Mut zur Wahrheit haben

von Achim Wolf (www.freundderwahrheit.de)

Fast kein Mensch schätzt sich selbst hinsichtlich all seiner Charaktereigenschaften, guten und schlechten Seiten, Macken, Eigenarten, inneren Widersachermächten usw. vollumfänglich richtig und realistisch ein. Es kann sogar festgestellt werden, dass der überwiegende Teil aller Menschen recht stark verzerrte, wirklichkeitsfremde und geschönte Vorstellungen von sich selbst hat, die in vielen Belangen des Charakters, der Wesensarten, der Schwächen, aber auch der eigenen Stärken, Fähigkeiten und Möglichkeiten nicht wirklichkeitskonform sind, dass er resp. sie also in puncto Selbsteinschätzung oft in krasser Weise daneben liegt. Oftmals sind die Menschen blind für ihre Schwächen, aber auch für ihre bisher unentdeckten Stärken, guten Anlagen und Möglichkeiten. So mancher Mensch rennt in seiner diesbezüglichen Bewusstseinsblindheit wie ein wilder Stier mit voller Wucht an eine Wand, wonach er dann die Ursache für die folgenden Kopfschmerzen nicht bei sich selbst resp. bei seiner eigenen Blindheit, Unbeholfenheit und Verbohrtheit sucht, sondern bei den Mitmenschen resp. in der Umwelt. Anstatt zu erkennen, dass er resp. sie aus eigenem Antrieb an die Wand gerast ist und darüber nachzusinnen, warum er/sie das getan hat, wie es dazu kam und was dieses unbedachte Tun ausgelöst hat, sucht der Mensch die Verantwortung für seine Schmerzen und die negativen Reaktionen der Umwelt nicht in sich selbst, sondern ausserhalb davon.

Die Neigung und jahrzehntelang eingeübte schlechte Gewohnheit, alle selbstkritischen Gedanken, Schuldgefühle und Lösungsansätze im Bewusstsein und in der Psyche schnell von sich wegzuschieben, um sich ja nicht mit den dunklen und unangenehmen Seiten des eigenen Ich auseinandersetzen und ihnen ins Auge sehen zu müssen, wurde im Laufe der Zeit zu einem Automatismus, der dazu führt, dass die mahnende Stimme im Inneren immer wieder unterdrückt, ignoriert und missachtet wird. Ein solches Verdrängen der Wahrnehmung und nüchternen Feststellung von negativen Wesens- und Charaktereigenschaften schafft aber stets neue Konflikte und damit Schmerzen im Alltag, weil sich andere Menschen daran stossen, ein Fehlverhalten kritisieren und früher oder später dem Menschen den Spiegel vorhalten, in dem er erkennen kann, was in ihm nicht stimmt – wenn er den Mut zur Änderung aufbringt, sich den Tatsachen der Wahrheit stellt und sich wirklich ernsthaft, tiefgründig und vor allem schonungslos ehrlich sich selbst gegenüber damit auseinandersetzt. Doch gerade darin, den Schmerz anzunehmen, sich ihm und seinen wahren Ursachen zu stellen, liegt eine sehr grosse Chance und Möglichkeit für die eigene Charakterentwicklung und für den zu beschreitenden Weg zum wahren Menschsein.

