Länderfinanzausgleich, Transferunion und Gabentisch

Tageskommentar 12. 01. 2014: fortunato,
Länderfinanzausgleich, Transferunion und Gabentisch

von fortunato (fortunanetz)

Vor wenigen Tagen hat sich ein netter Leser gemeldet. Vermutlich fragte er sich, weshalb mir die Äußerungen von Venizelos so sehr aufgestoßen sind. Daher schrieb er:

‚Wenn man nun aus Sicht der „Europäer“ nach Deutschland schaut, gibt es dort ja den Länderfinanzausgleich als System von „Geber und Nehmer“, was ja aktuell durch Hessen und Bayern als Geber so juristisch geklärt werden soll. Wenn man Europa nun als ein „ähnliches“ Gebilde wie die BRD, nur im größeren Rahmen, ansieht, wäre da nicht eigentlich auch eine Art „Länderfinanzausgleich“ angemessen? Ich weiß, daß die derzeitige EU-Euro-Konstruktion eine absolute Fehlkonstruktion ist, jedoch denke ich, daß es ohne die vorhandenen Fehler beim Wunsch des Zusammenwachsens der Menschen und Völker immer noch einer Art „Geber und Nehmer“ bedürfe. Vielleicht können sie ja mal einen Kommentar darüber verfassen, denn von der Hand zu weisen ist dieser Vergleich ja nicht, oder?‘

Gerne gehe ich auf diese berechtigte Frage näher ein. Ich freue mich ohnehin über Fragen, denn Fragen bilden!

Zuerst einmal fragt der Leser oder die Leserin recht allgemein, ob es nicht richtig sei, dass es im Leben ein Geben und Nehmen gibt und geben muss. Ich würde ja persönlich noch weiter gehen und behaupten, es gibt Bereiche des Lebens, in denen es Nur ein Geben und kaum ein Nehmen gibt, oder auch umgekehrt. Hierzu gehört beispielsweise, dass Eltern ihre Kinder aufziehen. Und zum Glück ist die Familie keine GmbH! Mütter wissen ein Lied davon zu singen, wie lange sie geben. Und es gibt dabei keine Garantie, dass das Kind auch groß und wohlgeraten wird. Dieses ist zudem in keiner Weise dazu verpflichtet, den Eltern die Gabe zu danken. Es gibt kein Vertragswerk in der Familie das Kinder verpflichtet, den Eltern das Geld das sie in sie investiert haben, zurück zu zahlen. Die Familie, und insbesondere die Kinderaufzucht, ist KEIN GESCHÄFT, besteht aber aus Geben und Nehmen. In diesem Sinne ist es tatsächlich so: Es gibt Geber und Nehmer.

Folgt man meiner zugegebenermaßen ganz eigenen Logik, so ist das Leben selbst tendentiell äußerst großzügig. Wenn ich einen Tag 5 Personen treffe (oft sind es mehr) und mir nur 3 oder 4 jeweils getrennt eine Freundlichkeit erweisen, so habe ich an diesem Tag meistens mehr erhalten als ich selbst geben kann. Somit bin ich fast täglich im Plus was das Geben und Nehmen anbetrifft. Es gibt immer etwas mehr Menschen die mir geben als ich Menschen gebe und zwar einfach, weil ich regelmäßig EINER UNTER VIELEN bin. Oder sind sie in ihrem Familien-, Freundes-, Geschäftspartner- und Bekanntenkreis die Mehrheit?

Gerade weil es auch heute noch viele Lebensbereiche gibt, die nicht ökonomisiert werden können (das Leben selbst) oder auch sollen (Familie, Luft, Wasser, Bürgerrechte, etc.) habe ich ja schon ganz am Anfang, als das Fortunanetz ins Leben trat, Marcel Mauss gewürdigt. Dieser hatte erstmalig auf die Existenz sogenannter „Potlatsch“-Ökonomien bei Naturvölkern hingewiesen. Diese Wirtschafts- und Gesellschaftsform zeichnet sich dadurch aus, dass sie eine Geschenke-Ökonomie ist. Indios auf dem amerikanischen Kontinent, aber auch Naturvölker in anderen Erdteilen, haben sich regelmäßig bei Festen und Besuchen beschenkt. Der Hauptinhalt allen Wirtschaftens bestand gerade darin, auf die besagten höchsten Feste hinzuarbeiten um dann möglichst viele Geschenke anbieten zu können. Meistens mussten dann alle diejenigen, die nicht so viele Geschenke hatten, um die reichen Gaben zu erwidern, beim nächsten Fest eingestehen, dass sie nicht so viele Geschenke hatten. Und die erfolgreichsten Schenker zogen aus diesem Sieg für sich einen enormen „Mehrwert“. Solche Strategien der Beschämung und Unterwerfung beispielsweise nutzten die Herrscher der Azteken. Sie luden befreundete Herrscher aus der Nachbarschaft ein und überhäuften sie mit Geschenken ohne Zahl und die Nachbarherrscher mussten am Ende eingestehen, dass sie nicht so viele Papageienfedern, Muscheln oder Pelze hatten wie der Herrscher der Azteken.

