Mehr als 1 Million Sanktionen

von Gert Flegelskamp

Die Presse vermeldet einen Rekord der Bundesagentur für Arbeit. Die Quote der Sanktionen ist 2011 auf mehr als 1 Million gestiegen. Im Spiegel lese ich:

Eine Sprecherin der Bundesagentur warnte davor, die Zahlen überzubewerten. Die Missbrauchsquote liege bundesweit bei 3,2 Prozent, demnach hielten sich fast 97 Prozent der 4,35 Millionen erwerbsfähigen Hartz-IV-Bezieher an die Gesetze.

Ich lese auch die Kommentare. Darunter etliche, die ich nur als Foren-Trolle sehen kann und stark vermute, dass zumindest einige davon Lohnschreiber sind, die versuchen mit ihrem Pro für die Sanktionen und einer teilweise auch mehr oder weniger offenen Häme die generelle Stimmung der Forenschreiber zu drehen.

Was mich verwundert, niemanden scheint aufzufallen, dass die Zahlen, die da vermeldet werden, ganz offensichtlich nicht den geringsten Realitätsbezug haben. Haben sich die Redakteure nun nur vertippt oder einfach einen Artikel völlig unredigiert übernommen?

Ich will es genauer wissen und schaue deshalb mal in der FAZ nach, die unter der Schlagzeile „Jugend vorn“ den gleichen Aufhänger bringt. Der Redakteur dieses Artikels schreibt die üblichen Worthülsen, die von Presse und Politik so gerne in Richtung Arbeitslose losgelassen werden. Das ärgert mich und ich schreibe einen Kommentar, den ich direkt an den Redakteur richte:

Herr Astheimer,

ein wenig Mathematik würde helfen. Statt hier Worthülsen zu veröffentlichen, reicht es, die Zahl der Langzeitarbeitslosen (angeblich 2.753.354) im Verhältnis zu den Sanktionen zu betrachten und da komme ich nicht auf 3%, sondern auf 36%. Selbst wenn ich die Zahl auf alle ALG-II-Bezieher aus SGB II und SGB III rechne (5.225.167), ergibt dass im Schnitt immer noch 19,1% Sanktionierte. Darunter sind sicherlich einige, die mehrfach sanktioniert wurden, aber auch die Durchschnittswerte halte ich für mehr als fraglich. Da gilt zunächst, dass jede Sanktion für mindestens 3 Monate ausgesprochen wird und 1 Drittel der Transferzahlung als Minimum beträgt, bei Wiederholung 2 Drittel und mitunter auch die gesamte Leistung gekürzt wird. Eine Aufgabe von Journalisten sehe ich vor allem darin, dann auch der Frage nachzugehen, wie viele dieser Sanktionen wieder aufgehoben wurden, weil die Betroffenen erfolgreich geklagt haben und wie viele Klagen dazu anhängig sind.
Wird das jetzt zensiert?

Die Zahlen, die ich verwendet habe, habe ich der Monatsstatistik der BA entnommen und weil in der FAZ auch nicht die genaue Zahl der Sanktionen angegeben wurde, habe ich 1 Million Sanktionen zugrunde gelegt. Da ich nicht damit gerechnet habe, dass dieser Beitrag von der FAZ auch bei den Kommentaren veröffentlicht wird, habe ich auch gleich nachgefragt, ob dieser Beitrag nun zensiert würde. Er wurde! Schließlich steckt hinter der FAZ lt. Eigenwerbung immer ein kluger Kopf, nur frage ich mich, was die FAZ mit „hinter“ meint. Offene Kritik am Schreibstil der Redakteure scheint nicht opportun zu sein, auch wenn der Schreibstil eher stillos zu sein scheint.

Von einem Redakteur einer Zeitung, egal, ob Spiegel oder FAZ erwarte ich eigentlich so viel mathematische Begabung, dass er erkennt, dass 1 Million Kürzungen bei weniger als 3 Millionen potentieller Opfer der Behörden die 3%-Hürde ein wenig übersteigt.

