Mord an den Verdammten dieser Erde

Chris Hedges (einarschlereth)

Der radikale Islam ist die letzte Zuflucht der moslemischen Armen. Die vorgeschriebenen fünf Gebete am Tag geben dem Leben der verarmten Gläubigen die einzig wirkliche Struktur. Das sorgfältige Ritual der Waschung vor dem Gebet in der Moschee, der strikte Moral-Kodex zusammen mit dem Verständnis, dass das Leben einen letztlichen Sinn und Zweck hat, hält hunderte Millionen elende Moslems von der Verzweiflung ab. Die fundamentalistische Ideologie, die aus der Unterdrückung erwächst, ist rigide und unerbittlich. Sie spaltet radikal die Welt in schwarz und weiß, Gut und Böse, Ungläubige und Gläubige. Sie ist bigot und grausam gegen Frauen, Juden, Christen und Säkulariste sowie Homosexuelle und Lesbierinnen. Aber gleichzeitig bietet sie eine letzte Zuflucht und Hoffnung. Das Massaker von hunderten Gläubigen auf den Straßen Kairos signalisiert nicht nur einen Angriff auf die religiöse Ideologie, nicht nur eine Rückkehr zum brutalen Polizeistaat von Hosni Mubarak, sondern den Beginn eines heiligen Krieges, der Ägypten und andere arme Regionen des Globus in einen Kessel von Blut und Leiden verwandeln wird.

Der einzige Weg, den Griff des radikalen Islam zu brechen, ist, den Anhängern einen Teil an der Ökonomie zu geben, die Möglichkeit eines Lebens, wo die Zukunft nicht von aufreibender Armut geprägt ist, von Unterdrückung und Hoffnungslosigkeit. Wenn man in den endlosen Slums von Kairo oder in Flüchtlingslagern in Gaza oder den Zementbuden von Neu Delhi lebt, dann ist jeder Ausweg versperrt. Du kannst keine Erziehung bekommen. Du kannst keinen Job bekommen. Du hast nicht die Mittel um zu heiraten. Du kannst nicht die Vorherrschaft der Wirtschaft durch die Oligarchen und Generäle herausfordern. Der einzige mögliche Weg für dich, dich zu bestätigen, ist ein Märtyrer oder Schahid zu werden. Dann wirst du erhalten, was du nicht im Leben bekommst – einen kurzen Moment von Ruhm und Glorie.

Und während das, was in Ägypten stattfinden wird, als ein Religionskrieg bezeichnet werden wird, und die Gewaltakte der Aufständischen, die aus den blutbefleckten Plätzen Kairos entstehen werden, als Terror, ist die Maschine für das Chaos nicht die Religion, sondern die zusammenbrechende Weltwirtschaft, wo die Verdammte der Erde unterworfen und ausgehungert oder erschossen werden müssen. Diese Schlachtlinien werden in Ägypten und in der ganzen Welt gezogen. Adli Mansour, der Titular-Präsident, der vom Ägyptens Militärdiktator General Abdul-Fattah el-Sisi ernannt wurde, hat eine Armeegeführte Regierung eingeführt, ein Ausgangsverbor und den Ausnahmezustand ausgerufen.Der wird nicht bald zu Ende sein.

Das Lebensblut radikaler Bewegungen ist das Märtyrertum. Die ägyptische Armee hat das reichlich geliefert. Die Gesichter und Namen der geheiligten Toten werden benutzt werden von wütenden Klerikern, um zur heiligen Rache aufzurufen. Und während die Gewalt zunimmt und die Liste der Märtyrer länger wird, wird sich ein Krieg entzünden, der Ägypten zerreißen wird. Polizei, koptische Christen, Säkularisten, West-Anhänger, Geschäfte, Banken, die Tourismus-Industrie werden aufs Korn genommen. Jene radikalen Islamisten, die von der Moslembruderschaft überzeugt wurden, dass Wahlen funktionieren könnten und in das System eingegliedert wurden, werden zurück in den Untergrung gehen und viele aus der breiten Masse der Moslembrüder werden ihnen folgen. Primitive Bomben werden gezündet. Willkürliche Angriffe und Morde durch Bewaffnete werden das tägliche Leben Ägyptens beherrschen, wie in den 1990-er Jahen, als ich in Kairo war für die New York Times, obwohl die Angriffe diesmal umfassender und wütender und viel schwieriger zu kontrollieren oder zu zerschlagen sein werden.

