… nicht wir leben über unsere Verhältnisse…

OFFENER BRIEF AN DIE BUNDESKANZLERIN MERKEL – nicht wir leben über unsere Verhältnisse…

Merkel11von Doro Schreier (netzfrauen)

Merkel betont gerne, dass wir alle über unsere Verhältnisse gelebt haben, so auch Griechenland.

Wer hat über seine Verhältnisse gelebt, der Bauarbeiter,  die Verkäuferin, die Rentner oder sogar die vielen Arbeitslosen.

Immer mehr Menschen haben einen Job, der nicht zum Leben reicht, wenn sie überhaupt einen Job haben. Und ist man in Griechenland länger wie ein Jahr arbeitslos, gibt es keine Unterstützung.

Die Milliarden an Hilfsgelder fließen nicht  in die Taschen griechischer Rentner und Arbeitnehmer. Ein großer Teil des Geldes ist nie beim griechischen Staat angekommen, sondern wurde sofort weitergeleitet, um Banken und Versicherungen auszuzahlen, die griechische Staatsanleihen gekauft hatten – darunter auch deutsche Institute.

Bereits 2013 haben wir einen offenen Brief an Frau Merkel veröffentlicht, der aber jetzt aktueller denn je ist.

Zur Zeit sind es die Griechen, die angeblich über ihre Verhältnisse gelebt haben. Haben vorher auch die Portugiesen, die Spanier oder auch sogar die Engländer über ihre Verhältnisse gelebt?

Waren es nicht die Banken, die sich erlaubt haben, die Steuereinnahmen, die von ehrbaren Bürgern in die Staatskasse eingezahlt wurden, als eine Art Rettungspaket zu nutzen?

Allein Deutschland kostet die Bankenkrise seit 2008 236 Mrd € (8,1 % des aktuellen BIP). Laut Bundesbank hat dieser Prozess sich  zuletzt verlangsamt. Bedeutet dies, dass wir weiterhin Banken retten?

Welcher Bürger kann seine Hypothekenschuld einfach einer Bad Bank übergeben und sagen, zahlt ihr mal?

Bereits in der Neujahrsansprache am 31.12.2008 sagte Frau Merkel, die Welt hätte über ihre Verhältnisse gelebt, spricht aber im Gegenzug immer wieder vom Wachstum- doch wo soll dieses Wachstum herkommen?

Bleiben wir bei 2008, denn seit her existiert ein Virus, der von spekulativen Banken verursacht wurde, die Finanzkrise.

Hier hatten insbesondere die staatlichen Landesbanken – häufig in Ermangelung eines eindeutigen Geschäftsplans und zur Steigerung des Umsatzes – stark in die Subprimen Wertpapiere der US-Baufinanzierer investiert. Mit dem Wegfall der faulen Kredite mussten zunächst die Sachsen LB und die IKB Deutsche Industriebank hohe Abschreibungen machen, die die Bankhäuser in eine existenzbedrohende Krise stürzten. Diese erfasste auch die Bayern LB und West LB, deren milliardenschwere Verluste durch Finanzspritzen der Länder ausgeglichen werden musste. Anfang Oktober 2008 mussten die großen britischen Banken Lloyds, Royal Bank of Scottland und sogar Barclays, die sich kurz vorher für Lehmann Brothers engagiert hatte, die britische Regierung um finanzielle Unterstützung bitten. Aufgrund der Finanzkrise – oder besser gesagt – der Bankenkrise machen sich die Menschen bis heute Sorgen um ihre Spareinlagen. Zinsen für Sparguthaben gibt es schon lange nicht mehr.

Angesichts der weiter bestehenden Krise pumpte 2008 die Europäische Zentralbank (EZB) kräftig Geld in den Markt. Mit 250 Milliarden Euro wurde den Banken ausgeholfen. Insbesondere die Hypo Real Estate geriet in bedrohliche Liquiditätsprobleme. Die HRE wurde verstaatlicht und allein 2012 teilte man uns mit, dass sie dem Steuerzahler fast zehn Milliarden Euro kostete.

Mit wenigstens zwei Dritteln der Hilfsgelder, mit denen angeblich Griechenland gerettet worden sein soll, wurden internationale Gläubiger ausgezahlt und private Schulden durch Schulden an öffentliche Kreditnehmer ersetzt. Und es ist bekannt, dass davon ein großer Teil an deutsche und französische Institute geflossen ist. So blieb also bestenfalls ein Drittel für Griechenland, mit dem wiederum vor allem griechische Banken gerettet wurden, das gestand letzte Woche der IWF

Die Hetze,  wonach die griechische Bevölkerung über ihre Verhältnisse lebt, werden durch Politiker und Medien enorm verstärkt. Doch wenn wir nach Griechenland schauen, dann sehen wir, die Wirtschaftskrise und die durch die Sparpolitik herbeigeführte humanitäre Krise betrifft ganz Griechenland.Eine Sozialhilfe gibt es nicht. Wer die Miete nicht mehr zahlen kann, zählt bald zu den „neuen Obdachlosen“, „neo Astegos“, die in Athen an vielen Plätzen zu sehen sind. Fünf Jahre sind eine lange Zeit, wenn man von einer Krise betroffen ist.Aktuell lebt etwa ein Viertel der griechischen Bevölkerung unter der Armutsgrenze, während weitere 37 % von Armut bedroht sind.25 % der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter sind arbeitslos, in der Altersgruppe bis 25 Jahre sind es sogar über 50 %. Viele Familien sind aufgrund der Arbeitslosigkeit auf die Rente der Großeltern angewiesen.

