Interview mit Herrn Prof. Dr. Wilhelm Hankel

Interview mit Herrn Prof. Dr. Wilhelm Hankel

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Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Wilhelm Hankel,
laut wikipedia waren Sie von 1972-1973 Präsident der Hessischen Landesbank (Helaba). Ihnen wurde vorgeworfen, den Verwaltungsrat nicht rechtzeitig über die Milliardenverluste informiert zu haben. Daraufhin traten Sie am 17. Dezember 1973 von Ihrem Amt zurück.
Möchten Sie heute, nach fast 40 Jahren, dazu kurz Stellung nehmen?

Prof. Dr. Hankel
Man hat mir damals die Verluste vorgeworfen, die mein Vorgänger im Einvernehmen mit der damaligen Hessischen Landesregierung zu verantworten hatte. Ich bin nach gerichtlicher Richtigstellung entlastet worden. Da war ich längst Professor an der Harvard University in den USA.

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Sie waren ein vertrauter Mitarbeiter von Karl Schiller, der von 1966 bis 1972 Bundesminister für Wirtschaft und zusätzlich von 1971 bis 1972 Bundesminister der Finanzen war. Ohne Zweifel, er war einer der besten in diesen Ämtern, die die Bundesrepublik Deutschland je hatte.
Was meinen Sie, hätte Karl Schiller auch die Umstellung von der D-Mark zum Euro, wie seinerzeit Theo Waigel, mitgemacht? Und was würde er heute dazu sagen?

Prof. Dr. Hankel
Karl Schiller hat wenige Monate vor seinemTod in einem SPIEGEL- Artikel (m.E. 1994) die deutsche Politik und seine Parteigenossen beschworen, die Finger vom Euro zulassen. Deutschland würde sich daran verheben und Europa auch.

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Angenommen, Herr Dr. Philipp Rösler (Wirtschaftsminister), der überhaupt keine wirtschaftswissenschaftliche Ausbildung hat, oder Herr Wolfgang Schäuble (Finanzminister) würden zu Ihnen kommen, um Ihren Rat einzuholen.
Was würden Sie diesen Bundesministern raten?

Prof. Dr. Hankel
Die Politiker sollten nicht immer von „Schuldentragfähigkeit“ sprechen. Europa ist kein Konstrukt für Ingenieure. Es geht um das, was den Menschen zugemutet werden kann – bei Rettern wie den zu Rettenden. Das ist in beiden Fällen zu viel. Wem nützt es, wenn die Ertrinkenden ihre Retter in die Tiefe reißen? Bei Austritt aus der Euro-Zone können sich die überschuldeten Euro-Länder selber helfen, siehe Fälle wie Argentinien, Mexico, Russland, Ukraine oder die meisten EU-Länder, die nicht im Euro sind (Schweden, Polen u.a.)

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Sie sind der Euro-Kritiker der ersten Stunde. Damals schon, vor Einführung des Euro haben Sie vor den Gefahren gewarnt. Gab es seinerzeit überhaupt einen Politiker, der Sie um Ihren Rat gebeten hatte?

Prof. Dr. Hankel
Nur solche, die entweder jedem Gespräch mit mir auswichen, oder die mich anpöbelten („Anti-Europäer“, „DM-Nationalist“, „Sozialromantiker“)

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Wenn es nach Ihnen ginge, sollte Deutschland wieder die D-Mark einführen. Unsere Bundeskanzlerin, Frau Dr. Merkel, sagt aber: “Scheitert der Euro, scheitert Europa.“ Ist es wirklich so?

Prof. Dr. Hankel
Frau Merkels Mantra gilt umgekehrt: „Europa scheitert am Euro“. Wann gab es jemals soviel Spannungen, Missgunst und Unfrieden unter den Europäer nach 1945 wie jetzt? Der Euro ist kein Friedensprojekt für Europa; er polarisiert und weckt den schäbigsten nationalen Eigenutz: Deutschland soll für alle zahlen. Dabei tut es das seit der Euro-Einführung. Ohne Deutschlands Leistungsbilanzüberschüsse schreibt die Euro-Zone (mit Ausnahme der Niederlande, Luxemburgs,Österreichs und Finnlands) tiefrote Zahlen und der Euro wäre längst am Ende. Deutschland profitiert nicht vom Euro, es zahlt für ihn. Jetzt soll aus der privaten Transferunion eine aus Steuermitteln finanzierte werden. Nur eine Rückkehr zu nationalen Währungen kann diese – inzwischen vom Bundesverfassungsgericht untersagte – „Automatik“ stoppen. Doch Frau Merkel scheint das nicht zu kümmern.

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TARGET2 (Trans-European Automated Real-time Gross Settlement Express Transfer System) ist seit 19. November 2007 das gemeinsame Echtzeit-Brutto-Clearingsystem RTGS des Eurosystems (Europäisches System der Zentralbanken). Das Target2-Saldo der Deutschen Bundesbank liegt bei etwa 500 Mrd. Euro (Quelle).
Was genau bedeutet dieser Saldo? Können Sie kurz und für jeden leicht verständlich erklären, worum es hierbei geht?

