Swobodnaja Pressa (sputniknews)
Der Bürgerkrieg in Syrien nähert sich offenbar seinem Ende. Die Truppen von Präsident Baschar al-Assad müssen nur noch die Provinz Idlib unter ihre Kontrolle bringen, und dann steht der Nachkriegswiederaufbau bevor.
Allerdings ist die türkische Zeitung „Yeni Safak“ der Auffassung, dass in der Region noch erbitterte Gefechte ausbrechen könnten – nach dem Prinzip „alle gegen alle“. Und im Vergleich dazu würde sogar der Syrien-Konflikt relativ harmlos aussehen. Der Grund: Die Großmächte werden um die gigantischen Energieressourcen im östlichen Mittelmeerraum kämpfen.
Der Journalist Kiymet Sezer schrieb dazu, dass sich im östlichen Teil des Mittelmeerraums die drittgrößten Gasvorräte weltweit befänden. Damit habe das Wettrennen um diesen Reichtum schon begonnen. Am 28. September werde der Konzern Exxon Mobil die Erschließung in dem Gebiet beginnen, das Zypern als seine ausschließliche Wirtschaftszone betrachte. Zudem werden dort auch Unternehmen wie Total, Shell, ENI, Qatargas, Noble Enerji und Kogas handeln.
Natürlich beansprucht auch das international nicht anerkannte Nordzypern (sprich Ankara) diese Vorkommen. Möglicherweise gerade deshalb haben die griechisch-zyprischen Behörden im Voraus Frankreich das Recht überlassen, einen Luft- und Marinestützpunkt auf der Insel zu nutzen. Diese Buchten und Flugplätze beanspruchen auch die USA. Und auch Großbritannien hat zwei Militärstützpunkte auf Zypern.„Yeni Safak“ verwies darauf, dass die Konzentration von Kriegsschiffen verschiedener Länder in der Region so gut wie von Woche zu Woche größer werde. „Frankreich hat schon seit langem ein Kriegsschiff im östlichen Mittelmeer. Eine ständige Nato-Gruppierung befasst sich im Mittelmeer mit diversen Aufgaben, woran sich drei Schiffe beteiligen, und andere Länder schicken ab und zu ihre Schiffe dorthin. Auch die Präsenz der Russen im Mittelmeer wird von Tag zu Tag größer“, so der Autor. Nach seinen Worten kontrollieren die westlichen Länder schon jetzt etwa 60 Prozent des Öls im Persischen Golf. Und jetzt sei auch das östliche Mittelmeer an der Reihe, und zwar „wegen der großen Gasvorräte“.
Aber auch die Türkei baut ihre militärische Präsenz im östlichen Mittelmeerraum aus. Im Februar hatte Ankara den Weg für ein Bohrschiff des italienischen Konzerns ENI gesperrt, weil es angeblich die Rechte der Türkei verletzt hätte. Die Sucharbeiten am Schelf wurden den Italienern untersagt. Die Türken wollen sich damit nämlich selbst befassen.
Das alles könnte nach Auffassung von Kiymet Sezer zu umfassenden Kriegshandlungen führen, „denn wenn irgendwo Energieressourcen entdeckt werden, beginnt dort ein Massaker“. Diese Gefahr drohe dem östlichen Mittelmeerraum.
Alle gegen Alle? Das sind die Interessenten…
Der Kampf um diese Region wurde schon im Jahr 2009 heftiger, als US-Unternehmen zum ersten Mal große Gasvorräte vor der libanesischen Küste entdeckten. Zuvor hatte das Mittelmeer als Raum gegolten, wo es kaum solche Energieträger gibt.
Und im Juni 2010 entdeckte die US-amerikanische Ölgesellschaft Noble Energy am Mittelmeerschelf, 135 Kilometer westlich im israelischen Haifa ein Gasfeld, das den Namen „Leviathan“ bekam. Die Vorräte dort werden auf mindestens 450 Milliarden Kubikmeter geschätzt. Im Herbst 2011 wurde in der zyprischen ausschließlichen Wirtschaftszone, 160 Kilometer von Limassol, das Vorkommen „Aphrodite“ (170 Milliarden Kubikmeter Gas) entdeckt. Und seit 2015 ist das Gasfeld Zohr bekannt, dessen Vorräte vermutlich 850 Milliarden Kubikmeter erreichen.
Interesse für die Erschließung des Levante-Beckens zeigen so gut wie alle größten Energiekonzerne der Welt. Noble Energy agiert neben Zypern auch am israelischen Gasfeld. Am Gasfeld Zohr sind ENI, Rosneft (Russland) und BP aktiv.
Auch Syrien will übrigens an seinem Schelf Gas gewinnen. Ende 2017 erklärte der Öl- und Rohstoffminister Ali Ghanem, die Förderung könnte schon Anfang 2019 beginnen. Nach seinen Worten hat Damaskus entsprechende Verträge „mit befreundeten Ländern“ abgesprochen. Eines von diesen Ländern ist offenbar Russland.Am 31. Januar 2018 unterzeichneten Moskau und Damaskus einen „Fahrplan“ für die Kooperation im energetischen Bereich. Das Dokument sieht die „phasenweise Umsetzung von strategisch wichtigen Wiederaufbau- bzw. Modernisierungsprojekten sowie den Bau von neuen Energieobjekten in Syrien“ vor. Nach Angaben des US-amerikanischen Geologischen Dienstes könnten sich die Gasvorräte am syrischen Schelf auf 700 Milliarden Kubikmeter belaufen, was doppelt so viel wie auf dem Festland wäre.
