Der Bundespräsident hat’s unterschrieben. Also stimmt es.
Seit der jüngsten Grundgesetzmodernisierung steht nun also die Klimaneutralität im Grundgesetz. Sie steht da ungefähr so im Weg herum wie das vom Lieferdienstfahrer im Treppenhaus abgestellte Paket. Auf dem Adressaufkleber steht nur „DEM DEUTSCHEN VOLKE“, aber niemand hat es bestellt und niemand weiß, was drin ist.
Die Meinungen gehen krass auseinander.
- Diejenigen, die der Klimaneutralität tatsächlich größte Bedeutung beimessen und sie sogar für ein unumstößliches Staatsziel halten, halten nichts davon und würden sie am liebsten gleich wieder streichen.
- Die anderen, also diejenigen, die sie unbedingt im Grundgesetz haben wollten, halten tapfer dagegen und behaupten, das hätte keine Bedeutung und habe auch mit der Zusätzlichkeit des Sondervermögens nichts zu tun, denn nicht alles, was da im Grundgesetz herumsteht, sei deswegen gleich Staatsziel, und die Klimaneutralität schon gar nicht.
Warum die Klimaneutralität, wenn sie nichts zu bedeuten hat, unbedingt rein musste, ins Grundgesetz, lässt sich weder aus den Argumenten der Gegner, noch aus den Argumenten der Befürworter ergründen. Der Ball wird daher bald in der Hälfte des Verfassungsgerichts liegen. Man kann kritisieren, dass das Verfassungsgericht bei der Gewaltenteilung auch hier wieder eine ganze Spielfeldhälfte für sich bekommt, aber dann müsste man auch kritisieren, dass sich die Regierung alleine in der anderen Hälfte breit gemacht hat, und man müsste kritisieren, dass es sich stets um Freundschaftsspiele handelt, deren Ablauf und Ergebnis bei opulenten Abendessen im kleinen Kreise vorbesprochen werden.
Zurück zur Klimaneutralität.
In Artikel 143h, Grundgesetz, ist nun festgehalten:
Der Bund kann
ein Sondervermögen mit eigener Kreditermächtigung
für zusätzliche Investitionen in die Infrastruktur und
für zusätzliche Investitionen zur Erreichung der Klimaneutralität bis zum Jahr 2045
mit einem Volumen von bis zu 500 Milliarden Euro
errichten.
„kann“ – Dem Bund ist also freigestellt, was ihm ansonsten verboten wäre. Den Bund trifft daraus jedoch keine Verpflichtung, er kann es ebenso auch lassen. Die entscheidende Frage ist jedoch, was dem Bund in der Sache tatsächlich freigestellt ist, und diese Frage ist gekoppelt an jenes ominöse
„und“. „Und“ gehört zur Gattung der Bindewörter und übt in diesem Falle eine Bindungswirkung auf den Bund, bzw. auf jene Organe aus, die den Bund nach außen vertreten. Damit ist, solange es eine handlungsfähige solche gibt, die Regierung gemeint.
Die Regierung kann also bis zu 500 Milliarden Schulden aufnehmen. Das ist soweit zweifelsfrei. Um diesen Topf konkurrieren jedoch zwei unterscheidbare Staatsaufgaben, nämlich die Aufgabe, zusätzliche Investitionen in die Infrastuktur vorzunehmen, und die Aufgabe, zusätzliche Investitionen zur Erreichung der Klimaneutralität bis zum Jahr 2045 zu tätigen.
Die aus der Schuldenaufnahme jeweils für Infrastruktur und Klimaneutralität anzusetzenden Anteile sind nicht festgelegt. Damit ist die den Grünen für deren Zustimmung zur Grundgesetzänderung gegebene Zusage, aus den 500 Milliarden Euro 100 Milliarden Euro in den Klima- und Transformationfonds zu übertragen, offenkundig rechtlich nicht bindend. Das steht so nicht im geänderten Grundgesetz. Ein Koalitionsvertrag soll nach derzeitigem Erkenntnisstand mit den Grünen auch nicht geschlossen werden, und selbst wenn sich Union und SPD diese 100 Milliarden für den Klima- und Transformationsfonds in ihren Koalitionsvertrag hineinschreiben sollten, hätte das im Außenverhältnis keine Wirkung und im Innenverhältnis nur insoweit, dass einer der Partner einen weiteren, ihn begünstigenden Kuhhandel einfordern oder die Koalition aufkündigen müsste, um seinen Protest zum Ausdruck zu bringen.
Selbst wenn also ein Gericht in den Artikel 143h hineininterpretieren sollte, dass der Bund nur „kann“, wenn das Sondervermögen sowohl für Infrastruktur als auch für Klimaneutralität genutzt wird, nicht aber wenn es ausschließlich für Infrastruktur oder ausschließlich für Klimaneutralität genutzt werden soll, wäre diese Vorschrift mit dem einen symbolischen Euro für das Klima und 499.999.999.999 Euro für die Infrastruktur buchstabengetreu erfüllt. Umgekehrt übrigens ebenfalls.
