Edgar Göll (infosperber)
Kuba steckt in einer tiefen Krise. Weltweit werden Stimmen lauter, die die USA auffordern, das Sanktions-Diktat zu beenden.
Red. Mit ihren Sanktionen versuchen die USA seit über 60 Jahren vergeblich, die kommunistische Führung in Kuba zu stürzen. Der Autor dieses Gastbeitrags ist Vorsitzender des Netzwerk Cuba in Deutschland.
«Die umfassenden politischen und wirtschaftlichen Sanktionen, die seit 1960 gegen die Republik Kuba verhängt wurden, verstossen gegen das Völkerrecht.» Zu diesem Urteil kam das mit angesehenen Richtern, Anwälten und Rechtswissenschaftlern aus verschiedenen Ländern besetzte Tribunal, das bereits vergangenen November 2023 in den Räumen des Europäischen Parlaments in Brüssel stattfand. Grosse Medien haben kaum darüber berichtet. Das Motto des Tribunals unter dem Vorsitz des Hamburger Völkerrechts- und Menschenrechtsprofessors Norman Paech: «Unblock Cuba, unblock us».
Das Urteil des Brüsseler Tribunals stützt sich auf eine umfassende Analyse der Auswirkungen der US-Blockade in verschiedenen Bereichen wie Wirtschaft und Finanzen, aber auch Gesundheit, Kultur, internationale Beziehungen oder Medien. Es wurden zahlreiche internationale Experten und Zeugen angehört und umfangreiches Beweismaterial gesammelt.
Gravierende Folgen für das kubanische Volk
Dabei wurde deutlich, wem und in welchem Ausmass die US-Blockade schadet und wo sie Menschen- und andere Rechte verletzt. Das Sanktions-Dikat der USA hat nicht nur gravierende wirtschaftliche Auswirkungen sondern auch direkte Folgen für das kubanische Volk: Geldüberweisungen von Familienangehörigen werden verunmöglicht, auswärtige Unterstützung, auch für Gesundheitsprojekte wird verhindert, wichtige Medikamente können nur auf Umwegen und überteuert importiert werden, Öllieferungen sind gedrosselt, Produktion und Transportwesen sind eingeschränkt, US-Touristen dürfen nicht nach Kuba reisen. Im Urteil des Tribunals heisst es:
«Die Blockade hat direkt und indirekt zum Verlust zahlreicher Menschenleben geführt, und die Entscheidung der USA, diese Blockade aufrechtzuerhalten, solange das kubanische Volk nicht beschliesst, sich zu beugen, zeigt, dass die USA entschlossen sind, Massnahmen aufrechtzuerhalten, die darauf abzielen, langfristig die physische Zerstörung zumindest eines Teils des kubanischen Volkes zu bewirken. Eine solche Haltung könnte den Tatbestand des Völkermordes erfüllen.»
Die Schlussfolgerung des Brüsseler Tribunals bestätigen die UN-Resolutionen, die unzähligen Appelle internationaler und nationaler Gremien sowie wissenschaftliche Analysen:
«Da die zahlreichen Sanktionen und die US-Gesetze, auf denen sie beruhen, rechtswidrig sind, müssen sie aufgehoben werden. Die USA müssen für den Schaden aufkommen, der dem kubanischen Staat, seinen Unternehmen und Bürgern entstanden ist.»
Kubanischer Aussenminister: «US-Blockade ist Haupthindernis für die Entwicklung der kubanischen Gesellschaft»
Der kubanische Aussenminister Bruno Rodríguez Parrilla stellte kürzlich vor internationalen Medienvertretern den aktuellen Bericht über die Folgen der US-Blockade vor. Der Bericht berücksichtigt die materiellen Schäden und Beeinträchtigungen in Kuba von März 2023 bis April 2024. Demnach überstiegen die Schäden in diesem Zeitraum 5 Milliarden US-Dollar. Im Bericht werden auch die «extraterritorialen Effekte» beschrieben, von denen Akteure und Kooperationen mit Kuba weltweit, vor allem in Westeuropa, betroffen sind. Der Bericht ist die Grundlage für eine erneute UN-Resolution zur Aufhebung der Blockade, über die die UN-Generalversammlung Ende Oktober in New York abstimmen wird.
Rodríguez Parrilla erklärte vor den Medien, die US-Blockade sei keineswegs die alleinige Ursache für alle Probleme in Kuba, sie gelte jedoch als Haupthindernis für die Entwicklung der kubanischen Gesellschaft. Selbst ein reicheres Land mit einer robusten Volkswirtschaft könne einen derart intensiven und anhaltenden Wirtschaftskrieg nicht unbeschadet überstehen, heisst es im Bericht.
Auch der bekannte US-Ökonom Jeffrey Sachs äusserte sich kürzlich in einem Interview zu den immensen Schäden, welche die US-Blockade in Kuba anrichtet: «Die Auswirkungen der Blockade sind sehr ernst. Das kubanische Pro-Kopf-Einkommen liegt wahrscheinlich bei einem Drittel oder einem Viertel dessen, was es ohne die Blockade betragen würde.»
UN-Vollversammlung verurteilte die US-Blockade zum 31. Mal
Die Vereinten Nationen fordern seit langem ein Ende der US-Blockade. Nur zwei Wochen vor dem Brüsseler Tribunal hat die UN-Vollversammlung die Blockade der USA mit überwältigender Mehrheit erneut verurteilt – und dies bereits zum 31. Mal. Nur die USA und Israel stimmten gegen eine Resolution.
