
Eine Mitverantwortung, die sich niemand eingestehen will
Ein Meinungsbeitrag von Nicolas Ullrich (apolut)
Am 15. Juli 2025 hat das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde jemenitischer Bürger gegen Deutschlands Mitwirkung an US-Drohnenangriffen abgewiesen. Im Zentrum der Kritik steht die US-Airbase Ramstein in Rheinland-Pfalz – technisches Drehkreuz für gezielte Tötungen im Jemen. Das Gericht sieht keine „hinreichende Schutzpflicht“ der Bundesrepublik. Doch juristisch, völkerrechtlich und ethisch ist das Urteil hochproblematisch. Deutschland hilft bei einem völkerrechtswidrigen Krieg – und tut so, als wäre es unbeteiligt.
1. Drohnenkrieg im Jemen – kein Krieg, kein Mandat, kein Recht
Die US-Drohnenangriffe im Jemen finden ohne Kriegserklärung, ohne UN-Mandat und ohne Zustimmung der jemenitischen Regierung statt. Die UN-Sonderberichterstatterin Agnes Callamard sowie zahlreiche Menschenrechtsorganisationen stufen sie als völkerrechtswidrig ein. Die Opferzahlen sind hoch, der rechtliche Rahmen nicht existent. Dennoch werden diese Einsätze technisch über deutsches Staatsgebiet ermöglicht.
2. Ramstein: Technische Neutralität als Illusion
Die US-Basis Ramstein ist für die Echtzeitsteuerung von Drohnen unverzichtbar. Die Signale der US-Piloten in den USA werden über Glasfaserkabel nach Ramstein übertragen und von dort per Satellit an Drohnen weitergeleitet. Deutschland weiß um diese Rolle – spätestens seit 2016 ist dies öffentlich dokumentiert. Doch die Regierung behauptet, keinen Einfluss auf die US-Militäraktionen zu haben. Dabei wird technisches Mitwirken zur Beihilfe, wenn man es wissentlich duldet.
3. Völkerrechtlich mitschuldig – Deutschland als Wegbereiter
Laut Art. 16 der ILC-Artikel über die Verantwortlichkeit von Staaten macht sich ein Staat mitverantwortlich, wenn er wissentlich die völkerrechtswidrigen Handlungen eines anderen Staats unterstützt. Deutschland erfüllt diese Bedingungen: Kenntnis über die völkerrechtswidrige Natur der Drohneneinsätze, Duldung technischer Infrastruktur, keine Maßnahmen zur Begrenzung oder Unterbindung. Die UN-Charta verbietet Gewaltanwendung in internationalen Beziehungen – und ebenso jede aktive oder passive Beihilfe.
4. Verfassungsrecht: Schutzpflicht ausgehebelt
Das Grundgesetz verpflichtet den Staat zur Achtung und zum Schutz der Menschenwürde (Art. 1 GG) und des Lebens (Art. 2 GG). Diese Schutzpflicht gilt auch für Ausländer im Ausland, wenn deutsches Handeln beteiligt ist. Das Bundesverfassungsgericht verweigert diese Pflicht, mit Verweis auf fehlenden „engen Bezug“. Doch der Bezug besteht: Technik, Infrastruktur, Wissen, Untätigkeit.
5. Politisches Kalkül statt Menschenrechte
Das Urteil schützt keine Prinzipien, sondern politische Allianzen. Man will den Konflikt mit den USA vermeiden, auch wenn dies bedeutet, dass Deutschland Beihilfe zu außergerichtlichen Tötungen leistet. Die NATO-Verträge sollen dies rechtfertigen – aber kein internationales Abkommen erlaubt die Umgehung von Völkerrecht und Menschenrechten.
6. Besatzungsrecht oder Bündnisbindung? Ein deutsches Missverständnis
Oft wird behauptet, Deutschland sei durch alte Besatzungsstatuten oder geheime Verträge gezwungen, US-Militäraktionen auf deutschem Boden zu dulden. Doch diese Annahme ist falsch. Die Besatzungsrechte endeten spätestens mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag von 1990, der Deutschland volle Souveränität zusprach. Seitdem ist jede Stationierung ausländischer Truppen vertraglich geregelt – in diesem Fall über das NATO-Truppenstatut (SOFA) von 1951 sowie das Zusatzabkommen von 1959.
Diese Verträge verpflichten Deutschland nicht dazu, jede Handlung der USA auf deutschem Boden widerspruchslos hinzunehmen. Im Gegenteil:
- Deutschland kann militärische Aktivitäten untersuchen, sofern sie gegen deutsches oder internationales Recht verstoßen
- Deutschland kann die Nutzung von Einrichtungen wie Ramstein einschränken oder sogar den Stationierungsvertrag kündigen – politisch heikel, aber rechtlich möglich
- Deutschland darf keine Handlungen dulden, die gegen das Völkerrecht verstoßen – auch nicht durch Bündnispartner
Fazit: Die Behauptung, Deutschland müsse „aufgrund alter Verträge“ alles akzeptieren, was über Ramstein geschieht, ist juristisch unhaltbar. Was fehlt, ist kein Recht – sondern politischer Wille.
Schlusswort: Es reicht.
Ein Staat, der sich als Verteidiger von Demokratie und Menschenrechten sieht, kann nicht zulassen, dass von seinem Boden aus Menschen getötet werden – ohne Verfahren, ohne Urteil, ohne Krieg. Ramstein ist kein neutraler Ort. Und die Rolle Deutschlands ist keine bloß passive. Wer völkerrechtswidrige Gewalt wissentlich möglich macht, ist Mitspieler – nicht Zuschauer.