Dieses sehen wir auch an Spanien, hier trat sogar in Januar 2014 die neue „Verordnung über das Zusammenleben im öffentlichen Raum“ in Kraft: Strafen von 1.500 Euro für Bettelnde mit Kind, sowie unerlaubtes Campieren im öffentlichen Raum. In Spanien werden immer mehr Menschen zwangsgeräumt und landen auf der Straße.Hier erwarten sie dann Bußgelder, wenn sie in der Öffentlichkeit auf Straßen übernachten.

In Italien gehen immer wieder Menschen auf die Straße. Besonders Ende 2013 erschütterte eine Welle wütender Proteste  Italien. Erst die Bauern, dann die Studenten: In ganz Italien kam es zu Demonstrationen. Der Zorn richtete sich ebenfalls gegen den Fiskus, das Brüsseler Spardiktat und die etablierten Politiker. Allein 2012 wurde 70.000 Familien die Wohnung gekündigt, weil sie mit der Miete im Rückstand waren. Laut der Statistikbehörde ISTAT hat sich die Zahl der »absolut Armen« seit Krisenbeginn 2008 von 2,4 auf 4,8 Millionen verdoppelt.

Ob die obigen Zahlen real sind, entzieht sich unserer Kenntniss. Es ist einfach zu sagen, die Griechen, die Italiener oder Portugiesen haben über ihre Verhältnisse gelebt. Oder wie Frau Merkel meinte., die ganze Welt. Und Paradox, während alle sparen sollen, erhöhen sich die Bundesabgeordnete die Diäten.

Außerdem muss man erwähnen, wenn der Konsum nicht mehr bedient wird, kann es keinen Wachstum geben. So einfach.

Schon mehrfach machte uns Bundeskanzlerin Angela Merkel  auf schmerzhafte Einschnitte aufmerksam. Deutschland habe seit Jahrzehnten über seine Verhältnisse gelebt. Während alle anderen Länder sparen sollen, leben nicht wir BürgerInnen über unsere Verhältnisse, sondern unsere Regierung- bzw. die, die folgen wird.So ganz auch in ganz Europa.

Diesen offenen Brief sendete ARD-Korrespondent Stephan Ueberbach im Februar 2011, aber aktueller denn je, an die Bundeskanzlerin, nachdem diese die neuesten Sparpläne mit dem Kommentar „Wir haben jahrelang über unsere Verhältnisse gelebt“ vorstellte:

„Liebe Bundesregierung, sehr geehrte Frau Merkel,
wen meinen Sie eigentlich, wenn Sie sagen, wir hätten jahrelang über unsere Verhältnisse gelebt? Ich jedenfalls habe das nämlich ganz sicher nicht getan. Ich gebe nur das Geld aus, das ich habe. Ich zahle Steuern, bin gesetzlich krankenversichert und sorge privat für das Alter vor. Ich habe mich durch Ihre Abwrackprämie nicht dazu verlocken lassen, einen überflüssigen Neuwagen zu kaufen, ich bin kein Hotelier und kein Milchbauer.

Und ‚Freibier für alle‘ habe ich auch noch nie verlangt. Wer war wirklich maßlos? Meinen Sie vielleicht die Arbeitslosen und Hartz IV-Bezieher, bei denen jetzt gekürzt werden soll?

Meinen Sie die Zeit- und Leiharbeiter, die nicht wissen, wie lange sie ihren Job noch haben? Oder meinen Sie die Normalverdiener, denen immer weniger netto vom brutto übrig bleibt?

Haben die etwa alle ‚über ihre Verhältnisse‘ gelebt? Nein, maßlos waren und sind ganz andere: Zum Beispiel die Banken, die erst mit hochriskanten Geschäften Kasse machen, dann Milliarden in den Sand setzen, sich vom Steuerzahler retten lassen und nun einfach weiterzocken, als ob nichts gewesen wäre.

Mehr Beispiele gefällig? Zum Beispiel ein beleidigter Bundespräsident, der es sich leisten kann, Knall auf Fall seinen Posten einfach hinzuwerfen – sein Gehalt läuft ja bis zu seinem Lebensende weiter, Dienstwagen, Büro und Sekretärin inklusive. Zum Beispiel die Politik, die unfassbare Schuldenberge aufhäuft und dann in Sonntagsreden über ‚Generationengerechtigkeit‚ schwadroniert. Die von millionen-teuren Stadtschlössern träumt und zulässt, dass es in Schulen und Kindergärten reinregnet.

Die in guten Zeiten Geld verpulvert und in der Krise dann den Gürtel plötzlich enger schnallen will, aber immer nur bei den anderen und nie bei sich selbst. Liebe Frau Bundeskanzlerin, nicht die Menschen, sondern der Staat hat dank Ihrer tätigen Mithilfe möglicherweise über seine Verhältnisse gelebt. Ganz sicher aber wird er unter seinen Möglichkeiten regiert.

Mit – verhältnismäßig – freundlichen Grüßen,

Ihr Stephan Ueberbach Korrespondent SWR, ARD-Hauptstadtstudio

Nachtrag: Stephan Ueberbach ist mittlerweile SWR-Studioleiter in Berlin.

Danke Herr Ueberbach, besser können wir, um unseren Unmut zu zeigen, nicht formulieren. Es hat sich bis heute nichts geändert und so wie es ausschaut, wird sich auch nichts ändern.

Netzfrau Doro Schreier

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