Solchen Blödsinn schreibt man aber nicht in ein Gesetz, und schon gar nicht in das Grundgesetz, es sei denn, man will etwas ganz anderes damit erreichen.
Das ganz Andere findet sich im Spruch des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 2021, in welchem über Klagen gegen die Bundesregierung wegen Untätigkeit in Bezug auf Artikel 20a Grundgesetz befunden wurde, der im Jahre 1994 in das Grundgesetz eingefügt wurde und den Umweltschutz in den Verfassungsrang erhoben hat.
Das Verfassungsgericht nutzte diese Klagen, um das Umweltschutzgebot des Artikels 20a zu konkretisieren und die daraus erwachsenden Verpflichtungen zu präzisieren.
Schon in den Leitsätzen des Gerichts zum Spruch vom 24. März 2021, legten die Robenträger fest:
- Art. 20a GG verpflichtet den Staat zum Klimaschutz. Dies zielt auch auf die Herstellung von Klimaneutralität.
- Art. 20a GG genießt keinen unbedingten Vorrang gegenüber anderen Belangen, sondern ist im Konfliktfall in einen Ausgleich mit anderen Verfassungsrechtsgütern und Verfassungsprinzipien zu bringen. Dabei nimmt das relative Gewicht des Klimaschutzgebots in der Abwägung bei fortschreitendem Klimawandel weiter zu.
- Besteht wissenschaftliche Ungewissheit über umweltrelevante Ursachenzusammenhänge, schließt die durch Art. 20a GG dem Gesetzgeber auch zugunsten künftiger Generationen aufgegebene besondere Sorgfaltspflicht ein, bereits belastbare Hinweise auf die Möglichkeit gravierender oder irreversibler Beeinträchtigungen zu berücksichtigen.
Die so nebenbei in Art. 143h erwähnte Klimaneutralität ist also vollständig identisch mit jener Klimaneutralität, die nach dem Beschluss des Verfassungsgerichts bereits in Art. 20a Grundgesetz in der Verpflichtung des Staates zum Klimaschutz enthalten ist.
Weil dem so ist, ist der entscheidende Satz, der mit dem 143h mitgelesen und mitgedachr werden muss, dieser Satz aus den Leitsätzen: „Dabei nimmt das relative Gewicht des Klimaschutzgebots in der Abwägung bei fortschreitendem Klimawandel weiter zu.“ In Bezug auf das 500 Milliarden Sondervermögen angewandt, bedeutet diese höchstrichterliche Vorgabe, dass der Anteil der Aufwendungen für die Klimaneutralität Jahr für Jahr steigen muss, weil der Klimawandel schließlich Jahr für Jahr fortschreitet. Dafür sorgen schon unsere Mitbewohner in der internationalen planetaren Wohngemeinschaft, die munter weiter jenes CO2 emittieren, dessen Anteil an der Atmosphäre den menschengemachten Klimawandel so zuverlässig anzeigt wie der Flug der Störche den demoskopischen Wandel.
Selbst für den Fall, dass der Klimawandel einmal nicht fortschreiten sollte, oder für den Fall, dass kritische Wissenschaftler dermaleinst etwas mehr Gehör finden sollten, ist vorgesorgt. Denn solange Ungewissheit herrscht, soll es nach höchstrichterlicher Auffassung genügen, wenn belastbare Hinweise auf die Möglichkeit (des späteren Eintretens) gravierender oder irreversibler Beeinträchtigungen vorliegen.
Machen wir uns nichts vor: Seit die Klimakatastrophe angekündigt wird, gibt es jene Sorte belastbarer Hinweise auf bloße Möglichkeiten, die eben nur Hinweise, aber keine Beweise sind, und wenn es Beweise wären, dann eben nur Beweise für eine theoretische Möglichkeit von unbestimmter Wahrscheinlichkeit, und nicht für das tatsächliche Eintreten von Beeinträchtigungen. Hunderte Milliarden, wahrscheinlich bereits Billionen, haben wir ohne Rücksicht auf Verluste in Fässer ohne Boden gesteckt, um aufzuhalten, wofür es lediglich Hinweise auf Möglichkeiten gibt. Nun sollen auch noch die begründeten Zweifel an diesen Hinweisen und den Hinweisgebern wegen vorgeblicher Verfassungsfeindlichkeit strafbewehrt verboten werden, und das nur, weil Friedrich Merz so sehr fürchtete, als Kanzler zu versagen, müsste er denn unter dem Wirken der Schuldenbremse und ohne weiteres Sondervermögen seine Wahlversprechen einlösen, dass er dem Teufel seine Seele den Grünen unser Grundgesetz verkaufte.
Allerdings ist der fleischgewordene Wortbruch jetzt als Kanzler gar nicht mehr erforderlich.
Die Chance, eine frische, unbelastete Kraft ans Ruder zu bringen.
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