Das erklärte Ziel der USA ist seit Beginn der Blockade «das wirtschaftliche Leben zu schwächen, (…) damit die nominalen und realen Löhne sinken, um so Hunger, Verzweiflung und den Sturz der Regierung zu erreichen» (US-Regierung 1961). Flankiert wird die Blockade durch zahlreiche geheimdienstliche und subversive Aktionen aus den USA. In Kuba einen «Regime Change» herbeizuführen, ist noch heute ein Ziel der US-Aussenpolitik. So schrieb Philip Levine, früherer Bürgermeister von Miami Beach, im Juni 2020: «Amerika muss Demokratie, Kapitalismus und Menschenrechte nach Kuba bringen. (…) Heute gibt es für die Biden-Administration nur noch einen einzigen sinnvollen politischen Standpunkt: Eine kapitalistische Invasion der kubanischen Insel zu starten. Es ist keine harte Gewalt erforderlich. Sie kann dies tun, indem sie unsere kapitalistische Marine einsetzt, wie Royal Caribbean, Carnival und Norwegian Cruise Line; unsere kapitalistische Armee, wie Hilton, Apple und Starbucks; und unsere kapitalistische Luftwaffe, einschliesslich American Airlines, Delta und Jet Blue.»
«Politik der Angst» schreckt ausländische Investoren ab
Das international relevante Merkmal der Blockade sind ihre zahlreichen extraterritorialen Effekte. Das heisst, die Gesetzgebung und Regelsetzung der US-Regierung und ihre unilateral verhängten Sanktionen im Rahmen der Blockade schädigen Unternehmen, Banken, Organisationen, sogar Vereine und Bürger:innen in allen Ländern und verletzen deren Bürger- und Freiheitsrechte. Die US-Institutionen nötigen ausländische Akteure zu hohen Geldstrafen, wenn sie mit kubanischen Institutionen und Partnern kooperieren oder Handel betreiben. Selbst mächtige Banken und Unternehmen fürchten sich vor Investitionen in Kuba wegen Strafandrohungen des US-Finanzministeriums. Investoren werden durch diese «Politik der Angst» abgeschreckt, latenter Devisenmangel ist die Folge.
Dazu zwei Fallbeispiele von vielen: Die Schweizer Bankgesellschaft UBS wurde im Jahr 2004 zur Zahlung von 140 Millionen US-Dollar aufgefordert, weil sie der Zentralbank Kubas neue gegen alte Dollarscheine getauscht hatte. Eine Rekordstrafe von 10 Mrd. US-Dollar verhängten die USA gegen die französische BNP Paribas, weil sie mit Kuba und anderen Ländern Geschäfte machte. Durch Verhandlungen konnte die französische Regierung die Zahlung auf 9 Mrd. Dollar reduzieren.
Westliche Regierungen kritisieren zwar öffentlich die übergriffige US-Blockade gegen Kuba und votieren in der UNO entsprechend. Darüber hinaus bleiben sie aber untätig und unterwerfen sich dem Sanktions-Diktat der Supermacht USA. Diese ist (noch) so einflussreich, dass sie alle Kritik, Urteile und Forderungen ignorieren kann.
UN-Experten: «Verstoss gegen grundlegende Prinzipien des Völkerrechts»
Allerdings werden internationale Forderungen nach einem Ende der Blockade-Politik lauter, das machten die zahlreichen Statements in der UN-Vollversammlung deutlich. Bei diesen jährlichen UN-Abstimmungen steht die US-Regierung isoliert am Pranger. Trotzdem haben die USA ihre Massnahmen gegen Kuba noch verschärft. Kurz vor dem Ende seiner Präsidentschaft liess Donald Trump Kuba willkürlich auf die Liste jener Staaten setzen, die in Washington als Staatliche Förderer des Terrorismus gelten (State Sponsors of Terrorism, SSOT). In dieser berüchtigten Liste sind auch Iran, Nordkorea und Syrien aufgeführt. Diese Staaten und alle, die mit Ihnen Geschäfte machen, sind scharfen unilateralen Sanktionen unterworfen.
Eine Expertengruppe der Vereinten Nationen hat die US-Administration dringend dazu aufgefordert, dieses Vorgehen zu prüfen. Denn die von den USA als «Terrorismus-Förderer» gebrandmarkten Staaten und deren Bevölkerung werden dadurch zusätzlich zu den bereits verhängten Sanktionen geschädigt. So wies die UN-Expertengruppe darauf hin, dass durch die Aufnahme in die SSOT-Liste grundlegende Menschenrechte, einschliesslich des Rechts auf Nahrung, des Rechts auf Gesundheit, des Rechts auf Bildung, der wirtschaftlichen und sozialen Rechte, des Rechts auf Leben und des Rechts auf Entwicklung deutlich negativ beeinflusst würden. Die Benennung erfolgt unilateral durch die US-Regierung, und allein dies «verstösst gegen die grundlegenden Prinzipien des Völkerrechts, einschliesslich des Grundsatzes der souveränen Gleichheit der Staaten, des Verbots der Einmischung in die inneren Angelegenheiten von Staaten und des Grundsatzes der friedlichen Beilegung internationaler Streitigkeiten», so die Experten.
Die Kritik an der US-Blockade wächst. NGOs, Parteien, kirchliche Organisationen, Verbände und Solidaritätsgruppen weltweit fordern die US-Regierung auf, die Politik der drakonischen Wirtschaftssanktionen zu beenden und normale bilaterale Beziehungen zu Kuba aufzunehmen. Auch in der Zivilgesellschaft der USA werden die Stimmen lauter, die ein Ende der Kuba-Blockade fordern. Über hundert Städte in den USA haben entsprechende Resolutionen verabschiedet, darunter New York, Washington, Chicago, Boston, San Francisco und Sacramento. Resolutionen für eine Aufhebung der Blockade haben auch die Parlamente der US-Bundesstaaten Minnesota, Michigan, Illinois und Alabama verabschiedet.
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