„Mehr direkte Demokratie auf Bundesebene!“

Von Susanne Cassel und Tobias Thomas am 28. April 2012

In Deutschland sollten die Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit erhalten, über Politik auf Bundesebene auch direkt entscheiden zu können. Das würde den politischen Prozesses fundamental ändern und vielfach zu besseren politischen Entscheidungen führen. Voraussetzung ist ein fest etablierter Prozess der direkten Volksbeteiligung mit klaren Regeln, dessen Ergebnisse bindend sind. Bürgerinnen und Bürger sollten durch Volksentscheid von der Regierung initiierte Vorhaben stoppen und durch Volksinitiativen und Volksbegehren eigenes Agenda-Setting betreiben können.

In Deutschland sind direkt-demokratische Entscheidungsbefugnisse der Bürger in allen Landesverfassungen und auf der kommunalen Ebene verankert. Im Gegensatz dazu sind Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid auf Bundesebene in der Regel unzulässig.  Das Grundgesetz sieht allein die repräsentative Demokratie als Beteiligungsform der Bürger vor. Ausnahmen sind die Neugliederung des Bundesgebietes oder die Totalrevision der Verfassung. Um direkt-demokratische Elemente auf Bundesebene einzuführen, bedürfte es daher einer Grundgesetzänderung mit zwei Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat.

Haben Bürgerinnen und Bürger mehr Abstimmungsmöglichkeiten über einzelne politische Vorhaben, müssen Politiker stärker einzelne Bürgeranliegen ernst nehmen. Politische Entscheidungen spiegeln in diesem Fall die Bürgerpräferenzen besser wider.

Wird über einzelne Sachfragen abgestimmt, kann sich zu diesen Themen ein öffentlicher Diskurs entwickeln. Sowohl das Angebot als auch die Nachfrage nach Informationen zu den abzustimmenden Sachthemen werden sich ändern. Politiker müssen genauso wie Vertreter spezieller Interessen überzeugende Argumente und Informationen bereitstellen, auf deren Basis die Bürger entscheiden können. Für wissenschaftliche Politikberater eröffnen sich bessere Möglichkeiten, sich mit ihrem Rat an die Öffentlichkeit zu wenden und Partikularinteressen im Gewand allgemeinwohlförderlicher Argumente zu entlarven. Für die Bürgerinnen und Bürger wird es wichtiger, sich zu einzelnen Fragen eine eigene Meinung zu bilden, so dass sie dafür mehr Information nachfragen. In der Folge sind sie besser über Politik informiert und haben eher das Gefühl, am politischen Prozess teil­zuhaben.

Studien belegen, dass Bürgerinnen und Bürger in denjenigen EU-Mitgliedstaaten, in denen Referenden über Fragen der Europäischen Union abgehalten wurden, mehr über die EU, ihre Institutionen und ihre Politik wissen. Auch trägt direkt-demokratische Teilhabe – so der empirische Befund – zu einer höheren Lebenszufriedenheit der Menschen bei. Darüber hinaus wirkt sich direkte Demokratie auf die Finanz- und Wirtschaftspolitik aus: Gebietskörperschaften in der Schweiz und den USA, in denen direkt-demokratisch abgestimmt wird, weisen vergleichsweise niedrigere Staatsausgaben und öffentliche Schulden sowie eine geringere Steuerhinterziehung auf. Darüber hinaus ist ihre Wirtschaftsleistung höher und werden öffentliche Güter effizienter bereitgestellt.

Dennoch bestehen in Deutschland große Vorbehalte gegenüber direkter Demokratie auf Bundesebene. So betonen Gegner die Gefahren einer populistischen Behandlung gesellschaftlich brisanter Themen. Politiker fürchten, diskretionäre Entscheidungsspielräume zu verlieren, innerhalb derer sie eigene Ziele verfolgen können. Auch habe sich das System der repräsentativen Demokratie als Arbeitsteilung etabliert, in dem Politiker im Auftrag der Bürgerinnen und Bürger Entscheidungen fällen.

Grundvoraussetzung dafür, dass sich die positiven Effekte der direkten Demokratie einstellen, ist ein geeigneter Regelrahmen, der den Entscheidungsprozess festlegt. Dies ist bspw. in der Schweizer Bundesverfassung (Art. 138ff) der Fall. Die Einführung direkt-demokratischer Elemente würde eine Ergänzung des repräsentativen Systems bedeuten – nicht dessen Ersatz. Die Mehrzahl der Entscheidungen würde nach wie vor von den von den Wählerinnen und Wählern beauftragten Politikern getroffen. Wichtig ist, dass die Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit haben, in ihnen wichtigen Einzelfragen entscheiden und initiativ Themen auf die politische Agenda setzen zu können. Denn genau das ändert die Spielregeln des politischen Spiels und führt dazu, dass bessere Ergebnisse zu erwarten sind.

Dieser Policy Brief entstand auf Basis des ECONWATCH-Meetings „Direkte Demokratie – bessere Wirtschaftspolitik durch mehr Bürgerbeteiligung?“ mit PD Dr. Matthias Benz (NZZ) und Prof. Dr. Hubertus Gersdorf (Universität Rostock) in Berlin.

Quelle: Wirtschaftliche Freiheit

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