Wir Menschen sollten uns nicht so sehr mit unserem vergänglichen Ich identifizieren, sondern vielmehr mit der unsterblichen Geistform und ihren zeitlos beständigen und immer weiter anwachsenden schöpferischen Werten. Diese Geistform-Werte sind immaterielle Güter und zeitlose Schätzen, die wertvoller, beständiger und wundervoller sind als unser materielles Bewusstsein mit seinem Mentalblock und seinem oft so selbstsüchtigen EGO, das immer wieder die Macht in uns ergreifen und uns in die falsche Richtung führen will. Das Ego/Ich ist oftmals wie ein trotziges kleines Kind, das sich gegen jede schmerzliche Einsicht stemmt, obwohl es im tiefen Inneren genau darum Bescheid weiss, dass ‹Mama und Papa› (hier für Vernunft und Verstand resp. die höhere Einsicht und Logik stehend) doch recht haben und es nur mit den Mitteln von Verstand und Vernunft ein Weiterkommen und eine Lösung für die eigenen Probleme geben kann. Zwar ist unser materielles Bewusstsein mit dem Mentalblock der Steuerungsmechanismus für alles und jedes im Leben, der erst die Evolution der Geistform ermöglicht und somit der Motor der Evolution, aber es birgt auch selbstsüchtige und wahrheitsverneinende Anteile in sich – eben das Ego, das wir unbedingt zähmen und in der Griff bekommen müssen, um vorwärts zu kommen.

Wird ein Mensch durch die Umwelt, also vor allem die Mitmenschen, in seinem Verhalten kritisiert, dann sollte er zuerst lernen, die Kritik – insofern sie nicht beleidigend oder erniedrigend ist – einfach einmal zuzulassen, sich alles möglichst neutral anzuhören, ohne sofort dem Reflex zu verfallen, die alles verleugnenden Widersacherkräfte aufkommen zu lassen und dem Gesagten blitzartig zu widersprechen, nach dem Stil «Das stimmt nicht, das kann nicht sein, ihr tut mir unrecht, ich werde unfair behandelt, ihr hetzt gegen mich, dagegen gehe ich vor» usw. usf. Der eigene Charakter sowie die Fehler und Schwächen sollten nicht mit dem Selbstwert als Mensch gleichgesetzt werden; der Charakter sollte vielmehr als etwas Formbares und als ein Teil der Persönlichkeit und des Wesens Mensch betrachtet werden, der ständig kontrolliert und bei Bedarf zum Guten und Besseren umgeformt werden sollte, sofern Schwächen, Fehler und ggf. Ausartungen darin erkannt werden. Daher sollten wir es zulassen, wenn die Umwelt resp. die Mitmenschen uns unsere Fehler, Schwächen und wunden Punkte aufzeigen und uns diese unumwunden zu erkennen geben, auch wenn das sehr weh tun kann und zuweilen verdammt hart ist. Wir beweisen grossen Mut und Liebe zur Wahrheit sowie Liebe und Respekt zu uns selbst, wenn wir in solchen Zeiten alles annehmen können und uns den Dingen so stellen, wie sie sind.

Wie die Geburt eines Menschen mit grossen Schmerzen seitens der Mutter und auch des Neugeborenen einhergeht, so sind auch die psychischen Schmerzen im Prozess des Sich-Selbst-Erkennens ein Geschenk, das wir annehmen und aus dem wir sehr viel Wertvolles und Wichtiges für uns selbst lernen können, wenn wir die Schmerzen nicht verdrängen, sondern in ihr Innerstes vordringen und uns damit direkt konfrontieren. «Erkenne dich selbst!“» – eine schwerwiegende, sehr lohnenswerte und unermessliche Werte in sich bergende Weisheit, die aber auch umgesetzt und gelebt werden will, wenn sie Erfolge bringen soll. Es ist sehr hilfreich, sich in solchen Situationen auf die Wirkungsmechanismen der Reinbeobachtung zu besinnen, wie sie die wahrheitliche Meditationslehre darlegt. Die von aussen kommende Kritik sowie die darauffolgende Innenschau auf das eigene Ego mit allen seinen Ecken, Kanten, wunden Punkten, Verhärtungen, Verdrängungs- und Abwehrmechanismen gegenüber der harten Wahrheit sollten einfach nur wahrnehmend betrachtet werden, damit der Blick darauf nach und nach klarer und erkennender in Richtung Wirklichkeit und Wahrheit werden kann. Die Geisteslehre sagt dazu im Lehrbrief Nr. 40: «Das Reinbeobachten ist der direkte Zugang zur Wirklichkeitserkenntnis, welche dem Menschen den endgültigen Klarblick bringt, und genau hierin liegt der Hauptwert der Meditation und die allerhöchste Form ihrer den Geist (Anm. das Bewusstsein)befreienden Funktion.»

