Papiergeld ist periodisch zum Crashen verdammt (XII)

Briefe eines Bankdirektors an seinen Sohn

ZWÖLFTER BRIEF (und zugleich der Letzte)

Berlin, 31. Januar 1921

Es ist eine altbekannte Erscheinung, lieber James, dass in einem Hause, in dem ein Schwerkranker liegt, meist eine einzige Person den ganzen Ernst der Krankheit nicht erkennt, nämlich der Kranke selbst. Er glaubt sich leidlich wohl zu befinden, sobald er etwas Appetit hat. Wie diesem Kranken, so geht es auch den Völkern, die am Gelde krank sind, am Verfall ihrer Währung leiden: Weil sie essen, trinken und Geschäfte machen wie früher, glauben sie es könne nicht so schlimm um sie bestellt sein; der Niedergang des Geldwerts sei ja freilich unangenehm und habe manche üblen Folgen, aber schließlich gebe es ernstere Krankheiten für ein Volk. Besehe man nämlich die Sache bei Licht, so sei die ganze Währungsfrage im Grunde nur ein harmloses Multiplikations-Exempel. Man müsse einfach alle seine Ausgaben mit 5 oder 10 oder 20 multiplizieren, entsprechend der Geldentwertung bzw. der Steigerung der Preise. Sachlich habe das gar nichts zu bedeuten, denn jede Ausgabe des Einen sei eine Einnahme des Andern, und demnach stiegen auch die Einnahmen auf das 5, 10 oder 20 fache. Man müsse sich nur daran gewöhnen, allen Zahlen im Verkehrsleben eine Null anzuhängen. Diese harmlose Auffassung kann man vielfach äußern hören. Und in der Tat: Schadet es einem Volke viel, wenn es mit dem großen statt mit dem kleinen Einmaleins rechnet, und wenn alle seine Umsätze sich verzehnfachen? Schließlich ist doch auch zehnmal so viel Geld im Lande wie früher, um die Umsätze zu bewältigen. Die Aufblähung aller Ziffern ist ja überhaupt erst die Folge dieser gewaltigen Geldzunahme.

Dieser Harmlosigkeit, mein Sohn, kann man gar nicht nachdrücklich genug entgegentreten, denn die Unkenntnis, die sich in ihr äußert, grenzt ans Verbrecherische. Es ist schlimm genug, wenn ein Volk in ahnungslosem Leichtsinn die schiefe Ebene der Inflation hinuntergleitet. Wenn es dann aber die Folgen, die dieses Hinab gleiten mit sich bringt, geflissentlich ignoriert oder ihnen die beste Seite abzugewinnen sucht, statt dem Staat in die Zügel zu fallen und rechtzeitig zu bremsen, so eilt das Volk seinem Verhängnis entgegen. Denn um es in dürren Worten zu sagen: Der Verfall seiner Währung ist wohl das größte Unglück, das ein Volk treffen kann. Selbst ein verlorener Krieg bringt ihm nicht so schweren unmittelbaren Schaden, wie der Ruin seines Geldwesens.

Die Leute, die in der ganzen Frage nur ein belangloses Rechenexempel erblicken, übersehen nämlich einige begleitende Momente des Währungsverfalls. Sie übersehen vor allem den einen, bedeutungsvollen Umstand: Die Entwertung des Geldes, also die Multiplikation der Ausgaben, trifft die Gesamtheit. Das Gegenstück hierzu, die Steigerung der Einnahmen, kommt aber nur einem Bruchteil der Bevölkerung zugute, diesem freilich in solchem Maße, dass das Verhältnis zwischen Einnahme und Ausgabe sich bei ihm ganz außerordentlich verbessert. Und zwar ist es in der Hauptsache das Kapital, soweit es Sachwerte besitzt, das in dieser Weise profitiert. Auf der anderen Seite, die von der Geldentwertung lediglich das Moment der Ausgabensteigerung kennen lernt, befinden sich aber, abgesehen von den Rentnern, die besonders schwer geschädigt werden, in der Hauptsache die geistig und körperlich arbeitenden Klassen, die Beamten und die Staatspensionäre.

