Werte Leser, Kollegen und Freunde,
Dies ist die Mai-Juni-Ausgabe meines Rundbriefs, also eine Doppelausgabe, die auf die beiden vergangenen Monate zurückblickt und Texte vorstellt, die auf meiner Webseite www.gerdheld.de in der Rubrik Der Monat zu lesen sind.
Unversehens hat der politische Richtungskampf in Deutschland an Stärke gewonnen. Dabei geht es nicht nur um die Heftigkeit des Streits, sondern um eine Umgruppierung: Die Opposition gegen wesentliche Teile der Politik der Kanzlerin ist nun in der Regierung selber ausgebrochen, in der Hauptpartei der großen Koalition, der CDU/CSU. Merkels “Mitte“ bestimmt nicht mehr die politische Landschaft in Deutschland. Diese Landschaft wird nicht mehr von einem Zentralgebirge bestimmt, das nur von extremen „Rändern“ umlagert wird, sondern sie hat nun zwei Höhenzüge, die sich gegenüberstehen. Es gibt eine systematische Gegenposition, die man nicht mehr marginalisieren kann. Natürlich versucht der Merkel-Block, seine alte hegemoniale Position wiederherzustellen. Man erklärt die Auseinandersetzung über die Migrationspolitik für „überspitzt“ und „unnötig“. Man unterstellt der CSU, ihre Motive seien rein parteipolitisch und zielten wahltaktisch auf die Landtagswahlen in Bayern. Doch nicht irgendeine schräge Idee hat plötzlich aus heiterem Himmel die Köpfe befallen, sondern der neue Richtungskampf ist Folge einer fortschreitenden Entzauberung der Willkommenskultur, die in den drei Jahren seit der Merkels Grenzöffnung stattgefunden hat. Diese Entzauberung hat sich in den vergangenen Monaten und Wochen beschleunigt. Und mit dem Anliegen „Zurückweisung an der Grenze“ ist die CSU an dem Angriffspunkt angelangt, an dem eine Richtungskorrektur praktisch wird und damit auch messbar wird.
Ich habe in meinem kleinen Zeitungsarchiv noch einmal die Schnipsel angeschaut, die ich von den Monaten September bis Dezember 2017 aufbewahrt habe. Vergleicht man sie mit heutigen Publikationen, so ist eine große Ernüchterung in der Betrachtung der Migration und der Migranten unübersehbar. Die Erzählungen von Elend und Abenteuer sind seltener geworden, ebenso die rosigen Prognosen über die „neuen Arbeitskräfte“, die Deutschland gewinnt, und über den „Konjunkturschub“, den die Zuwanderung auslösen würde. Auch die Berichte über Integration in Schulen, Betriebe und Stadtteilen sind auffallend vage geworden. Stattdessen erschüttern Mordtaten von Migranten, die durch ihre eiskalte Gleichgültigkeit gegenüber ihren Opfern auffallen, das Land. Und noch etwas erschüttert Deutschland. Die Erfahrung, dass der Staat nicht in der Lage und willens ist, dem Missbrauch des Asylrechts Herr zu werden und diejenigen, die das tun, wieder außer Landes zu schaffen. Die Bürger müssen zusehen, wie sich Teilegebiete ihrer Großstädte in gesetzlose Räume verwandeln und wie gleichzeitig ein „duldender“ Staat Migranten ohne legale Aufenthaltsberechtigung dennoch im Land lässt und versorgt. So hat sich in Deutschland das Gefühl ausgebreitet, durch die Migrationspolitik in Geiselhaft genommen zu sein. Und in dem Maße, wie sich das Wort „Willkommen“ entzaubert hat, ist das Wort „Zurückweisung“ stark geworden.
