Perfides Spiel

Frankreich: ehemaliger Finanzminister bestätigt Planungen zum Ausscheiden aus Eurozone

Von Alex Lantier
8. November 2012

Der ehemalige französische Finanzminister Francois Baroin hat jetzt bestätigt, dass im November 2011, als die Regierungen Griechenlands und Italiens an der europäischen Finanzkrise zerbrachen, französische Regierungsvertreter einen Plan für das Vorgehen bei einem Austritt Griechenlands, Italiens, aber auch Frankreichs aus der Eurozone ausarbeiteten. Damals stritten europäische Beamte vehement ab, dass überhaupt Gespräche über den Austritt irgendeines europäischen Staates geführt würden.

Die Vorabdrucke aus dem Buch von Baroin, mit dem Titel “Crisis Notebook”, enthalten jedoch entsprechende Enthüllungen. In seinem Buch beschreibt Baroin die Zeitspanne von 2010 bis 2012, in der er zuerst Haushalts- und dann Finanzminister unter dem konservativen Präsidenten Nicolas Sarkozy war. Sein Bericht zeigt das skrupellose und antidemokratische Vorgehen der imperialistischen Mächte, die Regierungen zu Fall brachten, um gegen breite Opposition Sozialkürzungen zu erzwingen. Gleichzeitig beschreibt er die enormen Spannungen, die sich in Europa entwickelten.

Baroin berichtet über den spannungsgeladenen G-20 Gipfel am 3. November 2011 im französischen Cannes. Damals hatte der griechische Premierminister Giorgos Papandreou kurz zuvor eine Volksabstimmung über neue, von der Europäischen Union diktierte Sparmaßnahmen angekündigt. Der amerikanische Präsident Obama, Kanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Sarkozy forderten Papandreou auf, „seine Position zu erläutern“.

Baroin schreibt: „Man behandelte Papandreou, der von seinem Finanzminister begleitet wurde, äußerst distanziert. Sarkozy schnauzte den griechischen Premier an: ‚Wir sagen es Ihnen klipp und klar, wenn Sie dieses Referendum durchführen, gibt’s kein Rettungspaket für Sie.‘ Papandreou tut, als ob er nichts verstünde. Streng und mit eiserner Miene sagt ihm Merkel das Gleiche…(Papandreou) schwitzt immer mehr, kommt ins Schleudern und bricht ein. Derart in die Zange genommen, kann er nur noch ja oder nein zum Euro sagen. Ihm wird klar, er kann dieser Frage nicht ausweichen, indem er sie seiner Bevölkerung vorlegt. Ich war live bei seinem politischen Exitus dabei.“

Washington, Berlin und Paris intervenierten, um Papandreou klarzumachen, dass ihm nicht einmal mehr das Referendum als Feigenblatt zur Rechtfertigung seiner verhassten Sparmaßnahmen blieb. Wäre das Referendum weiter vorangetrieben und damit die offene Ablehnung der europäischen Wirtschaftspolitik durch die Bevölkerung riskiert worden, hätte dies das Eingreifen von EU und IWF bedeutet. Diese hätten Griechenland die Kredite gesperrt und damit Athen gezwungen, entweder den Staatsbankrott zu erklären oder eine eigene Währung zu drucken und damit aus dem Euro auszutreten.

Außerdem hatte Papandreou kurz vor diesem Treffen die gesamte Führungsspitze der griechischen Streitkräfte entlassen. Die griechische Armee, deren Verbindungen zu amerikanischen Geheimdiensten bis zum griechischen Bürgerkrieg von 1946-1949 und zu der von den USA unterstützten Militärjunta von 1967 zurückreichen, wurde deshalb von vielen Seiten verdächtigt, nach der Ankündigung des Referendums einen Putsch ins Auge gefasst zu haben. (Siehe: Planen Obama und die Nato einen Militärputsch in Griechenland?, wsws 4.11.2011) Eine Woche später wurde Papandreou durch Lukas Papademos als neuer griechischer Premierminister ersetzt.