Es ist Zeit für eine öffentliche Debatte. Und es ist Zeit, Verantwortung zu übernehmen.
Quellen und Anmerkungen
- Bundesverfassungsgericht Urteil vom 15. Juli 2025 – https://www.welt.de/politik/deutschland/article256403192/Jemeniten-klagten-gegen-US-Drohnenangriffe-aus-Ramstein-Verfassungsgericht-weist-Beschwerde-ab.html
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UN-Sonderberichterstatterin Agnes Callamard über Drohnen – https://news.un.org/en/story/2020/07/1068041
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ILC Draft Articles (Art. 16 – Beihilfe) – https://legal.un.org/ilc/texts/instruments/english/draft_articles/9_6_2001.pdf
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Politico zur juristischen Kritik – https://www.politico.eu/article/germany-top-court-throws-out-complaint-us-drone-attacks-viaramstein-air-base/
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Augengeradeaus Analyse – https://augengeradeaus.net/2025/07/drohnen-steuerung-ueber-us-basis-ramstein-verfassungsgericht-sieht-keine-schutzpflicht/
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AP News zum Urteil – https://apnews.com/article/95a7138b7b0686135c08daaf78a9e52d
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Reuters-Bericht zur Mitverantwortung – https://www.reuters.com/world/germanys-top-court-dismisses-complaint-against-us-drone-missions-via-ramstein-2025-07-15/
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Zwei-plus-Vier-Vertrag von 1990 – https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/regelbasierte-internationale-ordnung/voelkerrecht-internationales-recht/240218-240218
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NATO-Truppenstatut (SOFA) & Zusatzabkommen – https://www.bundestag.de/resource/blob/418456/12c72156e0e29422d9933848bc4c6b0e/wd-3-416-08-pdf-data.pdf
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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Ergänzend: US-Airbase Ramstein in Rheinland-Pfalz ist natürlich für die BRD „Exterritoriales Gebiet“ ein Ort, der zwar physisch innerhalb der Grenzen eines Staates liegt, aber nicht dessen Rechtssprechung unterliegt. Dies bedeutet, dass die Gesetze und Regeln des Gastlandes dort nicht oder nur eingeschränkt gelten.. Insoweit hat das Bundesverfassungsgericht vollkommen richtig entschieden.
Meiner Meinung nach wird die BRD als NGO mit der Bezeichnung „Germany“ bei der UN geführt. Die BRD würde somit überhaupt kein Staat im Sinne des Völkerrechts sein sondern „Staat“ auf Verwaltungsebene.
Ein Grundgesetz ist ein besatzungsrechtliches Mittel zur Schaffung von Ruhe und Ordnung in einem durch Kriegshandlung besetzten Gebiet.
Gegeben von der Siegermacht (oder den Siegermächten). für das auf Zeit eingesetzte Verwaltungsorgan (BRD) (Creifeld’s Rechtswörterbuch 17. Auflage C.H. Beck München 2002)
Der Artikel 146 GG verweist unmissverständlich darauf, dass das GG eine zeitlich begrenzte Gültigkeit haben wird… verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.
Verwaltungsgericht Köln am 22.12.2022 in seinem Urteil 13 K 2736/19:
Das Gericht belehrte das BfV, dass der Fortbestand des Deutschen Reiches nach 1945 die geltende Rechtsprechung des BVerfG und gerade deshalb keine abwegige Verschwörungstheorie sei. Dies sollte als juristisches Grundwissen eigentlich auch dem BfV bekannt sein. Die Äußerung des BfV verstoße gegen das Sachlichkeitsgebot und sei damit rechtswidrig. Ferner wurde festgestellt, dass sich allein aus der Aussage, „das Deutsche Reich sei 1945 nicht untergegangen“, kein Rechtsextremismus, kein Reichsbürgertum und auch keine verfassungsfeindlichen Bestrebungen ableiten ließen, da dies schließlich auch vom Bundesverfassungsgericht sowie der Bundesregierung vertreten werde
Der Begriff DEUTSCHLAND hat eine Legaldefinition für die UN, im SHAEF-Gesetz Nr. 52:
“Deutschland” bedeutet (gem. Definition SHAEF-Gesetz Nr. 52 Artikel 7 Abs. e)das Gebiet des Deutschen Reiches, wie es am 31.12.1937 bestanden hat (völkerrechtliche Grenze).
Alliiertes Besatzungsrecht gilt immer noch in Deutschland GG 139
Damit sind die alliierten SHAEF-Gesetze und SMAD-Befehle gemeint“. Diese seien im Grundgesetz Artikel 139:
Die zur ‚Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus‘ erlassenen Rechtsvorschriften werden von den Bestimmungen dieses Grundgesetzes nicht berührt.
Man könnte noch weitere Begründungen gegen den Inhalt des Beitrages aufführen, aber der Beitrag stimmt vorne und hinten nicht. Leider kann man ihn nicht mit Minus-Sternen bewerten.
Ja und jetzt? Was nützen juristische oder rechtsstaatliche Begrifflichkeiten, die kaum einer im Stande ist nachzuvollziehen? Damit allein wirst Du niemanden erreichen!
Grüße von Jürgen, der das alles auch schon durchgearbeitet hat! 🙂