Doch wirkt in dieser Entzauberung noch eine tiefere, längerfristige Wahrheit: Es wird immer offensichtlicher, dass die Migration als globales Großprojekt nicht die Entwicklungsprobleme dieser Welt lösen kann. Denn sie kennt keine Länder, keine räumliche Stetigkeit und daher auch keinen Aufbau. Sie kennt nur immer wieder Ortsveränderung, Raumüberwindung, Ströme und Fließbewegungen. Sie ist im Grunde eine völlig simplifizierte und reduzierte Handlungsform. Es geht hier nicht um die Schuldfrage und biologische Zuschreibungen, sondern darum, dass entwurzelte Menschen nicht dazu kommen, sich auf eigene Aufbauleistungen und lange Bildungsproesse von Können und Kapital einzulassen. Stattdessen eröffnet die Migration den Scheinausweg, auf fremde Aufbauleistungen Zugriff zu nehmen. Die fundamentale Ungerechtigkeit, dass Migration von den Beständen zehrt, die Andere über Jahrzehnte oder Jahrhunderte aufgebaut haben, ist beim Sozialstaat offensichtlich. Sie ist aber auch beim Infrastrukturstaat gegeben. Doch hier wird bei unseren Städten und Landschaften mit ihren Gebäuden, Straßen, Plätzen, Gewässern, usw. , die so scheinbar selbstverständlich daliegen, übersehen, welche immense Gratisaneignung die Einwanderung darstellt. Und auch die flächendeckenden Schutzleistungen, die der Rechtsstaat mit Polizei, Militär und Justiz erbringt, gehören zu dieser Aneignungsmasse. Eine nomadische Welt bringt diese Aufbauleistung nicht erbringen. Die Internationale der Migration lebt von fremder Hand. Sie hat keinen eigenständigen wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Entwurf. Sie hat keine Zukunft. Deshalb ist die Ernüchterung, die jetzt zu beobachten ist, auch kein „Zwischentief“, sondern hier kündigt sich das geschichtliche Ende einer schlechten Utopie an. Die Fahrt ins Nirgendwo geht allmählich zu Ende.
Es gibt noch eine zweite, parallele Entzauberung der wirtschaftlichen Entgrenzung: Die Vorstellung, die höchste Form der Handelsbeziehungen in der Welt sei ein globalisierter Einheitsmarkt, hat deutlich an Attraktivität verloren. Sie hat ihre Schattenseiten – große Verdrängungseffekte – gezeigt. Nicht nur die Trump-Regierung in den USA, sondern auch andere Länder entdecken die Bedeutung von Binnenmärkten wieder – und diese Entdeckung läuft nicht auf einen durchgängigen Protektionismus hinaus, sondern auf eine Wirtschaftsordnung, die zwischen Binnenmarkt und Außenhandel unterscheidet und beiden einen Geltungsbereich einräumt. Auch in der Wirtschaftsordnung gibt es also einen offenen Richtungskampf und keine von vornherein feststehende Wahrheit. Das ist insbesondere für Deutschland bedeutsam. Denn bisher bildete die Exportstärke den Hauptmaßstab für wirtschaftlichen Erfolg. Das war in gewisser Hinsicht der Gegenpart zur Migrationspolitik. Dieser Gegenpart glich bisher in gewisser Weise die zunehmenden Negativ-Erfahrungen mit der Massenimmigration aus. Die Globalisierungs-Verluste der deutschen Migrationspolitik wurden – finanziell und moralisch – mit den Globalisierungs-Gewinnen als Export-Weltmeister gegengerechnet. So ist zu erklären, dass der Grenz-Leichtsinn bei der Migration bislang nicht schon viel entschiedener abgelehnt wurde. Diese wirtschaftliche Seite gehörte zu „Merkels Mitte“, und diese hegemoniale Stellung in der politischen Landschaft erscheint nun mehr und mehr als wackeliges Kartenhaus.
Aber es ist nicht leicht zu prognostizieren, wie die jetzige Auseinandersetzung um die Zurückweisung von Migranten ausgeht. Wichtig ist zu verstehen, dass an diesem Einzelelement sehr viel hängt, und dass der Streit nicht eine „künstliche Aufregung“ ist. Die CSU hat, vielleicht ohne sich ganz darüber im Klaren zu sein, einen staatspolitischen Richtungskampf begonnen, vielleicht den wichtigsten Richtungsstreit der vergangenen Jahrzehnte. Mit der Forderung, die deutsche Grenzhoheit notfalls ohne gesamteuropäische Lösung wiederherzustellen, hat die CSU die Frage nach der Verfassung stellt, die für Deutschland gilt und gelten soll.
Die Mai-Juni-Ausgabe von Der Monat, die Sie auf meiner Homepage www.gerdheld.de finden, enthält vier Beiträge zu diesem Komplex:
- Die CSU hat die Verfassungsfrage gestellt (erschienen bei „Die Achse des Guten“ am 27.6.2018)
- Aus dem Notizbuch: Zur BAMF-Affäre (23.6.2018)
- Europa motiviert nicht mehr: Italiens neues Selbstbewusstsein (erscheinen bei „Tichys Einblick“ am 29.5.2018)
- Auf der Suche nach der verlorenen Wehrhaftigkeit (Rezension, 22.5.2018)
Hinweisen möchte ich auch auf den neuen Sammelband von „NOVO Argumente“ über Identitätspolitik, zu dem ich einen Text beigesteuert habe, der Überlegungen über die Eigenart moderner nationaler Identitäten, verdeutlicht am Beispiel Spanien, enthält.
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Wandere aus, solange es noch geht!
Mit besten Grüßen aus Berlin
Gerd Held
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