Monat für Monat bringt die BA eine Monatsstatistik heraus und wenn man da ein wenig genauer hinschaut, müssten eigentlich auch leise Zweifel an den fast ebenso häufigen Jubelmeldungen über die zurückgehende Arbeitslosenzahl seitens der von der Leyen und der BA bei Reportern aufkommen, zumindest bei Reportern, die diese Bezeichnung auch verdienen. Sie sollten sich vor einer Veröffentlichung zuerst mal mit der Thematik beschäftigen. Für Oktober waren z. B. 924.076 ALG II-Empfänger Teilnehmer in Kategorien der Arbeitsmarkpolitik, 148.002 waren in Arbeitsgelegenheiten, 75.903 in Fremdförderung , 29.120 in Bürgerarbeit tätig, was aber gleichzeitig bedeutet, dass sie alle statistisch nicht als Arbeitslose erfasst sind. Hinzu kommen die Arbeitslosen aus dem SGB III, die statistisch nach § 53a älter als 58 Jahre sind und seit einem Jahr kein Vermittlungsangebot der BA mehr bekommen haben. Sie sind zwar weiterhin arbeitslos, werden aber statistisch nicht mehr erfasst. Auch Arbeitslose, die krankgeschrieben sind, werden aus der Statistik gelöscht. Natürlich ist das alles gesetzlich geregelt, aber hört eine Fälschung auf, eine Fälschung zu sein, wenn Winkeladvokaten das gesetzlich unterlegen? Aber vielleicht sind meine Vorstellungen von einem „Rechtsstaat“ antiquiert oder, noch schlimmer, ich verwechsle das „Rechts“, weil ich es von Recht ableite, statt von der Standortperspektive.

Von den Beschäftigten waren 7.334.100 als gering Entlohnte ausgewiesen. Dem gegenüber stehen 478.874 gemeldete Arbeitsstellen und Sie können getrost davon ausgehen, dass ein großer Teil davon so miserabel bezahlt wird, dass eine Aufstockung durch ALG II erforderlich wird. Auch die gemeldeten Stellen für die Berufsausbildung liegen deutlich unter der Zahl der Bewerber. Außerdem kann man davon ausgehen, das bei den offenen Stellen noch eine Menge Karteileichen in den Datenbanken der BA vorkommen, weil die angeblich offenen Stellen längst wieder besetzt sind. Und wie man diese Woche auch lesen konnte, trägt sich jeder 4. Unternehmer mit dem Gedanken, Stellen abzubauen.

Für mich ist diese „Rekordmeldung“ der BA und der Hinweis darauf, damit zeige sich eine verbesserte Professionalität der BA-Mitarbeiter ein Grund, dass sich das Land schämen müsste. Vor allem schämen sollten sich die Forenschreiber, die das gutheißen, selbst aber offenbar nicht intelligent genug sind, die ganz offensichtlich falschen Angaben (3%) auch als falsch zu erkennen. Und die Qualifikation der Behördenmitarbeiter zeigt sich aus meiner Sicht ebenfalls daran, dass sie eine Million von 3 Millionen als 3% ermitteln. Aber auf diesem mathematischen Niveau sind auch eine Menge Bescheide der ARGEn, wie die vielen angefochtenen Bescheide und die vielen Urteile der Gerichte gegen die Arbeitsbehörden deutlich belegen. Als Professionalität werte ich keineswegs die Sanktionspraxis, denn professionell wäre es, wenn statt ständiger Repressalien ständig Jobs vergeben würden, von denen man sogar noch leben kann. Doch das konnten die Arbeitsbehörden schon zu Jagodas Zeiten nicht und sie nichts dazu gelernt, aber scheinbar einiges vergessen, zumindest ihre wirklich Aufgabe.

Quelle: flegel

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