Prof. Dr. Hankel
Target II ist ein technisches Label für die automatische Zurückschleusung von Fluchtgeld aus den Schuldenstaaten der Euro-Zone in diese zurück: über Bundesbank und EZB. Leider beteiligt sich die Bundesbank daran, obwohl ihr Präsident die „Monetarisierung von Staatschulden“ öffentlich kritisiert. Dies ist eine indirekte und geräuschlose!

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Alle Staaten in Europa stecken im Schuldensumpf. Die einen mehr, die anderen weniger. Der größte Auslandsschuldner der Welt ist die USA. Überall werden Sparprogramme aufgelegt (s. Spanien, Griechenland, Portugal, Italien … usw.). Die geringen Wachstumsraten (niedrige Löhne, schwache Binnenkonjunktur …) lassen nicht zu, dass die Schulden jemals zurückgefahren werden können.
Müssen wir in den nächsten Jahren mit einer massiven Inflation oder sogar mit einer Hyperinflation rechnen?

Prof. Dr. Hankel
Mit Inflation und Deflation gleichzeitig, einer sog. Stagflation. Zur Zeit findet die Inflation an den Kapitalmärkten („asset inflation“), die Deflation an den Arbeitsmärkten fast aller Euroländer statt, mit Ausnahme Deutschlands, der Niederlande, Luxemburgs und der skandinavischen Länder. Solange Deutschland zahlt, hält es diese Schulden-Union zusammen. Das Ende der Euro-Union kommt, entweder wenn die Schuldenländer beschließen, ihre Arbeitslosigkeit mit eigener Währung und eigenen Programmen zu bekämpfen, was sie sollten – oder wenn Deutschland nicht mehr zahlt: der Bankier selber Konkurs anmelden muss.

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In den deutschen Medien liest und hört man immer wieder, dass der Euro die deutsche Wirtschaft beflügelt hat. Toll, das reale Arbeitseinkommen aber stagniert bzw. ist inflationsbereinigt rückläufig. Ist das nicht ein Widerspruch an sich? Wie kann es sein, dass die deutsche Wirtschaft brummt und die Binnenkonjunktur lahmt?

Prof. Dr. Hankel
Nicht die deutsche Wirtschaft brummt, die deutsche Exportindustrie, doch nicht in Euroland, sondern draußen in der Welt. Der Exportanteil der Euroländer ist mit +/- 40 Prozent seit der Euro-Einführung konstant. Opfer der Euro-Politik ist der deutsche Mittelstand – er stellt mehr als zwei Drittel aller Arbeitsplätze. Er zahlt die höchsten Zinsen, denn die Banken bürden ihm ihre hohen Euro-Rückstellungen und Kreditausfälle auf. Und er leidet unter der Stagnation der Binnen-Nachfrage darunter, dass seit der Euro-Einführung die Masseneinkommen auf der Stelle treten, während die Gewinne (besonders im Finanzsektor) explodieren. Gewerkschaften wie Mittelstandspolitiker versagen als Interessenverteter kläglich – vermutlich weil sie Euroblind sind und die volkswirtschaftlichen Konsequenzen einer nicht-mehr-nationalen Währung nicht duchschauen.

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Herr Prof. Dr. Hankel, zusammen mit anderen Professoren haben Sie das Buch, Das Euro-Abenteuer geht zu Ende, herausgebracht. Sie und die anderen Autoren warnen in dem Buch davor, dass der Euro den Frieden und den Wohlstand in Europa vernichtet, sowie vor den Lügen der Politiker von der „Euro-Rettung“.
Glauben Sie wirklich, dass das Euro-Abenteuer bald zu Ende geht, oder ist es nicht wirklich schon zu spät?

Prof. Dr. Hankel
Das Euro-Abenteuer ist ein Spiel mit der Demokratie. Mit dem Euro endet die Demokratie in Europa, denn mit dem Euro und seiner Rettung durch eine Transferunion geht die Macht entweder auf die EU-Kommission oder die bereits etablierte Nebenregierung der Euro-Retter über (Euro-Gruppe, Rettungsfonds). Parlamente und Regierungen nicken dann nur noch ab.
So paradox es klingt und so unwürdig es ist: Finanzmärkte und Rating-Agenturen retten die Demokratie, indem sie das Euro-Abenteuer beenden.

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Ich kann es mir, ehrlich gesagt, kaum vorstellen. Meine Erfahrungen haben gezeigt, dass Politiker nur äußerst selten Fehler eingestehen.
Was muss geschehen, damit die Politiker, die auf ihrem hohen Euro-Ross sitzen, zugeben, dass der Euro gescheitert ist?

Prof. Dr. Hankel
Man muss sie nur abwählen. Leider fehlt es derzeit noch an personellen wie parteipolitischen Alternativen. Europa braucht nicht nur zornige junge Männer und Frauen, sondern auch „elder statesman“ mit Erfahrung. Leider ist diese Generation von Ausnahmen abgesehen mit dem Europa-Virus infiziert.