Im kleinen Maßstab finden wir dies auch noch bei uns, wenn an Weihnachten oder Ostern Geschenke verteilt werden. Oft findet dabei ein versteckter Wettbewerb statt, wer über das Jahr am Besten zugehört hat und die Wünsche des Beschenkten am Besten trifft. Und umgekehrt sitzt der Beschenkte dann hoffentlich in seinem stillen Kämmerlein und überlegt wie er das Geschenk erwidern kann. Wer möchte diese kleine Form des „Potlatsch“, den es bei uns ebenfalls noch gibt, missen?

Außerhalb der Sphäre der Ökonomie gibt es noch viele weitere Formen des Gebens und Nehmens: Das Gotteslob, das freudig gesungene Lied, das Gedicht an die Geliebte, die Spende an die Armen oder die Hilfe für den Freund in der Not. Auch die Bäume die die Ahnen pflanzten, sie geben uns heute noch Nüsse oder Äpfel, Birnen und Kirschen. Wie gesagt, was das Geben und Nehmen anbetrifft, stehe ich auf dem Standpunkt: Wir bekommen schon im Alltag immer mehr als wir geben. Das ist Leben! Es ist mit uns zumeist gnädiger als wir wahrhaben wollen.

Darüber hinaus gibt es das Geben und Nehmen in der Ökonomie. Dieses Geben und Nehmen basiert auf einem Eigentumstitel. Ihnen gehört ein Auto, jemand anderem gehört Geld. Sie geben ihm das Auto, und nehmen das Geld. Hierbei kommt es auf eine Art Gleichheit oder Gerechtigkeit an. Wer zu viel nimmt ist z. B. ein Betrüger oder ein Wucherer, wer zu wenig nimmt, eben ein schlechter Geschäftsmann.

Natürlich gibt es darüber hinaus in einem Land unterschiedliche Regionen, die unterschiedlich reich sind. Die Motivation für eine Angleichung der Lebensverhältnisse in den Regionen ist die Idee, dass alle Menschen gleiche Rechte und Chancen haben sollten, gleich gute Verkehrsanbindungen, gleiche Schulen, gleiche kulturelle Angebote. Ein schöner Gedanke!

Wer einmal ein einigermaßen erfolgreiches Beispiel für eine solche Entwicklung von Regionen sehen möchte, der kann in unserem Land einiges entdecken. Wer zum Beispiel die Geschichte des Königreichs Württemberg kennt, weiß wo „Schwäbisch Sibirien“ liegt. Diese Region wurde so genannt, weil sie zwar im Königreich Württemberg lag, aber als völlig unterentwickelt galt. Es war eine Region, in die unbotmäßige Beamte und politische Gegner des württembergischen Königshauses strafversetzt wurden, weil von dort die Anbindung nach Stuttgart so miserabel war, dass man die Versetzten nicht mehr wieder sah. Das war jedenfalls noch der Stand im 19. Jahrhundert. Man sagte von dieser Region, dort würden sich Hasen und Füchse gute Nacht sagen. Und im Dialekt der Region erklärte man, hier würden „die Hase Hose und die Hose House haase“. Der sozusagen letzte Sitz bevor von Stuttgart aus gesehen die völlige Provinz kam, war die Oberamtsstadt Öhringen, hinter deren Stadtgrenzen die Reste des römischen Limes liegen. Es war schon immer ein typisches Grenzland um Öhringen herum. Schwäbisch Sibirien eben – heute „Region Hohenlohe“ genannt.

Um das Jahr 1970 begann das Land Baden-Württemberg damit, im Rahmen einer Flurbereinigung, gezielt die kleinbäuerlichen Strukturen zugunsten größerer industriell geführter Bauernhöfe aufzulösen. Die Felder wurden größer, die landwirtschaftlichen Wege wurden ausgebaut. Wo früher einfache Feldwege waren, wurden für viel Geld geteerte Wege angelegt, auf denen auch große Landmaschinen fahren konnten. Quer durch die Region wurde eine schon im Dritten Reich geplante Autobahn realisiert und auch in vielen anderen Bereichen eine Strukturreform der Region eingeleitet.