Was in Ägypten passiert ist ein Vorläufer eines größeren globalen Krieges zwischen den Eliten der Welt und den Armen der Welt, ein Krieg, der verursacht wird durch abnehmende Ressourcen, chronische Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung, Übervölkerung, verminderte Ernte-Erträge durch Klimawandel und steigende Lebensmittel-Preise. Dreiunddreißig Prozent von Ägyptens 80 Millionen Menschen sind 14 Jahre alt oder jünger und Millionen leben unter oder knapp über der Armutsgrenze, die von der Weltbank auf ein Tageseinkommen von 2 $ festgelegt wurde.

Die Armen in Ägypten geben mehr als die Hälfte ihres Einkommens für Essen aus – häufig Essen mit wenig Nährwert. Geschätzte 13.7 Millionen Ägypter oder 17 Prozent litten 2011 unter Nahrungsunsicherheit verglichen mit 14 % 2009, laut einem Bericht des UN-World food Program und der Ägyptischen Zentralbehörde für Öffentliche Mobilisierung und Statistik (CAPMAS). Unterernährung ist bei Kindern endemisch – das Wachstum von 31 % ist unterentwickelt. Die Analphabetenquote liegt bei 70 Prozent.

In ‚Les Misérables‘ (Die Elenden) beschreibt Victor Hugo den Krieg gegen die Armen als einen Krieg zwischen den „Egoisten“ und den „Ausgestoßenen“. Die Egoisten, schrieb Hugo, hatten „die Verwirrung des Wohlstands, der die Sinne abstumpft, die Angst vor Leiden, was in manchen Fällen so weit geht, alle Leidenden zu hassen, und die unerschütterliche Selbstgefälligkeit mit einem so aufgeblasenen Ego, dass sie die Seele erstickt“. Die „Ausgestoßenen“, die ignoriert werden, bis die Verfolgung und Entbehrung sich in Gewalt verwandelt, hatten „Gier und Neid, Verbitterung über das Glück anderer, den Aufruhr des menschlichen Elements bei der Suche nach persönlicher Erfüllung, die Herzen gefüllt mit Nebel, Elend, Nöten und Fatalismus und simpler, unreiner Ignoranz“.

Die Glaubenssysteme, die von den Unterdrückten umklammert werden, können intolerant sein, aber diese Systeme sind eine Antwort auf die Ungerechtigkeit, die staatliche Gewalt und Grausamkeit, die ihnen von den globalen Eliten auferlegt werden. Unser Feind ist nicht der radikale Islam. Es ist der globale Kapitalismus. Es ist eine Welt, wo die Verdammten der Erde gezwungen werden, sich den Diktaten des Marktes zu beugen, wo die Kinder hungern während die globalen Multi-Eliten den Reichtum der Welt und ihre Ressourcen abschöpfen und wo unsere Truppen und die US-gestützten Militanten Massaker in den Straßen der Städte verüben. Ägypten bietet ein Fenster auf die kommenden Dystopie. Die Kriege ums Überleben werden das Endstadium des menschlichen Bewohnens des Planeten sein. Wer wissen möchte, wie das aussieht, braucht nur irgendeine der Leichenhallen Kairos zu besuchen.

Chris Hedges, dessen Kolumnen montags und donnerstags auf Truthdig erscheinen verbrachte fast zwei Jahrzehnte als Auslandskorrespondent in Zentralamerika, dem Nahen Osten, Afrika und dem Balkan. Er hat aus mehr als 50 Ländern berichtet und für den Christian Science Monitor,, das National Public Radio,die Dallas Morning News und fast 15 Jahre für die New York Times gearbeitet.
 

Quelle – källa – source

 

(Visited 16 times, 1 visits today)
Mord an den Verdammten dieser Erde
0 Stimmen, 0.00 durchschnittliche Bewertung (0% Ergebnis)

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*