Kreditgeldschöpfung als Vermögensdelikt

Make love not law: Kreditgeldschöpfung als Vermögensdelikt

Carlos A. Gebauer (ef-magazin)

Ein Strafrechtsprofessor macht die juristische Fachgemeinde bösgläubig

Kurz vor seinem Tod berichtete Wilhelm Hankel von einem Eindruck, den er zuletzt in Karlsruhe gewonnen hatte. Bei der letzten Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts über die „Euro-Rettung“, an der er teilnahm, seien von den Richtern erstmals die wirklich substantiellen Fragen erörtert worden. Die anschließend vernichtende Beurteilung des Euro-Rettens durch das Gericht hat er zwar nicht mehr erlebt. Sie hätte seiner Intuition aber Nahrung gegeben.

Was könnte – den Eindruck Hankels als zutreffend unterstellt – diesen intellektuellen Entwicklungssprung der Verfassungsrichter ausgelöst oder befördert haben? An einer Stelle mit wenig Breitenwirkung findet sich ein vielleicht maßgeblicher Hinweis. Und selbst wenn ihm für dieses Mal noch kein tatsächlich kausaler Beitrag zur richterlichen Erkenntnis zugekommen wäre, so dürfte er doch in absehbarer Zukunft nicht ohne Wirkung bleiben.

Im Mai 2013 nämlich erschien im Verlag Duncker & Humblot die „Festschrift für Wolfgang Frisch zum 70. Geburtstag“. Mit derartigen Festschriften ehren akademische Juristen ihre anerkannten Fachkollegen. Es gibt nichts Seriöseres als solche Bände, zumal dann, wenn sie in diesem ehrwürdigen Verlag erscheinen. Es gibt aber regelhaft auch nichts von der breiten Öffentlichkeit Überseheneres als solche Werke, die in sperrigstem Deutsch Jura auf dem Hochseil tanzen.

Die Festschrift über „Grundlagen und Dogmatik des gesamten Strafrechtssystems“ sticht für den hiesigen Zusammenhang durch zwei Umstände hervor. Zum einen dadurch, dass einer ihrer Mitautoren den Namen Andreas Voßkuhle trägt und amtierender Präsident des Bundesverfassungsgerichts ist. Zum anderen dadurch, dass ein anderer Mitautor, der emeritierte Strafrechtsprofessor Michael Köhler, zu dem Werk einen ganz bemerkenswerten Aufsatz beigesteuert hat. Weniger die Überschrift des Beitrags („Humes Dilemma – oder: Was ist Geld?“) als vielmehr sein Untertitel lässt aufhorchen: „Geldschöpfung der Banken als Vermögensrechtsverletzung“! Unter diesem Titel – mit leider bisweilen wenig schöner Grammatik – arbeitet der Aufsatz das Phänomen des privaten Geldschöpfungsaktes klar auf. Er schließt mit der nüchternen Forderung: „Das Geldschöpfungs-Privileg der Banken hat keine Grundlage im geltenden Recht. Eine prinzipien- und verfassungsorientierte Gesetzgebung wird es daher klarstellend aufheben.“

Welche Überlegungen führen einen deutschen Strafrechtsprofessor in derart etabliertem Umfeld, fern von allen Verschwörungstheoretikern, Semiintellektuellen oder sonst philosophisch Halbstarken, offenkundig mindestens geduldet von Verlag und Mitautoren, zu dieser brachialen Erkenntnis? Es sind die Ergebnisse breiter akademischer Lektüre

und sauberer, rechtshistorisch abgesicherter, juristischer Arbeit! Und es ist die zusätzliche Absicherung durch ausgesucht fachkollegialen Rat. Der Strafrechtler Michael Köhler hat nicht nur den Bonner Bankenrechtler Johannes Köndgen konsiliarisch hinzugezogen, sondern mit der ehemaligen Richterin am Oberlandesgericht Marlene Brockstedt weitere Vorsorge gegen eigenen Irrtum getroffen.

