Leistungsschutzrecht: Bailout für Verlage

von Susanne Baumstark

Im Fegefeuer der Eitelkeiten

Volker Beck (Grüne): „Mit uns gab es keine solche Absprache, allerdings eine Pairingvereinbarung.“

Petra Sitte (Linke): „gab es für heute eine pairing vereinbarung? #lsr‘ Nein natürlich nicht!“

Wer von beiden twittert hier eine falsche Information? Spielt es überhaupt noch eine Rolle, was gesagt wird? Fakt ist: Der Bundestag hat derzeit 620 Abgeordnete, davon sind aus der Koalition 29 Abgeordnete und aus der Opposition 52 Abgeordnete nicht zur Abstimmung über das Leistungsschutzrecht für Presseverlage (LSR) erschienen. Wäre die Opposition vollzählig gewesen und hätte mit Nein gestimmt, dann gäbe es jetzt kein LSR. Nur auf den ersten Blick ist erstaunlich, dass neben einigen Parteispitzen gerade solche Abgeordnete fehlten, die sich üblicher­weise aus der linksschärfsten Ecke heraus zu Wort melden: Claudia Roth, Jürgen Trittin, Andrea Nahles, Wolfgang Thierse, Sahra Wagenknecht, Sevim Dagdelen, Inge Höger, um nur einige zu nennen. Erwünscht ist in diesen Kreisen Konformismus. Das Internet fördert das Gegenteil: eigene Meinungsbildung. Die Aussagen von Springer-Chef Mathias Döpfner, Google verfolge erzkapitalistische Interessen sowie der FAZ, Google betreibe Methoden des Silicon-Valley-Kapitalismus, fügen sich geradewegs ein in die ideologische Haltung dieser Politiker.

Eventuelle theatralische Verzögerungen im Bundesrat werden allenfalls wahltaktisch begründet sein. Eher noch ist zu befürchten, dass rotgrün regierte Länder bei passender Gelegenheit das LSR verschlimmbessern. Man erinnere sich nur an den unverschämt anmutenden Versuch der SPD im Bundesrat, anstelle des LSR eine Vermutungsregelung zu schaffen, mittels derer Verlage im Namen von Urhebern hätten klagen dürfen, ohne vorher deren Erlaubnis einzuholen. Doppelmoral in Reinform, denkt man etwa an den Fall des Opernsängers Peter Schöne, der ohne zu fragen Zeitungskritiken über sich auf seine Homepage stellte – bisher branchenüblich und von Verlegern stillschweigend geduldet. Plötzlich verlangte die Süddeutsche Zeitung 350 Euro von ihm für die Nutzung von drei Artikeln über einen Zeitraum von drei Jahren. Zufällig kam die FAZ auf dieselbe Idee und forderte von Schöne für sechs Kritiken aus den Jahren 2006 bis 2011 rückwirkend 1.800 Euro. Beide Zeitungen wiesen ihn im Vorfeld nie darauf hin, dass er die Kritiken von seiner Homepage nehmen oder künftig dafür zahlen soll. Nach Hinzuziehung eines Anwalts bekam er von der FAZ erneut einen Brief: Nach Recherchen im Internet habe man festgestellt, dass die Artikel schon viel länger auf seiner Homepage sind. Die neue Forderung: 2.400 Euro. Letztendlich kam Peter Schöne mit einer Zahlung von 1.400 Euro plus Anwaltskosten davon. Für solche Zeitungsverlage sind solche Leute wie Schöne Rechtsbrecher, Enteigner, gegen die man vorgehen muss. Tatsächlich ist die plötzliche Aufkündigung bisheriger Rechtspraxis seitens der Verleger nichts anderes als ein Vertrauensbruch.

Die Kriminalisierung ehrbarer Leute, die sich einfach nur freuen über eine positive Kritik und diese gewinnbringend, nicht zum Schaden der Verlage, für sich nutzen, war schon vor der Ergänzung des Urheberrechts möglich, die der Bundestag nun beschloss. Allein im Jahr 2010 sollen rund eine halbe Million Abmahnungen an deutsche Internetnutzer verschickt worden sein. Personen, die Karl Valentin, Heinz Erhardt oder Erich Kästner die Ehre geben wollen, indem sie ihre Homepage mit einem ihrer Zitate schmücken, gehören ebenfalls zu den Kriminellen. Die Rechteverwalter mahnen regelmäßig ab. Kaum jemand kann es sich leisten, gerichtlich gegen einmal gestellte Forderungen vorzugehen. Wollte man die Sache als Kriegserklärung betrachten: Es herrscht keine Waffengleichheit.

In einem funktionierenden Rechtsstaat ist es üblich, dass ein Gesetz erst verabschiedet wird, wenn der Bedarf dafür eruiert ist. „Der Bedarf für ein solches Schutzrecht wurde bislang in keiner Weise nachgewiesen. Es besteht die Gefahr unabsehbarer negativer Folgen. Doch selbst wenn eine Mehrzahl der Verleger das ihnen gewährte Recht nicht durchsetzen würde, wirkte es sich zulasten der Dienstanbieter aus. Diese müssten nämlich gleichwohl auf jeden Verleger zugehen, um sicherzustellen, dass nicht doch plötzlich eine Rechtsverletzung geltend gemacht wird“, heißt es in einer Stellungnahme des Max-Planck-Instituts für Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht. Abgesehen von eventuellen Lizenzeinnahmen für irgendwelche Textschnipsel: Der Bedarf für das LSR lässt sich schließen aus dessen Folgen. Die jetzt entstandene Rechtsunsicherheit betreffend der erlaubten Länge der Textschnipsel, die Google News posten darf sowie des potenziell angreifbaren Personenkreises – auch Facebook- oder Twitternutzer sind nicht sicher vor Abmahnanwälten – eröffnet die Möglichkeit, Recherchen zu behindern und missliebige Meinungen zu eliminieren.

