Neujahrsansprache einer Bürgerin an ihren Kanzler

Autor Vera Lengsfeld

Sehr geehrter Herr Kanzler Scholz,

seit heute Morgen werden wir mit Meldungen überschüttet, was Sie heute Abend der Bevölkerung unseres Landes zum anbrechenden Jahr 2023 sagen wollen. Die Medienberichte sind so gleichförmig, dass man alle gelesen hat, wenn man einen zur Kenntnis nimmt. Die Schlagzeilen sind: Zusammenhalten, Sparen, Unterhaken. Deutschland sei ein starkes, geeintes Land.

Wirklich?

Nehmen wir den angeblichen Zusammenhalt.
Den gibt es in zwei Formen. Die erste ist der Zusammenhalt von Politik, Medien, Wirtschaftsbossen und staatsfinanzierter „Zivilgesellschaft“ gegen die Bevölkerung. Das beste Beispiel für diese These liefern Sie selbst. Offenbar haben die Medien ihre Neujahrsansprache, oder Teile davon, bereits erhalten. Gehe ich als Bürgerin auf Ihre Seite, blickt mich ein großes Foto von der längst vergangenen Tagung der Gruppe der G7 vor beeindruckender Hochgebirgskulisse an. Weiter unten folgen allerlei Bildmeldungen von irgendwelchen Besuchen. Gibt man den Suchbegriff Neujahrsansprache ein, erscheint eine Rede von Ihnen, die Sie im Sommer vor dem Politischen Club der Akademie Tutzing gehalten haben. Ohne die gelesen zu haben, bin ich sicher, dass sie gespickt ist mit den Phrasen, die wir laut Medienberichten heute Abend hören werden. Nachprüfen konnte ich es nicht. So weit geht ihr Zusammenhalt nicht.

Der wächst tatsächlich, aber in der Bevölkerung. Es entwickelt sich eine Parallelstruktur der genseitigen Hilfe und Unterstützung unter den Bürgern, um die Auswirkungen der von der Politik gemachten Krisen zu dämpfen. Dass nach der Flutkatastrophe im Ahrtal die schlimmsten Schäden beseitigt wurden, ist dieser gegenseitigen Hilfe zu verdanken. Die Politik und die Behörden haben eklatant versagt und tun das noch heute. Dem Flutdesaster in Pakistan galt Ihre volle Anteilnahme und die staatliche Fürsorge, die Flut im Ahrtal ist nicht in Ihrem Blickfeld und dem Ihrer Politiker-Kollegen.

Etwas Anderes beschäftigt mich: Sie müssen laut Presseberichten so etwas gesagt haben wie, dass die befürchteten Unruhen, gar Aufstände wegen der exorbitanten Energiepreise, von denen Ihre Außenministerin schwadronierte, ausgeblieben seien. Damit ignorieren Sie eiskalt die massenhaften Proteste, die es im Herbst in dutzenden, wenn nicht gar hunderten Gemeinden über Wochen, vor allem im Osten, gegeben hat. Von denen wurde lediglich lokal berichtet, bundesweit, wurden sie totgeschwiegen.

Allein in meiner Heimatstadt Sondershausen waren über Wochen tausende Menschen auf der Straße – Unternehmer und ihre Mitarbeiter, Ärzte und ihr Pflegepersonal, Apotheker und ihre Angestellten, Ingenieure, Anwälte, Eltern – also die, die unser Land trotz aller von der Politik verursachten Widrigkeiten am Laufen halten. Der MDR meldete über Wochen Demonstrationen in Jena, Gera, Erfurt und „vielen anderen Gemeinden Thüringens“.

Jede Woche wurde hier und auf allen anderen Demonstrationen der Rücktritt Ihrer Regierung gefordert.

Sie haben darauf nicht reagiert, dies aber sehr wohl vernommen. Ihre Schlussfolgerung war offensichtlich, die Proteste unbeachtet zu lassen, totzuschweigen und auf die Erschöpfung der Demonstranten zu setzen. Die Demos werden vielleicht tatsächlich irgendwann aufhören, weil die Menschen von Appellen an die Regierung immer weniger halten, was Sie eigentlich alarmieren müsste. Nicht verloren gehen wird der auf den Demos entstehende neue Zusammenhalt.
Welche Auswirkungen der haben wird, bleibt abzuwarten. Klar ist, dass keine Repressionen dagegen helfen werden.

Die zweite große Phrase in ihrer Ansprache ist das Sparen. Sie verhöhnen die von der Politik mit immer neuen Belastungen gegängelte Bevölkerung, indem Sie sich bei ihr fürs Energiesparen bedanken. Gleichzeitig fordern Sie immer neue Sparanstrengungen. Sie haben dabei offensichtlich keine Angst vor sich aufdrängenden historischen Vergleichen.

Oder doch? Zu vergleichen, eine übliche, erhellende wissenschaftliche Methode ist inzwischen untersagt und gilt als „Delegitimierung des Staates“, was in der DDR staatsfeindliche Hetze hieß.

Sie haben die Menschen nicht zum Sparen aufzufordern, das sollten Sie von der Politik verlangen. Die Bevölkerung verhält sich von ganz allein vernünftig, um über die Runden zu kommen. Die Politik dagegen denkt nicht daran, sich einzuschränken.
Sie selbst sind nicht bereit, den unsinnigen Bau des größten Kanzleramtes der Welt zu stoppen, Sie unternehmen keine Anstrengungen, das größte (und unproduktivste) Parlament der Welt auf Normalmaß zu stutzen. Die Politiker haben inzwischen eine Methode gefunden, dass ihre Diäten steigen, egal wie angespannt die Haushaltslage ist. Vor dem Hintergrund dieser Verprasserei von Steuergeld haben Ihre Sparappelle etwas Peinliches, gar Obszönes.

Ihre dritte Phrase heißt „Unterhaken“.
Das scheint eine Ihrer Lieblingsvokabeln zu sein, wahrscheinlich in nostalgischer Erinnerung an Zeiten, als die studentische Linke untergehakt gegen das „Schweinesystem“ demonstrierte.

Nein, wir wollen uns nicht unterhaken mit denen, die uns mit immer neuen Gängeleien, Verboten und ideologiebesessenen Vorschriften das Leben schwer machen und die Grundlagen unserer Gesellschaft gefährden.

Wir wollen von einer Politik der Ignoranz, Unwissenheit und Arroganz verschont werden!

Das sind meine, das sind unsere Wünsche für das neue Jahr!

Vera Lengsfeld

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Neujahrsansprache einer Bürgerin an ihren Kanzler
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4 Kommentare

  1. Wenn sich die Bevölkerung darüber klar werden würde, welche Macht sie eigentlich hätte, um dieses Land wieder in Frieden und Ordnung zu versetzen, gäbe es keine „Neujahrsansprache“ einer Bürgerin mehr, sondern eine ganz klare und präzise „Neujahrs-ANSAGE“ des ganzen Vokes!

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