Politiker verstehen ökonomische Zusammenhänge nicht

Weshalb der Euro die deutsche Exportwirtschaft nicht vor der anstehenden realen Aufwertung schützt

Roland Vaubel

Die großen deutschen Wirtschaftsverbände (BDI und BDA) verteidigen die Bailout-Politik der Bundesregierung. Sie wollen nicht, dass irgendein Mitgliedstaat aus der Währungsunion austritt. Wie ist das zu erklären? Werden Verluste aus Bürgschaften und Krediten an überschuldete Staaten nicht in erheblichem Umfang durch Unternehmenssteuern finanziert werden? Mehrere Erklärungen kommen in Betracht.

Erstens könnte es sein, dass die Verbände einfach reflexhaft die Wirtschaftspolitik einer ursprünglich bürgerlichen Bundesregierung unterstützen. Aber die wichtigsten Oppositionsparteien sind ja ebenfalls – sogar noch hemmungsloser – für die Bailout-Politik. Dadurch nehmen sie der FDP den Mut, die Koalitionsfrage zu stellen, und können sie zugrunde richten. Ist das im Interesse der deutschen Unternehmer und Manager?

Zweitens sind die Unternehmer und vor allem die Manager von den Banken abhängig. In fast jedem Aufsichtsrat sitzt mindestens ein Banker, der Schwierigkeiten machen kann. Niemand möchte sich mit seiner Hausbank oder gar allen Banken anlegen. Die Situation erinnert fatal an die Jahre 1967-69, als sich die deutschen Wirtschaftsverbände unter Führung eines Bankers – Hermann Josef Abs – gegen die DM-Aufwertung und die Freigabe des DM-Wechselkurses sträubten. Auch damals hatten Banken und Industrie die überwältigende Mehrheit der Ökonomen – auch der liberalen Ökonomen (zum Beispiel Herbert Giersch und Egon Sohmen) – gegen sich. Kiesinger und Strauss folgten Abs und den Wirtschaftsverbänden. Sie verloren die Wahl von 1969 und bereiteten einer 13-jährigen Herrschaft sozialdemokratisch geführter Bundesregierungen den Weg. Dieses Muster könnte sich wiederholen.

Werden die Wirtschaftsverbände – genauso wie CDU/CSU und FDP – einfach nur von den Banken beeinflusst, oder steht – davon unabhängig – drittens auch das Interesse der deutschen Exportwirtschaft auf dem Spiel? Würde ein Auseinanderbrechen der Währungsunion wirklich die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft gefährden, oder ist dies nur eine Schutzbehauptung, mit der die Manager ihre Abhängigkeit von den Banken zu kaschieren versuchen?

Wenn die Deutschen oder alle nicht überschuldeten Euro-Staaten aus der Währungsunion ausschieden und den Kurs der neuen Währung frei gäben, würde diese – so das Horrorszenario – dramatisch aufwerten und die deutsche Exportwirtschaft in eine schwere Krise gestürzt. Ist diese Befürchtung berechtigt? Man mag sie damit abtun, dass Deutschland auch vor 1999 kräftig exportiert hat. Aber es lohnt sich, der Sache auf den Grund zu gehen, selbst wenn mancher Betriebswirt damit überfordert ist.

Was für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Exporteure zählt, ist nicht der nominale, sondern der reale – d.h. der um Inflationsdifferenzen bereinigte – Wechselkurs. Der reale Wechselkurs misst den relativen Preis – die Preisrelation – zwischen dem in Deutschland produzierten Warenkorb und dem im Ausland produzierten Warenkorb. Er hängt von der Knappheit der betreffenden Güter und Dienstleistungen – also von Angebot und Nachfrage – ab. Wenn zum Beispiel die Nachfrage nach deutschen Gütern zunimmt, wird ihr relativer Preis steigen, d.h., die deutsche Währung real aufwerten – ganz gleich, ob der nominale Wechselkurs wie in einer Währungsunion fix ist oder nicht. Der gleichgewichtige reale Wechselkurs ist unabhängig vom nominalen Wechselkursregime, auch wenn „der Schleier des Geldes“ diese Einsicht verbergen mag.

Unter den Fachleuten besteht Einigkeit, dass Deutschland eine Phase der gleichgewichtigen realen Aufwertung vor sich hat. Zum einen flieht Kapital aus den überschuldeten Krisenstaaten nach Deutschland. Zum anderen nimmt der private Kapitalexport in diese Länder ab, weil sie nur wenig wachsen werden und ihre staatliche Neuverschuldung stark drosseln müssen. Der Anstieg des deutschen Kapitalbilanzsaldos erzwingt einen Rückgang des deutschen Leistungsbilanzsaldos, denn in einem System der doppelten Buchführung, wie es die Zahlungsbilanzstatistik ist, müssen sich die Teilsalden zu null addieren. Der Rückgang des deutschen Leistungsbilanzsaldos – genauer: des Handelsbilanzsaldos – erfordert eine reale Aufwertung. Oder vereinfacht: der deutsche Warenkorb verteuert sich relativ zum ausländischen Warenkorb, weil der Zustrom ausländischen Kapitals die Nachfrage nach deutschen Gütern und Dienstleistungen erhöht.

