Macht gegen Recht

Kampagne des EU-Gerichtshofs gegen das Deutsche Verfassungsgericht

Der aktuelle Freitags-Kommentar der «Schweizerzeit» vom 14. März 2014

Von Ulrich Schlüer, Chefredaktor «Schweizerzeit»

Am 14. Januar 2014 hat das Deutsche Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe den Euro-Rettungsschirm und darin insbesondere die unbegrenzten Aufkäufe von Staatspapieren bankrottbedrohter Euro-Staaten durch die Europäische Zentralbank (EZB) als rechtswidrig erklärt. Dieser Gerichtsentscheid hat in der EU einen erbitterten Machtkampf ausgelöst.

Dieser Machtkampf ist auch für die Schweiz von grosser Bedeutung. Offeriert doch der Bundesrat der EU einen die «institutionelle Einbindung» der Schweiz in die EU-Strukturen bewirkenden Rahmenvertrag, der unser Land dem EU-Gerichtshof formell unterstellen soll.

Erstaunlich, dass sich die hiesigen Medien zu diesem Machtkampf in Schweigen hüllen. Passt das, was sich derzeit zwischen EU-Gerichtshof und deutschem Verfassungsgericht abspielt etwa nicht zu jener EU-Idylle, auf welche der Bundesrat – von den Schweizer Medien nahezu unisono unterstützt – die Schweizer Bevölkerung gerne einstimmen möchte?

Die Fakten

Das deutsche Bundesverfassungsgericht mit Sitz in Karlsruhe hat in den vergangenen Jahren in mehreren, regelmässig grosses Aufsehen erregenden Urteilen mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass auch alle Schritte und Beschlüsse, welche die europäische Integration vorantreiben sollen, die den Bürgern in ihren nationalen Verfassungen garantierten Rechte nicht verletzen dürfen. Das deutsche Verfassungsgericht habe demzufolge die Aufgabe, darüber zu wachen, dass deutsche Bürger durch Intergrationsbeschlüsse von EU-Organen nicht in ihren Rechten geschmälert würden. Im Blick auf entsprechende EU-Ziele stellte das Karlsruher Gericht denn auch klar, dass zum Beispiel die Schaffung eines Bundesstaates in Europa die vorgängige formelle Zustimmung der Bürger der EU-Staaten zu diesem Vorhaben zwingend erfordere. Automatismen an den Bürgern vorbei seien nicht rechtsgültig.

In seinem jüngsten, am 14. Januar 2014 veröffentlichten, von nicht wenigen Exponenten seither scharf kritisierten Entscheid hielt das deutsche Bundesverfassungsgericht fest, dass der von der Europäischen Zentralbank (EZB) und den hohen EU-Gremien durchgesetzte Euro-Rettungsschirm, der unter anderem den unbeschränkten Aufkauf von Staatspapieren bankrottbedrohter Euro-Staaten auf Kosten der Steuerzahler anderer EU-Länder vorsehe, keine Verfassungsgrundlage habe, also rechtswidrig sei («Brisant» berichtete darüber bereits am 14.02.2014).

Brisantes Urteil

Dieser Entscheid des höchsten deutschen Gerichts ging zurück auf eine Verfassungsklage des Münchner CSU-Bundestagsabgeordneten Peter Gauweiler. Hinter diesem steht jene Gruppe von Professoren, zu der auch Wilhelm Hankel gehört hat, der mehrfach an «Schweizerzeit»-Veranstaltungen aufgetreten, einen Tag nach ergangenem Karlsruher Urteil aber leider verstorben ist. Als Gutachter stand auch der bekannte Direktor des Münchner ifo-Wirtschaftsinstituts, Hans-Werner Sinn, auf Seiten der Kläger.

Brisanz erhielt das Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts, weil es im durchgesetzten Euro-Rettungsschirm nicht bloss eine Verletzung der deutschen Verfassung (Grundgesetz) sondern auch einen EU-weit Unrecht bewirkenden Bruch geltender EU-Verträge feststellte. Diese Feststellung veranlasste das Karlsruher Gericht zur Überweisung des Falles an den EU-Gerichtshof in Luxemburg.

Dynamitgeladene Auflage

Oberflächliche Beobachter kommentierten diese Überweisung als «feige Flucht» der Karlsruher vor einem Entscheid. Sie übersahen bei ihrer vorschnellen Kritik allerdings, dass die Überweisung ans höchste EU-Gericht mit einer unmissverständlichen Auflage verbunden war.

Die Ahndung des den ganzen EU-Raum betreffenden Rechtsbruches, argumentierte das deutsche Verfassungsgericht, könne nicht Aufgabe des Karlsruher Gerichts sein. Dafür habe vielmehr der EU-Gerichtshof zu sorgen. Das deutsche Bundesverfassungsgericht erwarte allerdings dazu verfassungskonforme Entscheide des EU-Gerichtshofes – es werde sein definitives Urteil zur ihm vorgelegten Klage erst sprechen, wenn der EU-Gerichtshof seinerseits das verletzte Recht geahndet habe.

Sowohl die Leitungsgremien der Europäischen Zentralbank (EZB) als auch die höchsten EU-Funktionäre in Brüssel, die miteinander den von Karlsruhe als verfassungswidrig erklärten Rettungsschirm erzwungen hatten, werteten diese Auflage – kaum zu Unrecht – als unmissverständliche Androhung: Das deutsche Bundesverfassungsgericht werde, wenn der EU-Gerichtshof den festgestellten Bruch von EU-Recht nicht ahnde, die deutsche Regierung zum Austritt Deutschlands aus der Währungsunion, also zum Verlassen des Euro-Raumes zwingen.