Zu Beginn thematisiert Köhler – gestützt auf die Klassiker der nationalökonomischen Literatur – das geldpolitische Drama der Geldmengenausdehnung durch unser Bankensystem. Deutlich arbeitet er die Zusammenhänge zwischen der zunehmenden Kreditfinanzierung der Staatstätigkeit, dem Geldmengenwachstum, der Währungsinflation und dem Staatsversagen hinsichtlich der (verfassungsrechtlich doch eigentlich verbürgten) Preisstabilität heraus. Klar sieht er, dass es einen Zusammenhang zwischen Eigentumsschutz und Geldwertstabilität geben müsste, der aber derzeit von der gelebten Verfassungsdoktrin „nicht vollzogen“ werde. Weder können sich die Teilnehmer am Rechts- und Wirtschaftsverkehr verlässlich in der Zeit disponierend bewegen, wenn der Wertaufbewahrungscharakter des Geldes durch immerwährenden Kaufkraftverlust infrage gestellt ist, noch auch kann eine selbstbestimmte Beteiligung breiterer Bevölkerungskreise an allgemeinen Produktivitätsgewinnen unter den Bedingungen eines kontinuierlich erodierenden Geldwertes erreicht werden. Der Schuldenstaat schafft sich somit faktisch dauernd dasjenige Klientel, das er durch immer neue kreditgestützte Umverteilung mühevoll alimentiert. „Wohlstand für alle“ wird so aber nie erreicht, die „illusionär-künstliche Nachfrage mittels Kreditgeldschöpfung“ à la Keynes untergrabe ihre eigenen Fundamente. Mehr noch: „In jüngerer Zeit wird der scheinbare Königsweg gegangen, den einen zu geben, den anderen aber nicht zu nehmen, sondern die Kosten in Form enormer Staatsverschuldung vorläufig zu verschieben.“ Dies führe absehbar zu nichts anderem als zum Verlust des gesellschaftlichen Zusammenhalts.

Ob gemäß Köhlers Vorschlag Geldwertstabilität künftig durch eine staatlich organisierte, an Produktivitätszuwächsen orientierte Vergrößerung der Geldmenge zu erreichen ist, mag man trefflich bezweifeln. Zum einen hat augenscheinlich genau diese Institution namens „Staat“ mit ihrer für geeignet erachteten geldpolitischen Mittelwahl bislang mitnichten erfolgreich unser Geld verwaltet. Wie Köhler selbst feststellt, ist die Vereinbarung zwischen Handelspartnern darüber, was den Wert einer Sache – und also mindestens mittelbar auch den Wert einer Geldeinheit – ausmache, nie objektiv messbar, sondern stets je subjektiv-besonders. Die Hoffnung auf einen weisen Steuermann namens Staat dürfte hier also schon an dem dann angemaßten, in Wahrheit aber fehlenden Steuerungswissen des Steuermannes scheitern. Zum anderen aber ist ökonomisch keineswegs ausgemacht, dass eine einmal gegebene Geldmenge mit zunehmend verfügbaren Produktivgütern auch notwendig steigen muss. Wächst nämlich die Gütermenge bei gleichbleibender Geldmenge, steigt die Kaufkraft je Geldeinheit, was jeden Sparer begünstigt. Insbesondere weniger Vermögende profitieren also. Im Kontext seiner Zinserörterungen sieht Köhler genau diesen Effekt sehr genau: „Eigentlich müsste sich in der ihre Produktivität ständig steigernden Ökonomie die Erhöhung des Sozialproduktes in realen Einkommenssteigerungen für alle niederschlagen – und zwar durch stetigen Anstieg der Kaufkraft der Geldeinheiten.“ Exakt so ist es. Geldmengenausweitungen, auch angemessene, seriös organisierte, konterkarieren diesen Effekt. Interessanterweise wird übrigens nicht vorgeschlagen, die Geldmenge dort manipulativ zu vermindern, wo zum Beispiel Naturkatastrophen gewaltige Gütermengen vernichten. Dies wäre aber wohl die konsequente Anwendung der Theorie auf diesen Fall.

Jenseits seines ungebrochenen Vertrauens in eine staatliche Geldverwaltung und jenseits dieser diskussionswürdigen Geldmengenausweitung brilliert Köhler jedenfalls mit seinen juristischen Darlegungen. Die heutige Auffassung, ein der Bank als jederzeit verfügbares Giralgeld zur Verwahrung anvertrautes Kundenkapital dürfe von dieser ebenso weitergegeben werden wie ein bei ihr darlehenshalber als Festgeld angelegtes, ist schlichtweg Unrecht. Köhler fragt: „Wie sollte dieselbe Geldwerteinheit dem Einleger verfügbar bleiben und zugleich der Bank für Darlehensgebung nutzbar sein dürfen?“ Genau diese – von Gesetz und Bankverträgen nur duldsam verschwiegene – Verdoppelung der Einheit gebiert neues Geld aus dem Nichts. Diese Geldschöpfung ist zwar keine förmliche Geldfälschung, aber sie ist nach dem materiellen Verbrechensbegriff „ein vergleichbares Vermögensverschiebungsdelikt“, sagt der Strafrechtsprofessor. Denn „der Vorgang wirkt wie das Münzverschlechtern“.

Das System ist also tiefes Unrecht und Michael Köhler hat es der juristischen Fachgemeinde unübersehbar an eine Wand ihrer Herzkammer geschrieben. Erzählen wir allen anderen Organen davon!

Information

Diesen Artikel finden Sie gedruckt zusammen mit vielen exklusiv nur dort publizierten Beiträgen in der am 22. März erscheinenden April-Ausgabe eigentümlich frei Nr. 141.

 

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