„Man wollte einen schwachen Kandidaten“

Warum Weber nicht Kommissionschef werden soll

Paul Linke (sputniknews)

Der Machtkampf um den wichtigsten Posten der EU geht nach dem Sondergipfel weiter. Die Frage ist: Wer wird der neue Kommissionpräsident? Warum es Manfred Weber nicht werden soll, erklärt Dr. Stefan Brocza. Der Linzer Politologe war lange Zeit im EU-Ministerrat tätig. Er hat eine Vermutung:

Der französische Präsident Emmanuel Macron stellte sich nicht nur gegen den konservativen Spitzenkandidaten Manfred Weber (CSU). Weber habe keine Regierungserfahrung, sagte Macron am Dienstag. Auch die Spitzenkandidaten anderer Fraktionen lehnt Macron ab und argumentiert: Zuerst gehe es nun nicht um Namen, sondern um ein politisches Programm für die nächsten fünf Jahre.

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Einige Parlamentarier brachten ihren Unmut zum Ausdruck: Es wurden Drohungen ausgesprochen, jeden Kandidaten durchfallen zu lassen, der sich nicht als Spitzenkandidat zur Wahl gestellt hatte.

„Es ist legitim“

Man müsse nicht Spitzenkandidat sein, um später Kommissionspräsident zu werden, erklärt im Sputnik-Interview der österreichische Politologe und Experte für EU-Politik Dr. Stefan Brocza. „Der Europäische Rat schlägt vor und berücksichtigt dabei das Ergebnis der Wahlen zum Europaparlament. Mehr sagt der Vertrag nicht aus.“ Ab 2006 war der Forscher an der Umsetzung der EU-Außenstrategie im Bereich Justiz und Inneres beteiligt. Im Rahmen der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft engagierte sich Brocza als Vorsitzender diverser EU-Arbeitsgremien unter anderem im Koordinierungsreferat beim Generaldirektor für Justiz und Inneres im Generalsekretariat des Rates der EU.

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Das Europaparlament habe jetzt beschlossen, auf diesem Spitzenkandidaten-System zu beharren, erklärt der Politikwissenschaftler. Auch das sei zwar legitim. „Man muss nur bedenken, wer immer Kandidat für die Kommissionspräsidentschaft ist, braucht die Mehrheit im Parlament. Und weder der EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber noch der Sozialdemokrat Frans Timmermans haben diese Mehrheit. Das heißt, wie es im Parlament üblich ist, muss man sich eine Mehrheit suchen, deswegen wird man die Liberalen oder allenfalls die Grünen für einen Mehrheitsbeschluss brauchen.“





„Mann aus der zweiten Reihe“

Brocza hält den EVP-Spitzenkandidaten Weber für das Amt des Kommissionspräsidenten ungeeignet. „Diesen Posten sollte schon jemand übernehmen, der in einer herausragenden Position bereits Regierungserfahrung hatte. Und Weber ist bei aller Freundschaft ein Abgeordneter des Europaparlaments. Sonst war er nie irgendwas. Er war nicht Minister in einer Landesregierung in Bayern, war nicht Minister in Deutschland, er war nicht Kommissar. Er hatte noch nie exekutive Funktionen.“ Einen Mann aus der zweiten Reihe des EU-Parlaments auf die Bühne zu heben – als Kommissionspräsident des größten zentralen Verwaltungsapparats der EU – sei „sehr gewagt“, so der EU-Experte.

Warum nun Weber?

Doch warum schickt die EVP einen „schwachen Kandidaten“ für diesen Spitzenposten ins Rennen? Brocza vermutet: „Wahrscheinlich hat man vor anderen zurückgeschreckt. Vielleicht war das Beispiel Juncker zu abschreckend. Dass da jemand ist, der sich halt nicht leiten ließ. Vielleicht will man ihn von Deutschland aus auch schwach haben, weil man sich am Ende des Tages den Manfred Weber gerne wegverhandeln lässt, um dafür einen anderen Deutschen auf einen anderen Top-Posten zu positionieren.“

Der Politikwissenschaftler erinnert im Sputnik-Gespräch, dass Deutschland „ganz stark“ im Gespräch für den nächsten EZB-Präsidenten ist. Doch beide Posten könne die Bundesrepublik nicht bekommen, erklärt der Forscher. „Vielleicht ist es ein Teil kluger Verhandlungsführung, wenn Angela Merkel sich den schwachen Weber wegverhandeln lässt, um auf der anderen Seite den Chef der Europäischen Zentralbank zu bekommen“, bemerkt Brocza.

Auch die meisten Deutschen sind laut einer Umfrage gegen Weber als Kommissionschef. Rund sechs von zehn (59,1 Prozent) sind der Meinung, dass er „eher“ nicht oder „auf keinen Fall“ gewählt werden sollte. Das geht aus einer repräsentativen Befragung des Marktforschungsinstituts „Civey“ hervor.

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