Wer heute zum Beispiel in eine Stadt wie Künzelsau kommt, erfährt dass die Stadt mehr Arbeitsplätze wie Einwohner hat. Das Tal, in dem Künzelsau liegt, ist zu eng geworden und es wurden außerhalb des Tales neue Industriegebiete nahe der Autobahn ausgewiesen. Mit der Fachhochschule vor Ort sollte das Bildungsangebot der Region verbessert werden. Mit den Studenten sollte auch ein jüngeres Publikum in der Stadt ansässig werden und dieser ein verbessertes kulturelles Angebot bescheren. Wer mit einheimischen Unternehmern spricht, bekommt zu hören dass eines der größeren Probleme darin besteht, gute Fach- und Führungskräfte zu halten, weil diese mit ihren Familien an noch attraktivere Standorte abwandern, nachdem sie ein paar Jahre dort gearbeitet haben. Studenten werden freudig begrüßt in der Hoffnung dass der eine oder andere von ihnen eines Tages auch bleibt.

Schwäbisch Sibirien ist somit Vergangenheit. Die Investitionen des Landes, also das Geld das die Steuerzahler gegeben haben, hat sich wieder ausbezahlt. Das Land hat gegeben, die Region hat genommen, glücklich darüber sind beide Seiten geworden. Und ich wüsste nicht, dass diese Hilfe an die Region jemals vom Land Baden-Württemberg als schlechtes Geschäft angesehen worden wäre.

Ganz anders hingegen sieht es mit dem Länderfinanzausgleich auf Bundesebene aus. Die BRD besteht aus 16 Bundesländern. Diese haben gänzlich unterschiedliche Situationen und weil die BRD eine föderative Struktur hat, kann jedes Bundesland selbst entscheiden, wo es in seiner Entwicklung Akzente setzt. Das ist auch gut so, denn es gibt gänzlich verschiedenartige Aufgabenstellungen. Während Baden-Württemberg, Bayern und Hessen, sowie neuerdings auch wieder Hamburg als außerordentlich gute Standorte angesehen werden, die große Überschüsse produzieren, gelten das Saarland und Rheinland-Pfalz als klassisch „strukturschwach“. Nordrhein-Westfalen gilt als eine Region, die schon seit langen Jahrzehnten hochsubventioniert in einen Strukturwandel von einer klassisch auf Bergbau und Schwerindustrie fokussierten Region hin zu einem Hochtechnologiestandort steckt. Ähnlich ist die Situation im Bundesland Bremen, das kein Werftenstandort mehr ist und dabei von der Globalisierung und der Wiedervereinigung hart getroffen wurde. Für die Stadt war das eine Katastrophe, denn es fielen praktisch über Nacht die Haupteinnahmequellen weg und für den Umbau des Standortes entstanden enorme Kosten.

Eine wieder ganz andere Lage haben die „neuen Bundesländer“ Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Berlin, Thüringen und Sachsen gehabt. Bedingt durch den eisernen Vorhang und das „kommunistische“ System der Nachkriegszeit hatten die besagten Bundesländer mit weitem Abstand den Anschluss an die industrielle Entwicklung nach dem zweiten Weltkrieg verpasst. Nach der Wende brach nicht nur der Staat „DDR“ zusammen, sondern auch die gesamte, nicht wettbewerbsfähige Industrie, die dieser Staat aufgebaut hatte. Entsprechend hoch war und ist der Bedarf an „Finanzausgleich“, weil man doch offiziell möchte, dass sich die Lebensbedingungen zwischen Ost- und West möglichst schnell angleichen…

Nimmt man die Statistik von Gebern und Nehmern beim Länderfinanzausgleich, so fällt das große Ungleichgewicht sofort auf! Es sind nur 4 Länder (wenn man bei etwas gutem Willen Hamburg zu den Gebern zählt) die die übrigen 12 finanzieren. Ist das gesund? Ist das gerecht? Und in der Tat kommt noch hinzu, dass wir hier von dem Dauerzustand sprechen, dass eine deutliche Minderheit eine große Mehrheit an Ländern finanzieren soll und muss. Und üblicherweise ist es auch bei diesem „Finanzausgleich“ so wie bei einer geplanten merkelschen Transferunion, dass sich die Nehmer dauerhaft gut einrichten, während die Geber sehen müssen, dass ihnen nicht noch mehr Geld „transferiert“ wird. Schließlich sehen sie sich einer Mehrheit nach Stimmen gegenüber, die jeweils „ganz demokratisch“ abstimmt, dass die Geber eben geben müssen – ganz so wie dies Venizelos möchte. Und dabei ist die BRD ein föderativer Bund, dessen Länder nicht souverän sind, während die EU immer noch ein Staatenbund ist bei dem letztlich keine Zentralgewalt eine echte Kontrolle ausüben kann – wie man am Fall Griechenland sehen kann: Kaum hat das Land einen ersten Primärüberschuss erwirtschaftet, will es schon nicht mehr sparen, geschweige denn seine Schulden tilgen… braucht aber weiterhin viel Geld. Und deshalb kommt ja dann auch Evangelos Venizelos und beschließt, dass es eben Geber und Nehmer in der EU gibt…