Eine gleichgewichtige reale Aufwertung steht außerdem aufgrund des sogenannten „Balassa-Effekts“ an. Schneller wachsende Volkswirtschaften werten nämlich real auf, weil sich die nicht-handelbaren Güter im Wachstumsprozess gegenüber den Exportgütern verteuern. Das liegt daran, dass der Binnensektor, in dem ja die Dienstleistungen eine viel größere Rolle spielen, arbeitsintensiver produziert und einen geringeren Anstieg der Arbeitsproduktivität aufweist als der Exportsektor. Es ist ja zum Teil einfach die geringe Arbeitsproduktivität, die dem Binnensektor das Exportieren unmöglich macht. Da das gleichgewichtige internationale Austauschverhältnis im Handel (terms of trade) nur durch die handelbaren Güter bestimmt wird, ist die reale Aufwertung für den gesamten Warenkorb desto größer, je mehr sich die nicht handelbaren Güter gegenüber den Exportgütern verteuern.

Bis zur Krise verbilligte sich der deutsche Warenkorb gegenüber den Warenkörben der südeuropäischen Euro-Länder, weil diese per Saldo zunehmend Kapital importierten und höhere Wachstumsraten verzeichneten. Da sich der deutsche Warenkorb verbilligen musste, wies Deutschland eine niedrigere – eine weit unterdurchschnittliche – Inflationsrate auf. Das – so der Konsens der Fachleute – wird sich in Zukunft ändern, wenn Deutschland in der Währungsunion bleibt. Die deutsche Inflationsrate wird deutlich höher als der Durchschnitt der Euro-Länder sein. Hinzu kommt für alle Euro-Länder der Inflationsimpuls durch die derzeitige hyperexpansive Geldpolitik, die – angesichts der Mehrheitsverhältnisse im EZB-Rat – kaum rechtzeitig beendet werden wird.

Karl Schiller gab 1971 und 1973 den Wechselkurs der D-Mark frei, weil die Preisstabilität für ein großes Land wichtiger ist als die Wechselkursstabilität. Diese Entscheidung führte damals tatsächlich zu einer gleichgewichtigen realen Aufwertung, denn damit wurden auch die Devisenkäufe der Deutschen Bundesbank beendet. Die Devisenkäufe waren eine Form des staatlichen Kapitalexports gewesen und hatten – da eine Kompensation durch den privaten Kapitalverkehr durch Kapitalverkehrskontrollen behindert wurde – den Leistungs- und Handelsbilanzsaldo künstlich aufgebläht. Der Verzicht auf Devisenkäufe beendete die „Exportlastigkeit“ der deutschen Wirtschaft und die Verkümmerung des Dienstleistungssektors. Dieser Effekt wäre heute jedoch nicht zu erwarten, denn weder die Bundesbank noch die EZB hat in den letzten Jahren in größerem Umfang am Devisenmarkt interveniert. Die Freigabe des Wechselkurses würde die gleichgewichtige reale Aufwertung nicht vergrößern.

Wenn die „Neue Mark“ bzw. der „Nord-Euro“ gegenüber den anderen Währungen am Markt auch nominal aufwerten würde, wäre seine Inflationsrate entsprechend niedriger, und dies würde sich in den Nominallohnsteigerungen niederschlagen. Eine nominale Aufwertung setzt voraus, dass die Geldpolitik restriktiver wird oder eine restriktivere Geldpolitik erwartet wird. Der Rückgang der Inflationsrate folgt jedoch erst mit einer Verzögerung von zwei bis drei Jahren. Während dieser Anpassungsphase weicht der reale Wechselkurs monetär bedingt von seinem realwirtschaftlichen Gleichgewichtskurs ab. Wenn die Geldpolitik unerwartet restriktiver wird, kann ein flexibler nominaler Wechselkurs sogar vorübergehend über sein Gleichgewichtsniveau hinaus schießen. Wenn man das verhindern will, muss man die Aufwertung über eine Paritätsänderung bewerkstelligen.

In der Anpassungsphase ist die deutsche Exportwirtschaft weniger wettbewerbsfähig, als sie es ohne nominale Aufwertung wäre, aber dieser Effekt ist erstens vorübergehend und wird zweitens in der Folgezeit kompensiert. Da der deutsche Leistungsbilanzsaldo in der Anpassungsphase geringer als optimal war, war auch der Nettokapitalexport geringer als optimal. D.h., die deutschen Sparer halten zu geringe Bestände an ausländischen Vermögenswerten, und die ausländischen Sparer besitzen zu große Bestände an deutschen Vermögenswerten. Da das Bestandsgleichgewicht gestört ist, wird es in der Folgezeit durch eine ebenfalls vorübergehende Erhöhung des deutschen Leistungsbilanzsaldos und Exports wiederhergestellt. Der Export verringert sich also im längerfristigen Durchschnitt nicht, wenn die Währung nominal aufgewertet wird, um die Inflation zu bekämpfen.

Für Manager ist dies vielleicht ein geringer Trost, denn ihr Zeithorizont ist kurz – zu kurz. Nur die Eigentümer – seien es Familienunternehmer oder Aktionäre – sind an der langen Frist interessiert. Weitsicht würde man sich ebenfalls von Politikern erhoffen. Doch auch sie haben die Macht nur für kurze Zeit gepachtet, und sie verstehen diese ökonomischen Zusammenhänge nicht.

Quelle: wirtschaftlichefreiheit

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