Im Februar intensivierte auch Libanon seine Tätigkeit am Schelf. Die Rechte für die Gaserschließung bekam der russische Konzern NOVATEK gemeinsam mit Total und ENI. Nach Einschätzung der Behörden in Beirut belaufen sich die Gasvorräte in ihrer ausschließlichen Wirtschaftszone auf 700 Milliarden Kubikmeter. Das Problem ist, dass einen Teil dieses Schelfs auch Israel beansprucht. Verteidigungsminister Avigdor Lieberman unterstrich, dass dieser Raum „nach allen Standards uns gehört“.
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Auch die Türkei ist in dieser Hinsicht aktiv. „Es ist unser souveränes Recht, diese Ressourcen zu erschließen“, sagte Außenminister Mevlut Cavusoglu gegenüber der griechischen Zeitung „Kathimerini“. Seit Ende 2017 verfügt Ankara über sein erstes modernes Bohrschiff, die „Deepsea Metro II“.
„Das ist ein äußerst wichtiger Faktor des Konfliktpotenzials in der Region“, sagte Grigori Lukjanow von der Moskauer Higher School of Economics in Bezug auf die Rolle des Öl- und Gassektors im östlichen Mittelmeerraum. „Die Länder, die bisher keine Öl- bzw. Gasriesen waren, sind jetzt gefährlich für die traditionellen sozialwirtschaftlichen und politischen Beziehungen in der Region“, betonte er in einem Interview für RT.
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Geopolitik statt Wirtschaftsinteressen
Der Experte Igor Juschkow des Fonds für nationale Energiesicherheit will allerdings die Gefahr eines militärischen Konflikts wegen der Öl- bzw. Gasressourcen nicht überschätzen. Zumal die bewiesenen Vorräte in Wahrheit nicht so groß sein könnten. Zum Vergleich: In Russland belaufen sich die bewiesenen Vorräte auf 49,5 Billionen Kubikmeter Gas. Im vorigen Jahr exportierte Gazprom allein nach Europa 194,4 Milliarden Kubikmeter Gas.
„Es ist zumindest zu früh, zu behaupten, die Gasvorräte im östlichen Mittelmeerraum wären die drittgrößten der Welt. Wir haben schon die Erfahrungen Israels, Zyperns und Griechenlands bei der Erschließung des Schelfs gesehen. Und am griechischen und zyprischen Schelf stellte sich heraus, dass die Vorräte viel geringer als erwartet sind“, so der Branchenkenner. „Vor etwa fünf Jahren hatte sich eine Art ‚Dreibund‘ aus Israel, Griechenland und Zypern gebildet, dessen Vertreter weltweit reisten und von ihren angeblich riesigen Gasreserven erzählten – und Investoren anlockten“, sagte Juschkow.
„Dabei genossen sie die Unterstützung der Unternehmen, die sich mit der Erschließung ihres Schelfs befassten. In Wirklichkeit aber war das im Grunde nichts als Marketing. Und später mussten die Investoren erfahren, dass die wahren Vorräte viel geringer sind. Und die Konzerne, die ihnen die Erschließungsrechte überlassen hatten, zeigten sich nur ratlos und betonten, es hätte sich nur um vorläufige Angaben gehandelt, und es komme nun einmal oft vor, dass die wahren Vorräte kleiner als erwartet seien. Meines Erachtens sehen wir eine ebensolche Geschichte“, so Juschkow.
Eine gewisse Rolle spielt nach seinen Worten auch der Umstand, dass der Syrien-Krieg laut einer der Versionen wegen der Öl- und Gasvorräte entfesselt worden wäre. In Wahrheit sei das nur einer der Faktoren gewesen. Noch vor dem Kriegsausbruch seien die Ressourcen Syriens nahezu erschöpft gewesen. Und falls seine Vorräte nicht so groß seien, dass man deswegen Krieg führen müsste, würden sie nur für die Deckung des Eigenbedarfs Syriens reichen, betonte der Experte.
Der Direktor des Internationalen Instituts für neuste Staaten, Stanislaw Tarassow, zeigte sich ebenfalls überzeugt, dass der energetische Aspekt nicht die wichtigste Rolle im Schicksal der Nahost-Region spiele: „Den tatsächlichen Grund für die Anspannung im Nahen Osten und im östlichen Mittelmeer sollte man irgendwo anders suchen. Es geht um geopolitische Spiele der Großmächte und um den Aufbau einer neuen Weltordnung. Und die Schelferschießung in Griechenland, Zypern oder Israel spielt nur eine Nebenrolle. Diese Länder greifen auf das ‚Gasargument‘ zurück, um ihre Positionen in der internationalen Arena zu verbessern und ihre eigenen Probleme zu lösen. Diese Energieressourcen können nur dann genutzt werden, wenn in der Region Stabilität (…) herrscht. Aber vorerst kommt das nicht infrage.“
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