Gehässige Polemik

Diese Befürchtung hat wütende, gehässige Polemik aus EZB- und EU-Chefetagen an die Adresse des Karlsruher Gerichts ausgelöst. Denn dieses Gericht hat mit seinem Entscheid zum Ausdruck gebracht, dass die Schröpfung insbesondere deutscher, aber auch anderer Steuerzahler aus anderen EU-Ländern zur Rettung überschuldeter, maroder Euro-Staaten ohne Rechtsgrundlage erfolgt sei.

Die EZB hat sofort massive Gegenattacken in die Wege geleitet. Eilig wurde ein hochrangig bestückter Workshop ins Leben gerufen. Die Idee, einen früheren Präsidenten des deutschen Verfassungsgerichts in dieses Gremium zu berufen, scheiterte an der Absage des Angefragten. Aber andere deutsche Exponenten in andern EU-Gremien haben den Kampf gegen ihr eigenes Verfassungsgericht bereitwillig aufgenommen. Allen voran Martin Schulz, derzeit noch Präsident des EU-Parlaments. Vor wenigen Tagen wurde Schulz von allen linken Parteien aller EU-Länder zum linken Spitzenkandidaten für die Europa-Wahlen von Mitte Mai und gleichzeitig zum Kandidaten für das Präsidium der EU-Kommission gekürt.

Dieser Martin Schulz fand gegen das Verfassungsgericht seines eigenen Landes folgende Worte: «Ich glaube, das (deutsche) Bundesverfassungsgericht hat nicht verstanden, wie die Demokratie auf europäischer Ebene funktioniert» («Spiegel», 11/2014, 10.3.2014).

Machtgehabe

Schulzens Argumentation dokumentiert, wie sich die EU-Granden die Schaffung von gültigem Recht vorstellen: Sie setzen völlig eigenmächtig getroffene Entscheide oder auch nur Erwartungen auf die und auf deren Erfüllung sie zwar zielbewusst hinarbeiten, kurzerhand als bereits etabliertes Recht voraus – dies im Namen eines den Mitgliedländern übergeordneten, angeblich «dynamisch» die Integration Europas anvisierenden Projekts.

Mit andern Worten: Die höchsten EU-Funktionäre erklären ihre persönliche oder auch kollektiv vertretene Vorstellung vom künftigen Idealzustand eines Vereinigten Europa zu bereits geltendem, bereits beschlossenem, überstaatlich gültigem Recht. Diejenigen, auf die dieses Recht angewendet werden soll, die Bürger der EU-Länder nämlich, wurden und werden bei dessen Beschlussfassung skrupellos übergangen. Das Recht wird ihnen – nach bekannter totalitärer Manier – von oben kurzerhand aufoktroyiert.

Der Präsident des deutschen Verfassungsgerichts, Andreas Vosskuhle, bleibt Schulz die Antwort denn auch nicht schuldig: «Keiner (der Kritiker des höchsten deutschen Gerichts) hat nur einmal das Wort „Bürger“ oder „Wähler“ erwähnt. Geht es ihnen denn nur um die eigene Macht?» («Spiegel», gleiche Ausgabe).

Selbsterteilte Immunität

Dass Vosskuhle mit dieser Frage die höchsten EU-Funktionäre an besonders heiklem Nerv trifft, resultiert nicht zuletzt aus der Immunität, die sich diese höchsten EU-Funktionäre zur Durchsetzung der Euro-Rettung selber zugesprochen haben.

Bevor seinerzeit das erste Griechenland-Hilfspaket beschlossen wurde, sicherten sich alle an diesem Beschluss Beteiligten ausdrücklich zu, dass niemand, der an den Rettungsbeschlüssen zugunsten des Euro in irgend einer Weise beteiligt sei oder in Zukunft beteiligt sein werde, für die getroffenen Beschlüsse je haftbar gemacht werden könne. Die Euro-Retter, die in schwerwiegendem Ausmass EU-Verträge – zulasten der Steuerzahler in den einzelnen EU-Ländern, zugunsten der für die Überschuldung der meisten EU-Länder Verantwortlichen – gebrochen haben, sollten damit vor jeglicher Verantwortungsklage auf alle Zeiten geschützt werden.

Und jetzt stellt das deutsche Verfassungsgericht – sich dabei ausdrücklich auf die von ihm zu schützenden Verfassungsrechte der deutschen Bürger berufend – fest, dass die Etablierung des milliardenteuren Euro-Rettungsschirms verfassungswidrig war…

Ungemütlich für die, die diese verfassungswidrigen Beschlüsse gefasst haben – auch wenn sie sich selber zuvor absolute Immunität für all ihre Beschlüsse ausgestellt haben.

Die Schweiz: Mitbetroffen?

Der Machtkampf zwischen EU-Zentrale, EZB und EU-Gerichtshof einerseits, dem deutschen Verfassungsgerichtshof andererseits muss auch die Schweiz beschäftigen. Ist es doch das erklärte Ziel der schweizerischen Landesregierung, die Schweiz mit dem von Bundesbern der EU offerierten Rahmenvertrag zwecks «institutioneller Einbindung» unseres Landes in die EU-Strukturen formell der Oberhoheit des EU-Gerichtshofs zu unterstellen.

Dass dieser Gerichtshof Machtansprüche höher einstuft als korrekte Rechtsauslegung, dürfte die darauf aufmerksam werdenden Schweizer Stimmbürger sicher beschäftigen, müsste eigentlich aber auch im Parlament zu Bern Alarm auslösen.

 

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