Dann wandten sich die Versammelten der Liquidierung des italienischen Premierministers Silvio Berlusconi zu. Italien ist allerdings zu groß, um wie Griechenland behandelt zu werden. Ihm mit Staatsbankrott zu drohen, hieß das Risiko einzugehen, dass das ganze globale Finanzsystem an seinen faulen Krediten unterginge. Baroin schreibt: „Wenn Italien geht, gehen alle. Es ist tatsächlich zu groß. Es ist die achtgrößte Wirtschaft der Welt. Der Euro würde das nicht überleben.“

Infolgedessen versuchte es die herrschende Klasse mit der Installierung einer neuen Regierung, die ein besseres Gespür für die Bedürfnisse der internationalen Märkte haben sollte. Baroin schreibt: „Berlusconi wollte weder verstehen noch zugeben, dass Italiens Probleme mit seiner Person zusammenhingen. Ohne dies explizit auszusprechen, war die Botschaft klar – alle Protagonisten ließen ihn das spüren. Wir zwangen also Berlusconi, dem IWF ein gewisses Maß an Kontrolle über Italiens Haushaltspolitik zu übertragen. Italien ist ein stolzes Land. Uns war bewusst, dass er sich nach seiner Heimkehr nicht mehr lange halten würde.“

Nachdem er eine letzte Serie von Sozialkürzungen durch das italienische Parlament gepeitscht hatte, kündigte Berlusconi fünf Tage später seinen Rücktritt an. Er setzte eine so genannte „technokratische“ Regierung in Italien ein, die inzwischen mehrere Schübe von Sozialkürzungen durchgesetzt hat.

Weiter richtete Baroin eine geheime Studiengruppe der Regierung ein, die Vorbereitungen auf das Eintreten „der am meisten bedrückenden Hypothese unserer modernen Wirtschaftsgeschichte“ treffen sollte – auf ein mögliches Ausscheiden Frankreichs aus der Eurozone. Zu dieser Zeit, so schreibt er, „fegte ein Zyklon über die Europäische Union und der Euro wurde von allen Seiten attackiert…Die schlimmste (Möglichkeit) war ein griechischer Austritt aus dem Euro, Ansteckung, eine Domino-Theorie, die zum Zusammenbruch der Eurozone führen würde und zum faktischen Austritt Frankreichs.“

Baroins Darstellung unterstreicht den Bankrott des europäischen Kapitalismus. Das politische und finanzpolitische Spiel mit dem Feuer, das der Bevölkerung verheerende Sparmaßnahmen aufoktroyiert, untergräbt die ohnehin maroden institutionellen Fundamente des bürgerlichen Europa noch weiter.

Die Spannungen traten im Frühjahr 2010 deutlich zu Tage: Es traten erbitterte Differenzen zwischen Berlin und Paris auf, weil Deutschland das erste Rettungspaket abgelehnt hatte, das an die Banken gehen sollte, die griechische Schuldenpapiere hielten. Der damalige Direktor der Europäischen Zentralbank (EZB), Jean-Claude Trichet, meinte dazu, dass in Europa die schlimmsten Spannungen seit dem Zweiten Weltkrieg herrschten. (Siehe: Das Gespenst großer Katastrophen kehrt zurück, wsws,18.05.2010)

Wie damals diskutiert wurde, ist der Erhalt des Euro für den europäischen Imperialismus nicht nur eine finanzpolitische Frage, es geht auch um die Regulierung brisanter internationaler Konflikte in Europa, die im 20. Jahrhundert zu zwei Weltkriegen führten.

Die Süddeutsche Zeitung zeigte für den Fall des Zusammenbruchs des Euros folgendes Szenario auf: „Mit dem Zerfall ihrer wichtigsten politischen Klammer, der gemeinsamen Währung, bricht auch die Europäische Union auseinander. Siebenundzwanzig Länder kämpfen wieder um Märkte. Deutschland als größtes Land mit einer gesunden industriellen Struktur macht sich Feinde und wird möglicherweise boykottiert: Das Gespenst der ’Hegemonialmacht’ geht wieder um.“

Zwei Jahre danach haben sich wirtschaftlicher Niedergang und innereuropäische Konkurrenz um Marktanteile noch verschärft. Der Euro konnte sich überhaupt nur halten, weil die EZB Geldspritzen von vielen Billionen Euro zur Beruhigung wiederholt auftretender Panikattacken an den Finanzmärkten verteilte. Aus Baroins Darstellung ist die Schlussfolgerung zu ziehen, dass die Bourgeoisie in jedem europäischen Land dabei ist, zur Vermehrung ihres Reichtums die extremsten und rücksichtslosesten Maßnahmen auf Kosten der Arbeiterklasse sowie ihrer internationalen Rivalen vorzubereiten.

Quelle: wsws

(Visited 2 times, 1 visits today)
Perfides Spiel
0 Stimmen, 0.00 durchschnittliche Bewertung (0% Ergebnis)