Wie es kommt, dass die Einen die Inflation als einen nie wiederkehrenden Glücksfall, die Anderen dagegen dieselbe Inflation als eine Katastrophe empfinden, lässt sich nicht in wenig Worten darlegen. Der Mechanismus, der das bewirkt, ist ziemlich kompliziert. Aber wenn man den Vorgang roh skizzieren will, so kann man wohl sagen: Jeder, der in Geld ausgedrückte Ansprüche, wie Zins, Rente, Gehalt, Lohn, Pension u. dergl. besitzt, wird in dem Maße der Geldverschlechterung geschädigt. Jeder, der gewisse Realwerte, wie Grundbesitz, Vieh, Mobiliar, Lagervorräte u. dergl. besitzt, wird normalerweise weder geschädigt noch begünstigt, weil die Realwerte um ungefähr so viel im Preise steigen, wie das Geld, in dem der Preis ausgedrückt wird, an Kaufkraft verliert. (Gewaltsame Schädigungen, wie die der
Hausbesitzer durch die Wohnungspolitik des Staats, bleiben hier außer Betracht). Jeder endlich, der werbende Werte, also Fabrikanlagen und Maschinen, besitzt und mit ihnen Realwerte erzeugt, sowie jeder, der diese Erzeugnisse vertreibt, profitiert von der Inflation; und zwar deshalb, weil die Verkaufspreise seiner Produkte, also seine Einnahmen, sich dem sinkenden Geldwert schneller anpassen, d.h. schneller steigen, als seine Ausgaben für Lohn, Miete, Zins, Abgaben usw. , und weil dieses günstige Verhältnis nicht einmal, sondern viele Male, mit jedem Verkaufsakt von neuem, in Erscheinung tritt. Kurz gesagt: Die erste Klasse wird durch die Inflation zu Gunsten der dritten Klasse enteignet.

Nun könnte man sich auf den Standpunkt stellen, Mitleid sei nicht Sache der Volkswirtschaft, und man dürfe den Vorgang nicht durch die Brille der Sentimentalität ansehen. Der eine steige hoch, der Andere sinke herab, das sei nun einmal Menschenschicksal. Es komme nicht auf den Einzelnen, sondern auf die Gesamtheit an. Aber gerade hier sitzt der Haken: die Gesamtheit nimmt nämlich bei diesen Vorgängen, obwohl sie nur bestimmte Volksklassen anzugehen scheinen, den allerschwersten Schaden.

Zunächst in moralischer Hinsicht: Im ganzen Volke, selbst wenn es die Geradheit und Ehrlichkeit selbst ist, schwindet allmählich jedes Gefühl für Recht und Billigkeit. Nämlich deshalb, weil alle Klassen, sogar die Inflationsgewinnler, sich vom Staat betrogen glauben. Und in der Tat, wir wissen, dass das Geld ein Recht ist, nämlich ein Recht zum Bezuge von Gütern ganz bestimmten Werts. Und was Recht ist, muss bekanntlich in einem Ordnungsstaat auch Recht bleiben. Kein Recht aber muss sicherer stehen und längeren Bestand haben, als das Besitzrecht, das im Gelde verkörpert ist, denn im Vertrauen auf seinen Bestand schließen Staaten und Völker heilige Verträge ab, die 100 Jahre und mehr Gültigkeit haben. Dieses Recht, dieses Recht aller Rechte, hat der Staat, der den Geldwert durch Inflation dezimiert hat, auf das Gröblichste verletzt. Jeder Arbeiter, jeder Beamte, jeder Rentner, jeder Pensionär fühlt sich durch den Staat, der doch das Recht schützen soll, um das Seinige geprellt. Aber auch die Nutznießer der Geldverschlechterung, die sozusagen vom Fett der Allgemeinheit zehren, fühlen sich durch den Staat in ihren Rechten bedroht, denn von ihnen fordert der Staat die Steuern, die er braucht, um das von ihm selbst verschuldete Elend wenigstens einigermaßen zu lindern. Da nun nur wenige der Nutznießer den wirklichen Zusammenhang zwischen ihren Einnahmen und dem Unglück der Anderen kennen, die meisten vielmehr ihrer eigenen Tüchtigkeit zuschreiben, was nur die Wirkung der Inflation ist, so betrachten sie es als einen Gewaltakt und eine Entrechtung, wenn der Staat ihnen einen Teil ihres Gewinns fortsteuern will. Daher die allgemeine „Steuerflucht“, in der die Rechtsverwirrung der Inflationsgewinnler zum Ausdruck kommt. Die Rechtsverwirrung der Inflationsopfer gelangt in Unbotsamkeit, Gesetzesverletzung, Arbeitsverweigerung, Diebstahl, schließlich Revolution und Mord zum Ausdruck. Es kommt zu einem Kampf aller gegen alle, der den Staat erschüttert und oft genug zum Auseinanderfallen bringt.

Denn wenn wir heute sehen, dass das Unrecht, das die Inflation den Arbeitern, den Beamten, den Angestellten usw. zugefügt hat, zu einem größeren oder kleineren Teil durch Lohn- und Gehaltsaufbesserungen wieder gutgemacht worden ist, – wodurch ist das erreicht worden? Nur durch Kämpfe, durch unausgesetzte, erbitterte, rücksichtslose Kämpfe. Freiwillig findet ein Ausgleich zwischen den Nutznießern und den Opfern der Inflation niemals statt; der Ausgleich muß Schritt für Schritt durch Streiks, Drohungen, Hetzreden, Aufpeitschungen der Volksleidenschaften erkämpft werden. Heute ficht der Arbeiter gegen den Arbeitgeber, morgen der Bauer gegen den Städter, übermorgen das Stadtvolk gegen den „wucherischen“ Händler, der Mieter gegen den Hausbesitzer, und so fort. Das ganze Land zerfällt in unzählige Brandherde, und jeder dieser Brandherde bedeutet eine Feuersgefahr für den Staat. Das ist die soziale und politische Seite der Geldverschlechterung.

