Sanktionen treffen immer die Falschen: vor allem die Armen

Christian Müller  (infosperber)

Viele Politiker und Journalisten rufen nach mehr Wirtschaftssanktionen gegen ungeliebte Länder. Wissen sie, was sie tun?

«Von den üblichen Mahnungen und Drohungen aus Europa lassen sich die starken Männer in Minsk und Moskau nicht einschüchtern. [ ] Der EU wird nichts anderes übrig bleiben, als Lukaschenko und Putin endlich geschlossen und mit harten Sanktionen in die Schranken zu weisen.» Das steht in einem Frontseiten-Kommentar von Fabian Hock in den CH Media-Zeitungen vom 25. Mai – als ein Beispiel nur von vielen ähnlichen anderen Kommentaren.

War dieser Fabian Hock schon mal in einem Land, das von der westlichen Welt mit Sanktionen bestraft wird? In Kuba zum Beispiel? In Venezuela? Im Iran? Oder auf der Krim?

Ich war, um ein Beispiel zu nennen, schon 1989 in Kuba, und ich war, ein aktuelleres Beispiel, 2019 ein paar Wochen auf der Krim. «On the spot», aus der Nähe zu sehen, wer von Sanktionen betroffen ist und wie, das muss man selber vor Ort miterlebt haben, um zu wissen, wie sowas abläuft.

Die Sanktionen treffen die Unterschicht

Wirtschaftssanktionen haben alle die gleiche erste sichtbare Folge: Viele Produkte, in erster Linie der Treibstoff, aber nicht zuletzt auch die Lebensmittel, werden teurer – spürbar teurer. Kaum ein Land auf dieser Welt ist völlig autark, ernährt sich also nur von Lebensmitteln, die im eigenen Land produziert werden. Das eine wird im Übermass produziert und exportiert, das andere kann nicht ausreichend produziert werden, es muss also importiert werden. Und so, wie Marktwirtschaft eben funktioniert: Mangel bewirkt höhere Preise. Das trifft die Reichen und den oberen Mittelstand wenig, den unteren Mittelstand und vor allem die Armen und Ärmsten aber direkt und massiv. Und auch wenn es nur 20 Prozent sind: Grosse Bevölkerungsteile in all diesen Ländern leben an der Armutsgrenze und geraten durch die Teuerungen konkret in die Armut.

Ein kleines, aber anschauliches Beispiel: Der Wirtschaftssanktionen wegen dürfen keine Kreuzfahrtschiffe mehr in Jalta auf der Krim anlegen. Wer ist davon betroffen? Die kleinen Krämer, die Postkarten und andere Souvenirs verkaufen, die Bars und Restaurants, die vor allem von den Touristen leben, die Taxichauffeure, und und. Hotels, die vom gestoppten Tourismus betroffen sind, bauen ab und entlassen Mitarbeitende: Küchenpersonal, Servierpersonal, die Putzequipe.

Ein anderer, wichtiger Punkt: Meistens fallen auch die sogenannten Rimessen weg. Jene Menschen, die, um ihre Familie finanziell zu unterstützen, ganzjährig oder als Saison-Arbeiter im Ausland arbeiten und regelmässig Geld nach Hause schicken, sie können der Sanktionen wegen kein Geld mehr überweisen. Selbst die staatseigene Bank «PostFinance» der Schweiz zum Beispiel führt keine Geldüberweisungen von der Schweiz nach Kuba durch. Für viele Familien in Kuba ist das der wirtschaftliche Absturz in die Armut. Wo immer man sich in einem von Wirtschaftssanktionen bestraften Land umschaut: Der untere Mittelstand verarmt, die Armen hungern.





