruch darauf durch die Zuordnung der Entgeltpunkte auch an Frauen gehen kann, die nie in die Rentenkasse eingezahlt haben. Merkwürdig sollte man auch finden, dass der Staat sich konstant weigert, seine ohnehin fragwürdigen Zahlen über die Lebenserwartung auch speziell für Versicherungspflichtige der GRV und die Rentner auszuweisen, obwohl deren Daten vollständig vorhanden sind. Die Lebenserwartung der Arbeitnehmer ist mit der gesamtgesellschaftlichen Lebenserwartung nicht vergleichbar, denn es ist z. B. ein Unterschied, ob ein Dachdecker oder Schornsteinfeger von der Leiter fällt, oder ein Politiker in seinem Büro vom Stuhl kippt, weil er eingeschlafen ist.
Jetzt soll ja eine neue Rentenkommission eingesetzt werden. Wie bereits unter Ulla Schmidt in der rot/grünen Regierung sind in dieser Kommission wieder ausschließlich Leute, die nicht von dem, was sie „erarbeiten“ betroffen sind. Dieses Mal sind es ausschließlich Politiker/innen. Sie werden ganz sicher nicht die Beitragszahlungen der Rentner im Auge haben, sondern eher, wie sie sich um die Rentenzahlungen drücken können.
Das derzeit wieder die Sprachrohre der Industrie ein großes Geschrei machen und Prognosen für die nächsten 30 Jahre machen, ist nicht verwunderlich. Dass die Politik und die Presse diese dann gerne aufgreift, ist auch nicht verwunderlich, obwohl beide wissen, dass diese Organisationen in der Regel nicht mal richtige Prognosen für das nächste Jahr auf die Beine stellen können.
Fußnoten
(1) Alterssicherung: Das Problem mit den sicheren Renten ZEIT v. 20.08.2018
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