Ich denke ich habe deutlich gemacht, dass es Lebensbereiche gibt, in denen Geben und Nehmen durchaus einseitig und verschwenderisch sein kann und darf. Ich glaube auch deutlich gemacht zu haben, dass Geben auch eine Form der Investition sein kann, sofern die Gabe jeweils zweckgebunden ist. Aber leider sind alle Formen von „Finanzausgleich“ dazu noch von Politikern verwaltet, darauf ausgerichtet, dass sich die Nehmer gut einrichten… Jede dauerhafte Gabe ohne Gegengabe führt dazu, dass die Gaben fest eingeplant werden, auch wenn sie gar nicht sinnvoll ausgegeben werden und zu einer Gegengabe führen. Und diese Regel gilt sowohl in einem Bundesstaat wie der BRD wie auch in einem Staatenbund wie der EU.

Hierzu ein kleines Beispiel:

Wenn sie einen Schweden fragen ob das Land so etwas wie Bafög hat, also die Studenten für ihr Studium finanziert werden, bekommen sie eine interessante Antwort. Der Schwede wird ihnen sagen: Nein wir haben kein Bafög wie in Deutschland. Bei uns kann jeder der die Ausbildung hat um zu studieren (Hochschulzugangsberechtigung) eine finanzielle Hilfe beantragen. Er bekommt dann beim Nachweis der Zugangsberechtigung zur Uni Geld für ein Semester. Am Ende des Semesters muss er seine Leistungsnachweise einreichen. Danach kann das nächste Semester studiert werden. Liefert der Student keine Leistungsnachweise, gibt es auch kein Geld.

Bafög läuft bei uns, wie bekannt, etwas anders. Der Student bekommt das Geld über einen längeren Zeitraum, nachdem erst einmal eine recht bürokratische Prüfung stattfindet ob er überhaupt berechtigt ist. Einen Leistungsnachweis muss er nach dem 4. Semester erbringen und nicht nach jedem Semester. Die deutsche Bürokratie kostet Geld. Zudem läuft man Gefahr dass studiert wird ohne Leistung mit dem nachfolgenden Desaster, dass derselbe Student dann ein abgebrochenes Studium hat und erneut bedürftig wird….

Wenn man das auf den Länderfinanzausgleich überträgt, sollte dieser ebenso wie die „Transferunion“ für die Eurorettung, immer sachgebunden sein, einer Leistungskontrolle unterliegen und definierte Verbesserungen als Ergebnisse haben. Die definierten Verbesserungen müssen öffentlich sein. Andernfalls ist das abzulehnen. Jens Weidmann hat schon in die richtige Richtung gedacht wenn er anregt dass Staaten, wenn sie Kredite am Kapitalmarkt haben wollen, diese zukünftig dinglich besichern sollten, anstatt wie bisher, Kredite ohne jede Sicherheit zu erhalten. Solche Ideen sollte man ebenso bei einem Länderfinanzausgleich praktizieren, damit nicht wieder nach Jahren heraus kommt, dass das ganze Geld ergebnislos „investiert“ wurde.

Mir ist natürlich bewusst, dass mit einer solchen strengen Methodik sich Länder der Eurozone wie auch Bundesländer in Deutschland verstärkt überlegen würden, ob sie noch zu den „Nehmern“ gehören wollen, wenn anschließend die Sicherheiten oder auch die Leistungsnachweise eingefordert werden. Damit platzt schon ganz am Anfang so manche Illusion von der schnellen „Angleichung der Lebensverhältnisse“ ebenso wie von der „Rettung des Euro“ oder auch vom Traum, dass wir schnell wieder aus dem „Tal der Tränen“ heraus kommen könnten. Aber mir ist es lieber, dass die Illusionen frühzeitig zerplatzen als dass in absehbarer Zeit der Totalbankrott ganzer Länder ansteht, meint

Michael Obergfell (aka fortunato)

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