Ich habe, wie Du weißt, lieber James, in meinem Bibliothekzimmer ein Archiv, dem ich Zeitungsmeldungen über wichtige oder interessante Vorgänge einverleihe. Jeder, der Einblick in dieses Archiv, und zwar in das Rubrum „Geld, Währung“ , nimmt, der sieht mich befremdet an. Denn er findet unter diesem Stichwort Meldungen über Streiks, Putsche, Eisenbahnüberfälle, Raub, Defraudation, Selbstmord, Wucher, Hungertot und vieles andere, was ihm ganz und gar nicht hierher zu gehören scheint. Es gehört aber doch alles dahin. Denn die Wirkungen des Währungselends brechen an den scheinbar ab gelegensten Stellen des Wirtschaftskörpers durch. Da lese ich z. B. etwas über Wohnungsnot. Wohin damit? Unter „Geld“ . Denn die Mietpreispolitik des Staats, die das Bauen neuer Häuser verhindert, ist die notwendige Folge der Enteignung des halben Volks durch die Geldentwertung. Ich lese etwas über ein 16 Milliarden-Defizit der Eisenbahnen. Wohin? Unter „Geld“ . Denn das Defizit rührt zum Teil daher, dass die Bahnen ihre durch die Inflation geschädigten Beamten hoch entlohnen müssen, und dass andererseits der größere, „enteignete Teil der Bevölkerung die entsprechenden Fahrpreise und Gütertarife nicht bezahlen kann. Ich lese etwas über Kohlennot: Nicht unter „Spa“ , sondern unter „Geld“ ! Ich lese etwas über Kindereiend. Nicht „Versailles“ , sondern „Geld“ ! Ich lese etwas über Abfallbestrebungen des Rheinlandes.

Nicht „Dorten“ , sondern „Geld“! Korruption, Zwangswirtschaft, Schiebertum, Sittenverrohung – alles kommt in die Rubrik „Geld“. So, sehe ich die Wirkungen einer in Verfall geratenen Währung an. Es gibt kaum ein Gebiet der Volkswirtschaft, ja selbst der Politik, das sich diesen Wirkungen entziehen kann.

Schlechtes Geld ist, ich wiederhole es, so ziemlich das größte Unglück, das ein Volk treffen kann. Der für Deutschland so unglückliche Ausgang des Weltkriegs stellt gewiss eine Katastrophe dar, wie sie ein Volk nur alle paar hundert Jahre einmal erlebt. Und doch weiß ich nicht, was im Moment verhängnisvoller für Deutschland ist, die Kriegstragödie oder die Geldkomödie. Freilich, die unheilvollen politischen und wirtschaftlichen Kriegsfolgen bleiben für lange, lange Zeit bestehen, die Geldentwertung und ihre Wirkungen dagegen gehen vorbei oder werden wenigstens in einigen Jahrzehnten nicht mehr in ihrer ganzen Schwere empfunden; der Enkel des Mannes, der heute enteignet worden ist, wächst als Proletarier auf und meint, es müsse so sein. Aber heute ist das Währungselend Deutschlands furchtbarste Geißel, wobei es vielleicht einigen Trost gewährt, dass auch andere Länder diese Geißel spüren, einige sogar noch schwerer als das Deutsche Reich.

So, mein lieber James, jetzt weißt Du, was „Geld“ ist! Es ist keineswegs alles, was Du wissen musst, bevor Du reif für den Posten eines Bankdirektors bist, das heißt eines Bankdirektors, wie ich ihn mir vorstelle. Es ist lediglich die Eingangspforte zum Bankwesen, zum Geldmarkt, zur Börse, zum Unternehmertum, die ich Dir in der hiermit beendeten Briefserie geöffnet habe; und sogar erst halb geöffnet habe, denn wir haben bisher nur über das Geld im Lande selbst, über den sogenannten „Binnenwert“ des Geldes gesprochen, nicht über den „Außenwert“, die Valuta. Wenn Gott will, so holen wir diese Versäumnis bald nach und treten dann gemeinsam in die Räume ein, wo die eigentlichen Treibriemen der Wirtschaft sausen. Somit erkläre ich die erste Lektion für beendet und lege die Feder nieder.

In alter Liebe Dein Papa

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