Die Sanktionen polarisieren die Gesellschaft

In jedem Land der Welt gibt es Menschen mit unterschiedlichen Ansichten und Prioritäten. Und in jedem Land, das mit Wirtschaftssanktionen «bestraft» werden soll, gibt es jene, die politisch zu den «Schuldigen» der Sanktionen gehören, und jene, die es anders gewollt oder gemacht haben oder hätten. Man denke an Belarus. Ob 60 zu 40 oder 40 zu 60 Prozent der Bevölkerung: Es gibt jene, die sich wirtschaftlich auf die historisch und bis heute engen Verbindungen zu Russland eingerichtet haben und damit ordentlich zurechtkommen, und die deshalb keine Veränderung wünschen. Und es gibt jene, die in der westlichen – neoliberalen – Wirtschaft eine Chance für sich selbst zu erkennen glauben, um wirtschaftlich nach oben zu kommen. Beide Gruppen haben bisher ordentlich zusammengelebt. Was aber, wenn Belarus nun vom Westen mit x Sanktionen bestraft wird? Das vertieft den Graben zwischen den Zufriedenen auf der einen und den Aufmüpfigen auf der anderen Seite massiv, denn wer unter den Sanktionen zu leiden haben wird, hängt nicht von der politischen Gesinnung ab, sondern vom Beruf, vom Arbeitsplatz und vom sozialen Status in der Gesellschaft. Die neue Situation nach der Inkraftsetzung der Sanktionen führt nicht zu mehr Friede und Solidarität, sie führt zu mehr Polarisierung und Spaltung. Die sanktionierenden Politiker im Westen behaupten, ein «Land» oder ein «Regime» zu bestrafen, aber sie bestrafen Menschen und gefährden ihr Zusammenleben.

Viele Sanktionen sind mittelfristig sogar kontraproduktiv

Die US-amerikanische Regime-Change-Politik, die aufgrund der transatlantischen Verbindungen auch von den meisten westeuropäischen Staaten mitgetragen wird, war gelegentlich erfolgreich, zum Beispiel im Jahr 2014 in der Ukraine. (Ob die Bevölkerung davon profitiert hat, lassen wir hier mal als offene Frage stehen.) Aber nicht immer ist die Regime-Change-Politik erfolgreich. Vor allem aber dort, wo so ein Regime Change kurzfristig nicht in Sicht ist, wird gerne zu Sanktionen gegriffen. Damit aber treibt man die betroffenen Länder in die Arme anderer Grossmächte: Belarus noch mehr in die Arme Russlands, den Iran näher an China, Russland ebenfalls näher an China. Als Beispiele nur. Und man vergesse auch die Länder in Afrika nicht, die unter Sanktionen leiden.

Wissen die USA und die EU, was sie tun, wenn sie Sanktionen verhängen? Auf welche Erfolge können sich diese, sich selbst mit der behaupteten Demokratie-Förderung legitimierenden politischen Sanktionierer berufen? Wo haben militärische Interventionen mit dem Ziel eines Regime Change zum Erfolg geführt? Im Irak? In Syrien? Und wo haben Sanktionen zum «Erfolg» geführt? In Kuba? In Venezuela? In Libyen? Auf der Krim? Und abgesehen davon: Ist die Demokratie in den betroffenen Ländern besser geworden? Die Realität: Etliche dieser Staaten sind zu sogenannten «failed states» geworden, zu gescheiterten Staaten.

Eines aber haben die militärischen Interventionen und die Wirtschaftssanktionen überall bewirkt: Die Wirtschaft der betroffenen Staaten hat gelitten – und leiden unter den wirtschaftlichen Problemen müssen jetzt nicht die Politiker und nicht die Wohlhabenden, sondern die grosse Zahl der Arbeitenden, der Tagelöhner und Arbeit-Suchenden. Und vor allem jene, die eh schon am Rand der Armut leben.

Auslandredaktor Fabian Hock und all die anderen, ähnlich kommentierenden Auslandredaktoren sollen uns doch mal den Mechanismus erklären, warum sie an die erwünschte Wirkung von Sanktionen glauben, die sie in ihren Kommentaren fordern. Gerne dann ebenfalls auf der Frontseite der Zeitungen!

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