„Keine Hetzjagden in Chemnitz“: Alles nur Fake News?

Alexander Boos (sputniknews)

Erst sprechen Medien von „Hetzjagden auf Menschen mit Migrationshintergrund“ in Chemnitz. „Solche Zusammenrottungen und Hetzjagden nehmen wir nicht hin“, sagt daraufhin Steffen Seibert, Sprecher der Bundesregierung. Nun zitieren Medien die Dresdner Staatsanwaltschaft: „Es gab nach bisherigem Kenntnisstand keine Hetzjagden.“ Sputnik hakt nach.

„Ich wurde in letzter Zeit häufig falsch zitiert. Oft wurde mein zweiter Satz weggelassen“, sagte Oberstaatsanwalt Wolfgang Klein, Pressesprecher der zuständigen Generalstaatsanwaltschaft Dresden, am Dienstag gegenüber Sputnik. „Denn es ist so: Wir prüfen aktuell sämtliche verfügbare Videos der Demonstrationen in Chemnitz auf mögliche Straftaten. Und es ist tatsächlich so, dass wir – bei der bisher gesichteten Menge an Video-Material – bisher keine Hinweise auf menschliche Hetzjagden finden konnten. Jedoch: Wir prüfen immer noch. Es könnte sein, dass sich da noch Hinweise auftun werden. Wie lange der Prüfprozess dauern wird, können wir derzeit nicht sagen.“ Im Blickfeld stehen dabei besonders die Proteste in Chemnitz vom 26. und 27. August.

Allerdings räumte der Sprecher der sächsischen Staatsanwaltschaft ein: „Wir prüfen nur Filmaufnahmen von den Demos. Was drumherum passiert ist, sprich: Was sonst noch im Chemnitzer Stadtgebiet passiert ist, können wir demzufolge gar nicht sagen.“ Er wurde in den letzten Tagen häufig mit folgenden Worten zitiert: „Nach allem uns vorliegenden Material hat es in Chemnitz keine Hetzjagd gegeben.“ Dazu schrieb beispielsweise das Polit-Magazin „Publico“ am Samstag: „Damit widerspricht er direkt den Behauptungen von Kanzlerin Angela Merkel und ihrem Sprecher Steffen Seibert, die beide unter Berufung auf von ihnen nicht näher beschriebene Videos behauptet hatten, in Chemnitz hätten ‚Hetzjagden‘ stattgefunden – also sogar mehrere.“ Bundeskanzlerin Merkel (CDU) sagte auf der Bundespressekonferenz Ende August sogar: „Wir haben Videoaufnahmen, dass es Hetzjagden gab.“

Chemnitzer Zeitung: „Keine Hetzjagden“

Nun tauchen in den letzten Tagen immer mehr Pressemeldungen auf, die alle übereinstimmend berichten: Es habe nachweislich keine menschlichen Hetzjagden in der sächsischen Industriestadt bei den Protesten nach dem Mord an dem 35-jährigen Chemnitzer Daniel H. gegeben. „Darum sprechen wir nicht von Hetzjagd“, schreibt beispielsweise die Chemnitzer Zeitung „Freie Presse“, deren Reporter tagelang direkt vor Ort waren.

„Wir, die Redaktion der Freien Presse, haben uns bewusst entschieden, für das Geschehen am Sonntag von Anfang an den Begriff Hetzjagd nicht zu verwenden, weil er aus unserer Sicht nicht zutrifft. (…) Es gab aus der Demonstration heraus Angriffe auf Migranten, Linke und Polizisten. So wurde Menschen über kurze Distanz nachgestellt. Insofern wäre der Begriff ‚Jagdszene‘ noch gerechtfertigt. Eine ‚Hetzjagd‘, in dem Sinne, dass Menschen andere Menschen über längere Zeit und Distanz vor sich hertreiben, haben wir aber nicht beobachtet.“

Auf der Jagd nach den Videos

„Gab es ‚Hetzjagden‘ in Chemnitz?“, fragt ebenso das News-Portal „ÜberMedien“. „Hetzjagden auf Menschen mit Migrationshintergrund? Seit Tagen wird das so kolportiert, von etlichen Medien, Politikern, auch im Statement des Regierungssprechers, der unter anderem sagte, ‚solche Zusammenrottungen, Hetzjagden auf Menschen anderen Aussehens‘, wie es sie in Chemnitz gegeben habe, dulde die Bundesregierung nicht.“

Dieses kurze Video dient bisher als einzige Grundlage für die Behauptung, in Chemnitz hätte es Hetzjagden gegeben. Es entstammt einer linksradikalen Quelle. (Quelle: Facebook „Antifa Zeckenbiss“)

Als Grundlage für die Behauptung, in der sächsischen Stadt hätte es Hetzjagden gegeben, diente bisher nur ein einziges im Netz aufgetauchtes Video. Es trägt den Titel „Sachsen: Menschenjagd in Chemnitz“ – und entstammt einer „Antifa“-Gruppe, einer nach eigenen Aussagen linksradikalen Quelle. Weitere solche Bilder oder Videos sind bisher nicht aufgetaucht. Offen bleibt jedoch, ob die Dresdner Generalstaatsanwaltschaft in den noch zu prüfenden Videos Szenen von menschlichen Hetzjagden finden wird.

Beharrt Bundesregierung auf „Hetzjagd-Vorwurf“?

Am Montag stellte Sputnik eine Anfrage direkt an das Presseamt und an den Pressesprecher der Bundesregierung, Steffen Seibert. Diese wurde von einer Mitarbeiterin des Bundespresseamts am Dienstag mit Verweis auf eine aktuelle Pressemitteilung der Bundesregierung beantwortet. Die Mitteilung verurteilt zwar erneut die Vorgänge in Chemnitz – aber auf das Wort „Hetzjagd“ verzichtet sie völlig. „Regierungssprecher Seibert hat an seiner Darstellung der Ereignisse von Chemnitz festgehalten“, schreibt dazu aktuell die „Junge Freiheit“. „Seibert nahm das Wort ‚Hetzjagd‘ diesmal nicht in den Mund – wollte aber keine ‚semantische Debatte‘ über ein Wort führen“, ergänzt der „Spiegel“ in seiner Online-Ausgabe.

„Doch, Herr Seibert, genau diese Debatte müssen wir jetzt dringend führen!“, fordert Bundestagspolitiker Leif-Erik Holm (AfD) in einer aktuellen Pressemitteilung. „Da die Kanzlerin bekanntermaßen noch vor kurzem gefordert hat, sorgsam mit der Sprache umzugehen, sollte das wohl auch für die Merkel-Regierung selbst gelten.“

Derweil fordert ein sächsischer Abgeordneter der AfD politische Konsequenzen. „Nach dieser offiziellen Aussage der sächsischen Generalstaatsanwaltschaft verlangen wir von der Kanzlerin, die angeblichen Videos über die Menschenjagden vorzulegen“, sagte Siegbert Droese, Bundestagsabgeordneter und stellvertretender sächsischer AfD-Landeschef laut einer aktuellen Presseerklärung seiner Partei, die der Redaktion vorliegt.

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