Wird das Reinbeobachten währen der Meditation (z.B. beim Reinbeobachten des Atems, siehe ‹Einführung in die Meditation› von BEAM) und im Alltag soweit wie möglich geübt und allmählich zur guten Gewohnheit, dann stellt sich der sogenannte Klarblick ein. Hierzu sagt Geisteslehrebrief Nr. 40: «Der Klarblick ist die direkte und tiefgreifende Einsicht in die drei Merkmale allen Daseins, so nämlich in seine Vergänglichkeit, in seine Leidhaftigkeit und in seine Ego- und Substanzlosigkeit.»

Diese Einsicht macht uns klar, dass das ‹kleine›, aber oft so egoistische, mächtige und widerspenstige EGO eine vergängliche Kreation im materiellen Bewusstseins des Menschen ist und es in vielen Belangen nicht gemäss dem Vorbild des geistigen Bewusstseins resp. geistigen Gemüts des Menschen geformt, gestaltet und veredelt wurde, dem es eigentlich angeglichen werden soll und kann, wenn der Mensch sich bestmöglich bemüht, gemäss den Werten, Prinzipien und unumstösslichen Wahrheiten der schöpferisch-natürlichen Gesetze und Gebote zu leben. Erkennen wir das, dann nehmen wir berechtigte Kritik an unserem Charakter nicht persönlich, sondern als neutrale Feststellung von Dingen und Merkmalen, die einfach geändert werden können und müssen, wenn wir wahrheitskonform und schöpferisch zu leben beabsichtigen. Wir stehen uns als Menschen eben sehr oft selbst im Weg, und dies in der Regel aus egoistischen Motiven aller Art heraus, die jedoch in die Irre führen, von keinerlei dauerhaftem Wert und Bestand sind und sich spätestens bei unserem Tod auflösen, wonach sie lediglich noch als Impulsationen in den persönlichen Speicherbänken existieren. Zeitlose, wahre Werte zum Zwecke der Evolution unserer Geistform sind egoistische Kräfte und Motive nicht; darum ist das Beschäftigen mit ihnen nur dann von einem guten Wert für uns, wenn wir daraus lernen, sie schliesslich auflösen und daraus gute, schöpferische Werte in uns erschaffen und pflegen.

Hilfreich für die richtige Einstellung dazu sind unter anderem die folgenden Meditationssätze aus dem BEAM-Buch ‹Meditation aus klarer Sicht›:

49) In mir herrscht die Unbegrenztheit meines Lebens, die über den Tod hinaus in unendlich weitere Leben anhält

56  Je mehr Probleme ich bewältige, desto wissender, weiser und lebendiger werde ich.

76  In allen Dingen erhebe ich mich in mir auf ein Podest und blicke von der höheren Warte aus auf mich selbst hinab, wodurch ich meine Schwächen erkenne, die ich bemüht bin zu beheben.

Sich Fehler und Schwäche einzugestehen, erfordert einen grossen Mut sich selbst und der Wahrheit gegenüber. Wer diesen Mut aufbringt und sich über die Widerborstigkeiten und Einflüsterungen seiner inneren Widersachermächte, über seine Eitelkeit, seinen Hochmut, seine Selbstüberschätzung, Selbstherrlichkeit und Selbstsucht hinwegsetzt, der gewinnt das wichtigste überhaupt, was er resp. sie im Leben lernen und gewinnen kann, nämlich wahre Selbsterkenntnis, die die Grundlage ist für die Läuterung, Verbesserung und Veredelung des eigenen Ich, des Charakters und der ganzen Persönlichkeit, was letztendlich der Geistform, dem unvergänglichen Teilstück Schöpfungsgeist und damit allen Nachfolgepersönlichkeiten der eigenen Geistform zugute kommt.

 

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