Der weitere Bedarf für das LSR ergibt sich daraus, dass sich die Verleger jetzt besser fühlen. Sie könnten nun selbst bestimmen, wie ihre Inhalte von Suchmaschinen im Internet genutzt werden, teilten sie der schreibenden Zunft mit. Das ist zwar eine Falschinformation, denn Google entscheidet nach wie vor selbst, welche Seiten überhaupt auf dem Index sind. Zumindest wissen wir jetzt, was die Verleger antreibt: Das Bedürfnis, zu bestimmen. Es mag verständlich sein, dass sich Personen in ihrer Eitelkeit verletzt fühlen, wenn sie plötzlich nicht mehr alleinige Jongleure der Macht in ihrem Bereich sind. Noch bitterer muss es sein festzustellen, dass ein anderer Konzern, hier Google News, die vom Bundesverfassungsgericht formulierte Aufgabe der Presse wesentlich besser erfüllt: „Soll der Bürger politische Entscheidungen treffen, muss er umfassend informiert sein, aber auch die Meinungen kennen und gegeneinander abwägen können, die andere sich gebildet haben.“ Bedenklich ist allerdings, wenn sich ihre Lösungskompetenz darauf beschränkt, den Konkurrenten zu verbieten etwas ins Netz zu stellen, was sie ohnehin von sich aus ins Netz stellen. Vielleicht sollten jene Presseverleger, die besonders schlecht mit dem Teilen von Macht umgehen können, einen mehrmonatigen Klosteraufenthalt in Betracht ziehen. Wenn sie gelernt haben, wie heilsam die Demut ist, werden sie sich vielleicht endlich ihrer Aufgabe widmen zu eruieren, warum ihnen die Leserschaft davon läuft. Gelingt ihnen das auch in Zukunft nicht, dann ist ein Gesetzentwurf zur staatlich subventionierten Presse so gut wie unterwegs.

Unterdessen könnte der Öffentlichkeit vermittelt werden, inwieweit das LSR die Schlüssigkeit unseres Rechtssystems weiter unterminiert. Offene Fragen sind zum Beispiel: Kollidiert das LSR mit dem grundgesetzlichen Anspruch in Artikel 5? Dort heißt es in Absatz 1: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.“ Weitere Fragen sind: Wo ist die Abgrenzung vom Zitatrecht zur Nutzung kleiner Textausschnitte? Müssen auch andere, etwa Buchverlage zahlen, wenn sie auf der Umschlagseite ihrer Bücher Kritiken zitieren? Ist das LSR unter Hinzuziehung europarechtlicher Vorgaben überhaupt wirksam? Und allgemein zum Urheberrecht: Werden demnächst alle Bücher zu gesammelten Zitaten aus den Buchhandlungen entfernt? Falls ja und ich habe schon eines davon zuhause im Bücherregal: muss ich das dann wegwerfen? Dient die fortlaufende Verschärfung des Urheberrechts tatsächlich dem Fortschritt und der Wirtschaft?

Die produzierte Rechtsunsicherheit hat auch Folgen im zwischenmenschlichen wie im geschäftlichen Bereich. Niemand ist mehr sicher, ob er sich rechtskonform verhält. Jeder kann jederzeit beschuldigt werden. Jedem kann ein negatives Motiv unterstellt werden. Wird dies bereits schon länger in der politischen Rhetorik mit Unterstützung fragwürdiger Forschungsergebnisse praktiziert – siehe etwa die angeblich rassistisch durchsetzte gesellschaftliche Mitte, legt nun das LSR nach mit der Folge, dass etliche verunsicherte Blogger ihren Spaß am Informationsaustausch verlieren. Die Forderung im Urheberrecht, die Erlaubnis für die Verwendung von Textabschnitten einzuholen, ist im Übrigen in der Praxis vielfach nicht durchführbar. Nach einem Selbstversuch ist festzustellen: Zum Teil kommt man an die Rechteinhaber erst gar nicht ran (nach aufwändiger Recherche, wer diese überhaupt sind) und von Medien erhält man am Telefon nach etlichen Weiterverbindungen keine klare Aussage. Theorie statt Praxis steht auf der Tagesordnung. Das führt zu Handlungsohnmacht. Die engstirnige, bürokratiefetischistische Rosinenpickerei führt am Ende zu einer paranoid misstrauischen, stets auf Kampf eingestellten Mentalität, die jede aufkommende Lebendigkeit sofort tottrampelt.

Würden sich alle Bürger derselben Denkmuster bedienen wie jenen von Presseverlegern, gäbe es nur noch im Rahmen von Satire etwas zu lachen. In einem Blog über die Causa Peter Schöne gibt es konsequent weitergedachte Vorschläge zum Umgang mit der Situation: Zeitungskritiker müssen bei Erhalt einer Freikarte einen Schreibnachweis mit Fristsetzung abliefern, sonst wird der Kartenpreis rückwirkend eingefordert oder der Schreiber bzw. sein Blatt bei nächster Gelegenheit ausgesperrt. Keine Empfänge mehr, Pressematerial und Fotos nur gegen Entrichtung von Gebühren, strengste Mitschnittkontrollen, ggf. per Leibesvisitation. Auswahlrecht der Veranstalter, welcher Autor vom Blatt abgeordnet wird. Sämtliche Pressebälle wie auch Buffets am Rande abschaffen. Hausverbot für Journalisten bei allen öffentlichen Veranstaltungen.

Fazit: Bleibt doch alle zuhause und haltet den Mund.

Quelle: ef-magazin

 

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