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Unsere Bundeskanzlerin, Frau Dr. Merkel, ist (noch) gegen Euro-Bonds. Die SPD ist dafür. Was glauben Sie, werden die Euro-Bonds kommen? Bestünde dann nicht sogar die Gefahr, dass Deutschland den Triple-A Status verlieren könnte und noch höhere Zinsen für die Schulden zahlen müsste?

Prof. Dr. Hankel
Die Anleihen des ESFS sind bereits Eurobonds. Die Frage ist: Werden sie auf Dauer auch gekauft? Deutschland verliert seinenTriple-A-Status, wenn sein Export in der Welt-Rezession einbricht und sein Schuldenstand weiter so ansteigt wie bisher.

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Während eines Vortrages im Sommer 2011 in Wien sagten Sie: „Meine Damen und Herren, ich bin sehr bewegt, ein so volles Haus finde ich nicht in Deutschland …“
Warum nicht? Sind Sie als deutscher Wirtschaftswissenschaftler und Euro-Kritiker bei Veranstaltungen zu wirtschaftslichen Fragen in Deutschland nicht willkommen?

Prof. Dr. Hankel
Kritiker sind keine Demagogen. Man liebt sie nicht, obwohl sie das Beste wollen: Schaden von anderen Menschen abwehren. Deswegen bewegt es mich, wenn das honoriert wird.

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Auf dem o.g. Kongress sagten sie weiter: „Eine Währung, die gerettet werden muss, ist keine Währung!“ Sie haben diese Aussage in Ihrem Vortrag auch näher konkretisiert, aber mal ehrlich. Für wie gefährdet sehen Sie die Ersparnisse der EU-Bürger im Euro?

Prof. Dr. Hankel
Die Gefahr für unsere Ersparnisse wächst mit jeder weiteren Billion von Staatsschulden. Wie kann die ins Grundgesetz gestellte „Schuldengrenze“ greifen, wenn die Euro-„Rettung“ zur Übernahme immer weiterer Schulden zwingt: Staatsschulden, Bankschulden und zur Verhinderung drohender Konkurse bei beiden? Mit jeder weiteren Schulden-Billion wächst die Versuchung, das Problem. Wie in Deutschland zwei mal schon gehabt, über Inflation mit nachfolgender Währungsreform zu lösen. Daher fliehen die Menschen verständlicherweise aus Papier-Vermögen in echtes Sach-Vermögen: Immobilien, gute Aktien, Edelmetalle. Vorsorge ist besser als böse Überrraschung!

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Herr Prof. Dr. Hankel, abschließend noch eine Frage. Einige Euro-Staaten haben inzwischen Staatsschulden von ca. 100 Prozent zum BIP oder z.T. weit darüber angehäuft.
Gibt es für diese Staaten überhaupt noch eine Chance, aus dem Schuldenschlamassel herauszukommen oder sollten diese Staaten besser sofort in die Insolvenz gehen, wie es Argentinien 2002 vollzogen hat?

Prof. Dr. Hankel
Ich rate, gerade im Hinblick auf Argentinien und andere Sanierungsfälle, zu etwas anderem: Lösung vom Euro, Umtausch aller Euro-Forderungen und -schulden 1:1 in nationale Währung und anschließend Neufestlegung der Wechselkurse: Abwertung für die Schuldenländer, Aufwertung für ein Gläubigerland wie Deutschland. Die einen könnten mit der Drohung, die Auslandszahlungen einzustellen, einen „haircut“ erzwingen, wie Argentinien und andere. Ein Gläubigerland wie Deutschland bekäme die Chance, seine Staatschulden in Euro in harter D-Mark billig zurück zu zahlen.
Doch dieses Programm sucht noch immer seine Politiker, nicht nur in Deutschland.

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Herr Prof. Dr. Hankel, ich bedanke mich recht herzlich bei Ihnen für dieses aufschlussreiche Interview.
Hoffen wir, dass die Politiker noch zur rechten Zeit Vernunft annehmen und Europa nicht ins Chaos stürzen.

Dieter Sordon (www.krisenfrei.de)

Dieses Interview steht jedem frei zur Verfügung – auch den freundlich gesinnten Regierungs-Medien! Wobei ich allerdings nicht glaube, dass weder die Printmedien noch die TV-Medien dieses Interview mit Herrn Prof. Dr. Wilhelm Hankel der Öffentlichkeit zugänglich machen werden.
Sei’s drum, Hauptsache in der Blogger-Szene wird es vielfach weitergegeben. Die System-Medien haben sowieso nur noch die Aufgabe, Lügen unter’s Volk zu verbreiten.
Und vielen Dank nochmal an Herrn Prof. Dr. Wilhelm Hankel.
Dass gerade er mit seiner kritischen Meinung zum Euro für die deutschen System-Medien ein rotes Tuch ist, sagt ja wohl alles!

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Die PDF-Version mit einigen Verlinkungen und zum Herunterladen finden Sie hier:
http://www.krisenfrei.de/Sordon_Interview-mit-Prof-Hankel.pdf

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